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16. Kapitel

Marias Sendung

Ein närrisches Volk, wahrhaftig,« warf Tysenhusen verächtlich hin. »Morgen packt sie der raubgierige Löwe, und heute wissen sie nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, wenn sie's so weiter treiben, wird der Feind leichtes Spiel haben; er findet schließlich nur noch Tote und Verwundete in der Stadt.«

»So haben sie von jeher getan, die Hartschädel, und sind doch leidlich groß dabei geworden,« meinte Abt Iso. »Es steckt zuviel überschüssige Kraft in diesen Berserkern; der Feind draußen genügt ihnen nicht, um sich auszutoben. Ja, Hans Jakob, hätten der Sachse und der Deutsche überhaupt ein wenig mehr Manneszucht im Blute, verständigen Geist freiwilliger Unterordnung, dann läge die ganze Welt winselnd zu ihren Füßen. Was hat nicht Herzog Heinrich in den Jahren seiner Kraft vollbracht? Bis weit an die Bernsteinküste hinaus hat er die Grenzen seines Reiches geschoben; mit gewaltigen Pranken hielt er fest umklammert, was wenige Jahrzehnte vor seiner Thronbesteigung noch auf dem Monde zu liegen schien. Aber wie die Kleinen, so die Großen. Keine Einigkeit, jeder kennt nur das eigene Ziel, jeder will eigene Wege gehen. Es geriet der Welfe, der seinen Kreuzzug statt nach dem Heiligen Lande nach dem Osten richtete, mit der kaiserlichen Macht zusammen; Barbarossa und er verzehrten sich in tödlichem Haß, und furchtbar hat der Rotbart sich für den Fußfall gerächt, den er in Partenkirchen vor seinem Vasallen tun mußte. Beide, Hand in Hand, hätten sich leicht den Erdball Untertan gemacht; nun sie wider einander anstürmten, war es der heiligen Kirche möglich, das Schiedsrichteramt zu erlangen. Auch in Bardowieck wird sie triumphieren. Der gerechte Gott ist stärker als der trotzigste Fürst. Auf kleinem Plan wiederholt sich hier, was auf den Schlachtfeldern Italiens und der Wendei vorgegangen ist.«

»Ihr hofft mit Zuversicht auf den Sieg, hochehrwürdiger Herr?« fragte Tysenhusen. »wir haben mit klugen und gewitzten Männern zu schaffen, Matthias Holk hat aus dem Mißgeschick anderer gelernt und tut das Äußerste, die Parteien zu versöhnen, wenigstens solange er aller Fäuste bedarf.«

»Zu viel sind derer, die ihm eigensinnig und verbissen entgegenstehen. Der Tumult am Hafen wirkt wie fressendes Gift. Niemals noch stieß ich auf ergrimmtere Parteiwut als jetzt. Heute morgen haben die Schiffer und ihre Knechte die Obleute zu mir geschickt und sich feierlich verschworen, keinem Ratsmanne zu gehorchen und neben keinem Waffenknechte des Rats zu kämpfen. Nur Harald allein erkennen sie als ihren Führer an.«

»Welche Hoffnung erwächst uns daraus?« Tysenhusen spielte mit dem Goldring am Finger, den er jetzt noch auf der Linken trug, bald aber als Zeichen seiner Ratsherrnwürde auf der Rechten zu sehen gewiß war. »Der Rat, die gesamte Bürgerschaft, hat einstimmig Harald zum Stadthauptmann erwählt. Niemand wird sich gegen ihn auflehnen, ein paar Tollköpfe ausgenommen, und sie sind außerstande, ihm zu schaden. Es müßte denn« – Tysenhusen senkte die Stimme – »einer der Haßerfüllten den Stahl gegen ihn heben!«

»Nur das nicht! Nur das verhüte die heilige Gottesmutter!« entsetzte sich Iso. »Alle meine Hoffnungen brächen zusammen, wenn des Löwen Kind einer Meuchlerhand erläge! Heinrichs Zorn würde keine Grenzen kennen. An jedem, auch an mir, würde er in der Raserei seine Rache kühlen ... Nur das nicht!«

»Glücklicherweise ist Harald Manns genug, sich selber zu wehren,« meinte Tysenhusen. »Freilich sehe ich nicht, wie Ihr mit ihm fertig werden wollt.«

»Hast du in Haralds Herz gesehen? Erinnere dich wohl, was ich dir an Maria Holks Hochzeitstag sagte. Es ist so weit! Sie haben ihn aus seinem Traum gerissen. Er erkennt die Täuschung und haßt, die ihn aufweckten. Wie unsicher, schwankend und müde ist er doch geworden, er, auf dem alle Verantwortung lastet, der der Härteste, Entschlossenste, Unbeugsamste sein sollte! Vielleicht, Hans Jakob, genügt ein geringer Anlaß, den Verstörten und Entzürnten völlig von der Stadt loszureißen, sie haben es ihm weidlich schwer gemacht, mit ihnen zu gehen und Treue zu halten; währen ihre Nadelstiche fort, zeigen sie ihm mit roher Deutlichkeit, daß er den falschen Platz gewählt hat, dann wehe ihnen! Furchtbar wird der Sturm, den sie gegen Heinrich zu entfesseln meinen, dann über sie selber herbrechen. Und Harald ist Heinrichs Sohn. Daran ändert kein schwärmerisches Glühen von gestern, keine betrogene Jünglingsbegeisterung für die Freiheit etwas. Jan Dieter hat so unrecht nicht, wenn er ihn beargwöhnt.«

»Eine gewaltige Macht, die Männer am Hafen, und in wenigen Tagen zu trefflichen Kriegern umgeformt,« lobte Tysenhusen. »Auch die Knechte des Herzogs werden harte Arbeit mit ihnen haben. Und das ist wohl wahr, hochehrwürdiger Herr, sie stehen fest wie Mauern zu Harald und fallen mit ihm. Niemand vermag da eine Bresche zu schlagen –«

»Außer ihm,« bemerkte Iso.

»Und Ihr glaubt, daß er diese Bresche schlagen wird?«

»Nicht in meiner Hand steht die Entscheidung. Doch ich ringe im Gebet darum, daß sie günstig für die heilige Kirche ausfalle, will der Herr, daß meine bescheidene Kraft mitwirke, so wird er mir, kommt die Stunde, die rechte Erleuchtung geben.«

Würdevoll und demütig zugleich schritt Iso ein paarmal durchs Zimmer, wie von entscheidenden Gedanken bewegt. Dann reichte er Tysenhusen die schmale Hand zum Kusse. »Sorge dafür, daß der Rat, daß vor allem Rolf Ebelingk sich nicht unbedingt den übertriebenen Forderungen der Masse beuge! Ich weiß, die stolzen Geschlechter kränkt es in tiefster Seele, nur ein Diener des Todfeindes zu sein, alle Macht an ihn verloren zu haben. Um so hartnäckiger wird er am letzten Recht festhalten, um so nachdrücklicher den Stolz seiner Leute wachrufen. Des Löwen Hieb trifft, wenn auch du deine Schuldigkeit tust und weiter ein allzu inniges Bündnis zwischen den Gilden und dem Rat verhütest, auf brüchiges Gestein.«

*

Das Haupt tiefer auf die Brust geneigt, stieg Iso die breite Treppe zu Marias Zimmer empor. Dem verehrten Gottesmann hatten die Wachen zusammenfahrend Platz gemacht, alle Türen öffneten sich wie auf Zauberwort, und die Diener flogen herbei.

»Sage deiner Herrin, mein Sohn, daß sie sich eilen möge, mich zu sehen.«

Iso war im engen Stübchen allein. Durch blausamtne Verhänge fiel das graue Tageslicht auf die im Raum vereinte fromme Pracht. Ein elfenbeinernes Christusbild grüßte aus der Dämmerung. Blausamten wie das ganze Zimmer war auch der Betstuhl ausgeschlagen. Neben ihm standen auf weichem Seidenteppich, der einst den Altar des Heiligen Grabes geschmückt hatte, mächtige Silberleuchter mit geweihten Kerzen.

Minuten verrannen, ehe Maria den Gast begrüßte. Ihr goldgesticktes Morgenkleid, ihr weißes Antlitz hob sich schimmernd vom satten Blau der Prachtverhänge ab.

»Du bliebst länger aus, als es Gott gefällig ist,« sagte Iso, seinem Beichtkinde die Hand zum Kusse reichend. »Doch des Menschen Sohn wartet unserer nicht, er wandert pfeilschnell wie das Glück vorüber. Wohl uns, die wachend harren, denen, gleich den klugen Jungfrauen, das Öl im Lämplein nicht ausgeht!«

Bescheiden, voll weher Traurigkeit, senkte Maria das Haupt. »Mein Vater, ich war im Gebet, in einem Gebet aus übervollem Herzen, wie ich es nie zuvor gewagt habe. Und Gott hat mich gehört. Ich weiß es jetzt. Er will mich nicht in Elend und Verzweiflung ersticken lassen! Ich kenne meinen Weg.«

»Du sprachst dem Herrn von der sündigen Leidenschaft, die noch immer in deiner Seele brennt?« fragte Iso streng.

»Mein Vater!« Dumpfes Stöhnen kam aus ihrer Brust, ihre Finger krallten sich tief ins Gewand. »Ich kann nicht mehr kämpfen,« keuchte sie hervor. »Du mußt mir helfen, Priester, du mußt. Geh zu ihm, sag' ihm –«

Und während sie ihr Gesicht in die Seide vergrub, mischte sich seltsam in ihr Schluchzen ein krampfhaft hartes Lachen.

Der Abt sah nachdenklich wägend auf das Heilandsbild. »Höre mich, mein Kind!«

»Ich will nicht hören, wenn du mir dasselbe sagen willst, womit du mein Herz bis heute beschwert hast. Mit dunklen Worten und Rätselreden hast du den Brand in meiner Seele immer weiter geschürt. Immer zeigst du mir ein fernes Glück, doch wenn ich danach hasche, so läßt du es versinken. Weshalb quälst du mich? Von dir erwarte ich keine Hilfe mehr. Du bringst mir den Liebsten nicht zurück. So mag Gott es denn tun. So will ich's mit Gottes Hilfe wagen.«

»Wie redest du irre, Maria, wie lästerst du Gott! Bist du wirklich entschlossen, auf eigene Verantwortung schwere, nie zu sühnende Sünde durchs Leben zu schleppen? Dir selber zum Fluch, in frechem Ungehorsam wider den Allmächtigen und Allgütigen, der dich bisher väterlich geschützt hat und die Vaterhand auch weiter über dich halten will? Beleidige den Höchsten nicht, doch verzage auch nicht! Erlösung ist dir näher als du meinst. Komm, rück dicht zu mir heran; höre, was ich dir sage, was mir im Gebet offenbart worden ist. Komm, und sei glücklich!«

Verstört und zweifelnd horchte das Weib auf. »sprecht denn!«

Die Stimme zum Geflüster dämpfend, ergriff er ihre Hand, »Schwöre mir zuvor, daß du von allem, was ich dir sage –«

Sie unterbrach ihn hastig, ungeduldig. »Ich schwöre, schwöre, was Ihr wollt,« versprach sie ihm, »nur martert mich nicht länger!«

»Du bist ein starkes Weib, Maria,« hob er an, achtsam auf jedes Geräusch draußen lauschend, »du bist doppelt stark, weil du liebst. Für seine Liebe bringt das rechte Weib jedes Opfer und trotzt jeglicher Gefahr. Für seine Liebe opfert es sich – nun, das wäre just nicht viel, aber es opfert noch mehr – die Zukunft des Geliebten, wenn es keinen anderen weg gibt, den Geliebten zu erringen.«

»Hochehrwüdiger Vater –«

»Nur wer den Tod nicht scheut, nur der gelangt in des Lebens Paradiese. Sünde sühnt nur eine große Tat, Maria. Nur der Starke, der zum schwersten Opfer bereit ist, kann Verzeihung seiner Schwachheit erlangen, verstehst du mich, Maria?«

»Ihr sprecht in Rätseln, Hochehrwürdiger!«

»Der Feind liegt nah vorm Tor. Bardowieck glaubt, sich seiner erwehren zu können. Ich freilich schätze die Kraft des wiedergekehrten Löwen anders ein. Immerhin, der Kampf wird über alle Maßen blutig, entsetzlich blutig sein und die letzte Hoffnung, uns alle vor der Rachsucht des beleidigten Herzogs zu retten, zerstören. Darum ist es Gottes Wille, daß das sinnlose Gemetzel unterbleibe. Es unterbleibt, Maria, oder es läßt sich doch wenigstens eindämmen, wenn Harald nicht ins Getümmel der Schlacht niedersteigt. Und du, Maria, bist auserkoren, ihn zurückzuhalten.«

»Ich?« Ein heller Jubelruf brach aus ihrem Herzen. »Ich, o mein Gott! Er soll – er soll nicht sterben?«

»Nein, mein Kind. Du bist auserlesen, ihn vom Tod zu erretten.«

»Aber Harald haßt mich, verachtet mich!«

»Kennst du nicht die Kunst, den Stolzen zu versöhnen, bist du nicht begierig, diese Kunst zu üben?«

»Er flieht mich, wie soll ... So redet doch, so redet doch!«

»Ich werde dich mit Botschaft zu ihm schicken, sobald die Stunde gekommen ist!«

»Mich? In sein Haus?«

»Gerade dich. Ich habe keinen vertrauten Menschen in dieser Stadt außer dir. Keinen, dem ich so wichtige Botschaft anvertrauen darf. Es ist Botschaft, die den Boten, den Absender, den Empfänger vernichten würde, wenn sie in falsche Hände geriete.«

»Ich verrate die Meinigen! Das ist es, was du sinnst!«

»Verrat! Du hilfst nur erfüllen, was das Schicksal will. Und warum erschrickst du vor der kleinen Sünde, die doch meine Sünde sein wird, während du vor der großen, übermächtigen, von der du ruhelos träumst und die du so gern auf dich nähmst, nicht erschrickst?«

»Aber ich betrüge ihn,« weigerte sich Maria weiter. »Betrüge ihn um den Ruhm, den er erstrebt, um seine Zukunft! Ich durchschaue Euch, Priester! Ihr wollt ihm stehlen, was sein ist, und dazu dünkt Euch meine Hilfe gut genug, wie aber könnte ich je wieder fröhlich und glücklich sein, wenn ich mit Harald ein verräterisches Spiel triebe? wenn er es erführe, wie müßte er mich verachten!«

»Es geht kein anderer Weg zum Ziele, Maria.«

»Dann mag auch dieser unbetreten bleiben. Dann will ich lieber unglücklich sein mein ganzes Leben lang. Ich kann nicht.«

»Du mußt jetzt bedenken, Maria, was du sprichst. Die heilige Kirche hat sich deines Flehens erbarmt, sie neigt sich dir durch mich, sie weist dir den Pfad – wehe dir, wenn du mit der Kirche frevlerisch gespielt hast! Ihr Fluch ist Grauen. Beschwör ihn nicht herauf!«

Maria zuckte vor seinen finsteren Worten zusammen. Blickte nicht auch das Christusbild am Kreuze drohend auf sie? »Glaubt mir, Priester, ich täte das Letzte um seinetwillen. Ihr spracht wahr, riesenstark ist das Weib in seiner Liebe. Riesenstark fühle auch ich mich. Ich schonte den Vater nicht, ich fürchtete Himmel- und Höllenstrafen nicht, ich risse Gott und Glauben aus meinem Herzen um seinetwillen. Aber ihn belügen, mich vor ihm erniedrigen, von ihm verachtet zu werden, nein, das ertrage ich nicht.«

Er faßte ihren Kopf mit beiden Händen und zwang sie, ihm tief ins Auge zu blicken. »Du übertreibst, Maria. Du sprichst im Fieber, was kümmert es dich, welche Gründe mich bewegen, dich zu ihm zu senden! Was geht Bardowiecks Schicksal, was gehen meine Pläne deine Liebe an ...! Alles, was deine Träume dir in diesen Tagen vorgegaukelt haben, gehört jetzt dir, wenn du willst. Des Paradieses Pforten stehen dir offen. Aber du willst an ihnen vorübergehen. Wohlan, wisse noch dies eine: Deine Laune, deine feige Unentschlossenheit soll mein Lebenswerk nicht zertrümmern. Mehr als eine Hand in der Stadt ist gegen Harald bewaffnet. Mehr als ein Meuchelmörder lauert auf seinem Pfade. Bisher habe ich über ihn gewacht, weigerst du dich, Maria, so kann ich den Mördern nicht mehr wehren. Du weigerst dich? Nun gut ...«

Da klammerte Maria in namenlosem Entsetzen die Arme um Isos Knie, da starrte sie flehend in das hartgeschnittene Gesicht, darin Haralds Todesurteil verkündet schien. »Ja. Ich will.«


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