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XVIII. Der zweite Winter.

Wir fahren fort, Proviant einzunehmen. – Unsere Vorräte und unsere Speisenfolge während des Winters. – Die Märzstürme. – Einteilung der wissenschaftlichen Arbeiten. – Das Mittwinterfest. – Eigentümliches Winterwetter. – Vorbereitungen für die Schlittenfahrt.

 

Der Winter brach nicht unmittelbar nach diesen Stürmen herein, der Februar schenkte uns noch mehrere schöne Tage, schwerlich hätten wir uns aber noch einmal mit dem Boot nach der Seymour-Insel begeben können. Wir waren deswegen froh, einen so wichtigen Teil unseres Vorrates, wie es das Pinguinfleisch war, sicher nach der Station geschafft zu haben. Hundert Pinguinbrüste wurden im Freien aufgehängt, wo sie sich in dieser Witterung völlig frisch hielten, alles übrige Fleisch wurde in Fässern eingesalzen. Dies war eine unnötige Vorsicht, die wir, wie es sich gleich zeigen wird, teuer bezahlen sollten, aber uns fehlte jegliche Erfahrung in diesem Punkte und wir wollten uns nicht gern einem Risiko aussetzen.

Mit Eifer setzten wir auch das Einsammeln von Seehundsfellen fort, und es ward den Seehunden nicht leicht gemacht, in unserer Nähe unbemerkt auf das Eis hinauszukommen. Im allgemeinen mussten wir freilich recht weit gehen, um diese Tiere zu treffen, nur ein paarmal im Laufe des ganzen Sommers geschah es, dass einige, und noch dazu Krabbenfresser, bis an die Station herankamen. Ein Fell nach dem andern wurde am Strande aufgestapelt, und so oft es möglich war, fuhren wir auch die ganzen Tiere nach der Station, hauptsächlich, um Fleisch für die Hunde zu haben.

Ich erinnere mich eines besonders schönen Abends, an dem ich diese Arbeit übernahm. Am 23. hatte Sobral einen Seehund an einem kleinen Eisberg draussen im Sund getötet und abgezogen. Die Hunde hatten an diesem Tage mehrere lange Fahrten gemacht und bedurften daher der Ruhe; damit aber das Fell nicht, falls ein Sturm hereinbrach, mit Schnee bedeckt werde und verloren gehe, beschloss ich, es noch am selben Abend abzuholen. Ich benutzte zu diesem Zweck unsern Handschlitten, der bisher noch fast gar nicht zur Verwendung gekommen war. Ich hatte mir gedacht, dass diese Art Schlitten, falls es uns an Hunden fehlen sollte, bei dem ebenen und harten Eis, das ich in diesen Gegenden zu finden hoffte und auch gefunden habe, brauchbar sein müsste, und ich hatte deswegen einen solchen nach eigenem Modell für die Expedition anfertigen lassen. Um ihn stärker und haltbarer zu machen, hatte ich allerdings gewisse Vorteile opfern müssen, die ein Handschlitten im allgemeinen bietet, trotzdem bin ich aber der Meinung, dass das Prinzip an sich richtig ist und bei der Ausrüstung von Polarexpeditionen Beachtung verdient, obwohl noch weitere Versuche erforderlich sind, ehe das Modell als endgültig festgelegt gelten kann. Namentlich ist es von Wichtigkeit, den Schlittenkufen die richtige Breite zu geben, die Kufen an unserm Schlitten waren zu schmal.

Mit dem unbeladenen Handschlitten ging es schnell aufs Eis hinaus, ehe ich aber das Fell festgebunden hatte, war es 9 Uhr geworden und es begann bereits stark zu dunkeln. Der Himmel erstrahlte in prachtvollen Farben, im Nordosten stand eine niedrige Wolkenbank, nach unten zu schwarzblau infolge eines fernen Wasserreflexes, oben dunkel grünblau, begrenzt von einem intensiven Purpurband, das allmählich in den gewöhnlichen kalten blassblauen Ton des Himmels überging. Alle Konturen hoben sich scharf ab, das Eis selbst lag weiss da, rings umher herrschte tiefe Stille. Es dunkelte indes schnell, und schliesslich musste ich den Schlitten eine Strecke vom Ufer entfernt stehen lassen, da ich nicht genug sehen konnte, um ihn über die Schneewehen hinüberzuschieben. Es machte einen traulichen Eindruck, als mich am Strande Hundegebell begrüsste und mir durch das Fenster unseres Wohnhauses Licht entgegenschimmerte, ganz wie an einem Winterabend auf dem Lande in der fernen Heimat. Das auf diese Weise nach Hause geschaffte Fell war das dreiunddreissigste in unserm Lager, nun erwarteten wir nicht mehr viele zu bekommen, abgesehen von den vereinzelten, die wir im Laufe des Vorwinters erbeuten konnten. Wir brannten auf dem Herd Speck und Haut zusammen, und etwa dreissig der letzteren musste nach unserer Berechnung Feuerungsbedarf zum Kochen und Heizen während des Winters decken, ohne dass wir uns einer besonderen Sparsamkeit zu befleissigen hatten.

Das astronomische Observatorium und das Passage-Instrument

Aus der nachstehenden Tabelle ergibt sich die Speisenreihe, die infolge der aufgenommenen Inventur bis Ende November gelten sollte, um welche Zeit wir auf Entsatz hoffen zu können meinten, und wo wir auf alle Fälle frische Vorräte an Eiern, Vögeln usw. beschaffen konnten. Es würden dann nur noch die erwähnten Kisten mit Bootproviant, Mehl und Graupen, ein Posten Pemmikan, sowie gedörrte und konservierte Gemüse übrig sein, abgesehen von allerlei auserlesenen Sachen, die wir hauptsächlich als zu den Arzneivorräten gehörig betrachteten.

Sonntag.

Frühstück: Labskaus mit Kohlrabi.
Mittags: Konservenfleisch mit eingebackenem Gemüse, Konservensuppe, Dessert.
Abends: Sardinen mit kaltem Geflügel.

Montag.

Frühstück: Grütze, Hering und Kartoffeln (soweit der Vorrat reicht).
Mittags: Pinguin mit gedörrtem Gemüse, Pfannkuchen mit Eingemachtem.
Abends: Pastete und kaltes Geflügel.

Dienstag.

Frühstück: Seehundsteak mit gedörrtem Gemüse.
Mittags: Blutwurst oder Blutpudding, Konservensuppe.
Abends: Aufgewärmtes Steak.

Mittwoch.

Frühstück: Grütze.
Mittags: Salzfleisch (später Pinguin) mit Bohnen, Obstsuppe.
Abends: Kaltes Geflügel.

Donnerstag.

Frühstück: Seehundsteak.
Mittags: Erbsensuppe mit gesalzenem Pinguin, Pfannkuchen und Eingemachtes.
Abends: Aufgewärmtes Steak.

Freitag.

Frühstück: Grütze.
Mittags: Pinguin mit Maccaroni oder Reis, »Salzsuppe«.
Abends: Pastete und kaltes Geflügel.

Sonnabend.

Frühstück: Seehundsteak.
Mittags: Gesalzener oder gedörrter Fisch mit gedörrtem Gemüse, Schokoladensuppe.
Abends: Aufgewärmtes Steak.

 

Ausserdem gab es morgens und nachmittags Kaffee, abends Tee oder Schokolade. Brot bekamen wir zu allen Mahlzeiten, Butter dahingegen nur drei-, später nur zweimal am Tage. Wir befürchteten anfangs, dass sich der Kaffeevorrat als ungenügend erweisen würde, was uns sehr empfindlich gewesen wäre, aber wenn wir den Satz gut auskochten, konnten wir ein einigermassen wohlschmeckendes Getränk zweimal täglich für die ganze Dauer des Winters erzielen. Auf dem Papier nimmt sich dieser Speisezettel gar nicht übel aus, aber er war natürlich sehr einförmig. Ich werde später noch darauf zurückkommen und alle die Mängel hervorheben, die sich am fühlbarsten machten.

Man darf jedoch nicht glauben, dass uns in dieser Zeit nur die Fürsorge für unsere leibliche Notdurft beschäftigte. Noch nie hatte ein Mensch zwei Winter hintereinander in antarktischen Gegenden zugebracht, und wir beschlossen, alle unsere Kräfte aufzubieten, um diesen seltenen Fall gründlich auszunutzen. In erster Linie gewannen natürlich die meteorologischen Beobachtungen durch den verlängerten Aufenthalt; in dieser Beziehung konnten so wichtige Resultate erzielt werden, dass alle unsere Opfer allein dadurch aufgewogen wurden. Aber ausserdem erlangten auch fast alle andern Arbeiten, die wir ausgeführt hatten, die astronomischen, magnetischen, bakteriologischen, kartographischen, wie auch die Untersuchungen des Eises usw. einen unberechenbar erhöhten Wert dadurch, dass wir sie während einer so viel längeren Zeit fortsetzen konnten. Im übrigen beschäftigten wir uns gleich von Anfang an damit, neue Gebiete und Methoden für unsere Forschungen zu ersinnen. So z. B. ordnete Ekelöf eine Serie physiologischer Arbeiten an, die mit Studien über das Wahrnehmungsvermögen des Auges für Farben unter verschiedenen Bedingungen eingeleitet wurden. Bodman stellte einige Thermometer auf, um die Temperatur des Meereseises in verschiedenen Tiefen zu messen, und suchte auf Grund der von Dr. Steenstrup in Vorschlag gebrachten Methode einen neuen Apparat für die Bestimmung der Intensität des Sonnenlichts zu konstruieren. Das Sonnenlicht fällt auf einen Streifen lichtempfindlichen Papiers, wobei es eine schützende Hülle durchdringen muss, die an verschiedenen Stellen von verschiedener Dicke ist. Danach bestimmt man nun, wie stark die Wirkung des Sonnenlichts an den verschiedenen Tagen gewesen ist. Bei den Mitteln, die uns zu Gebote standen, kam jedoch dies Verfahren nicht zu seiner vollen Anwendung.

Der Hügel vor dem Stationshause: Die Thermometerhäuser und die astronomische Hütte

Ende Februar und Anfang März hatten wir sehr unregelmässiges und oft stürmisches Wetter. Am 5. März trat eine für unsere Verhältnisse höchst eigentümliche Naturerscheinung ein, nämlich ein ordentlicher Regen. Dass einige Regentropfen fielen, war allerdings mehrmals vorgekommen, jetzt aber hielt der Regen den ganzen Tag an und war zeitweise so stark, dass man nicht ohne Unbehagen hinausgehen konnte. Um so gewaltsamer machte sich der Umschlag am Abend bemerkbar. Bodman soll in sein Tagebuch geschrieben haben, an diesem Tage ½7 Uhr abends werde der Winter beginnen, und diese Voraussagung des Meteorologen traf besser ein, als er selber es wohl erwartet hatte. Jetzt trat nämlich eine Periode des Sturmes und der Kälte ein, die selbst nach den von uns gemachten Erfahrungen als eine für diese Jahreszeit ungewöhnlich schwere angesehen werden musste, denn trotz der relativ windstillen und warmen Tage, die wir Anfang März gehabt hatten, stellte sich die Durchschnittstemperatur des ganzen Monats auf -11,4° bei einer Windstärke von 13½ m in der Sekunde. Mit Ausnahme von einem oder zwei Tagen hielt der Sturm ohne Unterbrechung bis zum Ende des Monats an.

Dann kam der April und mit ihm besseres Wetter. Während der nun folgenden drei Monate herrschte im allgemeinen eine strenge Kälte mit verhältnismässig seltenen Stürmen. Ich konnte jetzt meine langgeplante Arbeit in Angriff nehmen und draussen im Admiralitäts-Sund eine Reihe Lotungen und Temperaturbestimmungen vornehmen. Es zeigte sich, dass die Temperatur des Wassers bis auf den Grund herab, in einer Tiefe von ungefähr 130 m, überall die gleiche ist, im Winter ungefähr -1,9°. Gemeinschaftlich mit mir nahm Ekelöf ebensolche Lotungen zu bakteriologischen Zwecken vor. Während wir draussen waren und in einem Seehundsloch arbeiteten, kam plötzlich der Seehund an die Oberfläche um zu atmen. Prustend und schnaubend, so dass uns das Wasser bis ins Gesicht hineinspritzte, betrachtete er uns mit seinen grossen Augen. Ein wunderbarer Anblick muss es auch für ihn gewesen sein, der offenbar der Ansicht war, dass das Loch ihm allein gehörte; und wir konnten uns freuen, dass er unsere Lotungsapparate in seinem Bereich duldete.

Um diese Zeit sollte sich auch das Schicksal der Falklands-Hunde auf traurige Weise entscheiden. Als wir im Februar von unserer Pinguinschlachterei nach Hause zurückkehrten, erwartete mich eine Nachricht, die mich sehr betrübte: Sowohl Kurre als auch Kain waren verschwunden, zweifelsohne von ihren Kameraden tot gebissen. Beide waren tüchtige Hunde gewesen, an Kurre hing ich ganz besonders, infolge all der schweren Arbeit, die er während der Schlittenreise so unermüdlich verrichtet hatte. Ich hatte immer noch gehofft, dass er bei der Rückkehr in freundlichere Gegenden seinen Lohn dafür ernten würde. Zu Anfang des Winters waren uns nur noch drei Falklands-Hunde erhaltenen, darunter zwei von den auf der »Antarctic« geborenen Jungen. Einen von diesen beschloss ich zu retten, es war ein lebhafter, sehr geselliger Hund, der sich immer gut mit den grönländischen Kameraden gestellt hatte, weswegen ich hoffte, dass er den Winter überleben würde. Was die beiden andern betraf, so musste ich mich jetzt entschliessen, sie zu töten, wie schwer mir das auch wurde, da diese Tiere uns jetzt so lange, in guten wie in bösen Tagen, treue Freunde gewesen waren. Es war schon jetzt recht schwierig, hinreichende Nahrung für sie zu finden, auch war es wirklich eine Tierquälerei, sie in diesem Winterklima am Leben zu erhalten, namentlich, da man voraussehen konnte, dass sie früher oder später von den Kameraden tot gebissen werden würden.

Schnaubend betrachtete uns der Seehund aus seinem Loch heraus

Auch den letzten übrig gebliebenen Falkländer sollten wir nicht lange behalten. Es war eine eigentümliche Beobachtung, die ich diesmal, wie bereits mehrmals früher, machte, dass die Hunde stets, bevor sie von den andern totgebissen wurden, selbst zu merken schienen, was ihnen bevorstand, ganz als hätten sie im voraus ihr Todesurteil erfahren. Eines Tages im Mai verschwand der Hund, ich suchte ihn lange vergeblich, und fand ihn dann schliesslich zwischen ein paar Eisblöcken unten am Strande tot daliegen. Ich entbehrte ihn sehr, er war mir getreulich auf allen Wanderungen gefolgt und war der letzte von den Hunden, die als Gesellschaft und Spielkamerad dienen konnten.

Anfang April hatten wir das Glück, innerhalb weniger Tage sechs ungewöhnlich grosse Seehunde zu töten. Ihrem Fleisch, das sorgfältig verwendet wurde, hatten wir es zu danken, dass wir nicht den grössten Teil des Winters gezwungen waren, gesalzenes Pinguinfleisch zu essen, und mit ihren besonders speckhaltigen Fellen, die Brennmaterial für mehr als einen Monat enthielten, konnten wir den ganzen Winter hindurch mit gutem Gewissen nach Herzenslust einheizen.

Langsam, tödlich langsam, vergingen im übrigen diese ersten Monate. Das Vorgefühl des langen Winters, der jetzt eigentlich kaum angefangen hatte, versetzte uns gerade in dieser Zeit in eine fast unerträglich nervöse Spannung. Man sehnte sich vorwärts, man zählte die Tage, und nur der Wachdienst bildete eine Unterbrechung in diesem ewigen Einerlei. Bodman und Sobral übernahmen auch in diesem Jahr die eigentlichen Tagwachen, aber die Nacht wurde jetzt bis 10 Uhr vormittags gerechnet. In der ersten Zeit schliefen wir alle nur jede vierte Nacht ungestört, später fanden wir es bequemer, die Sache so einzurichten, dass, wer bis 1 Uhr Wache gehabt hatte, um 3 Uhr wieder aufstehen musste, um die nötigen Observationen zu machen. Auch an den magnetischen Nachtobservationen beteiligten wir uns jetzt alle. Ich selber hielt es für einen Vorteil, dass diese vermehrte Wirksamkeit gerade in eine Jahreszeit fiel, wo man keine andern zusammenhängenden wissenschaftlichen Arbeiten machen konnte.

Auf diese Weise verging eine Woche nach der andern, bis wieder die trostloseste Zeit des Jahres herankam.

Wir hatten im vergangenen Jahre das Mittwinterfest gefeiert, man muss sich nicht wundern, dass wir es in diesem Jahre mit noch grösserer Befriedigung begingen. Eine finstere Zeit lag hinter uns, eine Zeit der Spannung und Erwartung, mit düsteren Aussichten für die Zukunft, voll schwerer Situationen, in denen niemand wusste, wie sich die nächste Zeit gestalten würde. Aber bei einigem guten Willen war alles so glücklich verlaufen, wie man nur wünschen konnte, und nun wurde jeder Tag, der kam, heller als sein Vorgänger, bis es wieder Sommer um uns war. Wir sassen alle beisammen, um eine Flasche Punsch geschart, eine von den allerletzten, die wir noch besassen. Die Stimmung war keineswegs heiter, aber sie war zuversichtlich und hoffnungsvoll, und wir wussten jetzt, dass es im wesentlichen von uns selbst abhing, wenn ein wertvolles Ergebnis unser langes Warten belohnte. Sogar der Phonograph wurde hervorgeholt, und wir amüsierten uns damit, noch einmal sein ganzes Repertoir anzuhören. Als Abendbrot bekamen wir Laugenfisch und Reisbrei, und ich selber spendierte nach dem Essen von den Zigaretten, die ich am Weihnachtsabend 1901 an Bord der »Antarctic« in der Lotterie gewonnen hatte, die sich jetzt jedoch nur noch zum Stopfen unserer Pfeifen eigneten. Das Diner am Mittsommertag bestand aus Schwedentisch mit Zunge in Heringslake, Zwiebeln und getrocknetem Pinguin sowie einem Schnaps, der aus Konservenspiritus bereitet war, ferner Konservensuppe, Pinguinsteak mit Schneidebohnen, Mais und der letzten Dose mit Schokoladepudding, der jetzt seiner Süsse wegen sehr geschätzt wurde; dazu wurde ein kleines Glas Portwein gereicht. Das Fest war nicht ganz so üppig, wie im vergangenen Jahre, aber vielleicht schmeckte es uns dafür um so besser.

Bodman photographierte die Sonne an dem Tage, als sie am niedrigsten stand, gerade als sie hinter der Cockburn-Insel hervorkam, durch die sie einstweilen unsern Blicken gänzlich entzogen war, wie bei einer wirklichen Sonnenfinsternis. Um 1 Uhr 40 Minuten ging die Sonne an diesem unserm kürzesten Tage unter, aber noch um 3 Uhr konnten wir das Thermometer ablesen, ohne uns einer Laterne zu bedienen.

Man kann sich kaum eine grössere Verschiedenheit in der Witterung vorstellen, als sie diese beiden Jahre boten. Der zweite Winter war zu Anfang wesentlich kälter, dafür aber unverhältnismässig weniger stürmisch, obwohl ein Klima, dessen mittlere Windstärke für den Monat 6 m beträgt, natürlich immer als windig angesehen werden muss. Für uns war indes diese günstigere Witterung von grosser Bedeutung, da wir uns fast beständig im Freien bewegen konnten. Dass uns die Zeit nicht noch langsamer verging, findet auch ausschliesslich hierin seine Erklärung. Zuweilen wollte es uns fast scheinen, als ob die Tage schnell verstrichen, wahrscheinlich im Gegensatz zu dem, was wir erwartet hatten; jemand von uns meinte, die Wochen liefen schnell dahin, die Monate aber langsam, ich selber hatte keine klare Auffassung davon, ob die Zeit schnell oder langsam verstrich, ich weiss nur, dass, wenn ich zurückblickte, mir alles ungefähr gleich entfernt schien, mochte es sich vor vier Wochen oder vor sechs Monaten ereignet haben. Natürlich blieben vereinzelte Stürme nicht aus, doch gemahnten uns diese nur, wie dankbar wir sein mussten, dass es uns im allgemeinen so gut erging.

Das Tagebuch erinnert an ein kleines Abenteuer, das sich an einem dieser kalten Sturmtage zu Anfang Juli zutrug. Die Hunde pflegten in solchen Zeiten in der »Laube« zu liegen, und in der Nacht erwachten wir alle infolge eines wilden, langgezogenen Geheuls, das von diesem Platz ausging. Schliesslich verlor einer von uns die Geduld, warf einen alten Rock über und stürzte in den Sturm hinaus, die hocherhobene Peitsche in der Hand, um den Friedenstörer aus unserer Umgebung zu vertreiben. Es war einer der bald ein halbes Jahr alten, jungen Hunde, der zwischen den Kisten lag und von Zeit zu Zeit ein markerschütterndes Geheul ausstiess. Ein wohlgezielter Hieb verstärkte diese Jammertöne nur, und das Tier machte keine Miene, sich zu rühren. Die nun folgende Untersuchung ergab, dass der arme Kerl festgefroren war, und erst mit Hilfe einer Axt konnte er befreit werden. Heute treibt er sich scheu herum und sucht das Weite, sobald sich ein Mensch in seiner Nähe blicken lässt. Die armen Tiere, die so viel aushalten müssen; ich würde gern alles für sie tun, aber es steht ja leider nicht in meiner Macht.

Der kürzeste Tag des Jahres: Die Sonne guckt hinter der Cockburn-Insel hervor

Bei den im vorigen Jahre gesammelten Erfahrungen war es uns unmöglich, uns in dieser Witterungsperiode ruhig zu fühlen. Beständig schwebten wir in Angst vor dem Sturm, der nach einer so langen Reihe windstiller Tage sicher kommen musste, wir malten uns die arge Kälte aus, die er mit sich führen würde, hatten wir doch schon im Vorwinter bei völliger Windstille so sehr unter Kälte leiden müssen! Wir befanden uns erst in der Mitte des Juli, wo im vergangenen Jahre die strengste Kälte eingesetzt hatte.

Es war uns daher mindestens überraschend, als der Wind am 17. Juli nach einem Morgen mit ungefähr -30° in einen Sturm von Norden her überging, während die Temperatur am Abend auf +4° stieg. Ein Wetter, wie es jetzt mitten im Winter eintrat, hatten wir während aller der vorhergehenden Monate nur ein- oder zweimal gehabt. Als wir auf die Anhöhe hinaufkamen, konnten wir sehen, dass sich im Eise ausgedehnte Öffnungen gebildet hatten. Gleichzeitig hörten wir den vom Sommer wohlbekannten Ruf »Ossifraga« und sahen einen Riesensturmvogel über dem Stationsgebiet kreisen, aufmerksam von den Hunden beobachtet, die einen so leckeren Braten gar gerne erbeutet hätten.

Nun begannen wieder die lebhaftesten Erörterungen in unserer kleinen Gesellschaft; beständig wurde die Frage aufgeworfen, was dies Sommerwetter oder, wie wir es nach den von uns gemachten, entsprechenden Erfahrungen nannten, dies Septemberwetter für uns zu bedeuten habe. Einige freuten sich über die »schöne Wärme«, da es aber zu stark wehte, um im Freien zu arbeiten, fand ich diesen Zustand weniger erfreulich. Würde der Umstand, dass sich das Eis schon in dieser Jahreszeit löste, uns Nutzen bringen, oder würde nur ein um so empfindlicherer Rückschlag folgen? – Dies waren Fragen, die niemand zu beantworten vermochte.

Drinnen im Hause verursachte, die plötzliche Temperaturveränderung allerlei Ungelegenheiten. All das viele Eis, das sich in den Ecken und Winkeln angesammelt hatte, begann zu schmelzen, und das Wasser sammelte sich zu einem See an, namentlich in dem Zimmer, das Sobral und ich bewohnten. Wir mussten Holzklötze herbeischaffen, über die wir uns fortbewegten, um nicht gänzlich durchnässte Füsse zu bekommen. Wir stellten ein grosses Reinmachen an; das Eis wurde mit der Axt losgeschlagen und in grossen Eimern hinausgetragen. Auf dies Wetter folgte, wie wir das bereits kannten, eine eigentümliche Beleuchtung, ein schwerer, wolkenbedeckter Himmel mit dunkeln Cumulus-Wolken am Horizont. Die Luft war infolge von Nebel und Schneegestöber so undurchdringlich, dass wir keine klare Aussicht auf das Meer gewinnen konnten. Ebenso plötzlich, wie der warme Wind gekommen war, ebenso schnell verschwand er schon nach drei Tagen wieder. Fast ohne allen Übergang wurde es völlig dunkel, aber nur auf eine oder zwei Minuten, dann kam ebenso plötzlich der Südwestwind, der die Temperatur auf -20° herabtrieb.

Zwischen der alten Eismauer und der Schneeschanze bildete sich eine Vertiefung

Wir hatten gehofft, dass uns die warme Witterung einen Seehund herbeiführen würde, nach dessen Fleisch wir grosse Sehnsucht empfanden. Eines dieser Tiere hatten wir lange mit Aufmerksamkeit verfolgt und ihm aufgelauert, in der Hoffnung, dass es eines Tages durch sein Loch im Eise auftauchen würde. Statt dessen verschwand dieser Seehund jetzt gänzlich, das Loch füllte sich mit Schnee und Eis und fror zu. Vielleicht hatte ihn das benachbarte offene Wasser verleitet, unsere nähere Umgebung zu verlassen. Diese merkwürdige warme Witterung war keine vereinzelte Erscheinung, denn während der nun folgenden Monate kehrten dieselben Nordwinde einmal über das andere wieder, beständig grosse offene Wasserflächen draussen auf dem Eis hinterlassend. Der Unterschied in der Durchschnittstemperatur der beiden Jahre, die wir dort unten verlebten, war in diesem Monat unerhört gross, -12° statt -28°, und am 5. August hatten wir ein Maximum von +9,3°, die höchste Temperatur, die im südlichen Polargebiet beobachtet worden ist, nicht nur von uns, sondern von allen, die diese Gegenden besucht haben. Und dies geschah mitten im Winter!

Wäre dies Wetter zuverlässig gewesen, so würde es trotz der Kürze der Tage möglich gewesen sein, schon jetzt mit unsern Schlittenfahrten zu beginnen. Dies war aber keineswegs der Fall, im Gegenteil folgten auf das milde Wetter in der Regel schwere Stürme und Kälte, ganz abgesehen davon, dass die Wärme gewöhnlich in Begleitung starker Winde auftrat. Auch wollte ich unsere ziemlich kärgliche Schlittenausrüstung nicht für eine Fahrt aufs Spiel setzen, auf der man doch vielleicht nur in seinem Schlafsack eingeschlossen lag. Erst am 20. August unternahmen wir einen kleinen Ausflug nach dem Depot hinter Kap Hamilton. Die dort hinterlassenen Vorräte waren jetzt völlig im Schnee begraben, und es war keine kleine Leistung von Jonassen, dass er sie unter diesen Umständen wieder aufzufinden vermochte. Ich hatte eigentlich die Absicht gehabt, die Fahrt bis Kap Gage zu erstrecken, aber am nächsten Tage bekamen wir Sturm, und da das Wetter auch noch am 22. drohend aussah, so kehrten wir nach der Station zurück, die wir auch glücklich erreichten, bevor der Orkan allen Ernstes losbrach.

Jetzt hatte das gute Wetter für lange Zeit ein Ende, denn der noch übrige Teil des August und der ganze September waren verhältnismässig kalt und stürmisch. Freilich fehlte es nicht an einzelnen schönen Tagen, und an einem derselben, dem 6. September, gelang es uns, ein paar Seehunde zu erlegen, die den Hunden reichlich Nahrung gaben und in unsern Haushalt eine angenehme Abwechslung brachten. Dies war eine grosse Epoche in unserm Winterleben. Von dieser Zeit an glaubten wir der Welt ein gutes Stück näher gekommen zu sein. Aber gerade die letzte Hälfte des September war, genau so wie im vorigen Jahre, ungewöhnlich stürmisch, und obwohl ich jeden Tag hoffte, meine langersehnte Schlittenreise antreten zu können, war dies doch immer noch unmöglich.


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