Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII. Vergebliches Harren.

Stimmungen aus der Wartezeit. – Neujahr 1903. – Januarstürme und ihre Wirkungen. – Vorbereitungen zu einer neuen Ueberwinterung. – Einsammlung von Seehundspeck zur Feuerung. – Das Pinguinschlachten. – Schilderungen aus dem Leben der Pinguine. – Der entscheidende Tag.

 

Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr verstrich in derselben einförmigen Weise wie die letzten Wochen. Jeden Tag, wenn das Wetter schön war, wanderten mehrere von uns auf den Berg, um nach dem Schiff auszuspähen. Der Platz, der uns als Aussichtsturm diente, und der der höchste Punkt auf der schneefreien Insel ist, der sogenannte Basaltberg, bildet eine starke Anschwellung in dem Basaltgang. Diese erstreckt sich über die ganze Insel in ihrer Längsrichtung und erhebt sich durch ihre Härte und Masse dominierend über ihre Umgebung. Zwischen diesen dunkeln, kahlen Steinblöcken sassen wir oft stundenlang und spähten auf das Meer hinaus.

Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass das ewige Warten von grossem Einfluss auf unsere Arbeiten war. Die Observationen gingen freilich ihren regelmässigen Gang, vielleicht gar in erweitertem Umfange, niemand aber verspürte Lust, eine längere zusammenhängende Arbeit zu beginnen. Am wenigsten war die Rede von Fahrten nach andern Gegenden, die mehrere Tage in Anspruch nehmen würden. Ich muss zugeben, dass gerade im Dezember viel hätte geschehen können und wohl auch geschehen wäre, wenn wir das Schiff erst später im Sommer erwartet hätten.

Der Basaltberg

Auch unsere Laune litt unter diesem Warten; uns alle befiel eine nervöse Stimmung, die sich freilich selten in anderer Weise zu erkennen gab, als dass selbst die Diskussionen über die unschuldigsten Dinge in der Regel unnötig eifrig geführt wurden. Doch glaubte niemand von uns an die Möglichkeit, dass wir gezwungen sein würden, noch einen Winter hier zu verweilen.

Bodman vor dem magnetischen Observatorium

Als Stimmungsbild mag dienen, was ich in der Nacht zum neuen Jahr in mein Tagebuch schrieb: Die Gedanken sind weit umhergeschweift, aber doch nicht so weit, wie man es an einem solchen Tage hätte erwarten können. Die Umgebung absorbiert sie alle, und ich sehe nicht viel Licht, wenn ich die Blicke um mich her schweifen lasse. Noch kurz vor 11 Uhr lag ein leuchtender Purpurschimmer über dem Lande bei Kap Gage, dann aber erlosch er plötzlich, und nun ist alles in eine graukalte Herbststimmung getaucht, nur einige kleine Flecke blauen Himmels blicken zwischen den treibenden Wolken hindurch. Aber wie der Himmel wieder hell erstrahlen wird, so wird auch für uns alles wieder gut werden. So wunderbar glücklich ist unser Geschick bisher gelenkt, dass ich mit einiger Angst der Zukunft entgegensehe, die sich ja auf irgend eine Weise entwickeln muss. Hart wäre es freilich, wenn uns keine Arbeitszeit auf dem Schiffe beschieden sein sollte, und noch finsterer würde es aussehen, wenn wir hier auf unbestimmte Zeit gefangen gehalten würden.

Wir haben den Abend so gut gefeiert wie wir konnten und sogar versucht, ein paar Raketen abzubrennen; die eine knallte wie eine kleine Kanone, die andere brannte gar nicht, und keine von allen wollte aufsteigen. Die letzten Minuten des alten Jahres wanderte ich an den Strand hinaus, darüber nachgrübelnd, wie wenig ein Mensch seine Zukunft voraussagen kann. Wenn ich das nächste Mal meine Aufzeichnungen mache, beginne ich ein neues, unbeschriebenes Buch. Wie wird alles aussehen, wenn auch das kommende Jahr vollendet ist, was werden die letzten Seiten jenes Buches enthalten?

Vom 9. Januar an wehte es wieder stark aus S oder SSO, während der ersten Tage sogar mit dichtem Schneegestöber, das die Aussicht völlig verhüllte. Wir waren indes mit jedem Wind zufrieden und hofften das Beste. Es war daher ein harter Schlag für mich, als Jonassen, der wie gewöhnlich als erster den Berg erstiegen hatte, nach Hause kam und berichtete, dass das Eis jetzt an der Ostseite überall dick gepackt liege. Es blieb uns leider nichts übrig, als uns mit Geduld zu wappnen und auf die Zukunft zu hoffen. Glücklicherweise ahnte niemand von uns, dass dieser Sturm allen Möglichkeiten unserer Entsetzung den Todesstoss versetzt hatte, dass unsere liebe, alte »Antarctic« durch die hineingepressten Eismassen in ein umhertreibendes Wrack verwandelt war.

Wir befanden uns jetzt im Spätsommer, und in der letzten Zeit war das Wetter derartig gewesen, dass jeder Gedanke an eine umfassende Arbeit ausser Hause unmöglich erschien. Diese letzten enttäuschten Hoffnungen veranlassten uns indes, allen Ernstes die Frage zu erwägen, wie wir alles am besten einrichten könnten, um einer erzwungenen Überwinterung gewachsen zu sein. Wir hatten jetzt keine Zeit mehr zum Warten, es galt zu handeln. Mein Entschluss war bald gefasst. Schon am nächsten Tage machte ich einen Ausflug nach der Seymour-Insel, um die Eisverhältnisse zu studieren und eine Schlittenfahrt vorzubereiten, die jetzt ohne Frage nach der Westküste gerichtet werden musste.

Unmittelbar nach meiner Rückkehr erwog ich mit Bodman und Ekelöf unsere Situation. Es war meine Absicht gewesen, sofort nach der Seymour-Insel zurückzukehren, aber das Ergebnis unserer Beratung veranlasste mich, einige Tage zu Hause zu bleiben, um vorher eine umfassende Reform unserer Lebensweise und Wirksamkeit auszuarbeiten. Ich machte einen Vorschlag zu einer neuen Speisefolge, nachdem ich eine Inventuraufnahme von den wichtigsten Vorräten, sowie einige statistische Aufstellungen gemacht hatte. Am brennendsten aber war die Frage bezüglich unserer Feuerung. Wir waren überzeugt, den erforderlichen Vorrat von Pinguin- und Seehundsfleisch beschaffen zu können, aber unsere Kohlenvorräte reichten lange nicht für einen zweiten Winter aus, und wir besassen keine Erfahrung, ob sich die Verwendung von Seehundspeck als Brennmaterial bewähren würde. Deshalb beschlossen wir, schon jetzt so viele Seehunde wie nur möglich zu töten und ihre Haut aufzubewahren. Um Feuerung zu sparen, heizten wir des Abends nicht mehr in der Küche, sondern begnügten uns mit einer auf dem Primusbrenner bereiteten Tasse Tee.

Ehe wir allen Ernstes mit unsern Vorbereitungen für die Überwinterung begannen, wollte ich jedoch meine lang beabsichtigte Schlittenfahrt nach der Seymour-Insel machen, teils zwecks geologischer Untersuchungen, denn ich war mir nun klar darüber, dass dieser Sommer wenig Gelegenheit mehr zu wissenschaftlichen Arbeiten bieten würde, mochte das Schiff kommen oder nicht, teils um die Eisverhältnisse im Norden kennen zu lernen und die Pinguinkolonie zu besichtigen, damit der richtige Augenblick, unsern Fleischvorrat für den Winter zu ergänzen, nicht versäumt würde.

Mit dem Schlitten an die Ostküste zu gelangen, war unmöglich, doch konnten wir auch nicht ohne grosse Schwierigkeit das nordwestliche Vorgebirge passieren. Es blieb uns deswegen nichts weiter übrig, als unsern Lagerplatz in die Nähe des Punktes zu verlegen, wo wir das letzte Mal an Land gegangen waren. Mit Jonassen und einem Schlitten machte ich mich am 16. Januar auf den Weg. Es war keine Kleinigkeit, über das Eis hinüber zu kommen, und da unser Lager in der Nähe der südwestlichen Spitze aufgeschlagen werden musste, hatten wir einen langen Weg bis zu den Gegenden, die mich am meisten interessierten. Ich begab mich jedoch schon am selben Nachmittag nach der Pinguinkolonie, die jetzt reich mit Jungen versehen war. Während der beiden nun folgenden Tage versuchte ich auf das obere nördliche Plateau hinaufzugehen, musste aber beide Male von meinem Vorhaben abstehen, weil ein dichter Nebel herrschte, und mich statt dessen mit der Arbeit unten auf den Berggipfeln zwischen den Pflanzenversteinerungen begnügen. Ich studierte die Ausdehnung und die Geologie des Lagers, aber infolge der grossen Entfernung konnte ich nur verhältnismässig unbedeutende Sammlungen mitnehmen. Am 19. Januar langten wir wieder auf der Station an.

Aussicht von dem Plateau der Snow Hill-Insel. Im Hintergrunde die Seymour-Insel

Von nun an lagen wir mit Eifer der Seehundsjagd ob. Jonassens besondere Aufgabe bestand darin, die Felle nach Hause zu fahren, an der Jagd selbst nahmen wir alle Teil. Die Gattung, die bei unserer Station am häufigsten vorkam, war der schon erwähnte Weddell-Seehund. Im Vergleich zu den nordischen Arten ist er recht gross und kann über 3,5 m lang werden, aber um diese Zeit war er leider nicht sehr fett. Glücklicherweise war er ziemlich zahlreich vertreten, am 19. und 20. wurden im ganzen sieben Stück erlegt, deren Felle während der folgenden Tage nach Hause transportiert werden konnten. Rechnet man hierzu mehrere während derselben Tage geschossene Megalestris und einige totgeschlagene Pinguine, so wird man begreifen, dass das Tierleben um diese Zeit sehr reichhaltig war. Das Seehundsfleisch benutzten wir jetzt nur ausnahmsweise, da der Transport zu schwer war und wir das Vogelfleisch lieber assen.

Die Tage, die auf den 20. folgten, waren die wärmsten während dieses Sommers, ohne dass jedoch das Maximum oder die Durchschnittstemperatur dieselbe Höhe erreichte, wie wir sie im Laufe des Winters gehabt hatten. In der Nacht auf den 24. stellte sich zum ersten Male nach langer Zeit ein wirklich kräftiger Wind aus Norden ein. Jonassen, der hinaufgegangen war, um nach dem Eise zu sehen, kam mit seinen gewöhnlichen, übertrieben sanguinischen Beschreibungen zurück. Der beste Beweis für den Eifer, mit dem wir uns an die Hoffnung auf eine baldige Veränderung klammerten, liegt wohl darin, dass wir stets bereit waren, diesen Schilderungen Glauben zu schenken, wie oft sie uns auch betrogen hatten. Ein wenig hatte sich das Eis indes wirklich zerteilt. Vielleicht ist es ein klein wenig besser, als es seit dem September gewesen ist, schrieb ich in mein Tagebuch. Gross war die Veränderung freilich nicht. Die schmale Rinne am Ufer entlang hatte sich wieder aufgetan, so dass es den Anschein hatte, als ob man möglicherweise mit einem Boot nach der Seymour-Insel würde kommen können. Um nach dieser Richtung hin nichts zu versäumen, beschlossen wir, so bald wie möglich unsern Vorsatz zur Ausführung zu bringen und unser Boot ins offene Wasser hinabzulassen.

Die sogenannten Ekelöf-Klippen, zerklüftete Sandstein-Abhänge auf dem nordwestlichen Teil der Snow Hill-Insel

Das Kanoe war eine Zeit lang zu Lustfahrten bei der Station benutzt worden

Bei der Station war jetzt so viel offenes Wasser am Strande, dass es möglich war, das Boot bis an den Basaltberg zu schaffen. Das Kanoe war eine Zeit lang zu Lustfahrten bei der Station benutzt worden, aber nun wurde es nach dem grossen Tal auf der Südseite der Insel hinübergeschafft. Am 29. zogen wir auch mit dem Boot dorthin, das von 5 Mann und 5 Hunden gezogen wurde. Der Weg war verhältnismässig gut, das Boot leicht und die Hundeschar willig. Wir erinnerten uns aller der früheren Expeditionen, die auf diese Weise ein schweres Boot Meile für Meile hatten über das Eis schleppen müssen, und ich konnte nur mit Bewunderung an die mühselige Arbeit denken, die von diesen unsern Vorgängern ausgeführt worden war. Damals ahnte ich noch nichts von der beschwerlichen Eiswanderung mit schweren Booten, die ein paar Wochen später in unserer Nachbarschaft ausgeführt werden sollte.

Es handelte sich nun darum, so schnell wie möglich die geplante Fahrt nach der Seymour-Insel auszuführen, um unsern Fleischvorrat zu ergänzen. Ich wollte mich zwar nicht gern früher als es durchaus nötig war, dahin begeben, einesteils weil ich wünschte, dass die jungen Pinguine erst alt genug sein sollten, um allein fertig zu werden, falls ihre Eltern getötet würden, andernteils auch, um das Fleisch nicht allzulange aufbewahren zu müssen. Aber lange durften wir auch nicht mehr zögern. Mit Feuerung waren wir ausreichend versorgt, wir hatten schon 18 Seehundsfelle nach Hause geschafft, Mehl und Graupen waren in reichlicher Menge vorhanden, aber unsere Fleischvorräte waren recht gering. Hätten wir damals gewusst, wie gut Seehundsfleisch ist, würden wir uns besser damit versorgt haben, jetzt setzten wir unsere Hoffnung hauptsächlich auf die Pinguine.

Das Eis drängte sich bald wieder so fest zusammen, dass keine Möglichkeit vorhanden war, mit dem Boot aus der Stelle zu kommen, aber am 4. und 5. Februar hatten wir Nordostwind, der das Eis wieder vom Lande abtrieb. Nachdem wir an den vorhergehenden Tagen unser Hauptgepäck nach dem östlichen Strand hinübergeschafft hatten, konnten wir am 6. morgens unsere Fahrt antreten. Ekelöf und Jonassen begleiteten mich auf dieser wichtigen Reise, über die ich einige kurze Auszüge aus dem Tagebuch folgen lasse.

Zwei von uns ruderten abwechselnd das Boot, während der dritte am Steuer sass. Das Wetter war nebelig, und es wurde uns nicht immer leicht, den Weg zwischen den Eisstücken hindurch zu finden. So nahe wie möglich hielten wir uns an dem Rande des festen Eises, an dem entlang sich in der Regel eine Rinne befand, die für unsern Bedarf breit genug war. Wir sahen unterwegs einige Seehunde, und eine Schar von Tausenden von Kormoranen flog dicht über unsern Häuptern nordwärts, dem offenen Meere zu. Auch Pinguine trafen wir weit draussen, bald auf einer Eisscholle stehend, bald um uns herumschwimmend mit ihren eigentümlichen Bewegungen, die an fliegende Fische erinnern. Leicht strichen sie an uns vorüber, es war, als wollten sie nach Hause eilen, um Vorbereitungen für unsern Besuch zu treffen. Die Ärmsten! sie ahnten nicht, welch böse Absichten wir hatten.

Wir schlugen unser Zelt am Strande auf und assen ein wenig, worauf wir uns schnell auf den Weg machten, um die Pinguinkolonie in Augenschein zu nehmen. Ganz überrascht waren wir über die Grösse der Jungen, nur wenige trugen noch ihr ganzes Flaumkleid, die meisten hatten es fast ganz abgeworfen und sahen stattlich aus in ihrem neuen, glänzenden Federgewand. Die Farbe schimmert mehr ins Bläuliche als bei den Alten, auch sind sie ganz weiss unter dem Schnabel, während die Alten schwarz sind. Ausserdem sieht man bei den Jungen nicht so viel von der weissen Haut, die bei den Alten einen Rand um die Augen bildet. Dadurch, dass die Augen der Jungen ganz schwarz erscheinen, haben sie einen viel sanfteren Ausdruck. Sie erschienen mir oft ganz wie junge Mädchen, die in weissen Kleidern und Pelzmänteln von einem Ball nach Hause kommen. Ein anderer Vergleich fiel mir später ein, als ich einen rotbeinigen Pinguin mit schwankenden Schritten und mit weit ausgebreiteten Flügeln über eine Wasserrinne balanzieren sah. Ich musste unwillkürlich an ein hellgekleidetes, barfüssiges Kind denken, das zögernd ins Wasser hineingeht, weil die Berührung des kalten Nass mit seinen Beinchen ihm keineswegs angenehm ist.

Die alten Nester waren jetzt verfallen, die Steine lagen umhergestreut, aber noch häufig sah man die älteren Vögel Steine mit dem Schnabel aufsammeln, ob aus pedantischer Ordnungsliebe oder aus alter Gewohnheit, ist schwer zu sagen. Übrigens halten sich in dieser Zeit fast ausschliesslich die Jungen oben auf den Hügeln auf, während die Alten sich mehr in der Ebene, in der Nähe des Strandes bewegen.

Wir hatten nicht viel Zeit, sie zu beobachten, das Wetter war gut, und es lag kein Grund vor, unsere Arbeit aufzuschieben. Wir bewaffneten uns mit Seehundshacken und fingen an, auf die armen Tiere einzuhauen. Man kann sich kaum eine widerwärtigere Arbeit vorstellen. Zuerst machten sie in der Regel einen Versuch, zu entfliehen, nur die grössten und mutigsten, sowie diejenigen, die in der Nähe ihrer Jungen oder als Wachen um das Lager standen, wagten selber einen Angriff. Als sie aber die Unmöglichkeit, zu entrinnen, eingesehen hatten, hielten sie verzweifelt stand; ein Schlag auf den Kopf fällte sie, aber man musste den Kopf fast gänzlich zerhacken, ehe sie tot waren. Blutüberströmt richteten sie sich oft noch wieder auf und versuchten wegzukriechen. Wir töteten zusammen sechzig Tiere, dann folgte gleich die Schlachterei, d. h. wir lösten die Fleischteile aus, die wir mitnehmen wollten. Nach anderthalb Stunden war unsere Arbeit für diesen Tag beendet.

Nur die bittere Not trieb uns zu diesem unheimlichen Morden, mich hätte auch sonst nichts dazu vermocht, mich daran zu beteiligen. Es ist schon hart genug, dass in andern Gegenden Tiere in Massen getötet werden müssen, hier aber, wo sie noch nicht gelernt haben, den Menschen zu fürchten, ist es noch weit widerwärtiger. Wenn er sich ihnen nähert, betrachten sie den Friedenstörer mit frommen, verwunderten Augen oder greifen ihn kühn an, ohne die geringste Rücksicht auf seine unendliche Überlegenheit. Am allerschwersten ist es aber, den Pinguinen das Leben zu nehmen, diesen eigentümlichen Vögeln, die man wieder und wieder mit Menschen vergleicht und hier in der Einöde fast wie gute Kameraden und Freunde betrachtet. Sehr hatte ich mich während des ganzen Sommers nach der »Antarctic« gesehnt, nie aber so wie in diesen Tagen, und als nun in der Nacht ein starker Nordwestwind eintrat, erschien mir das fast als Vorbedeutung, dass mein Wunsch in Erfüllung gehen und das Schiff kommen würde, ehe wir alle die Pinguine totgeschlagen hatten, deren wir zu unserer Proviantierung für den Winter bedurften.

Unter den Pinguinnestern trafen wir ein wirkliches Prachtnest an, das ausschliesslich aus Vogelknochen erbaut war

Gegen Morgen legte sich der Wind, und natürlich benutzten Ekelöf und ich sofort die Gelegenheit, um einen Aufstieg nach dem hohen nördlichen Plateau zu unternehmen, von wo aus wir die Lage des Eises übersehen konnten. Nach einer langen Wanderung genossen wir von der Nordspitze der Insel aus eine weite Aussicht. Das Eis lag ganz dicht, das liess sich nicht leugnen, aber bis an die Joinville-Insel heran und so weit das Auge reichte, war es aufgebrochen. Ich konnte den Gedanken nicht unterdrücken, dass ein Schiff wie die »Antarctic« doch im stande sein müsse, selbst unter diesen erschwerenden Umständen erfolgreich vorzudringen. Und es gehörte offenbar gar nicht viel dazu, um das Eis gänzlich zu zerteilen.

Diese letztere Annahme sollte sich sehr bald bestätigen. Während der folgenden Nacht brach abermals ein Sturm los, jetzt aus WSW, und er war nicht nur heftiger als der vorhergehende, sondern unbedingt der gewaltigste, den wir seit dem vorhergehenden Winter gehabt hatten. Den ganzen Sonntag mussten wir uns im Zelt halten, und als ich gegen Abend wieder hinausgehen konnte, begab ich mich sofort auf eine hohe, landeinwärts gelegene Bergspitze. Jetzt endlich fiel mein Blick auf grosse Flächen offenen Wassers. Der ganze südliche Teil der Erebus-Bucht war eisfrei, fast bis an die Cockburn-Insel heran, nur am Horizont schienen sich noch nach allen Himmelsrichtungen hin Eisstreifen zu befinden. Als ich mit dieser Nachricht zurückkam, herrschte grosse Freude im Zelt. Wir würden den Tag gern gefeiert haben, wenn es in unserer Macht gelegen hätte. Wir beschlossen, trotzdem das Pinguinschlachten fortzusetzen, uns aber mit der denkbar geringsten Zahl, die auf 400 Stück festgesetzt wurde, zu begnügen.

Ich übergehe die Beschreibung der nun folgenden Tage mit ihrer wechselnden Stimmung. Das Wetter war kalt und stürmisch, man merkte, dass der Winter im Anzuge war. Das Eis fing bald wieder an, dem Lande zuzutreiben, und wir hatten ausserdem undurchdringlichen Nebel, der uns jeglicher Aussicht beraubte. Dazwischen tobten neue Stürme, die das Eis, das jetzt eine lose, treibende Masse bildete, wieder hinausführten. Schönes Wetter mit gleichzeitig günstigen Eisverhältnissen hatten wir niemals lange genug, um uns sehr über das Ausbleiben des Schiffes zu beunruhigen. Nie werde ich diese Tage vergessen, die wir teils in unser Zelt eingeschlossen, teils mit Pinguinschlachten zubrachten. So oft wie möglich, erstiegen wir eine freigelegene Höhe, um nach unserer »Antarctic« auszuspähen, die, ehe wir diesen Ort verliessen, nur einige Meilen von hier entfernt, für immer in den Wellen verschwunden war. Unvergesslich sind mir auch meine Wanderungen des Abends am Strande, wenn der Vollmond sich durch die Sturmwolken drängte und die Pinguine in langen Reihen aufgestellt standen, stets bereit zu einer Unterhaltung, wenn man sich ihnen nur widmen wollte.

Die Kolonie, die uns bei dieser Gelegenheit zu so unschätzbarem Nutzen wurde, war nicht besonders gross. Ich veranschlagte die Zahl der Jungen auf 2500. Die Alten sieht man um diese Jahreszeit selten bei einander, aber in einem so schlechten Jahr, wie wir es hatten, glaube ich, kann man durchschnittlich nicht mehr als ein Junges auf jedes Nest rechnen. Danach würde sich die Zahl der Alten ungefähr auf 5000 belaufen. Wie bereits erwähnt, hatten die Jungen ihr Flaumkleid jetzt fast ganz abgeworfen und im Zusammenhang damit angefangen, ihre Schwimmübungen zu machen, oft in ganzen Scharen unter Anleitung einiger älterer Vögel. Sie tauchten schon ganz gut, plätscherten aber noch etwas ungeschickt mit den Flügeln im Wasser. Sie wurden nun auch bald von den Alten verlassen, von denen bereits eine grosse Anzahl anfing sich zu mausern. Ekelöf stellte fest, dass diese letzteren viel fetter waren als die andern, denen die Speckschicht fast immer gänzlich fehlte.

Nahrung konnten sich die Jungen noch kaum selbst verschaffen, sie wurde ihnen von den Eltern eingesammelt; ich nehme nämlich an, dass sich Vater und Mutter beide beteiligen. Will man eine Vorstellung davon haben, wie einer dieser älteren Pinguine seinen Tag verbringt, so gestalten sich die Verhältnisse ungefähr folgendermassen. Früh am Morgen begeben sich die Tiere auf das Meer hinaus, wo sie oft in grossen Scharen tauchen und umherschwimmen und ihren Bedarf an Nahrung, die fast ausschliesslich aus kleinen Krebstieren von der Gattung Euphausia besteht, ohne grosse Schwierigkeiten zu sich nehmen. Mit der einströmenden Flut kehren sie entweder in kleinen Gruppen oder allein zurück. Sie kommen unter dem Wasser herangeschwommen, in der Brandung macht sich ein leises Plätschern bemerkbar, und sie steigen an den Strand, recken sich, schütteln den Körper und die Flügel und lassen einen zischenden Ton laut werden. Sie beeilen sich keineswegs, ins Lager zurückzukehren, lenken aber doch allmählich ihren Kurs dorthin. Die Jungen erwarten sie hier und stürzen ihnen oft entgegen, wenn sie die steilen Klippen hinaufgeklettert kommen. Ich bin mir nicht klar darüber, ob es Widerwillen von Seiten der Alten ist oder eine List, um sich ihrer zu entledigen, oder was es sonst sein kann, genug, die Pinguine ziehen sich oft wieder zurück und eilen über die Ebene dahin, von einem oder zwei laut piepsenden Jungen verfolgt, die so schnell laufen, wie die kleinen Beine sie tragen können.

Manchmal habe ich gesehen, wie das Alte allen Ernstes entflieht und das Junge dann traurig nach Hause geht; gewöhnlich aber lässt sich das erstere einholen, und nun folgt unter unaufhörlichem Gegacker eine interessante und in ihrer einfachen Natürlichkeit rührende Futterszene. Die Mutter – wie bereits erwähnt, mag es auch der Vater sein – beugt den Kopf herab und gibt klumpenweise die Krabben, die sie eingesammelt hat, wieder von sich, das Junge steht da, den ausgestreckten Schnabel in den Schlund des alten Vogels gesteckt und verzehrt gierig die gebotene Nahrung, ist jedoch nicht so völlig hiervon in Anspruch genommen, dass es einen sich nähernden Menschen nicht gewahr würde und Anstalten machte, ihm zu entfliehen. Die Fütterung nimmt eine gehörige Zeit in Anspruch, dann kehrt das Junge gewöhnlich in das Lager, das Alte an den Strand zurück. Haben sich zwei Junge zur Speisung eingefunden, so suchen sie einander wegzustossen und drängen sich vor, ich habe aber nie eine förmliche Prügelei zwischen ihnen beobachtet. Es erscheint mir ungewiss, ob die Alten auch andere als ihre eigenen Jungen füttern. Zuweilen liefen freilich Junge umher und suchten nach Nahrung bei verschiedenen Alten, aber ich habe nie gesehen, dass ihnen das geglückt wäre. Doch bin ich überzeugt, dass diese Vögel oft Pflegekinder annehmen, die sie grossziehen; ihr ganzes kommunistisches Leben steht im Einklang mit einer solchen Fürsorge.

Der junge Pinguin nimmt die Nahrung auf, die der alte im Lauf des Tages für das Tierchen eingesammelt hat

Eigentümlich ist es, dass die Pinguine nur ungern ihre Rettung im Wasser suchen, selbst wenn sie direkt am Strande angefallen werden; erst wenn man sie so weit hinaustreibt, dass sie schon nass geworden sind, suchen sie diesen Zufluchtsort. Ihr beständiges Bestreben, die Klippen hinaufzuklettern, zeugt deutlich davon, wie bewusst sie sich des grossen Vorteils sind, der ihnen bei einem Streit mit ihresgleichen daraus erwächst, dass sie so hoch wie möglich stehen.

Am 12. Februar töteten wir die letzten der 400 Pinguine, die wir mitzunehmen beschlossen hatten, aber an den beiden folgenden Tagen war der Wind so stark, dass wir nicht daran denken konnten, die Rückfahrt anzutreten. Am Abend des 14., dem Jahrestag unserer Landung bei der Station, konnte ich nach einem abermaligen Besuch auf meinem Aussichtsberg die frohe Botschaft melden, dass die Eisverhältnisse besser aussahen, denn je zuvor. Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg, Zelt und Schlafsack zurücklassend, für den Fall, dass wir aus irgend einem Grunde über Land wieder hierher zurückkehren sollten. Es war ein beschwerliches Rudern, das Boot war schwer beladen mit Fleisch, und draussen ging die See hoch mit Dünung und Brandung. Der Nebel lag so dicht, dass wir nur auf Augenblicke Land erkennen konnten, und lange Strecken mussten wir uns durch dicken Eisschlamm hindurcharbeiten; oft sah es, trotz aller Arbeit, so aus, als wenn sich das Boot gar nicht vorwärts bewegte. In der Einfahrt zu dem Admiralitäts-Sund hatten sich die Eisverhältnisse infolge des Sturmes nicht wesentlich verändert, und dort konnten wir endlich in einen kleinen Eisfjord am Rande des hohen Ufers einlaufen. Hier setzten wir die Vögel zwecks späterer Abholung ab, worauf wir das Boot um das Vorgebirge herumruderten und es in dem Tal an der nordwestlichen Spitze der Insel an den Strand zogen. Hier wird es wohl noch heute, wo ich dies niederschreibe, ruhig liegen.

Gegen 3 Uhr waren wir daheim auf der Station, wo man uns bei so bösem Wetter kaum erwartet hatte. Es tat gut, sich von all dem Blut und Schmutz zu reinigen, und dann gönnten wir uns nach der anstrengenden Arbeit eine Ruhestunde am Abend. Ich übernahm am nächsten Morgen von 5 Uhr an die Magnetwache, um Bodman zu entlasten, der mir eröffnete, »er sei so sanguinisch, zu hoffen, dass das Schiff am nächsten Tage kommen würde, weswegen er gern einmal ausschlafen möchte.«

Aussicht von der Winterstation – Der Basaltberg ist sichtbar, über dem Plateau aber liegt ein leichter Nebel

Diese Äusserung ist charakteristisch für die Stimmung, die unter uns herrschte, und man darf sie nicht ausser acht lassen, wenn man die Eindrücke der nächsten Tage verzeichnet liest. Vor allen Dingen mussten unsere kostbaren Pinguine so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht werden. Glücklicherweise hatten wir am 16. gutes Wetter. Ich nahm Jonassen mit, um die erste Schlittenlast abzuholen, am Abend fuhr er noch einmal allein hin und holte den Rest des Fleisches.

Am Abend brach ein heftiger Sturm aus, zuerst aus SSW, dann mehr aus WSW. Derselbe Wind hatte an den vorhergehenden Tagen das Eis aus dem Fjord getrieben, so gaben wir uns denn den schönsten Hoffnungen hin.

Bodman und ich schrieben Berichte, die bei unserer Abreise auf der Station zurückgelassen werden sollten, und berieten miteinander, wie wir den Transport unserer Sachen am besten ordnen könnten. Böse Ahnungen erfüllten mich allerdings, als ich am 18. erfuhr, dass die Temperatur auf fast -10° gesunken war, aber erst als ich meine Mitternachtswache antrat, wurde es mir klar, dass der Sommer zu Ende war. Dichte Schneemassen vor sich hertreibend, brauste der Sturm so gewaltig, dass ich kaum dagegen angehen konnte. Es war eine stockfinstere Nacht ohne Sterne und mit so starker Kälte, dass mir fast die Finger an der einen Hand abfroren, als ich die Thermometer ablesen wollte, ohne Handschuhe an den Händen zu haben.

Auch noch am nächsten Tage hielt der Wind an, wenngleich seine Heftigkeit jetzt ein wenig abgenommen hatte, und am Abend konnte ich mich nicht länger bezwingen, ich zog Windkleider an und ging auf den Basaltberg hinauf, um mich von der Wendung, die unser Geschick genommen, zu überzeugen. Diesen Zweck erreichte ich auch wirklich. Vor mir lag ein eisbedecktes Meer, wie ich es den ganzen Sommer hindurch gesehen hatte, Eis nach allen Richtungen hin, nach Norden, Osten und Süden, und nahe am Lande war es am dichtesten gepackt.

Zum ersten Male überkam mich jetzt allen Ernstes der Gedanke, dass wir wirklich noch ein ganzes Jahr hier eingekerkert bleiben sollten. Ein Glückszufall, ein Wunder konnte uns noch befreien, Menschenmacht vermochte hier aber nichts. Auch konnte niemand voraussehen, welches Geschick uns hier noch bevorstand! Den heftigsten Kampf in mir kämpfte ich dort oben aus, während ich zusammengekauert am Boden lag zwischen ein paar kahlen Felsblöcken, die mich nur ungenügend gegen den Sturm schützten, und in der hereinbrechenden Dämmerung die wohlbekannten Umgebungen und den zerrissenen, mit Sturmwolken bedeckten Himmel betrachtete. Am schwersten von allem war mir der Gedanke an die Lieben in der Heimat, die uns zurückerwarteten und nun noch ein ganzes Jahr ohne alle Nachricht bleiben mussten. Für mich persönlich war der heutige Tag ein Gedenktag, und ich wusste oder hoffte doch wenigstens, dass herzliche Gedanken über das Eis hinweg zu mir herüberflogen. Aber ich konnte nichts machen, ich konnte nur versprechen, alles aufzubieten, was in meinen Kräften stand, um denen, die jetzt enttäuscht waren, im nächsten Jahre gute Nachrichten mitzubringen.

Es war keine frohe Botschaft, die ich meinen Kameraden auszurichten hatte, als ich auf der Station anlangte. Vielleicht sahen sie die Sache nicht so hoffnungslos an wie ich, aber ich möchte ihnen allen hier doch meinen Dank aussprechen für die Art und Weise, in der sie diese grosse Enttäuschung hinnahmen. Niemand klagte, niemand zeigte eine Spur von Furcht, aber von Stund an sprachen wir nicht mehr von Entsatz. Wenn wir die Zukunft berührten, so geschah es, um zu überlegen, wie wir unsern Winter am besten vorbereiten und anwenden sollten.


 << zurück weiter >>