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20. Kapitel

Vestigia Leonis

Einen Angriff von dieser Seite her hatten die im Kamp nicht erwartet. Sie glaubten sich vor jeder Umgehung gesichert, durch den tiefen Fluß und die weiten morastigen Wiesen, in denen jeder Unkundige hilflos ersaufen mußte. Als nun unvermutet zu ihrer Rechten ein starker Trupp Gewappneter auftauchte, verzweifelten die paar Mannen im Kamp zwar nicht an jedem Widerstande, wehrten sich aber von Anfang an nur noch der Ehre halber. Allzu rasch war die Minderzahl überwältigt, und der inzwischen beträchtlich verstärkte herzogliche Heerhauf konnte vom Kamp aus ungehindert den Wall besetzen. Die Gefahr wurde zu spät erkannt. Rolf Ebelingk warf sich ihr entgegen, als er die vernichtende Nachricht erhielt, aber schon hatten die Herzoglichen das Gelände breit überflutet und waren vom Wall herab in die Stadt eingedrungen. Ihr Siegesgebrüll stachelte den Mut der noch draußen liegenden Massen gewaltig an, Heinrich ließ sofort den Sturm auf alle Tore von neuem losrasen, und nun brach der Widerstand zusammen. Die Tore wurden gesprengt, die Brücken rasselten kreischend nieder, die Fahne mit dem weißen Sachsenpferd flatterte durch die Gassen. Nichts hielt den Strom, der seine Deiche brach und sich wildschäumend über das unglückliche Land ergoß, nichts hielt ihn mehr zurück. Um sinnlosem Würgen auszuweichen, befahl Matthias Holk, die Waffen zu strecken und ließ dem Herzog die Übergabe der Stadt melden.

Langsam fiel die Dämmerung herein. Über den Horizont schob sich dunkleres, schneekündendes Gewölk herauf.

Am Markte hielt vor mächtig entflammtem Lagerfeuer Heinrich im Ringe seiner Ritter, nur mühsam das ungeheure Roß, das ihn trug, zur Ruhe zwingend. Im weiten Rund standen seine Knechte aufgestellt, finster drohend sie alle, wie die Zerstörung selber. Von den Gassen her, wo einzelne Horden schon mit der Plünderung begonnen hatten, gellte Jammergeschrei herüber, aus dem Dom hallte, wie das tränenschwere dunkle Gebet eines Riesen, feierlicher, flehender Orgelklang. Doch all das Jammern und Flehen schien zu verstummen, als mit mächtigem Dröhnen die Glocken zu rufen begannen und gleichzeitig Hörner schmetternd einfielen. Da rückten in traurigem, langsamem Zuge die Ratsherren der Stadt heran. Alle in das schwefelgelbe Kleid der Schmach gekleidet, wie es sonst nur die Juden und die freien Fräulein tragen müssen. In den Händen hielten sie zum Zeichen der Schande und der unbedingten Unterwerfung erloschene Kerzen. Hinter den Männern schritten in bloßen Häuptern, die Blicke tief gesenkt, Bardowiecks adlige Frauen und Mädchen her; ihnen folgte in härenem Kleide die Schar der Priester. So schlichen sie an den Lanzenreihen hin bis zum Herzog, dem stolzen Sieger, vor dem die Ratsgemeinschaft um Gnade bittend in die Knie sank.

Matthias Holk hatte sich als erster erhoben. Straff reckte er sich auf, als er das Auge des Furchtbaren auf sich gerichtet sah, bezwang sich doch und neigte von neuem das Haupt vor dem Verhaßten. Noch immer blickten seine grauen Augen stolz und klar und kampffroh, wenn er auch seit gestern abend unermüdlich, unabgelöst am Norderwall gestanden hatte.

»Sieger und Herr durch Gottes Fügung, wir die Besiegten. Verzeihe denn, mein Fürst, was wir unbedacht gesündigt haben! Erweise dich als der Löwe, den die deutsche Erde großmütig und edel nennt, nimm ein Lösegeld von uns an, so hoch du willst.«

Verachtung loderte im Blick des Herzogs. »Ihr meint sehr leichten Kaufs aus der Schlinge zu entschlüpfen, Matthias Holk,« gab er zurück. »Mit einem Lösegeld sühnt ihr, bei Christi Gebeinen, die Schmach nicht, die ihr mir bewußt und tückisch angetan habt, als ich von allen Abtrünnigen verlassen war. Jeden, der mich in der Not verließ, werde ich mit des Schwertes Schärfe strafen, doch am härtesten euch, die zum Verrat frechen, schamlosen Hohn gefügt haben. Ihr habt mich wie Buben beschimpft, wie Buben sollt ihr's büßen, was Lösegeld! All euer Gut ist mein wie euer Leben! Euch allesamt verkaufe ich in die Sklaverei, in Trümmer breche ich diese Stadt, dies Schlupfloch des Verrates. Was soll mir euer Geld und Gut, da ich Rache will? Vor allem aber eins: Gebt mir meinen Sohn heraus, den ihr gefangen haltet! Gebt ihn auf der Stelle frei! Noch weiß ich nicht, wo ihr ihn verbergt, aber glaubt mir, ich werde ihn finden, und müßt ich eure Häuser allesamt umstürzen und bis auf den Grund durchwühlen lassen. Meinen Sohn will ich. Harald!«

Es war so still rundum, daß man die Flammen des Holzstoßes singen hörte. Wie grelle Störung klang das Rossegeschnauf. Mancher Stolze, der sich noch nie einem Feind gebeugt hatte, murmelte jetzt ein Stoßgebet vor sich hin, und das bange Weinen der Frauen war wie die Stimme dieser fürchterlichen Stunde.

Noch einmal wagte Matthias Holk das Wort zu nehmen. »Glaube uns, mächtiger Herzog, niemand in der Stadt hat sich gegen Harald vergangen, niemand von uns weiß, wo er sich aufhält. Und du, der meinem Hause so lange Jahre hindurch ein gütiger Herr gewesen ist, gönn' uns einen Rest deiner Gunst aus alten Tagen! Sei gewiß, daß von nun an Bardowieck in deinen Reichen die Treueste der Treuen sein wird.«

»Viel zu lange bin ich euch ein gütiger Herr gewesen,« brach Heinrich los. »Ich habe dich Freund genannt, Matthias Holk, wie Freunde liebte ich euch alle, und Bardowieck galt mir als der köstlichste Edelstein in meiner Krone. Wie aber habt ihr mir's gedankt? Soll ich euch daran erinnern, welche Schmach ohnegleichen ihr mir anzutun gewagt, wie ihr Namen und Banner eures von Gott eingesetzten Fürsten geschändet habt? Erinnert mich nicht daran; mein Zorn möchte ins Grenzenlose steigen. Bardowieck hat sich sein Urteil selbst gesprochen. Es ist gerichtet. Spare jedes Wort, alter Mann! Ich weiß, ihr haltet absichtlich mein Kind vor mir verborgen, um frühere Erpresserkünste zu üben. Aber ich schwöre es euch beim Allmächtigen da droben: Steht Harald nicht binnen einer Stunde vor mir, so verschwindet diese Stadt vom Erdboden, und gleichzeitig fällt das Haupt aller Schuldigen.«

Damit riß er sein Roß herum. Angsterfüllt drängten sich die Frauen an seine Seite, hoben die weißen Arme flehend zu ihm empor, entschleierten ihm ihr Gesicht. Aber in der Verbannung war Herzog Heinrich hart und kalt geworden; wie Rosenhauch wehte Weiberschönheit ihm spurlos vorüber. Nun er wieder auf dem Markte von Bardowieck hielt, zog nicht Erinnerung an holdselige Jahre der Freude durch sein Herz, nein, nur das Gedenken an schweren, bitteren Schimpf, nur der Gedanke an die graue Not und das Elend der Verbannung.

Wieder war es grabesstumm. Eine Stille, vor deren Entsetzlichkeit sich die Unglücklichen am liebsten in die Erde verkrochen hätten. Niemand war mehr da, die Opfer mit sanfter Bitte aus den Löwenpranken zu befreien. Außer dem leisen Weinen der verstörten Frauen ließ sich jetzt kein Laut mehr vernehmen.

Tiefer sank die Nacht hernieder und trank das letzte Dämmerlicht auf den Giebeln. Heller glühte das gewaltige Lagerfeuer, das von den Knechten unablässig durch mächtige Buchen- und Eichenscheite genährt wurde. Seine Röte züngelte ahnungsvoll wie grauenhafter Feuerbrand am Dom hinauf, umhuschte in schrecklicher Prophezeihung die Giebel.

Stumm blieb es, grabesstumm. Posaunen der Stille. Wie von der Glut hergelockt, flockte jetzt Schnee vom Himmel nieder, lieblicher Gräberschmuck, zart und weiß, und doch duftlos und tot. Durch das flimmernde Geriesel stoben die Feuerfunken, großen Gedanken gleich, die in der Winternacht der Menschheit aufsprühen und dann rasch für immer erlöschen. Gleich deinen Gedanken, Harald ...

Nun aber ward hinter der Schar der gedemütigten Ratsmannen eine Bewegung laut. Von seinen Priestern umgeben, trat Abt Iso vor den Fürsten hin. Sein geistvolles Gesicht schien noch bleicher als sonst, doch nicht von Furcht, sondern vor Erregung und heiligem Eifer bleich. Aus den grauen Augensternen blitzte Entschlossenheit und unbedingte Siegeszuversicht. Hüte dich, Sachsenherzog! So unbändig auch wütender Haß und Rachsucht in deiner Seele flammen, so zerschmetternd deine Macht sein mag – der hagere Priester im Prunkgewande ist doch hundertmal mächtiger als du. Es überragt dich sein gottvertrauender Geist, und mit seinen unsichtbaren Waffen verglichen sind deine stumpf. Throne, throne, erzgegossener Riese, unheildrohend in wilder Majestät vor dem zerschlagenen Volke, glaube dich so unüberwindlich, wie du willst, der greise Priester wird dich in den Staub zwingen!

Neben Iso schritten Chorknaben her, Fronleichnamskerzen in erhobener Hand. Der Flackerschein der Lichter verzerrte die schmächtige Gestalt des Abtes ins Geisterhafte.

»Höre mich wohl an, Heinrich! Das Kriegsglück hat die Stadt und das Leben der Bürger in deine Hände gegeben, Bardowieck gehört dir. Aber vor Gott versinkt alles Kriegsglück, und ich sage dir, Herzog Heinrich, nimmermehr gehört die Stadt und das Leben der Bürger und ihr Reichtum dir. Auch du empfängst deine Befehle von Gott und mußt Gott gehorchen wie diese. So überwinde dich, Herzog, und verzeihe! Denn so will es der Herr, der dich bis hierher siegreich geleitet hat.«

Als ob aus tausend qualenmüden Seelen endlich ein freier Atemzug emporsteige, so zog leises Summen um den Markt. Aber Heinrich klopfte wie in tändelndem Spiel seinem Hengst die Schneeflocken von der rabenschwarzen Mähne und lächelte nur. »Herr Abt! Gott hat mich hierher berufen, Gott hat mir die Macht gegeben, und deshalb spreche ich an seiner Statt, nicht Ihr.«

Einen Schritt vor trat Iso, und die erhobene feine Hand stand dicht vor Heinrichs Panzer. »Nicht um Wortgefechte mit dir auszukämpfen, bin ich hierher gekommen. Im Namen der Kirche habe ich dir Weisung zu geben. Nennst du dich noch ihren treuen Sohn? Bist du noch der Knecht des ewigen Gottes, so höre wohl: Alles Gold in der Stadt mag dein sein, alle ihre Kraft magst du für immer zerbrechen. Aber was der Kirche eignet, was Gott selbst sich aufbewahrt hat, darfst du nicht rauben. Rat und Bürgerschaft haben heute die Insignien des Regiments mir übergeben, der heiligen Kirche gehört diese Stadt seit heute. Und so befehle ich dir im Namen des Herrn, nimm die Hand von meinem Eigentum!«

Irgendwo scholl Lachen auf. Unwilliges Rufen kam von allen Seiten und wurde Gebraus, auf Heinrichs Stirn aber schwoll die Zornesader drohend und furchtbar an. »Mein ist die Macht, Priester, und kraft meiner Macht zerreiße ich den Vertrag, den diese Krämer gaunerisch geschlossen haben, als sie mir nicht mehr entschlüpfen konnten. Wo steht das Recht des Sklaven geschrieben, Königseigentum zu verschenken? Bardowieck gehört mir seit Urväterzeiten, und daran ändert kein Spitzbubenstreich etwas. Geh in dein Kloster, Priester!« Und mit grausamer Handbewegung wandte er sich an sein Gefolge. »Mein Sohn bleibt aus. So sucht ihn mir, sucht gründlich! Schlagt jedes Haus in Scherben, laßt keinen Stein auf dem andern! Ans Werk, ihr Männer! Die Zeit drängt!«

Aber dumpf donnernd hallte da Isos Stimme durch die Nacht. »Wehe jedem, der ihm zu folgen wagt! Fluch und Bann auf jedes Haupt, das der heiligen Kirche trotzt! Die Stadt gehört dir nicht, Herzog Heinrich, sie gehört seit langem dem Kaiser und niemandem sonst. Der Kaiser hat sie dir genommen, wie er sie dir zu Lehen gegeben hat, und in diesem Lande ist kein Körnlein Sand mehr dein, kein Wassertropfen. Hier, Herzog Heinrich, blick in das Pergament, das Friedrich Rotbart und Papst Clemens eigenhändig unterschrieben und gesiegelt haben: in Bardowieck regiert zur selben Stunde die Kirche, wo ihr die Bürgerschaft freiwillig dies Eigentum anträgt. Verderben dir, Herzog, wenn du, was der Kirche gehört, mit Frevlerhand beschädigst! Fluch und Bann auf dein Haupt! Los und ledig sage ich dann dein Heer von allen Pflichten, deine Vasallen von jedem Eide, den sie dir geschworen haben. Und wie dich banne ich auch jeden, der von heute an noch das Schwert für dich zu ziehen wagt!«

Das schreckliche Wort traf wie mit Zauberschlag selbst die verwegensten ins Herz. Ein schrecken zog durchs Heer, scheu drängten Reiter und Knechte zurück, bestürzt kamen die hohen Herren und Ritter der Gefolgschaft herangesprengt, um Heinrich zu warnen. Ja, er selber, der wohl erkannte, daß die Furchtbarkeit des Kirchenbannes gerade jetzt alle seine Hoffnung zerschmettern würde, er selber, der Unerschrockene, wich.

»Du bringst mir neue Kunde, Priester. Ich will's bedenken. Zuvor aber, und darauf beharre ich, zuvor will ich wissen, wo sie mein Kind verborgen halten. Harald mag zwischen uns entscheiden. Ihm gehört die Stadt, seinem Wort will ich mich fügen.«

Wie er das hervorstieß, klang fernes Brausen her, wie erregtes Durcheinander wilder Fragen, Brausen, das sich rasch verstärkte und zum heulenden Lärm ward. Jeder wußte: ein Entsetzliches nahte. Reiter und Hellebardiere gaben Raum, bei Fackelglanz wogte langsam ein wild umbrandeter Zug zum Markte heran. Waffenknechte trugen eine Bahre und setzten sie vorm Herzog nieder. Wie das ungewisse Licht des Flammenstoßes darauf fiel, taumelte Heinrich, als wäre ihm ein Stahl in die Brust gedrungen. »Mein Sohn! Mein Sohn! Gemordet! Mein geliebtes Kind!« schrillte es aus seiner Kehle. »Du meine Hoffnung! Du Licht meines Alters!« Außer sich vor Jammer, alles um sich her vergessend, allen Stolz, alle Majestät, alle Siegesstärke, stürzte sich der Herrscher über seinen toten Liebling. Harald lag bleich und stumm, die glühenden Königsaugen waren gebrochen und das königliche Herz, in dem Raum für weite, weite Sonnenwelten gewesen war, stand still.

»Tot,« flüsterte der Herzog vor sich hin. »Also tot.« Ein unheimliches Leuchten von Raubtierwut, funkelnder Wahnwitz flackerte in seinen Augen auf. Jach wandte er sich an den vordersten der Träger. »Du hast ihn gefunden? Ich kenne dich doch, Bursch, ich kenne dich. Du bist der Dithmarsch-Rieder. Sag' mir, wo du mein Kind gefunden hast! Sag' mir, wer die Mörder sind!«

»Wie Ihr uns anbefohlen hattet, hoher Herr, durchsuchten wir die ganze Stadt, Wall und Fluß, nach Eurem Sohn. Und vorhin, es war eben dunkel geworden, sahen wir an einer Lindenwurzel in der Ilmenau –«

»Genug,« schrie Heinrich auf, »genug! Also doch gemordet! Und nicht nur dich – denn ich falle mit dir. Ich habe dich gewarnt, mein Junge. Ich habe dich vor den Meuchelmördern gewarnt, denen du vertrautest, weil du zu groß warst, zu stolz, zu arglos. Aber ich werde dich rächen. Eine Totenfackel will ich dir zünden, die deinen Mördern weit, weit in die Hölle hinein leuchtet.«

Wie zum Gebet sank er an der Bahre nieder, doch er betete nicht, und die Gedanken schwebten nicht himmelwärts. Gespenstisch bohrten sich seine Augen in den gewaltigen, lodernden Holzstoß vor ihm. Dann winkte er, Ritter traten hervor und trugen die Bahre langsamfeierlich in den Dom, wo sie sie am Hochaltare niedersetzten. Heinrich sah ihnen finster schweigend nach, sah dann wieder auf das lodernde Feuer, in das Spiel des Schneegestöbers, sah und starrte minutenlang. Plötzlich reckte er sich empor. Ein fürchterliches Lächeln irrte um seine Lippen, als er sich noch einmal an die hilflose, verzweifelte Schar der Bürger wandte. »Es ist euch geglückt, ihr habt den Träumer, den ihr nicht verstandet, in eure groben Schlingen gelockt und dies Herz voll Mitleid und Liebe gemeuchelt. Der den Himmel stürmen wollte, dessen Spur ist im Sande verweht, aber die Rächerspur des Löwen, das gelob' ich euch, wird nicht verwehen. Durch die Ewigkeiten wird sie leuchten, ihr Mörder. Eine andere Fackel als mein Sohn trage ich in königlicher Faust, seht da!« Mit starkem Schritt trat er an den Feuerstoß, riß einen mächtigen Brand heraus, den er hoch empor schwang; sein Schritt dröhnte in den Dom hinein. Krachend flog, ehe noch jemand erfaßt hatte, was er plante, das flackernde Scheit auf den Hochaltar. Sein Edelgehölz fing sogleich Feuer. Und alsbald züngelten die Flammen gierig empor, flackerten am Getäfel hinauf, fraßen nach rechts und links weiter, als ob Dämonenfäuste sie schürten. Mitten im Portale, den Weg zur Rettung versperrend, reckte sich des Herzogs mächtige Gestalt auf. Wenige Minuten, und die erschrockenen Zuschauer sahen, wie glühende Brücken über die Wölbungen sprangen, Glut von den Pfeilern herabtriefte und der Chor in buntem Lichte stand. Noch verharrten die Reiter dicht vorm Dom entsetzt und atemlos, aber jäh stieg nun aus den Reihen des Fußvolks kriegerisches Heulen auf. Die ungeahnte, unerhörte Tat des Herzogs berauschte wilde Herzen. Jetzt gehorchten sie keinem Führer mehr, jetzt zerriß die soldatisch eiserne Kette der Ordnung und Zucht. In das Angstgeschrei der Bürger brüllte verrückte Mordlust und wüste Plünderungsgier. Die Reihen lösten sich rasch völlig, in alle Gassen verstreuten sich Mordbrenner und Beutemacher. Grauenhaftes Tosen, Wehgeschrei und verruchtes Rasen ringsum, und mitten hinein in all das erbarmungslose Würgen stürzte von den Dächern Feuersglut.

Bunt umflackerte der heiße Odem der Vernichtung das ewige Bardowieck.

Mit toller Eile sprangen die Flammen von Gasse zu Gasse. Das Holz- und Fachwerk, die Strohdächer lieferten dem Brandungeheuer reichlichen Fraß, und der immer dichter vom Himmel niederfallende Schnee hinderte mit nichten die Ausbreitung der Feuersbrunst. Gleich Millionen Sternen glänzte er im phantastischen Geleucht der flammendurchzuckten Winternacht; schwarzer Rauch, tiefbrauner Qualm stieg durch ihn empor, goldenrote Flammen überglühten ihn. Mitten im heftigen Schneegestöber prasselte das Feuerwerk der brennenden Häuser immer abenteuerlicher, riesenmäßiger auf, wilder immer tanzten die roten Feuerschlangen über die Giebel hin. Der Wiederschein des Flammenmeeres erhellte die Gassen wie unheimliches Frührot; während die Rauchtromben Gewitterwolken gleich vorbeizogen, schmolz der fallende Schnee in der Glut und tropfte als warmer Regen nieder.

Einer ungeheuren, sich reich verästelnden Feuerpalme gleich stand der Brand überm weißen Dom. Weit, weit in die Lande hinein wehte von seinen schwankenden Türmen blutige, wabernde Röte, furchtbare Fahnen der Vernichtung. Aus dem gewaltigen Dache drängten, vom Kirchenschiff herausbrechend, flammende Springbrunnen empor; die Funkenbäche rieselten dann rasselnd, singend in jähem Sturz von den steilen Wänden herab. Es rauschte um das Gotteshaus her ein Feuerstrom, wie aus vulkanischen Tiefen ausgeschleudert. Es war, als stürme Tor, der in den Abgrund gestürzte Vorzeitgott, in dieser Nacht mit Gigantenkraft noch einmal gegen seinen Überwinder an und büße nun wilde Rachlust am Kinde von Nazareth, das ihn entthront hatte. Sein glühender Hammer schmetterte an die für die Ewigkeit gebauten Pfeiler des Heilandstempels, und sie begannen zu bersten.

Noch immer hielt Herzog Heinrich in der Mitte des Marktes, ganz dem unerhört grausigen, wüst-schönen Bilde hingegeben. Seine Aufmerksamkeit wurde nur wenig abgelenkt von einem ebenso erbitterten wie hoffnungslosen Kampf in seiner unmittelbaren Nähe. Während die unglücklichen Einwohner durchweg, vor Angst betäubt, völlig entmutigt, die Waffen fortgeworfen und sich blindlings in die Hände ihrer Würger gegeben hatten, stand im Hause Steffen Bruggs noch immer ein Häuflein klein verschanzt. Ihre zielsicheren Armbrüste hielten die übermächtigen Gegner fern; wer sich allzu verwegen näherte, hatte, ehe er sich's versah, den Pfeil in der Brust sitzen. Die Überreste von Haralds schwarzer Schar, an ihrer Spitze Höpker und Heini Hoyer, verteidigten den festen Palast, die letzte Festung Bardowiecks. Aber schon schwoll das Feuer von allen Seiten über sie her. Winterliches Brausen, das von den Flammen geweckt worden zu sein schien, trieb die Glut auch über Steffen Bruggs Dach hin, wie es den Schnee in breiter, hoher Welle vor sich hin trieb. Und die Tapferen, die des Herzogs eisengepanzerte Macht nicht zu bezwingen vermocht hatte, mußten vor dem Riesen Brand die Waffen strecken.

Man ließ sie aus dem Hause heraus, schleppte sie im Geleit von tausend Hellebarden zum Herzog, daß er ihnen das Urteil spreche.

»Schade um die wackeren Kerle!« sagte er vom Roß herab. »Aber sie sollen erkennen, daß in diesem Kriege keiner siegreich gegen mich sicht und keiner sich eines Erfolges über mich rühmen darf.«

»Mit Verlaub, mein Fürst,« sagte da Heini Hoyer, den Hund Zinnober unterm Arm, und trat keck, um die gezückten Schwerter unbekümmert, einen Schritt vor. »Hier mögen wir unterlegen sein, zwar nicht den Klingen deiner Leute, sondern dem Feuer. Aber auf der Nordersee, Herr, ist deine Kogge vor uns gesunken.«

Herzog Heinrich fuhr im Sattel auf, als hätte er einen Schlag empfangen. »Vor euch? – Seid ihr Haralds Gefährten gewesen?«

»Zwei Jahre lang, Herr, bis zum Tode.« Heini wandte sich vom Herzog halb ab und blickte durch das Domportal in die wogende Glut, die das hohe Kirchenschiff wogend und dröhnend erfüllte.

»Sieh mir ins Gesicht, Dreister, wenn es dir vergönnt ist, zu mir zu sprechen!« fuhr der Welfe den Kühnen an. »Was kümmert dich der Brand drinnen, solange ich dich nicht hineinwerfen lasse?«

»Er kümmert mich ein wenig, hoher Herr. Da drinnen verbrennt mein liebster Freund, dein Sohn, und was mir sonst vielleicht noch lieb war. Meine Madonne verbrennt drinnen.«

»Du?« Der Herzog faßte ihn scharf ins Auge. »Du bist der Maler des Wunderwerkes? Es tut mir leid, aber von dieser verfluchten Stadt durfte nichts übrigbleiben, was für ihren Glanz und ihre Größe zeugte. Du also bist der große Maler. Nun, um deiner Kunst willen und um meines Sohnes willen, den ihr geliebt, dem ihr Treue bewahrt habt, Treue noch durch euren tapferen Widerstand, um meines Sohnes willen – geht frei aus! Dich aber, Meister, brauche ich noch zu anderem Werk.« Er wandte sich an sein Gefolge. »Holt Leiter und Meißel herbei!«

Nicht leicht war das Begehrte aufzutreiben, aber vereinigtem Bemühen gelang es, eine halbverbrannte Stiege und das Werkzeug herbeizuschaffen. »Sie sollen wissen, wer dieser fluchbeladenen Stätte seine Spuren auf ewig eingedrückt hat, die Jahrhunderte nach uns sollen erfahren, wie Verrat und Untreue sich grausam an den Schuldigen rächen. Hier über das Portal des Doms grabe du mir, Heini Hoyer, die beiden Worte ein: ›Vestigia Leonis!‹ Und dann laßt Fanfare blasen.«

Gedankenvoll sah er der Arbeit Heinis zu, dessen nervige Hand auch den schweren Meißel geschickt zu führen wußte und rasch die Buchstaben aus dem harten Stein herausschlug.

»Wirst dir nun einen anderen Dom für eine andere Madonne suchen müssen,« meinte der Herzog. »Hatten die Bardowiecker bislang das köstlichste Werk in ihren Mauern, so will ich das Köstlichere haben. Geh mit mir nach Braunschweig, Meister!«

Heini blickte in den Funkenregen, der vom Domdach herniederstäubte, blickte zur flammenden Höhe auf, wo die mächtigen Türme noch immer wie Fackeln brannten, die ein rasender Gigant toll berauscht um sein Haupt schwang.

»Ich werde nach dieser Nacht keine himmlischen Madonnen mehr malen, hoher Herr und Fürst. Ich habe Satan und die Hölle gesehen. Komm, Zinnober!«

 

Ende.


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