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Einleitung.

In schneller, ununterbrochener Folge schreitet heute die Kenntnis der Erdoberfläche vorwärts. Wohl ist die Möglichkeit ausgeschlossen, Riesenschritte zu machen, wie der kühne Genueser, der vor 400 Jahren das Weltmeer mit einem neuen Weltteil in zwei Hälften teilte, aber die Lücken in unserm geographischen Wissen werden mehr und mehr ausgefüllt, und die »weissen Flecke« spielen jetzt im allgemeinen auf der Karte keine grosse Rolle mehr. Von diesen hat keiner während des letzten Jahrhunderts so viel Arbeit erfordert, wie das nördliche Polargebiet. Aber auch dieser Fleck ist jetzt auf dem besten Wege, zu verschwinden. Die Ufer des grossen, eisbedeckten Meeres dort oben sind allmählich fast vollständig kartiert, und es ist wohl kaum anzunehmen, dass man in diesem Meere noch neue Länder von grösserer Bedeutung finden wird, als die Inseln und Inselgruppen, die die einzigen wirklich bekannten Nordpolarländer bilden.

In diesem Polarmeer und an seinen Ufern waltet eine eigenartige Natur mit Schnee und Eis und Kälte und mit einer eigentümlichen, man kann nicht einmal sagen, armseligen Tier- und Pflanzenwelt, die durch zahlreiche Reisebeschreibungen jeder gebildeten Person vertraut geworden ist. Wir, die wir selber an den Grenzen dieses Gebietes wohnen, können kaum darüber urteilen, wie gross die Abweichungen von den normalen Verhältnissen dort im Grunde sind, und im Vergleich zu dem, was der grössere Teil der Erdoberfläche bietet, ist diese Natur doch so fremd und einzig in ihrer Art, dass sich schwerlich eine hinreichend lebhafte Schilderung davon geben lässt.

Quer über alle Zonen der Erde hinweg, dort, wo das Kreuz des Südens am höchsten am Himmel steht, wo im Winter die Sonne zur Mittagszeit am nördlichen Horizont auftaucht, da liegt noch ein anderes Gebiet, das aller Berechnung nach ein vollständiges Gegenstück zu diesem nördlichen sein dürfte. Zweifelsohne muss eine grosse Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Gebieten bestehen: Auch am südlichen Pol herrscht zur Winterzeit eine strenge Kälte, die Unmengen von Schnee und Eis anhäuft, von denen ein Teil niemals schmilzt, und die eine noch grössere Ausdehnung annehmen als in den arktischen Gegenden. Auch in Bezug auf die äussere Gestaltung gleichen die Landgebiete im Norden und im Süden einander, wie auch die magnetischen Kräfte an beiden Polen von einer analogen Anordnung zeugen. Die Übereinstimmung erstreckt sich im übrigen nicht nur auf die äusseren physikalischen Verhältnisse, sondern auch die Fauna wie die Flora zeigen in ihren allgemeinen Zügen eine grosse Ähnlichkeit; beispielsweise möchte ich daran erinnern, dass im Norden wie auch im Süden die Wale, Seehunde und Seevögel die charakteristischen Tierformen bilden.

Und trotzdem steht es fest, dass sich das südliche Polargebiet in vielem von seinem nördlichen Gegenstück unterscheidet. Bei dem letzteren gehen wir von Landmassen aus und stossen überall auf das weitausgedehnte »Eismeer«. Hier im Süden ist das Weltmeer das bekannte, und erst dahinter meint mancher ein zusammenhängendes Land, das wirkliche »Eisland« der Welt schimmern zu sehen. Wie gross die Verschiedenheiten sind, darüber kann derjenige am besten urteilen, der sich der Mühe unterzieht, die folgenden Kapitel durchzulesen.

Welche Bedeutung hat nun aber das Studium dieser Natur? Die Antwort auf diese Frage lautet in aller Kürze, dass uns keine Gegend Aufgaben von nur annähernd damit zu vergleichendem allgemeinem Interesse zu bieten vermag. Es ist das grosse Ziel der Naturwissenschaft, zu einer Welterklärung zu gelangen, alle diese »Warum« und »Wie« zu beantworten. Aber um dies Ziel zu erreichen, kann man keinen günstigeren Ausgangspunkt finden, als das Studium dieser beiden Gebiete und den Vergleich derselben miteinander, denn die astronomischen und kosmischen Verhältnisse sind im grossen und ganzen im Norden wie im Süden dieselben, und doch haben sie seit längst verflossenen geologischen Perioden nicht miteinander in Zusammenhang gestanden. Worauf mögen denn diese Verschiedenheiten und diese nicht weniger wichtigen und auffallenden Übereinstimmungen in Bezug auf Klima und erdmagnetische und physische Verhältnisse, namentlich aber in Bezug auf das Tierleben beruhen? Warum gibt es so viele identische oder doch wenigstens einander nahe verwandte Organismen im Norden wie im Süden? Könnte man nur in einem einzigen Fall beweisen, dass diese Übereinstimmung nicht durch einen gemeinsamen Ursprung, sondern durch die äusseren Verhältnisse bedingt ist, so würde dadurch der Erklärung der Naturwissenschaften und den Rätseln des Lebens ein ungeahntes Feld erschlossen werden.

Von dieser ganzen antarktischen Natur kannte man noch vor wenigen Jahren, jedenfalls in wissenschaftlicher Hinsicht, sehr wenig. Die folgende kleine Schilderung mag als Illustration hierzu dienen. Es war am 17. Januar 1903, nachdem ich auf dem grössten, schneefreien Fleck des unendlichen antarktischen Gebietes an Land gegangen war. Die Natur, die ich hier in ihrer ganzen entsetzlichen Öde erschaute, bildete eine Fläche ohne jeglichen Grashalm, nur sehr spärlich mit einer ganz geringen Anzahl fast unsichtbarer Moose bewachsen. Als ich zu Tische wieder an Bord kam, fragte man mich, ob ich an Land einige Fliegen oder andere Insekten gesehen habe. Nein, davon war gar keine Rede, lautete meine Antwort. – Nun, was ich denn tun würde, wenn ich ein grosses Insekt zu sehen bekäme, nicht eine jener kleinen Zwergformen, wie man sie hier unten findet? – Ja, so ein Fund sei doch ein besseres Festessen wert, falls er wirklich einmal gemacht werden sollte.

Da zeigte man mir einen Grashüpfer, den man mitten im Eise, auf einem der Boote unseres Schiffes sitzend, angetroffen hatte. Er war gross und sah so durchsichtig und tropisch aus, dass man sich unmöglich vorstellen konnte, er habe hier gelebt, aber auch kaum annehmen konnte, dass ihn ein Sturm aus entlegenen Gegenden hierher verschlagen habe.

Die Geschichte war höchst eigentümlich. Sie gab indes Anlass zu einer Unterhaltung, während welcher ich zum ersten Male eine phantastische Idee entwickelte, die ich bereits früher begründet hatte, nämlich in Bezug auf das, was die südlichen Polargegenden noch an verborgenen Dingen enthalten könnten. Hier in Schweden wenigstens ist die Mehrzahl der Gebildeten nicht unbekannt mit der Anschauung, die Adolf Erik Nordenskjöld einmal über das Innere Grönlands und die Möglichkeit, dort ein bewohnbares Land und eine Vegetation zu finden, dargelegt hat. Zur Begründung dieser Ansicht wurden viele starke Belege angeführt, die jedoch später gerade durch seine eigene Entdeckungsreise widerlegt wurden. Es scheint fast, als sei Grönland zu klein, als dass die Wirkungen, die man nach den angedeuteten Theorien erwartet hatte, dort in die Erscheinung treten könnten. Innerhalb des antarktischen Gebietes war dies etwas ganz anderes. Falls hier eine zusammenhängende Landmasse existiert, deren äussere, eisbedeckte Küsten diejenigen Länder bilden, die wir bisher kennen gelernt haben, so ist dies Gebiet mehrmals so gross wie Grönland, und hier drinnen könnte sehr wohl Raum vorhanden sein für Landgebiete, auf denen eine stärkere Sonnenwärme im Verein mit geringeren Niederschlägen nicht nur die Möglichkeit für das Schmelzen des Schnees, sondern auch für die Entwicklung einer bedeutend reicheren Vegetation gewährt, als wie sie uns bisher aus diesen ödesten Gegenden der Erde bekannt sind.

Noch unerforschtes Gebiet am Nordpol

Noch unerforschtes Gebiet am Südpol

Auf irgend eine Weise war wohl der Grashüpfer mit dem Schiff hierher geführt worden, und ich habe nie an ihn als eine antarktische Tierform geglaubt. Dem widersprach zu sehr sein ganzes Aussehen, und ich habe auch diese Episode nur erwähnt, um zu zeigen, wie völlig unerforscht die Verhältnisse dort unten noch sind. Dass sich indessen eine einigermassen zugängliche Küste irgendwo südlich vom Weddell-Meere, hinter der Eiswüste, die ich auf meiner Schlittenexpedition kennen lernte, finden müsste, darauf deuteten viele Verhältnisse hin, u. a. die zahlreichen Kaiserpinguine, die man zuweilen antraf, und die zweifelsohne einen Brutplatz ähnlich dem, den die englische Südpolarexpedition auf dem Victorialande gefunden hatte, besitzen müssen.

Das Innere der Polargegenden bildet also den einzigen Fleck auf der Erde, auf dem noch Möglichkeiten für geographische Entdeckungen solcher Art vorhanden sind, dass nicht einmal die Phantasie sie vorauszusagen vermag, das Gebiet als Ganzes mit allen seinen Küsten und Inseln war noch vor wenigen Jahren nur an ganz wenigen Stellen von Menschenfüssen betreten und, wenn man die umgebenden unbekannten Meere hinzuzählt, liegen hier Flächen vor, die mehr als doppelt so gross sind wie ganz Europa, und meist nur ihren allgemeinsten Naturverhältnissen nach bekannt sind. Man hat hier keine Ahnung von der Ausdehnung von Land und Meer, es sind noch vollständig neue geographische Flächen zu entdecken, und das Tier- und Pflanzenleben, die Geologie und das Klima sind entweder noch nie untersucht, oder doch Gegenstand so kärglicher Untersuchungen gewesen, dass jede Interpolierung als unzulässig angesehen werden muss.

Wenn man auch leicht begreift, dass sich die geographische Forschung zu allerletzt dem Südpolargebiet zuwandte, so wird man doch leicht einsehen, wie unmöglich es gewesen wäre, in unserer Zeit ein solches Forschungsfeld unbenutzt daliegen zu lassen. Es wird sehr häufig von der Möglichkeit geredet, hier unten durch Seehunds- und Walfischfang, durch Grubenbetrieb, Guanoexport oder dergleichen praktische Vorteile zu erzielen, wie das in den nördlichen Polargebieten in so bedeutendem Masse geschehen ist und gewissermassen noch heute geschieht, und endgültig entschieden ist diese Frage auch noch nicht. So weit ist man aber glücklicherweise schliesslich gekommen, dass man die Entdeckungsreisen nicht ausschliesslich mit diesem Massstab bemisst, und es war die unabweisbare Pflicht der Wissenschaft, auch über diese Gegenden Licht zu verbreiten, die im Grunde den Anstoss zu der letzten Phase in der Geschichte der Südpolarforschung gegeben haben.

Nach den für ihre Zeit grossartigen Entdeckungsexpeditionen in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts trat in den antarktischen Forschungen ein anhaltender und vollständiger Stillstand ein, während gleichzeitig die Naturwissenschaften im allgemeinen, und nicht zum mindesten die Erdkunde, nach andern Richtungen hin mit Riesenschritten vorwärts gingen. Allmählich sprachen sich indessen immer mehr Vertreter der Wissenschaft, die oft selbst Forschungsreisende waren, über dies Thema aus und wiesen nach, wie gross diese Lücke in unserm Wissen im Grunde sei. Die Vertreter des Erdmagnetismus beklagten sich darüber, dass ihre ganze Wissenschaft darunter litte, dass man die Verteilung der magnetischen Kräfte um den südlichen magnetischen Pol nicht berechnen könne. Die Meteorologen wiesen nachdrücklich darauf hin, dass nicht die geringste Kenntnis von dem Winterklima eines so unendlichen Gebietes vorliege, und die theoretischen Berechnungen derselben gipfelten im allgemeinen in der jetzt durch Tatsachen widerlegten Ansicht, dass der Winter da unten verhältnismässig milde sein müsse. Der Geologe sehnte sich nach Beobachtungen, die es ermöglichen konnten, die Verteilung der Tiere und Pflanzen und ihre Wanderung auf der südlichen Halbkugel zu erklären, wie auch die klimatischen Verhältnisse früherer Perioden zu ergründen, und der Biolog vermisste alle Möglichkeiten, durch einen Vergleich der Organismen beider inneren Polargebiete die oben berührte Frage über die Bipolarität zu beantworten. Es ist nun unabweisbare Pflicht, schon hier die Namen der hervorragendsten dieser Männer zu nennen, denen wir hauptsächlich die erfreuliche Tatsache zu verdanken haben, dass die letzten Expeditionen zu stande kamen, Männer wie Georg Neumayer, Sir John Murray und Sir Clemens Markham. Abgesehen von der kurzen und bedeutungsvollen Reise der Challengerexpedition in diese Gegenden, waren es in erster Linie praktische Gesichtspunkte, die einige neue Versuche nach dieser Richtung hin zu stande brachten. Die Namen Dallmann, Larsen, Bull und ferner die schottischen Walfischfänger bilden die verschiedenen Stufen dieser Entwicklungsphase, die ihre grösste Bedeutung durch Larsens Entdeckung von König Oscars-Land und die tertiären Versteinerungen auf der Seymour-Insel erhielten, ausser dem Umstande, dass diese Reisen indirekt die Veranlassung zu Borchgrevings und Bruces späteren Expeditionen geworden sind.

Im wesentlichen konnte indessen unsere Kenntnis der Antarktis mit diesen Mitteln niemals gefördert werden, und alle die Probebissen, die sie ergaben, machten die Gelehrten nur um so begieriger auf eine gründliche Erforschung des antarktischen Problems als Ganzes.

Es musste daher als grosser Triumph für die Männer betrachtet werden, die dieser Sache ihre ganze Arbeitskraft gewidmet hatten, als öffentlich bekannt gegeben wurde, dass zwei grosse, zusammenarbeitende Expeditionen im Herbst 1902 in der Hauptsache auf Staatskosten nach den südlichen Polargegenden abgehen sollten. Die deutsche Expedition unter Führung von Professor Erich von Drygalski sollte die Gebiete um den Indischen Ozean übernehmen, mit den Kerguelen-Inseln als Stützpunkt, wo eine besondere Station für magnetische und meteorologische Observationen errichtet wurde. Die englische sollte unter Befehl von Kapitän R. Scott an der Küste des Victorialandes, südlich von Australien, arbeiten.

Damit war indes nicht alles gewonnen. Die Forschungsfelder der englischen und deutschen Expeditionen lagen einander dem Plane nach verhältnismässig nahe. Sollte die beschlossene Untersuchung der Polargebiete einigermassen vollständig ausfallen und Studienmaterial aus verschiedenen Gegenden beschaffen, so war es dringend erforderlich, dass noch eine dritte Expedition zu stande kam, mit einem Stützpunkt irgendwo in den südlich von Südamerika gelegenen Ländern. Es war die Rede von einer solchen von den Vereinigten Staaten ausgesandten Expedition gewesen, aber diese Hoffnungen scheiterten. Um diese Lücke einigermassen auszufüllen, übernahm Argentinien die Verpflichtung, an der Küste des Feuerlandes ein magnetisch-meteorologisches Observatorium anzulegen und dort regelmässige Beobachtungen nach demselben Plan wie die übrigen Expeditionen vorzunehmen. Hierdurch erhielt man doch eine Observation, die derjenigen der deutschen Station auf den Kerguelen entsprach. Die eigentliche antarktische Expedition auf dieser Seite fiel vollständig weg. So lagen die Sachen, als ich zuerst mit einem in den Hauptzügen ausgearbeiteten Plan zu einer schwedischen Südpolarexpedition hervortrat, die ich auf den folgenden Blättern schildern will.

Mir war dieser Plan nicht neu. Doch ist hier nicht der Ort, die endlosen Arbeiten zu schildern, deren ich mich während eines ganzen Jahres unterzog, um unser Unternehmen zu fördern und zu stande zu bringen.

Indes erst im Jahre 1899, als die englische und die deutsche Expedition bereits gesichert waren, begann ich, meinen Plan in allen Einzelheiten auszuarbeiten, der zum ersten Male in einem Vortrag vor der Schwedischen Gesellschaft für Geographie und Anthropologie im Januar 1900 dargelegt wurde. Einige Wochen später hatte ich die Freude, für die genannte Expedition die Summe von 10 000 M. von dem Grosskaufmann Herrn August Röhss in Empfang zu nehmen, der damit ein früher gegebenes Versprechen seines kurz zuvor verstorbenen Bruders, des Konsuls Wilhelm Röhss, einlöste.

Abgesehen von den Arbeiten, die ich auf den Hin- und Herreisen wie auf dem Feuerlandsgebiet, das mein Stützpunkt werden sollte, auszuführen gedachte, ging der vorliegende Plan darauf hinaus, dass die Expedition so früh wie möglich im Herbst 1901 aufbrechen, dass eine Abteilung derselben an einem geeigneten Platz an der nördlichen oder östlichen Seite des Grahamlandes abgesetzt werden sollte, während das Schiff weiter an König Oskar-Land und dann östlich an dem Eisrande entlang fuhr.

Sollte sich Gelegenheit zu einem Eindringen in das sogenannte Weddell-Meer bieten, so durfte dies nicht versäumt werden, aber besonderes Gewicht legten wir nicht auf diesen Abstecher. Wenn es irgend anging, musste der an Land ausgesetzten Partie Gelegenheit zur Überwinterung gegeben werden, so dass die meteorologischen und magnetischen Observationen in Übereinstimmung mit dem internationalen Programm ausgeführt werden konnten. Die Rückkehr nach Schweden wurde in diesem Fall auf den Sommer 1903 berechnet.

Die Vorbereitungen waren noch nicht lange im Gange, als sie von neuem eine Unterbrechung erfuhren durch die mir zu Teil werdende Aufforderung, als Geolog die dänische wissenschaftliche Expedition zu begleiten, die im Jahre 1900 unter Führung von Leutnant G. Amdrup an Bord des Polardampfers »Antarctic« nach Ostgrönland abging. Die Teilnahme an dieser vorzüglich geplanten und geleiteten Expedition war für mich von besonderem Interesse und sollte auch noch in anderer Beziehung für mich von hoher Bedeutung werden. Ich lernte in dieser Zeit nämlich in der »Antarctic« ein gutes und bequemes kleines Schiff kennen, das auf seiner letzten Polarfahrt in reichem Masse von Erfolg begünstigt gewesen war, und als ich erfuhr, dass die Carlsberger-Stiftung, die die Expedition ausgerüstet hatte, den Wunsch hegte, nach Kapitän Amdrups Rückkehr das Schiff zu verkaufen, wandte ich mich an die leitenden Männer dieser Stiftung und wurde von ihnen auf das zuvorkommendste empfangen.

Dank diesem Entgegenkommen ward es mir möglich, das Schiff für eine Summe zu erstehen, die bedeutend hinter seinem Wert zurückstand. Es wurde nun sofort von Kopenhagen nach Göteborg gebracht. Zugleich mit dem Kauf ward die »Antarctic« in die Königl. schwedische Segelschiffgesellschaft eingeschrieben, unter deren dreisplittiger Flagge die Expedition zur Ausführung gelangte.

Ich muss hier nur noch ein paar Worte über unser Schiff sagen:

Im Jahre 1871 in Drammen erbaut, hatte es ursprünglich den Namen »Cap Nor« erhalten und wurde während einer Reihe von Jahren für den Seehunds- und Bottlenosefang im nördlichen Eismeer benutzt. Seine Länge betrug 128 Fuss, seine grösste Breite 28 Fuss und der Brutto-Tonnengehalt 353 Tons. Als später Seend Foyn beschloss, eine Expedition nach dem südlichen Eismeer zu senden, um die Möglichkeiten für den Fang von Barten-Walen dort zu erforschen, kaufte er das Schiff, das ausgebessert und mit einer Maschine versehen wurde und den Namen erhielt, unter dem es in den Annalen der Naturforschung Ruhm geerntet hat. Im Jahre 1897 wurde es von Professor A. S. Nathorst gekauft, der es zu seinen Eismeerfahrten im Jahre 1898 und 1899 verwendete. Es wurde einer sehr gründlichen Reparatur nach jeder Richtung hin unterworfen und erfuhr einen durchgreifenden Umbau, um seinen Zweck als Expeditionsschiff erfüllen zu können.

Eine prächtige Offiziersmesse mit elf zum Teil recht grossen Kajüten wurde unter Deck eingerichtet, wobei man Raum gewann, indem man teils den hinteren Teil der Schanze wie auch einen Teil des Zwischendecks vor der Grossluke ausnutzte. Ferner wurde ein grosses Deckhaus aufgeführt, das teils als wissenschaftliches Laboratorium, teils als Observationskajüte für den Kapitän dienen sollte. Sowohl im Jahre 1899 wie 1900 wurden neue Reparaturen ausgeführt, und auch für unsere Expedition ward das Schiff einer gründlichen Ausbesserung unterworfen.

Sobald der Kauf des Schiffes perfekt war, setzte ich mich mit der Persönlichkeit in Verbindung, die ich vor allen andern als Führer des Schiffes auf der Fahrt zu erwerben wünschte, nämlich mit dem bekannten Eismeerschiffer C. A. Larsen, der ausser seiner Erfahrung auch die grösste Kenntnis von den Gegenden im südlichen Eismeer besass, die ich zu besuchen gedachte. Ich wusste, dass er sich für eine neue Reise nach Süden interessierte, und gelegentlich eines Besuches in Sandefjord entwickelte ich ihm meinen Plan. Es bedurfte keiner langen Überlegung, ehe wir uns über die Sache geeinigt hatten, und eine glücklichere Wahl hätte ich nicht treffen können.

Dem Plan zufolge sollte ich selber gegen Ende des ersten Sommers an Land gehen und auf der Winterstation zurückbleiben, daher konnte ich während des Winters die Leitung an Bord nicht übernehmen. Aus diesem Grunde handelte es sich darum, eine geeignete Persönlichkeit zu finden, die mit dem ausserordentlich verantwortungsvollen Posten meiner Vertretung betraut werden konnte. Dass ich das Glück hatte, hierfür eine ganz hervorragende Kraft in dem Amanuensis, späteren Dozenten Joh. Gunnar Andersson zu finden, hat in hohem Masse zu den guten wissenschaftlichen Ergebnissen, die die Expedition in die Heimat zurückbrachte, mit beigetragen.

Es ist jetzt nicht mehr von Interesse, bei den unerhörten Schwierigkeiten zu verweilen, die ich in dieser Zeit zu bekämpfen hatte, um die Vorbereitungen zu einem glücklichen Abschluss zu bringen.

Die schwierige Stellung, in die ich hineingeraten war, bewog mich, eine bejahende Antwort auf die Vorfrage des Gradmessungskomittees zu geben, ob die »Antarctic« für ihre Rechnung, und zwar für eine Expedition nach Spitzbergen im folgenden Sommer zu heuern sei. Der Ausweg war mir nicht angenehm, denn selbst im günstigsten Falle musste meine Reise hierdurch ein paar Monate über die festgesetzte Zeit hinausgeschoben werden. Auf der andern Seite aber spielte die angebotene Heuersumme für die Expedition eine grosse Rolle, auch wollte ich der Forschungsarbeit gern einen Gefallen tun, und so wurde denn im April der Kontrakt unterzeichnet, laut dessen die »Antarctic« im folgenden Monat unter Leitung des Professors Freiherrn de Geer nach Spitzbergen abging.

Während ich den ganzen Sommer daheim auf die Rückkehr der »Antarctic« wartete, nahmen die Vorbereitungen und Einsammlungen von Beiträgen ihren Fortgang. Ich glaube kaum, dass je eine Expedition von ähnlichem Umfange wie die unsere über eine geringere Summe verfügt hat, wie sie mir zu Gebote stand. Wenn es uns trotzdem möglich war, unser Unternehmen zur Ausführung zu bringen, so beruht dies in der Hauptsache auf der grossartigen Unterstützung, die uns in Form von Naturaliengaben zu teil wurde. Und nicht nur in Schweden kam man uns hilfreich entgegen, auf die bedeutungsvollste Unterstützung, die wir von der argentinischen Regierung empfingen, werde ich später noch zurückkommen.

Schon stieg in mir die Besorgnis auf, dass die »Antarctic« auf irgend eine Weise bei Spitzbergen zurückgehalten sei, als ich am 14. September ein Telegramm erhielt, dass sie in Tromsö angelangt war. Mit Kapitän A. Larsen und J. G. Andersson reiste ich dann nach Göteborg, um die letzte Hand an die Vorbereitungen zu legen. Als wir spät am Abend des 26. September einen Spaziergang den Hafenkai hinunter machten, erblickten wir plötzlich eine Strecke vor uns die hohe Takelage und die Ausgucktonne, die ein Eismeerfahrzeug auszeichnen. Wir eilten dahin, und ganz recht, dort liegt die »Antarctic«, bereit, ihre letzte Fahrt zu beginnen.

Unter allen Umständen war es nötig, das Schiff ins Dock zu bringen, um so mehr, als es bei Spitzbergen einmal auf Grund gestossen war. Wir benutzten die Gelegenheit, um allerlei kleine Reparaturen auszuführen und eine neue Propellerachse einsetzen zu lassen, was sehr wesentlich zu der Sicherheit an Bord beitragen sollte.

Auf diese Weise verging weit mehr Zeit, als ich berechnet hatte. Es war ganz klar, dass wir in dem ersten Sommer nicht viel mehr beschaffen würden, sondern uns hauptsächlich auf die Landung der Überwinterungspartie beschränken mussten; aber es kam sehr darauf an, dass wir uns nicht zu spät auf die Ausreise begaben. Das Personal hatte sich allmählich in Göteborg versammelt, und alle Hände arbeiteten rastlos. Die letzten Tage hatten wir nicht mehr viel Zeit zum Schlafen. Ich selber war noch in Anspruch genommen durch Reisen zwecks Einsammlung der nötigen Mittel sowie durch andere Vorbereitungen. Von allen Seiten wurden uns Beweise des Wohlwollens und des Interesses zuteil, und in Göteborg waren wir Gegenstand grossartiger Gastfreundschaft.

Am 12. Oktober verliess die »Antarctic« endlich das Dock und wurde am Schiffsbrückenkai vertäut. Am folgenden Tage hatten wir an Bord ein kleines Fest für einige Personen arrangiert, die unser Schiff eingehend zu besichtigen wünschten. Das Laden wurde die ganzen Tage hindurch mit unermüdlicher Energie betrieben. Am 15. Oktober waren die Arbeiten beendet; wir hätten vielleicht noch am nämlichen Abend abgehen können, aber so gross war die Eile denn doch nicht, dass wir diese letzte Nacht nicht unsern Angehörigen opfern und von ihnen Abschied nehmen konnten. Die Stunde der Abreise wurde auf den nächsten Morgen 10 Uhr angesetzt.

Bodman – Skottsberg – K. A. Andersson Ohlin – Nordenskjöld – Larsen – Ekelöt.
Die Mitglieder der Südpolarexpedition bei der Abfahrt von Göteborg


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