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XIX. Stimmungen und Lebensweise im Winter.

Das Essen. – Der Gesundheitszustand. – Die Kleidung. – Wie wir unsern Tag zubrachten. – Die Feuerung. – Die Kojen. – Gedanken an die Zukunft. – Was wir entbehrten. – Träume. – Die Sehnsucht nach Tätigkeit. – Unsere wissenschaftlichen Arbeiten.

 

In diesem Zusammenhang will ich unsere Stimmungen und unsere Lebensweise während der zweiten Überwinterung schildern, zu der wir so unerwartet gezwungen wurden. Bekanntlich ist es etwas ganz gewöhnliches, dass Polarexpeditionen drei oder gar vier Jahre im Eise verbringen, und zwei Jahre hätten uns deshalb nicht als eine besonders lange Zeit erscheinen sollen. Aber bei einem solchen Vergleich muss man zuerst von allen den Expeditionen absehen, die in der Nähe der Eskimokolonien überwintert haben, und ferner muss man sich erinnern, dass unser erster Winter hier unten im Eis infolge seiner Stürme sicherlich unangenehmer war, als die Vereinigung von Kälte und Finsternis, die dem Forscher in den nördlichen Polargegenden entgegentritt. Ausserdem war unsere Gesellschaft sehr klein und in ihrer Zusammensetzung zu wenig homogen für ein so langes Beieinandersein. Am bedenklichsten von allem war es aber doch vielleicht, dass wir uns gar nicht auf eine solche Eventualität vorbereitet hatten.

Ganz anders hatte sich die Sache gestaltet, wenn wir von vornherein mit der Absicht an Land gegangen wären, zwei Jahre hier zu bleiben. Wir hätten dann unsere Winterstation an einen Ort verlegt, der für einen so langen Aufenthalt geeigneter gewesen wäre, und uns gleich mit grösseren Vorräten versehen. Unter solchen Umständen wäre die Enttäuschung leichter zu ertragen gewesen.

So wie sich die Verhältnisse jetzt gestalteten, wirkten diese vier Monate der Ungewissheit aufreibend auf uns, und als die Furcht vor einem längeren Eingeschlossensein sich in Gewissheit verwandelte, entstand hieraus ein vollständiges Misstrauen in Bezug auf die Zukunft, wir meinten, wenn wir einmal auf diese Weise in Stich gelassen wären, so gebe es in Bezug auf Abholung und Sommerwetter nichts, worauf man sich verlassen könne.

Ich habe oben über unsere Wintervorräte berichtet. Was wir für das zweite Jahr mit uns führten, war ein Reservevorrat, der kleiner geworden war, als ursprünglich beabsichtigt gewesen, weil wir uns in der ersten Zeit gerade keiner sonderlichen Sparsamkeit befleissigt hatten, und von dem wir ausserdem jetzt etwas aufbewahren mussten für eine eventuelle dritte Überwinterung. Am fühlbarsten machte sich der Mangel an einigen Proviantartikeln, die glücklicherweise nicht zu den notwendigsten gehörten, namentlich an Zucker, Kaffee und Milch. Im übrigen würden wir aber keinen eigentlichen Grund zu einer Klage über unsern Küchenzettel gehabt haben, wenn wir uns nur immer frisches Fleisch hätten verschaffen können. Den grössten Teil unseres Pinguinfleisches hatten wir aber leider eingesalzen. Schon im Juli konnten wir nur zweimal wöchentlich frisches Fleisch auf den Tisch bringen, und obwohl wir im August einen kleinen Seehund erlegten, mussten wir in der Regel zweimal täglich das scharf gesalzene Pinguinfleisch essen, das hart und zäh wie Leder war. Gerade am letzten Tage, ehe wir im September abermals in den Besitz einiger Seehunde gelangten, findet sich im Tagebuch die Bemerkung, dass wir eine stramme Diät gehabt haben, nämlich gesalzenes Pinguinfleisch am Morgen, am Mittag und am Abend. Des Mittags gab es ausserdem eine ungewöhnlich salzige Suppe, die sogenannte Salzsuppe, die von gesalzenem Pinguinfleisch mit gedörrtem Gemüse, bereitet wurde. Da schmeckte uns dann aber das frische Seehundfleisch um so besser!

Die gedörrten Gemüse mundeten uns anfangs gar nicht, wir gewöhnten uns aber bald daran und konnten schliesslich gar nicht genug davon bekommen. Das Pinguinfleisch wurde des Mittags in Scheiben geschnitten und gekocht oder gebraten serviert, des Morgens wie eine Art Steak bereitet, das jedoch jetzt nicht mehr gebraten, sondern in der Pfanne mit Wasser und sehr wenig Butter gekocht wurde. Seehundspeck haben wir niemals verwendet. Erwähnt werden muss noch, dass das Pinguinfleisch keineswegs einen schlechten Geschmack hat, namentlich nicht, wenn es frisch ist, und besonders die mit diesem Fleisch gekochte Erbsensuppe ist ein vorzügliches Gericht.

Schiffszwieback konnten wir zweimal täglich auf den Tisch bringen, zu den beiden andern Mahlzeiten assen wir selbstgebackenes Brot. Unser Vorrat an Mehl war reichlich, leider hatten wir zu wenig Backpulver mitgenommen. Es muss deswegen als grosses Glück betrachtet werden, dass wir hier in der Wildnis eine Methode entdeckten, mittels deren wir uns Hefe zum Brotbacken verschaffen konnten. Als wir Ende März die letzten Überreste unserer gedörrten Kartoffeln verwenden wollten, waren sie schwarz und verdorben. Ekelöf untersuchte eine Probe davon unter dem Mikroskop und entdeckte hierin einen Organismus, der dem Hefepilz ähnlich war. Er fing an, ihn in einem eigens dazu bereiteten Teig zu züchten, der einige Tage in einer offenen, schmalen Flasche stand, und siehe da, es zeigte sich, dass der Teig wirklich aufging. Von nun an bekamen wir während des ganzen Winters mit Hefe gebackenes Brot, das uns ungleich besser schmeckte, als das mit Backpulver bereitete. Allerdings bin ich doch nicht ganz sicher, ob nicht dies Brot alle die Magenverstimmungen verursacht hat, an denen wir häufig während unseres Aufenthalts auf der Station litten, wohingegen wir auf den Schlittenreisen stets gesund blieben.

Grütze und Graupen hatten wir ebenfalls hinreichend, dahingegen war der Milchvorrat verhältnismässig knapp. Die Grütze war aber kein allgemein beliebtes Gericht.

Als einer der jungen Hunde im Winter totgebissen wurde, machte jemand den Vorschlag, ihn zu braten, um zu sehen, wie Hundefleisch schmecke. Schliesslich assen aber doch nur Bodman und Sobral davon. Sie fanden es schlecht gebraten und trocken. Trotzdem liess sich einer von den Kameraden am nächsten Morgen zum Frühstück das übrig gebliebene Fleisch statt der gewohnten Grütze geben.

Der grosse Eisberg im Admiralitäts-Sund

Mit Ausnahme der eben erwähnten Magenverstimmungen war unser Gesundheitszustand fast immer vorzüglich. Auf das Ergebnis der physiologischen Untersuchungen, die der Doktor mit uns anstellte, komme ich später noch zurück. Als Messer des Gesundheitszustandes kann man vielleicht auch die Wägungen betrachten, die regelmässig jede zweite Woche vorgenommen wurden. Bei den meisten von uns machte sich dabei ein langsames Abnehmen des Gewichts geltend. Um ein Beispiel anzuführen, will ich die Ergebnisse der Wägungen am 14. Juni in Kilogramm anführen und daneben die Zahlen stellen, die eine Wägung um dieselbe Zeit im Vorjahr ergeben hatte:

  1903 1902
Nordenskjöld 69 71,5
Sobral 65 69
Bodman 63,5 67,5
Jonassen 75 74
Ekelöf 68 69
Aakerlund 65 62

Es waren jedoch nicht nur unsere Speisenvorräte, mit denen es auf diese Weise langsam zu Ende ging. Unsere mitgebrachten Stearinlichte verringerten sich zusehends, aber ehe es damit auf die Neige ging, legten wir einen hinreichenden Vorrat zurück, um »im nächsten Winter« unsere Observationen mit der Laterne fortsetzen zu können. Petroleum war glücklicherweise noch in genügender Menge vorhanden. Schlimmer stand es mit der Bekleidung. Unterkleider hatten wir noch ausreichend, aber unsere täglichen Anzüge fingen allmählich an, recht sonderbar auszusehen, grosse Flicken waren überall die Kreuz und die Quer darauf genäht. Viele Stunden musste ein jeder von uns mit der Nadel in der Hand verbringen, emsig bestrebt, alles wieder in brauchbaren Stand zu setzen, gottlob brauchte man ja aber in dieser Umgebung keine Rücksicht auf die Eitelkeit zu nehmen, und bisher war niemand genötigt gewesen, sich einen ganz neuen Anzug anzufertigen. Die Hauptsache war, dass alles so haltbar wie möglich gemacht wurde; die Strümpfe flickte man z. B., indem man ein Stück Fries darüber festnähte oder ein Stück aus dem Schaft eines andern Strumpfes. Am schlimmsten bestellt war es mit dem Schuhzeug, das auf dem steinigen, fast nie mit Schnee bedeckten Boden arg zerschlissen wurde. Unser Vorrat an Sohlen war leider fast ganz erschöpft; die Seehundshäute konnten wir nicht gerben, sie waren auch wenig haltbar, trotzdem verfertigten wir daraus allerlei Meisterwerke, doch bezweifle ich, dass sie auf einer Schuhmacherausstellung einen Preis davongetragen haben würden.

Ende einer Schlittenfahrt

Je nach dem Wetter und der Stimmung, in der wir uns befanden, brachten wir die Tage auf verschiedene Weise zu, die Abende aber waren sich fast immer gleich. Im ersten Jahre hatten wir niemals unsere Zuflucht zum Kartenspiel genommen, und darauf waren wir stolz, jetzt kam es uns sehr zu Nutze, dass wir dieses unschuldigen Zeitvertreibs, der uns Tag für Tag vereinigen konnte, noch nicht überdrüssig waren. Jonassen und Aakerlund sassen mit ihrem Kartenspiel in ihrer Kabine, wir andern versammelten uns fast jeden Abend zwischen 9 und ½11 Uhr um den Essstubentisch, um Vira, Préférence oder Whist zu spielen. Haben jemals Karten einem Menschen Nutzen gebracht, so sind es die gewesen, die wir mitgenommen hatten, und ich werde sicher nie ein Kartenspiel erblicken, ohne ein Gefühl der Dankbarkeit zu empfinden. Es ist wohl nicht leicht für einen Unbeteiligten, die grosse Bedeutung einer solchen regelmässig wiederkehrenden Gelegenheit, sich während eines langen Winters auf neutralem Gebiet zusammenzufinden, richtig würdigen zu können.

Es trug sehr zu unserm Wohlbefinden bei, dass sich die Feuerung mit Speck so gut bewährte. Wir hatten noch einen bedeutenden Kohlenvorrat, den wir während des Winters gar nicht in Angriff nahmen, da wir bald ausfindig machten, dass der Speck für unsere Zwecke vorteilhafter war. Obwohl Fell und Speck zusammen in den Herd geworfen wurden, konnten wir nicht bemerken, dass das Feuer einen unangenehmen Geruch verursachte, dabei wärmte es besser als Kohlen und war leichter anzuzünden. Man brauchte daher nicht so sorgfältig darauf zu achten, dass das Feuer unterhalten wurde, und sobald es kalt war, konnte man sich ohne die geringste Mühe eine angenehme Glut verschaffen. Obwohl wir am Nachmittag den Herd selten anheizten, war unser Haus in diesem Winter doch besser erwärmt als im vergangenen.

Einige Unannehmlichkeiten hatte diese Heizung freilich doch im Gefolge. Es war schwer, die Feuerung in unserm Ofen voll auszunutzen, und während der Speck brannte, tropfte oder rann eine leichtflüssige Masse durch den Rost, weshalb wir eine geräumige Blechkiste unter den Ofen stellten, die von Zeit zu Zeit geleert werden musste. Es liess sich trotzdem nicht vermeiden, dass eine Menge auf den Fussboden floss, wo sie sich allmählich ausbreitete und eine klebrige Masse bildete, die Staub und Schmutz in sich aufnahm. Und wenn ich eines Tages unser Esszimmer, so wie es jetzt aussah, mit einem Schweinestall verglich, so war dies keineswegs unberechtigt.

Mit unserm kleinen Haus konnten wir noch immer zufrieden sein, wenn es auch im Laufe der Zeit nicht besser geworden war. Als unsere Kerzen auf die Neige gingen und eine Hängelampe in unserer Schlafkoje angebracht wurde, schrieb ich in mein Tagebuch: Die Lampe leuchtet beinahe zu gut, denn es ist nicht angenehm, in diesem grellen Licht die schmierige Pappbekleidung der Wände zu sehen, die mit Schneekristallen, Wassertropfen und Schimmel überzogen und mit schmutzigen Kleidern und Schuhen behängt ist. Die armen Bilder sind schwarz und feucht, alle eisernen Gegenstände sind verrostet, und das Bettzeug ist nahe daran, auseinanderzufallen. Ein noch drastischerer Beweis für die Feuchtigkeit in unsern Schlafkammern drängte sich mir bei einer Gelegenheit auf, die ich in meinem Tagebuch mit folgenden Worten schildere: Wenn wir auch in den unteren Kojen nicht durch das Tropfen von der Decke zu leiden haben, so macht sich statt dessen die Feuchtigkeit von unten um so mehr geltend. Meine Bücher und Papiere, die ich in einer Kiste an der Erde aufbewahre, sind nass und schimmelig und würden in wenigen Wochen ganz verdorben sein, wenn sie nicht so häufig gelüftet und getrocknet würden. Nachdem ich nun einige läge weg gewesen war, empfand ich mehr denn je den modrigen, apfelähnlichen Schimmelgeruch in meinem Bett. Ich hatte freilich nicht erwartet, dass der Boden dort so fruchtbar sei, wie es sich jetzt erwies. Eine Erbse, die zufällig in das Bett hineingeraten war, hatte dort nicht nur dezimeterlange Wurzeln geschlagen, sondern auch einen langen Stengel mit kleinen, unentwickelten Blättern getrieben. Gelb waren sie freilich, Sonnenlicht hatten sie nicht gehabt. Als ich dann den Versuch machen wollte, meine Matratzen zum Trocknen in den Sonnenschein hinauszutragen, stellte es sich heraus, dass die untere sich in eine aufgelöste Masse verwandelt hatte, die nicht mehr von der Stelle bewegt werden konnte. »Die obere Matratze werde ich hoffentlich bis zum Sommer erhalten können, wenn dann nur das Schiff kommt!« schrieb ich in mein Tagebuch.

Eine unserer Kojen

Über die Matratzen war ein dicker Filz ausgebreitet, und darauf lag ich des Nachts in einem wattierten Schlafsack, wenn es zu kalt wurde auch noch in ein Guanacofell gehüllt. Man ruhte vorzüglich auf diese Weise und es war nicht die Schuld meines Lagers, wenn die Nächte langsam und schlaflos dahinschlichen.

Woran dachten wir in dieser Zeit? Von dein Entsatz sprachen wir jedenfalls nicht oft, um so mehr beschäftigten sich unsere Gedanken damit. Soweit ich es beurteilen kann, waren wir alle des festen Glaubens, dass die »Antarctic« wieder kommen würde, um uns zu holen, wir wunderten uns nur, was unsere Kameraden während dieser Zeit getan haben konnten, und ob einige von ihnen wohl schon nach Hause gereist waren. Der schwere Sommer schien uns ein hinreichendes Unglück gewesen zu sein, auf den Gedanken, dass unser Schiff untergegangen sein könne, kamen wir auch nicht einen Augenblick. Nur um einen Gesprächsstoff zu haben, sprachen wir wohl einmal über die Möglichkeit, den Versuch zu machen, uns mit eigenen Mitteln von hier fort zu begeben, kamen aber bald zu der Schlussfolgerung, dass dies ganz unausführbar sei. Um einen solchen Versuch mit der geringsten Aussicht auf Erfolg wagen zu können, hätten wir über ein viel grösseres Boot von ganz anderer Konstruktion verfügen müssen.

Weit aktueller war die krage, ob wir irgend etwas zu unserer Befreiung unternehmen könnten, ob das Eis im nächsten Sommer ebenso dicht liegen würde wie in diesem Jahr. Dass es unerhört schwer sein würde, zur Sommerzeit so weit über das Eis vorzudringen, wie erforderlich war, um ein Schiff anzutreffen, und dass die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges unendlich gering war, das sahen wir alle ein; aber ich glaube doch, wenn der obengenannte Fall eingetreten wäre, würden wir jenes lieber versucht haben, als dass wir untätig hier gelegen hätten. Mit der Aussicht, unterwegs einige Seehunde zu erlegen, und mit Hilfe unseres leichten Boots, das von den Hunden gezogen werden konnte, würden wir auch sicher eine gute Strecke vorwärts gelangt sein und hätten uns auch gewiss nicht so leicht zur Umkehr zwingen lassen.

Für den Fall, dass wir hier noch einen Winter eingeschlossen blieben, hatte ich meinen eigenen Plan, über den ich jedoch noch zu niemand sprach. Ich sah ein, dass ein Zusammenleben unter denselben einförmigen Verhältnissen schwer sein würde, und ich beabsichtigte deswegen, entweder das Magnethaus nach der Seymour-Insel hinüber zu schaffen, oder dort aus irgend welchem Material ein kleines Wohnhaus zu errichten. Hier wollte ich ein permanentes Observatorium anlegen, und von dieser neuen Station aus hatte ich dann die beste Gelegenheit, diese merkwürdige Insel zu kartographieren und genauer zu untersuchen. Es wäre eine angenehme und nützliche Abwechslung für uns gewesen, drüben Besuche abzustatten, alle der Reihe nach oder zwei zur Zeit. Nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalt drüben würde man sicher mit erneutem Interesse wieder nach der Hauptstation zurückgekehrt sein. Am besten freilich war es, wenn wir nicht gezwungen wurden, unsere Zuflucht zu diesem Versuch zu nehmen.

Wie einsam wir uns fühlten, und wie sehr wir uns nach Nachrichten von der Aussenwelt und dem Verkehr mit andern Menschen sehnten, das ward uns erst so recht klar, als wir mit unsern Kameraden von der Hoffnungsbucht zusammentrafen. Auch noch mancherlei anderes entbehrten wir, – »Zigarren, Musik und Bücher«, erklärte jemand unter uns, »ist das, wonach ich mich am meisten sehne.« Obwohl die uns umgebende Natur ein ungewöhnliches Interesse bot und ausserdem von grossartiger Schönheit war, so wirkte sie auf die Dauer doch ermüdend und niederdrückend. Ich wenigstens vermisste in hohem Masse die grünende Vegetation; mit welchem Entzücken würde man nicht einen einzigen kleinen Grashalm begrüsst haben, und das Fehlen jeglicher Farben, die vor allem andern einen belebenden Einfluss auf das Gemüt haben, fehlten draussen und drinnen fast völlig, man sah nur weiss, blau und braun, sowie die fast überirdisch feinen, bleichen, zarten Töne, die so bezeichnend für den Winter der Polarländer sind. Keines Malers Pinsel würde im stande sein, sie wiederzugeben, und sie locken den Beschauer mit wunderbarer Macht, obwohl sie etwas von der Kälte des Todes enthalten.

Sehr bezeichnend für die Richtung unserer innersten Gedanken waren unsere Träume, die nie lebhafter und zahlreicher waren als gerade jetzt. Selbst diejenigen unserer Kameraden, die sonst nur ausnahmsweise träumten, hatten jetzt des Morgens, wenn wir unsere letzten Erfahrungen aus dieser Phantasiewelt miteinander austauschten, lange Geschichten zu erzählen. Alle handelten sie von jener äusseren Welt, die uns jetzt so fern lag, waren aber oft unsern jetzigen Verhältnissen angepasst. Ein besonders charakteristischer Traum bestand darin, dass sich einer der Kameraden auf die Schulbank zurückversetzt glaubte, wo ihm die Aufgabe zu Teil wurde, ganz kleinen Miniatur-Seehunden, die eigens für Unterrichtszwecke angefertigt waren, die Haut abzuziehen. Essen und Trinken waren übrigens die Mittelpunkte, um die sich unsere Träume am häufigsten drehten. Einer von uns, der nächtlicherweile darin exzellierte, auf grosse Mittagsgesellschaften zu gehen, war seelenfroh, wenn er des Morgens berichten konnte, »dass er ein Diner von drei Gängen eingenommen habe«; ein anderer träumte von Tabak, von ganzen Bergen Tabak; wieder andere von dem Schiff, das mit vollen Segeln auf dem offenen Wasser daherkam. Noch ein anderer Traum verdient der Erwähnung: Der Briefträger kommt mit der Post und gibt eine lange Erklärung, warum diese so lange habe auf sich warten lassen, er habe sie verkehrt abgeliefert, und erst nach grosser Mühe sei es ihm gelungen, sie wiederzuerlangen. Natürlich beschäftigte man sich im Schlaf mit noch unmöglicheren Dingen, aber der Mangel an Phantasie in fast allen Träumen, die ich selbst träumte oder erzählen hörte, war ganz auffallend. Es würde sicher von grossem psychologischen Interesse sein, wenn alle diese Träume aufgezeichnet würden. Man wird aber leicht verstehen können, wie ersehnt der Schlaf war, da er uns alles bieten konnte, was ein jeder von uns am glühendsten begehrte.

Sobral machte eine Bestimmung der Sonnenhöhe bei Winterwetter

Was ich mehr als alles andere entbehrte, war eine regelmässig geordnete Arbeit. Die ganze obige Schilderung dürfte gezeigt haben, warum es so schwer war, eine solche Arbeit im Hause oder ausserhalb des Hauses einzurichten. Wir waren in dieser Beziehung freilich ungleich gestellt. Jonassen und namentlich Aakerlund hatten von vornherein eine bestimmte Beschäftigung, und von den Gelehrten erforderten die physikalischen Observationen eine gleichmässig verteilte Arbeit. Bodman und Sobral machten verschiedene Längenbestimmungen mit dem Passageinstrument, und die magnetischen Observationen, an denen alle teilnahmen, wurden in der Regel zwei- und in einzelnen Fällen viermal im Monat ausgeführt. Welche hohe Bedeutung die Erfahrungen aus diesen meteorologisch so verschiedenartigen Wintern hatten, ist selbstverständlich, namentlich, wenn man sich erinnert, dass auch die englische Südpolarexpedition und die argentinische ununterbrochen in Wirksamkeit waren, dass ausserdem die schottische Expedition ganz in unserer Nähe arbeitete, sowie dass gleichartige Beobachtungen auch auf der Paulet-Insel gemacht wurden.

Ekelöf und ich waren in Bezug auf die Möglichkeit, uns ununterbrochen unsern Forschungsarbeiten zu widmen, am ungünstigsten gestellt, aber auch wir suchten nach besten Kräften diesem Mangel abzuhelfen. Ausser seiner Beteiligung an den allgemeinen Observationen lag es Ekelöf ob, unsere Gesundheit zu überwachen und ein statistisches Material in Bezug auf unsere Proviantierung zu sammeln, namentlich aber beschäftigte er sich regelmässig mit bakteriologischen Arbeiten. Diese ergaben gleich von Anfang an interessante Resultate und wurden dann auf allerlei Weise variiert, um die Lebensverhältnisse der Bakterien in diesen Gegenden noch genauer zu ergründen. Auf die physiologischen Untersuchungen werde ich später noch wieder zurückkommen.

Ich selber sammelte Fossilien in unserer Umgebung und machte mit den verhältnismässig minderwertigen Instrumenten, die mir zu Gebote standen, eine Triangulierung der Insel, als Grundlage zu einer genaueren Kartierung. Bei einer solchen Arbeit ist man indes durchaus vom Wetter abhängig, und selbst wenn unten an der Station völlige Windstille herrschte, hatten wir oben auf dem Plateau zu starken Wind, um dort etwas ausrichten zu können.

Talsenkung auf der Ostseite der Snow Hill-Insel

Interessantere Resultate ergaben die Untersuchungen des Eises auf Snow Hill. Die Temperaturserien waren in diesem Jahre viel vollständiger als im vorhergehenden, ich konnte feststellen, dass die Schneemenge auch in einem Winter wie dem diesjährigen auf der freien Eisoberfläche nur wenig zunahm, und es war sehr lehrreich, zu verfolgen, wie derselbe Schnee, den ich im vorigen Sommer hatte fallen sehen, sich nun in körniges Eis oder in eine kristallisierte Masse verwandelte. Dahingegen war es jetzt schwerer als zuvor, die Struktur des Eises in der Mauer nach dem Meere zu zu studieren, da diese zum Teil zerstört war, zum Teil von den Schneemassen verdeckt wurde, die sich davor aufgetürmt hatten.

Es gab auch noch allerlei Berechnungen, die im Hause gemacht werden mussten; das alles reichte jedoch keineswegs aus, um meine ganze Zeit auszufüllen. Selbst bei schönem Wetter waren die Tage nicht lang genug, um Wanderungen in weniger bekannte Gegenden zu unternehmen, deswegen sehnte ich mich nach dem Frühling und dem Sommer. Alsdann wollte ich zuerst auf Schlittenfahrten neue, unbekannte Gegenden erforschen, und später, ja später, so hoffte ich, würde die »Antarctic« wiederkommen und dann würden uns noch einige Monate vergönnt sein, um, ehe wir wieder nach dem Norden zurückkehrten, die zahlreichen Pläne zu Forschungsarbeiten auszuführen, die wir hier unten entworfen hatten.


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