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2. Kapitel

Hochzeitsfeuer

Sonst lagen um diese Abendstunde Gassen und Markt in tiefer Ruhe, tiefer Finsternis. Kaum noch, daß hier und da eine Kienfackel aufflammte, wenn ein Stadtgewaltiger vom späten Mahle bei guten Freunden heimkehrte und sich dann von Dienern den holprigen Weg beleuchten ließ. Das fleißige Bardowieck pflegte um diese oktoberliche Abendstunde längst dem andern Tag entgegenzuschlummern, wie ausgelöscht von der Welt, wie ein Stück der weiten Heide. Heute aber drängten die Menschenmassen stürmisch marktwärts. Heute standen sie Kopf an Kopf vorm dunkel aufstrebenden Dom und starrten nach dem stolzen Hause hinüber, aus dessen Fenstern trotz der samtnen Vorhänge heller Lichtglanz quoll, Musik und Lachen herniedertönte. Aus zwei gewaltigen Bronzebecken vorm Hause loderten rote Feuersäulen auf und übergossen das Getümmel mit gespenstischem Zitterlicht.

»Wer die Speicher und Scheuern voll hat, der kann gut Hochzeit feiern,« knurrte es in der Menge.

»Wenn sie uns nur einen Teil von dem gönnten, was sie heute sündhaft durch die Gurgeln jagen, dann brauchten wir uns ein paar Wochen lang nicht darum zu grämen, wie wir unsere Kinder durch den Winter bringen sollen.«

»Warum nehmen wir es schweigend und feig wie Hunde hin?« fragte ein anderer dagegen, »warum rührt sich niemand in den Gilden, um uns endlich unser Recht zu schaffen?«

»Wer wagt es noch, seitdem sie den Prinzen aus der Stadt getan haben!« erwiderte sein Rebenmann, der Schmied Riele Haden. »Mit ihm ist all unsere Hoffnung zu Grabe gegangen. Und ehe er wiederkehrt, dürfen wir keine Besserung erwarten.«

»Euer Prinz Harald!« ließ sich da eine haßerfüllte Stimme vernehmen. »Als ob der besser wäre denn die Geschlechtersippschaft, als ob Blut nicht zu Blut gehörte, als ob der Bankert des Herzogs das arme Volk wirklich lieben könnte! Damals, vor zwei Jahren, hat er euch ein fröhliches Theater vorgespielt, und ihr seid ihm auf den Leim gegangen, wäre er wirklich ein ehrlicher Widersacher der Geschlechter gewesen, sie hätten ihn wahrlich nicht so leichten Kaufs ziehen lassen. Sie, die jedem von uns, sobald er auch nur unwillig zu flüstern wagt, den Kopf vor die Füße legen.«

»Oder die Hand abschlagen lassen!« scholl es hinter ihm.

Der Zornige fuhr herum, als wollte er sich auf den kecken Zwischenrufer stürzen, besann sich dann aber und lachte verächtlich. »Erhofft euch nichts von eurem Prinzen Harald,« zischte er. »Zeigt, daß ihr selbst Manns genug seid, die verhaßte Herrschaft abzuwerfen! Sonst bleibt ihr Sklaven bis an der Welt Ende.« Der so sprach und über dessen bleiches Gesicht eben ein roter Flackerstrahl flog, war in noch ärmlichere Lumpen gehüllt als seine Umgebung. Der rechte Arm hing ihm, während er mit der Linken wild durch die Luft fuchtelte, schlaff wie ein Stumpf nieder. Die Hand war abgehauen.

Sein heiseres Schelten regte die Männer und Weiber rundum in den Tiefen auf. Wütende Flüche erschollen, Fäuste wurden gegen das frohe Haus des Festes geballt, und aus dem Winkel am Dom schwoll plötzlich wie Raubtiergebrüll der Schrei auf: »Öffnet die Speicher! Wir verhungern!«

Hin und wieder wurde oben im Palast ein Fenstervorhang zurückgeschlagen, dann trat der oder jener von den Gästen hervor, wie um frische Luft zu schöpfen, und gleichzeitig schimmerte das bräunliche Licht der Wachskerzen in den festlichen Räumen wärmer auf, klang die Hochzeitsmusik lustiger und lockender.

Durch das Gewühl der erregten Menge drängte sich, von einer schlanken Jungfrau begleitet, Wolf Vynkes straffe Greisengestalt. Alles machte bereitwillig dem Allverehrten Platz, der, trotz seiner siebzig Jahre noch nicht gebeugt und müde der letzten Stunden entgegenharrend, nein, ruhelos mit entflammterem Eifer als irgendein Junger für Volk und Stadt auf dem Plan stand. Ihm wagten selbst die stolzen Geschlechterherren nicht schroff entgegenzutreten, obgleich sie ihn für einen Statthalter Haralds, ja schlimmer noch, für einen Vertrauensmann des Herzogs hielten. Aber Wolf Vynkes Ansehen war nicht nur deshalb groß, weil jeder seinen lauteren Sinn, seine Unerschrockenheit und Selbstlosigkeit kannte, sondern weil ihn, und dies vor allem, der Ruhmesglanz des Kreuzfahrers umstrahlte, Ruhmesglanz, der die ewige Seligkeit verlieh! Der alte Kriegsknecht Herzog Heinrichs war am Grabe des Heilands gewesen, hatte Jerusalem von den gotteslästerlichen Seldschukken befreien helfen, als erster auf den Mauern Antiochiens gestanden, die Rennfahne in der Hand, die kurz vorher dem von einem Nagelbalken zu Tode getroffenen Rottenführer entfallen war. Widerschein seiner Taten, die selbst der hochehrwürdige Abt Iso gern erwähnte, fiel auf alle seine Freunde, und deshalb bemühte sich jeder, sein Freund zu sein.

Wolf Vynke ging geraden Wegs auf Jan Dieter, den bleichen Verstümmelten, los. »Mäßige dich, Jan! Mit grimmen Worten schaffen wir es nicht, reizen wir unsere Brüder nur zu gefährlicher Wut auf und machen's denen da droben leicht, uns auseinanderzusprengen, wahrt die Ruhe, liebe Gesellen!« rief er ins Gebraus hinein. »Gesetz und Recht sind unsere Waffen, nur mit ihnen können wir siegen. Hüten wir uns deshalb davor, sie zu zerschlagen!«

Sein ernstes Wort verfehlte die Wirkung nicht. Wohl wogte der Menschenstrom unablässig weiter über den Markt, wohl dachte in dieser Nacht niemand daran, seine Lagerstätte aufzusuchen, aber die gefährliche Erregung schwoll ab.

Im Saal oben achtete niemand des Volkszornes. Man wußte, daß es vom Bellen bis zum Beißen ein langer Weg war und vertraute im übrigen auf die Hellebarden der bereitgestellten Stadtwache. Mit Feuereifer gab sich jung und alt den Freuden des Festes hin. So glänzende Gelage der weite Raum schon gesehen haben mochte, noch nie vorher hatte er in prunkenderer Herrlichkeit geschimmert, hatte die Lebenswonne höhere Wellen geschlagen. Unablässig fiedelten die Geiger, klangen Zymbeln und Schalmeien, kreisten die Silberbecher und Kristallschalen, schon lehnten hier und da am Teppich der Wände Halbtrunkene, faßten die Tänzer ihre Tänzerinnen fester, als es sonst vornehmer Brauch war.

Plötzlich schmetterten von der Estrade her helle Fanfaren. Der Tanz brach ab, die Gäste scharten sich zu Hauf um den Ehrentisch, wo Matthias Holt, der regierende Bürgermeister, und seine Ratsmannen saßen, Schweigen trat ein. Und nun erhob sich, den berühmten venezischen Goldpokal der Holks in der Hand, des Hauses Haupt. Gebieterisch stand er da, im Schmucke feines dichten, grauen Haares, des breitflutenden Bartes, der auf den Purpur des Bürgermeisterkleides niederfloß. »Ewig ist unsere Stadt,« rief er aus. »Als noch niemand Kunde wußte von den Gemeinden im Süden und am Rhein, als einzig Trier blühte, die Römerniederlassung, da stand hier im trutzigen Norden schon Bardowieck. Wie es ewig war, so wird es ewig sein. Wir, die Alten, wissen freilich, daß der Tag kommt, der uns abruft, aber hinter uns steht die starke, stolze Jugend, und sie wird erreichen, was uns zu erreichen noch nicht vergönnt gewesen ist: Das freie, das unabhängige, das königliche Bardowieck! Weit haben wir es in zwei Menschenaltern gebracht. Die Stadt, die unter dem herzoglichen Vogte stand, als ich geboren ward, kennt heute keinen fremden Gebieterwillen innerhalb ihrer Wälle. Die Stadt, die dem Herzog zinsen mußte, bringt heute niemandem mehr einen Tribut dar, außer« – er verneigte sich vor dem am Ehrentisch sitzenden Abt Iso – »außer der heiligen Kirche. Mit Löwenmut hat Bardowieck dem Löwen Heinrich, als er von Kaiser und Reich abgefallen war und die Fackel furchtbaren Bruderkrieges entzünden wollte, ihre Tore gesperrt. Bardowiecks mächtiger Wille hat dazu mitgeholfen, ihn übers Meer nach England zu scheuchen, ihn, der doch schier wie ein König war und zu dessen Füßen alle Länder zwischen See und Elbe lagen, der die herrlichsten Südgaue des Reiches vom Kaiser zu Lehen trug. Nie wieder wird er uns seine Knechte nennen dürfen. Aus früherer Zeit noch haben die Holks mit ihm abzurechnen. Und sie vergessen nicht. Des zum Zeichen habe ich dir, Rolf Ebelingk, heute mein geliebtes Kind ans Herz gelegt. Du sollst mein Erbe sein, vollenden, was ich angebahnt habe! Sorge, daß unsere Häuser weiter blühen, sorge vor allem, daß der Eichbaum Bardowieck tiefer seine Wurzeln als vorher in die Erde senke, höher seinen Wipfel recke, hoch über die Throne aller Fürsten und Gewaltherrscher hinaus!«

Jubelgeschrei brach los, daß die Pfosten des Hauses zitterten. Geschrei, das sich weit über den Markt fortpflanzte und spukhaft um die Häupter der schweigenden Volksmasse hinbrauste. Lauter klirrten oben die Becher zusammen, trotziger und heißer glühten die Augen.

Am Ehrentische rückten die mächtigen Herren mit roten Köpfen wieder näher zusammen. »So mein' ich, daß der Herzog die günstige Gelegenheit benutzen wird, noch einen letzten Anschlag auf seine Erblande zu machen,« behauptete Tysenhusen, der nicht zu den stadtadligen Geschlechtern zählte, aber im Laufe eines fleißigen Lebens durch ebenso waghalsige wie geschickte Spekulationen zu den wohlhabendsten aufgestiegen war. »Mich dünkt, wenn er noch nicht ganz lahm und altersschwach geworden ist, wird er jetzt nicht in England müßig sitzen bleiben.«

»Mag der Rotbart immerhin fern weilen und sobald aus dem heiligen Lande nicht wiederkehren,« beruhigte ihn lässig Tom Börner, sein adelsstolzer Nachbar, »gegen Heinrich stehen die Fürsten, die sich in sein Land geteilt haben, es stehen gegen ihn mit uns alle Städte, und nur beim törichten niederen Volk genießt er noch Herrscherehren. Wir haben ihn nicht mehr zu fürchten.«

»Aber dies niedere Volk wird von Tag zu Tag unruhiger und schwieriger,« konnte sich Tysenhusen nicht enthalten, mit unverkennbarer Schadenfreude hinzuwerfen.

»Das niedere Volk?« wiederholte Claus Rodecke höhnisch. »Kannst dich immer noch nicht von ihm trennen, was? Da unten auf dem Markte knurrt's und murrt's, aber sie wissen alle, wie blanker Stahl schmeckt, und keiner wird auch nur die bloße Hand gegen uns erheben. Bardowieck braucht keine Gefahr zu scheuen, Tom hat recht. Kein Feind vermag jetzt gegen Bardowieck in die Schranken zu reiten, ob er nun draußen oder innerhalb unserer Wälle lauere.«

»Und Harald, der Herzogssohn?« fragte Tysenhusen.

»Der Bankert schwimmt irgendwo auf dem Nordermeer, hält uns die Piraten vom Leibe, sichert die Wege nach England und Nordland, daß keiner von uns mehr mit Sorge im Herzen seine Schiffe dorthin sendet,« schmunzelte Tom Börner. »Auf sieben Jahre darf er Bardowieck nicht betreten, und kaum zwei Jahre lang kreuzt er auf dem Butenspäler. Auch diesen Tollen brauchen wir nicht mehr zu fürchten.«

Gedankenvoll sah Abt Iso, der auf dem Ehrenplatz neben Matthias Holk saß, vor sich hin. Dann hob er den feinen, geraden Kopf. »Unterschätzt mir dies heiße Blut nicht,« warnte er mit leiser stimme. »Gewiß habt ihr die Macht, ihn von der Stadt fernzuhalten, und so fehlt der Empörung das Haupt. Aber wehe, wenn es ihn treibt und ihm gelingt, mit den Unzufriedenen in neue Verbindung zu kommen! Ihr tut nicht recht, weise Herren, wenn ihr das Volk allzu sehr drückt, zu wenig Rücksicht auf das schlechte Erntejahr, auf die Not der Kleinen nehmt. Erbarme dich deines Bruders! spricht der Herr.«

»Sofern er sich brüderlich beträgt!« ergänzte Kai Estorff feindselig.

Die anderen Ratsmannen schwiegen oder zuckten leicht die Achseln. »Was wollen wir uns vor Spukmännchen fürchten, solange es heller Tag ist?« meinte endlich Tom Börner. »wer die Macht hat, herrscht, was hilft es dem Löwen, daß er sich Herzog unseres Landes nennt? Er ist arm und kraftlos wie ein Bettler. Und Harald, sein Bankert? Schnee vom vergangenen Jahre! Harald wird Bardowieck nie wiedersehen. Auf den Knien muß er uns dafür danken, daß wir ihn, den Aufrührer und Pöbelführer, nicht an den Galgen gehängt, sondern zum Kapitän einer Wehrkogge, zu unserem Dienstmann gemacht haben.« Er lachte schallend auf und leerte den Humpen mit Malvasier.

»Und doch, ich schwör's euch, Freunde, es war ein verhängnisvoller Fehler, daß wir ihn entwischen ließen,« grollte Rolf Ebelingk. »Läge er auf dem Schindanger verscharrt, die Stadt wäre ihrer Zukunft sicher. Er aber bedeutet dauernd schwere Gefahr.«

»Wir sind der sorgen ledig,« entgegnete Matthias Holk behaglich. »Seit heute ganz und gar.«

»Weil wir ihn heute so lustig hintergangen haben, hahaha,« lachte Rolf Ebelingk schallend auf. »Selbst wenn er käme, käme er zu spät.« Damit reichte er seinen Becher dem harrenden Diener.

Jach sprang er dann vom schweren Gestühl auf, das er mit einem Ruck weit hinter sich schob, wieder schmetterte, Ruhe heischend, eine Fanfare; wieder schwieg der Festlärm. »Du hast mich vorhin zu deinem Nachfolger aufgerufen, Matthias Holk,« dröhnte Rolfs Stimme durch die Halle. »Vertrau auf mich, du Stolzer! Das köstliche Kleinod, das du mir heute geschenkt hast, verpflichtet mich dazu, dir mit meinem Leben zu danken. Dir und der teuren Stadt, der dein ganzes Leben gehört hat. Und deshalb, Matthias Holk, streb' ich für sie nach höheren Gipfeln noch als du. Ihr meine Freunde, kann es uns genügen, den herzoglichen Bedränger für ein paar Jahre abgeschüttelt zu haben? Unaufhörlich liegt er auf der Lauer, uns wieder zu knechten. Aber selbst wenn er in Verbannung und Vergessenheit stürbe, stehen nicht hinter ihm gierige Erben? Es ist uns gelungen, Bardowieck mit Riesenkraft von dem Tyrannen loszuringen. wohlan! Nie wieder darf ein Despot seine eiserne Faust auf unsere geliebte Vaterstadt legen. Blickt doch, liebe Brüder, über Deutschland hinaus, blickt über die Alpen! Welche Kraft und Glorie glüht aus den lombardischen Städten auf! Vor ihren Lanzen ist die reisige Macht des Imperators in den Staub gesunken; bei Legnano schlug der freie Bürger den Kaiser der Welt. Ein neues Jahrtausend rückt herauf, vom heiligen Grabe flutet Licht und Lenzluft zu uns hinein; die Freiheit will uns alle ans Herz nehmen, die Freiheit, die niemand so zu ehren, niemand so zu fördern weiß, wie der königliche Kaufherr. Nicht Fürst und Ritterschaft, aber auch nicht schmutziger Pöbel versteht und verdient sie; wir, das adlige Bürgertum, sind ihre berufenen Bannerträger.«

Fiebernd vor Erregung, drängten sich die Männer um den Redner. Jedem Satze gewitterte Beifallsgetos nach.

»Feige verkrochen hat sich der wunde Löwe, abgetreten Macht und Herrlichkeit an uns, die nun des Regenten nicht mehr bedürfen, weit, weit ist Bardowieck emporgestiegen, weiter als die Väter es in kühnsten Träumen hoffen durften. Laßt uns nun entschlossen das letzte stück des Weges gehen, wir haben die Tat gewagt, wagen wir das Wort! Zur freien Stadt des Reiches muß Bardowieck sich erklären, aus eigener Kraft, aus eigener Machtvollkommenheit, für unabhängig von jedem Gebieter in der Runde, ergeben nur dem Kaiser, niemandem Untertan als ihrer selbst gewählten Obrigkeit! Dieser Becher, meine tapferen und treuen Freunde, gilt der freien Stadt! Das Schwert heraus, wer sie bis in den Tod liebt und mir folgen will!«

Über alles Maß hinaus raste der Jubelssturm. Und während aus hundert Kehlen ein wildes »Vorwärts! Vorwärts!« erscholl, flogen die Damaszener aus den Scheiden. Rolf Ebelingk war auf den Tisch gesprungen und ragte, den gezückten Degen in der Faust, wie ein Erzbild aus der Masse hervor. Ehe er sich's versehen, waren die Jungherren herangestürmt. Zwei der Stärksten nahmen ihn auf ihre Schultern und trugen ihn jauchzend und schreiend durch den Saal. Es brannten alle Gesichter, es flammten alle Augen; selbst die Frauen wurden vom Taumel hingerissen. Minutenlang wollte der begeisterte Lärm nicht verebben.

Abt Iso war behutsam zurückgetreten. Ihm zur Seite hielt sich Tysenhusen. Beide blickten einander beziehungsvoll an.

»Ist es dir recht, mein Sohn, so suchen wir vor dem Tumult Unterschlupf,« lud der Abt den Kaufherrn ein, während ein seltsames Lächeln über sein kluges Antlitz flog. »Ich meine, wir haben uns mancherlei zu sagen, während die andern in Raserei schwärmen.«

Tysenhusen beeilte sich, das Eisbärenfell, darauf des Abtes Füße geruht hatten, aufzuheben und in eine der entferntesten Nischen zu tragen. Behaglich setzte sich Iso zurecht und litt es, daß der fromme Kaufherr mit dem Fell sorgsam seine Füße umhüllte.

»Werden sie den Löwen mit ihrem Kinderlärm von den Toren fortscheuchen?« wagte Tysenhusen spöttisch zu bemerken. »Gebrüll allein, hab' ich mir sagen lassen, entscheidet keine Schlacht.«

»Sie sind des süßen Weines voll,« erwiderte Iso und lächelte abermals. »Mancher von ihnen mag sich's morgen anders überlegen.«

»Mit Vergunst, Hochehrwürden, das glaube ich nicht. Denn hier liegt ein allzu großes Geschäft für sie. Unabhängigkeit vom Herzog für alle Zeit, das bedeutet ungezählte tausend Silbertaler in den Stadtschatz, in die Truhe jedes einzelnen.«

»Vorher werden sie mit Heinrich noch zu würfeln haben,« versetzte Iso.

»Sind Euch gewisse Nachrichten über den Herzog zugekommen, Hochehrwürden?«

Der Abt zuckte die schmalen Schultern. »Mißdeut' es mir nicht, wenn auch ich mitunter ein wenig kaufmännisch rechne. Man lernt das hier, in dreißig Jahren und länger. Kaiser Rotbart weilt in Palästina. Niemand ist da, der jetzt dem Löwen in den Arm fallen könnte oder wollte, wenn er sich nicht selber den Erfolg verdirbt. Du weißt so gut wie ich, Rolf Ebelingk und alle wissen es, daß er in England beutegierig auf der Lauer liegt, wie er vor fünf Jahren wiederkam und des Kaisers Gnade von neuem erlangte, so wird er auch jetzt die eiserne Hand ausstrecken. Fällt ihm aber Bardowieck in die Krallen, dann –«

»Dann rächt er alle ihm angetane Beleidigung! Dann werden wir Zinsen müssen, bis uns das Blut unter den Nägeln hervorspringt,« vermutete Tysenhusen.

»Nicht so. Ein anderes droht. Höre, was ich dir anvertraue und was nur wenige Eingeweihte wissen: Die Mär, die umläuft, ist wahr, im Schlosse zu Braunschweig liegt das feierliche Pergament, das Harald zum Herrn dieser Stadt macht, sobald der Löwe die Augen geschlossen hat. Und kehrt er lebend zurück, so wird er den Wildling, den er über alles liebt, gleich mit dem Fürstentum belehnen.«

Tysenhusen richtete sich unwillkürlich auf. »Harald in Wahrheit unser Fürst? Das ist schlimmer, als wenn Heinrich doppelt auf uns drückte. Harald, der Führer des aufrührerischen Volkes, Harald, der es immer mit den Gilden und Handwerkern, mit den Männern am Hafen, mit dem Kleinsten der Kleinen gehalten hat? Unmöglich, hochehrwürdiger Herr!«

Der Abt betrachtete die blassen Nägel seiner Finger. »Warum sprichst du so wegwerfend von ihm, der den Armen und Kleinen zur Seite steht, wie Christus es von uns verlangt? Mißachten sie nicht auch dich, Hans Jakob, weil du eines Zinspflichtigen Sohn bist und dich dennoch zu hohem Reichtum aufgeschwungen hast? Bist du nicht größer als die meisten von ihnen und giltst ihnen doch nur als rechtloser Untertan?«

Demütig tief beugte sich der Kaufherr, während ein böses Zucken um seinen Mund ging. »Glaubt mir, hochehrwürdiger Vater, ich weiß, wie sie mir gegenüberstehen. Sie haben mich auf dies wilde und wüste Fest geladen, daß ich ihrer Allmacht Zeugs sei. Sie können mir mein Glück, nein, hochehrwürdiger Vater, meinen Fleiß nicht verzeihen. Sie ertragen es nicht, daß ich von Jahr zu Jahr durch Gottes Güte reichere Schätze aufgehäuft habe als sie. Ich habe hart gescharwerkt, während sie praßten. Ich gebiete heute über Tausende, wo ihnen Hunderte gehören. Und doch, Ihr habt recht. Meine Freiheit, meine Macht hängt von ihrer Gnade ab; gebieten sie, dann bin ich morgen wieder der ärmliche Zinsknecht und jedem Übermut des Rates preisgegeben.«

»So erkennst du, Hans Jakob, daß dir Unheil droht, ob nun der Rat in Bardowieck eigenmächtig herrscht, oder Jung Harald. Siehst du keine Möglichkeit für dich, aus der ewigen Furcht vor Habgierigen und Mißgünstigen, vorm Überschwang jugendlicher Schwärmerei herauszukommen?«

Der Kaufherr blickte dem Abt erwartungsvoll in die grauen Augen.

»Bardowieck ist längst nicht mehr, was es in jenen Tagen war, da ihm Herzog Heinrichs Gunst strahlte,« fuhr Iso leise fort. »Sie mögen sich ihres Glückes, ihres Reichtums, ihrer Kräfte rühmen, so laut sie wollen – wer seine Ohren hat, der hört doch die Angst vor der Zukunft heraus. Wo sind die Zeiten hin, da Lüneburg ein armseliges Dorf war, Lübeck eine Hand voll Lehm und Bardowieck unbestritten, wie es schien bis zum letzten Tage, die Krone des Nordens trug? Kommt der Stadt nicht bald kräftige Hilfe, so ist sie verdammt, im Heidesand zu versinken, schon ziehen wagemutige, Zukunftsfreudige aus ihren Mauern fort, siedeln sich näher dem Meere an. Nur eine Möglichkeit gilt es, Bardowieck wieder zu alter stolzer Höhe emporzuführen, vor allen Feinden, Wettbewerbern und Neidern unbedingt zu schützen, gleichzeitig aber auch Männer wie dich von Last und Schmach zu erlösen, dich frei zu machen, wie die stolzen Geschlechter.«

»Und die wäre?« Tysenhusens Hände zitterten vor Erregung.

»Bardowieck muß der heiligen Kirche gehören. Erstaune nicht, mein Sohn! Den Kämpfen, die jetzt kommen werden, ist die Stadt allein nicht gewachsen. Ja, stünde sie einträchtig jedem Widersacher gegenüber! Aber zwischen den Gilden und dem Rate, den Kleinen und den Großen tobt haßerfüllter Krieg. Vor zwei Jahren zu Boden geschlagen, stehen die Handwerker und ihre Gefolgschaft schon wieder im Begriff, neue Rechte zu fordern. Der Rat aber trachtet danach, sie sogar um die alten, die ihnen Herzog Heinrich verliehen hat, zu bringen. So schwankt die Stadt wie ein morsches Schiff zwischen Gewittern aus Nord und Süd dahin. Ich weiß es, Hans Jakob Tysenhusen, der Tag wird kommen, wo sie hilf- und führerlos die heilige Kirche um Rettung anfleht. Willst du mir bis zu diesem Tage ein Getreuer sein, Hans Jakob?«

Der zuckte in freudigem Schreck zusammen.

»Hochehrwürdiger Herr! Die Aussichten, die Ihr mir eröffnet, sind so betäubend herrlich, daß ich kein Wort der Bewunderung finde. Gebietet über mich, über mein ganzes Vermögen! Aber macht mich frei von der Herrschaft dieser Hochmütigen!«

Noch um ein weniges mehr beugte Abt Iso den hageren Körper vor. »Ich habe für die große Stunde gesorgt. Der heilige Vater in Rom, Clemens, und Kaiser Friedrich haben gemeinsam das Pergament gesiegelt, das mir erlaubt, im Namen der Kirche Bardowieck für sie zu gewinnen, sobald Rat und Bürgerschaft mir das Geschenk antragen. Den Rat fürchte ich nicht trotz seiner stolzen Worte. Ich fürchte auch den Herzog Heinrich und sein Haus nicht. Mit ihnen läßt sich wohl ein Vertrag schließen; sie haben mich andern Orts nötig. Aber der junge Harald! Dieser Feuerkopf voll Überschwang und wildem Wollen, dieser geharnischte Träumer, der in unersättlichem Lebensdrang Sterne stürmen und ein Paradies auf Erden bauen will! Unglück für uns, wenn sie sich ihm beugen! Größeres Unglück für uns und ihn, wenn sie mit ihm spielen zu können glauben! Ein Feuerbrand unterm Strohdach in Bardowieck! Ich hab' ihn lieb gehabt, doch kenn' ich auch keinen schlimmeren Verderber meines Werkes, seine Rechte gehen dem, was mir verheißen worden ist, weit vor; seine gereizte Leidenschaftlichkeit zerstört alles ruhig Gewordene. Nur er ist der Feind, dein Feind und mein Feind, Hans Jakob! wehe uns beiden, wenn dieser aus seinen Träumen erwacht oder gar unsanft geweckt wird!«

Schritte näherten sich, wie warnend strich Isos Finger über die dünnen Lippen.


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