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II. Von Buenos Aires nach den Süd-Shetlandsinseln.

In Buenos Aires. – Die Teilnehmer an der Expedition. – Das Weihnachtsfest. – Die Falklandsinseln. – Die argentinische Station auf der Staateninsel. – Die Überfahrt über den Drakesund.

 

Buenos Aires, die bevölkertste Stadt der südlichen Halbkugel, mit augenblicklich ungefähr 900 000 Einwohnern, war mir von einem früheren Besuche wohlbekannt. Man kann Buenos Aires nicht eine schöne Stadt im eigentlichen Sinne nennen, das verbietet seine Lage, aber alles, was menschliche Kunst und Arbeit zu bewerkstelligen vermögen, ist hier in weitestem Umfange geschehen. Prachtvolle moderne Strassen und Plätze, stattliche Villenstädte, grossartige Parks und südländisch üppige Vegetation, öffentliche Kunstwerke jeglicher Art bilden den Rahmen für ein Bild von wunderbarer Lebhaftigkeit; ein Gewimmel von Menschen und Fuhrwerken, von elektrischen Strassenbahnen, die die Stadt nach allen Richtungen hin durchkreuzen, und eleganten Privat-Equipagen bis zu den bedeutend einfacheren Droschken und den zahlreichen Arbeitswagen. Bei jedem Schritt, den man tut, kann man merken, dass man eine Stadt vor sich hat, in der grosse Reichtümer aufgehäuft sind, und man kann wohl sagen, dass der Luxus hier weit mehr in die Erscheinung tritt, als in irgend einer europäischen Stadt von entsprechender Grösse. Jedenfalls sind es sehr angenehme Gefühle, mit denen man sich in das Gewühl einer der Hauptstrassen mischt, und dies ganze elegante Publikum betrachtet, das in seinen Equipagen langsam vorüberfährt. Und die Damen von Buenos Aires sind nicht nur elegant, sie können es auch in Bezug auf persönliche Reize mit den Schönsten jeglichen Landes aufnehmen. Musste sich uns unter diesen Verhältnissen nicht mit ganzer Macht der Gedanke aufdrängen, dass dies der letzte Schimmer von Schönheit und Luxus und Anmut war, der uns für lange Zeit beschieden sein sollte, und dass wir jetzt im Begriff standen, auf alles das zu verzichten, was im eigentlichen Sinne zu der Notdurft des Lebens gehört?

Aber wir hatten kaum Zeit, uns solchen Gedanken hinzugeben; durch die menschenbelebten Strassen eilten wir alle auf das schwedisch-norwegische Konsulat, wo wir von Konsul Christophersen auf das herzlichste empfangen und zum Frühstück eingeladen wurden. Für mich und Kapitän Larsen war es eine unabweisbare Notwendigkeit, uns bald in unsere Arbeit zu stürzen, so dass die Expedition so schnell wie möglich in stand gesetzt würde, auch diese Stadt hinter sich zu lassen. Unsere Kameraden hatten mehr Zeit, das Leben zu geniessen, und bald machten sie im Kreise neu erworbener landsmännischer und ausländischer Freunde Pläne, wie die kurze Zeit, die für diesen Ort berechnet war, am besten auszunutzen sei; teils wollte man die Stadt von allen Seiten kennen lernen, teils Ausflüge in die Umgegend machen bis hinaus in das offene argentinische Land mit seinem Leben und seiner Natur, die so ganz verschieden von allem sind, was wir in der Heimat gesehen haben.

Mein Hauptinteresse war vorläufig darauf gerichtet, die Bekanntschaft eines neuen Mitgliedes der Expedition zu machen, das hier mit uns zusammentreffen sollte. Es war der Maler Mr. F. W. Stokes, ein Kind der grossen nordamerikanischen Republik, der bereits Pearys Überwinterungsexpedition 1893-94 mitgemacht hatte, und auf eigene Kosten an unserer Fahrt teilnehmen wollte. Es war schon lange mein Wunsch gewesen, dass ein Maler uns begleiten sollte, und ich war deswegen sehr erfreut, als Mr. Stokes mir schrieb und sich erbot, mit uns zu kommen, um so mehr, als uns voraussichtlich auch seine Erfahrungen in Bezug auf arktisches Winterleben zu statten kommen würden. Es war ursprünglich unsere Absicht, ihn bei der Überwinterungsabteilung zurückzulassen, aber, wie wir später sehen werden, kam diese Absicht nicht zur Ausführung.

Unserm Plane gemäss, handelte es sich darum, hier in Buenos Aires allerlei Proviant anzuschaffen, namentlich Mehl, Butter, sowie getrocknetes und konserviertes Fleisch, das hier in Argentinien für den Export fabriziert wird und deswegen billig zu haben ist, wozu der noch weit wichtigere Umstand kam, dass man darauf rechnen konnte, die Ware in besserem Zustand zu erhalten, da man hierdurch den gewöhnlichen Transport durch die Tropen umging. Diese Anschaffungen machten keinerlei Schwierigkeiten, ebenso wenig wie der Einkauf der unzähligen andern Artikel, die wir nötig hatten. Anders verhielt es sich freilich mit dem wichtigsten unserer Ausrüstungsartikel, mit der Kohle. Der Grund hiervon war, dass gerade ein grosser Streik unter den Hafenarbeitern herrschte, jedoch gelang es mir, diese Schwierigkeit zu überwinden, indem ich mich direkt mit den Streikenden in Verbindung setzte, die denn auch bereitwillig, mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse, uns die nötigen Arbeitskräfte zur Verfügung stellten. Und so kamen denn die Kohlen glücklich an Bord.

Da war indes eine andere Frage von noch grösserer Wichtigkeit, und diese hatte mich im Grunde veranlasst, Buenos Aires als Stützpunkt und Ausfahrtshafen zu wählen. Schon im Juli hatte ich von dem Chef des argentinischen Observatoriums auf der Staateninsel, das mit den drei Südpolarexpeditionen zusammen arbeiten sollte, einen Brief mit der Anfrage erhalten, ob es nicht möglich sei, dass ein Marineoffizier als Vertreter der argentinischen Regierung sich unserer Expedition anschliessen könne.

Auch hierauf antwortete ich mit Freuden ja; stand ich doch hiermit vor der Verwirklichung eines langgehegten Wunsches, nämlich die südamerikanischen Völker für die Sache zu interessieren; aus leicht begreiflichen Gründen konnten gerade sie, weit eher als wir Europäer, bedeutende rein geographische Vorteile davon haben, wenn sie ihrerseits an der Erforschung der Polarländer mitwirkten. Bisher hatte ich diese Anfrage so aufgefasst, als wollte sich der argentinische Offizier an der Dampferexpedition beteiligen. Als ich nun in Buenos Aires bei meinem Besuch beim Marineminister Sr. Betbeder erfuhr, dass es der besondere Wunsch der Regierung sei, der Offizier möge bei der Winterstation zurückbleiben, so stiegen mir doch einige Bedenken auf. Ich sah vollkommen die unerhörte Verantwortung und die Schwierigkeiten ein, die daraus entstehen konnten, wenn wir einen vollkommenen Fremdling, der keine Ahnung davon hatte, was eine Überwinterung im Eise bedeutete, in unsern Kreis aufnahmen. Aber ich wollte doch nicht gleich nein sagen, sondern erst den Besuch des jungen Offiziers abwarten, den mir der Minister in Aussicht stellte. Früh am Morgen des 17. Dezember traf ich zum ersten Male mit dem damaligen Unterleutnant José M. Sobral zusammen. Er erschien mir so einfach und zugänglich, so interessiert und unerschrocken, dass ich sofort alle Bedenken fahren liess und beschloss, den Versuch zu wagen, worauf die Frage schon am selben Tage endgültig entschieden wurde.

Leutnant J. M. Sobral

In Anerkennung dieses Entgegenkommens versprach uns die Regierung dann, unsere Expedition auf jede Weise zu stützen. Für den Augenblick hatten wir nichts besonderes nötig, aber die grossartige Weise, in der das Land später das gegebene Versprechen einlöste, ist ja jetzt weltbekannt.

Natürlich nahmen alle diese Verhandlungen mehrere Tage in Anspruch, und während dieser Zeit lag die »Antarctic« auf ihrem Platz im Dock, wo sie von einem ununterbrochenen Strom von Besuchern aller Nationalitäten und Gesellschaftsklassen in Anspruch genommen wurde. Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dass die Vertreter der Presse unter ihnen eine grosse Rolle einnahmen, auch wurden wir von Photographen überschwemmt, die uns in allen möglichen Gruppen und am liebsten in Polaranzügen zu verewigen wünschten. Wir taten deswegen unser bestes, um des Morgens so früh, wie nur möglich, vom Schiffe fortzukommen, aber es war nicht immer so leicht, denen zu entgehen, die uns suchten. Es muss indessen dankbar anerkannt werden, dass dies alles nur einzelne Züge des allgemeinen Wohlwollens waren, das uns hier in Buenos Aires entgegengebracht wurde.

Beim Photographieren in Buenos Aires

Am 20. Dezember hatten wir endlich den grössten Teil unserer dortigen Arbeiten abgeschlossen. Wir hatten von verschiedenen Seiten Einladungen für die letzte Nacht erhalten, und alle, denen es nur irgendwie möglich war, benutzten diese letzte Gelegenheit, um Abschied von den Genüssen einer Grossstadt zu nehmen. Als ich gegen Morgen in Gesellschaft des Kapitäns an Bord kam, war das Kohlen gerade beendet. Wir machten uns nun schnell an den Abschluss unserer Angelegenheiten, auch nicht eine Stunde sollte unnötig versäumt werden. Kaum hatten die letzten Arbeiter das Schiff verlassen, als auch schon die Maschine in Gang gesetzt wurde, und bereits um sechs Uhr des Morgens trat die »Antarctic« ihre Fahrt nach den Eismassen des Poles an, unter den Abschiedsgrüssen einer Menschenmenge, die sich trotz der frühen Morgenstunde am Kai versammelt hatte. Durch die enge Hafenmündung und den fast meilenlangen, ausgebaggerten Hafenkanal, glitten wir auf den gelben Wassermassen des gewaltigen Stromes dem Meere zu.

Das Personal, das sich jetzt an Bord befand und also wenigstens an einem Teil der antarktischen Arbeiten teilnehmen sollte, war das folgende:

N. Otto G. Nordenskjöld, geboren 1869, Dozent der Geologie an der Universität Upsala; Chef der Expedition.

Carl Anton Larsen, Führer der »Antarctic«, geboren in Norwegen 1860. Er hatte während vieler Jahre Fangschiffe auf dem Eismeer geführt und zuletzt einer Walfischfangstation in Finmarken vorgestanden, sich aber namentlich berühmt gemacht durch seine beiden Fang- und Entdeckungsreisen im südlichen Eismeer in den Jahren 1891 und 1892.

Axel Ohlin, geboren 1867, seit 1896 Dozent der Zoologie an der Universität Lund. Dozent Ohlin, ein ungewöhnlich begabter Mensch und selten guter Kamerad, hatte schon früher an Entdeckungsreisen nach Grönland, dem Feuerland und Spitzbergen teilgenommen, ward aber leider durch Krankheit gezwungen, die Expedition im Jahre 1902 zu verlassen und starb 1903 in Schweden.

S. A. Duse, geb. 1874, seit 1898 Leutnant im Norrland-Artillerieregiment, wo er jetzt Hauptmann ist, begleitete unsere Expedition als Kartograph und leitete zeitweise die meteorologischen und hydrographischen Arbeiten an Bord.

K. A. Andersson, geb. 1875, Kandidat der Philosophie, leitete in Gemeinschaft mit Dozent Ohlin die zoologischen Arbeiten.

Gösta Bodman, geb. 1875, Lizentiat der Philosophie, leitete an Bord der »Antarctic« die hydrographischen und meteorologischen Arbeiten und hatte sich der Expedition namentlich angeschlossen, um auf der Winterstation den magnetischen und meteorologischen Observationsarbeiten vorzustehen.

Erik Ekelöf, geb. 1875, Kandidat der Medizin, Arzt der Expedition, daneben Bakteriolog.

Carl Skottsberg, geb. 1880, Kandidat der Philosophie, Botaniker.

F. W. Stokes, Nordamerikaner, Landschaftsmaler, Teilnehmer an Pearys Grönlandsexpedition 1893-94.

José M. Sobral, geboren in Argentinien 1880 von spanischen Eltern, Unterleutnant, später Leutnant in der argentinischen Marine, Teilnehmer an den meteorologischen, magnetischen, astronomischen und hydrographischen Arbeiten.

F. L. Andreassen, geb. in Norwegen 1858, erster Steuermann der »Antarctic«, hat als Steuermann und Kapitän alle Meere der Erde befahren und zuletzt, 1901, an der Grönlandsfahrt des Polardampfers »Belgica« teilgenommen. Verheiratet.

H. J. Haslum, geb. in Norwegen 1856, begab sich zum 28. Male auf die Eismeerfahrt, die bisher stets den nördlichen Polargegenden gegolten hatten, wo er auch auf der »Antarctic« Steuermannsdienste verrichtet hatte. War während unserer Reise zweiter Steuermann.

Anders Karlson, geb. 1864, seit vielen Jahren in Norwegen ansässig, erster Maschinist.

Georg Karlson, Sohn des ersteren, geb. in Norwegen 1883, zweiter Maschinist.

Axel R. Reinholdz, geb. 1873, dritter Steuermann.

G. F. Schönbäck, geb. 1879, Steward, hatte als Koch an der Polarexpedition mit der »Antarctic« im Jahre 1898 teilgenommen.

Anton Olsen Ula, geb. in Norwegen 1861, Bootsmann, alter Polarfahrer, hatte auch an Kapitän Larsens Südmeerfahrten teilgenommen. Verheiratet.

Ole Johnsen Björnerud, geb. in Norwegen 1868, Schmied.

Ole Jonassen, geb. in Norwegen 1874, Teilnehmer an zahlreichen Walfischfangfahrten, darunter nach dem südlichen Eismeer 1891 und 1892, hatte auch als Heizer an Bord der »Stella Polara« während ihrer Polarexpedition Dienste getan und an verschiedenen Schlittenfahrten teilgenommen. Er war besonders für die Überwinterungsabteilung angeheuert.

Toralf Grunden, geb. in Norwegen 1874, hatte weite Seereisen gemacht, auf denen er mehrmals als Walfischfänger das Eismeer besucht hatte.

Ole Olausen, geb. in Norwegen 1880, Segelmacher.

Ole Christian Wennersgaard, geb. in Norwegen 1881, hatte das Steuermannsexamen abgelegt und war ein besonders guter Seemann, voll Interesse für alle während der Expedition vorkommenden Arbeiten. Erkrankte während der Überwinterung auf der Paulet-Insel und starb am 7. Juni 1903.

Gustaf Aakerlundh, geb. 1883, Teilnehmer an der Überwinterungsabteilung auf Snow Hill.

Axel Andersson, geb. 1876, Koch.

Carl Johanson und Wilhelm Holmberg, Heizer.

Dazu kamen noch zwei aus Schweden mitgebrachte Matrosen, sowie ein in Buenos Aires angeheuerter Zimmermann, die nach der Rückkehr von der ersten Sommerreise abgemustert wurden. Alles in allem belief sich danach das Personal beim Aufbruch aus Buenos Aires auf 29 Personen.

Von nun an sollte unsere wissenschaftliche Tätigkeit allen Ernstes beginnen, wenn wir auch fortdauernd bestrebt sein mussten, so schnell wie möglich vorwärts zu gelangen. Am 23. Dezember, ehe wir noch die seichte Küstensandbank vor dem La Plataflusse verlassen hatten, machten wir in einer Tiefe von ungefähr fünfzig Metern einen Dredschzug. Frühere Expeditionen, die hier gearbeitet, hatten ein überraschendes Ergebnis erzielt, und auch wir gewannen eine reiche Ausbeute, die unsern Zoologen eine Menge zu tun gab. Ein paar Tage später, als wir uns auf 47° s. Br. und 58° w. L. befanden und auf tiefes Wasser hinausgelangt waren, nahmen wir eine Reihe Wasserproben mit Temperaturbestimmungen bis hinab zu einer Tiefe von 1000 Metern. Wir führten zwei Eimer nach Professor O. Petterssons Modell mit Abänderungen nach Nansens Vorschlägen auf der Expedition mit uns. Die Wasserproben wurden in einem Zylinder heraufgeholt, der von mehreren Isolierschichten umgeben war, die verhindern sollten, dass das Wasser durch die Erwärmung der oberen Meeresschichten seine Temperatur verändere. Diese wird von einem in den Zylinder hinabgeschobenen Thermometer angegeben, auf dem die Temperatur bis fast auf einen hundertstel Grad abzulesen ist. In dieser seiner neuen Form war der Apparat in so grossem Massstabe noch nicht ausprobiert, und wir wollten nun Vergleiche anstellen zwischen den Werten, die diese Thermometer zeigten und denen, die man mit den gewöhnlich angewandten Tiefseethermometern von Negretti und Zambras Konstruktion erhält, die so eingerichtet sind, dass sie, wenn das Aufziehen beginnt, aus einem Rahmen herausfallen und auf und nieder geschwungen werden, wodurch das Quecksilber, das in eine über dem Rohr befindliche Verengerung aufsteigt, in den oberen Teil des Rohres gleitet, wo dessen Höhe bequem abgelesen werden kann. Wir führten hier eine Serie gleichzeitiger Bestimmungen in einer Tiefe von 10, 20, 40, 60, 100, 150, 300, 500, 700 bis 1000 Metern aus. In der Regel stimmten die auf verschiedene Weise erhaltenen Temperaturen einigermassen überein. Eine Reihe von Abweichungen zeigte jedoch, dass noch ganz umfassende Untersuchungen bevorstanden, ehe wir uns mit unserm Instrument ganz vertraut nennen konnten.

Das Wetter war während der Fahrt gen Süden im ganzen schön, mit leichten Winden aus Norden, die uns gestatteten, schnell vorwärts zu gelangen, teilweise nur mit dem Segel. Die Tage verflossen im allgemeinen ruhig und einförmig, ein Tag aber machte eine Unterbrechung in dem täglichen Einerlei, nämlich der heilige Abend. Wir hatten Vorbereitungen zu einer würdigen Feier an Bord gemacht, aber man spürte doch, dass an diesem Tage niemand seine Gedanken so recht auf unsere Umgebung zu richten vermochte, sondern dass wir alle sie weit übers Meer fliegen liessen, nach der Heimat und dem Familienkreis. Ach, wie ist doch alles hier rings um uns her so verschieden von dem, was dort oben im Norden gewesen wäre! Was würden wir nicht in diesem Augenblick dafür geben, wenn wir uns auch nur auf einige Augenblicke dorthin versetzen könnten, wenn der Tannenbaum angezündet wird, während sich die ganze Familie um sein Licht versammelt, das uns an die heiligste von allen Erinnerungen gemahnen soll! Jetzt, wo die Weihnachtsgaben verteilt werden, oder noch später, wenn der Morgen dämmert, an dem Tausende und Abertausende unter Schellengeklingel zwischen schneebeladenen Tannen oder auf den Strassen der Stadt zwischen Reihen von erleuchteten Häusern zur Frühmesse dahineilen. Oder wenn wir doch allen denen, deren Gedanken jetzt übers Meer hinweg zu uns auf unsern Weg gen Süden schweifen, die Möglichkeit schaffen könnten, einen einzigen Blick in unsern kleinen Kreis zu werfen. Bei leichter Brise und unter sonnigem Himmel glitt die »Antarctic« dahin, mit sämtlichen Nationalflaggen geschmückt, die schwedische unter der Gaffel, die norwegische auf dem Besanmast, die amerikanische auf dem Grossmast und die argentinische auf dem Vordermast. Der Salon war reich geschmückt mit Flaggen, Lichtern und bunten Lampen, und alles, was wir an Süssigkeiten, Früchten, Zigarren und Getränken zu bieten hatten, war auf dem Tisch aufgebaut. Es war freie Tafel, zu der für diesen Abend alle eingeladen waren; Reden wurden gehalten, – ach, könnten doch alle die Wünsche, die dort ausgesprochen wurden, in Erfüllung gehen, – und an Stelle der gewöhnlichen Weihnachtsbescherung war eine Lotterie mit zahlreichen Gewinnen an nützlichen Gegenständen, essbaren Sachen und allerlei Scherzartikeln arrangiert. Die Stimmung war die allerbeste, nie hatten wir in diesem Masse das Gefühl gehabt, eine Familie zu bilden mit gemeinsamem Ziel und gemeinsamen Interessen. Erst um Mitternacht nahmen wir unsere Mahlzeit ein, die nach alter schwedischer Sitte aus Laugenfisch Eine Art Stockfisch. und Reisbrei bestand. Aber noch lange nachher stand ich in der stillen Nacht auf Deck und liess die Gedanken erst zurückschweifen, zu einem Weihnachtsfest nach dem andern bis weit hinein in die Tage der Kindheit, und dann vorwärts in die Zukunft – wie würde es nächste Weihnachten aussehen und die darauf folgenden? Ja, es ist vielleicht am besten, dass nicht alle Fragen beantwortet werden.

Die Schiffskatze macht einen Spaziergang

Als wir Buenos Aires verliessen, hatten wir damit noch nicht unsern letzten Abschied von der bewohnten Welt genommen. Ich hatte beschlossen, die Staateninsel vor dem Feuerland anzulaufen, um in dem dortigen Observatorium Vergleiche mit den magnetischen Instrumenten anzustellen, die wir mitführten. Auch sonst war es für uns von grösstem Interesse und hoher Bedeutung, uns mit dieser Station in Verbindung zu setzen. Nach dem Plan des internationalen Zusammenarbeitens, in das sich unsere Expedition als Glied einfügte, sollte sich jede Expedition auf eine feste Station innerhalb der gemässigten Zone stützen, und die Deutschen hatten eigens zu diesem Zweck eine besondere Station auf der Kergueleninsel errichtet. Innerhalb des atlantisch-amerikanischen Gebietes, wo die schwedische Expedition wirkte, hatte Argentinien das in dieser Hinsicht erforderliche übernommen, und unter Leitung von Kapitän Ballvé war nun hier unten nahe an der Küste des Feuerlandes ein hervorragend reich ausgerüstetes Observatorium im Bau begriffen. Es war indes besonders wichtig, dass unsere Arbeiten so übereinstimmend wie nur möglich ausgeführt wurden, und schon ein persönliches Zusammentreffen mit den am Observatorium angestellten Gelehrten musste sehr wünschenswert erscheinen. Trotz unserer Eile, und obwohl wir fürchten mussten, dass die Aufstellung der Instrumente noch nicht so weit vorgeschritten sein würde, dass ein Vergleich vorgenommen werden konnte, hatte ich deswegen beschlossen, diesen Platz unter allen Umständen zu besuchen.

Während der Überfahrt von Buenos Aires hatten wir jedoch noch eine andere Frage in Erwägung gezogen. Fast auf unserm direkten Wege lagen die Falklandsinseln, deren wissenschaftliche Untersuchung mit in unser Programm fiel. Im nächsten Winter sollten sie der wichtigste Stützpunkt unserer Dampferexpedition werden, auch sollte dort Joh. Gunnar Andersson mit der Expedition zusammentreffen. Fast alle an Bord interessierten sich dafür, dort einen Besuch abzustatten, und ich selber wollte gern dahin, um die Erdschichten zu studieren zum Vergleich mit denen des Feuerlandes. Hierzu kam noch, dass ich hoffte, dort einige Hunde erstehen zu können, die wir unten in den Eisregionen neben unsern grönländischen Hunden als Zugtiere verwenden konnten. Von letzteren waren jetzt nur noch vier am Leben, allerdings sämtlich ganz besonders prächtige und gesunde Exemplare. Wir berieten hin und her, was wir tun sollten, und namentlich der Kapitän war sehr für die Sache interessiert und meinte, dass wir Port Stanley einen Besuch abstatten müssten. Da ausserdem das Wetter gut war und unser Kohlenverbrauch geringer als wir erwartet hatten, beschloss ich endlich, den kleinen Abstecher nach diesen Inseln zu machen.

Wir hätten schon am dreissigsten dort sein müssen, unglücklicherweise aber sollten wir unser gutes Wetter nicht behalten, sondern mussten die letzten 24 Stunden gegen widrige Winde und schwere See ankämpfen. In der Nacht auf den 31. Dezember kam endlich das Feuer von Port Stanley in Sicht, und des Morgens in aller Frühe war die ganze Mannschaft auf Deck versammelt, um die Einfahrt zu sehen. Es war ein herrlicher Morgen mit frischem Wetter, der uns, die wir so lange in warmen Gegenden gelebt hatten, ganz kalt erschien. Im Wasser schwärmten Pinguine, und hin und wieder kam ein Seelöwe geschwommen und folgte uns auf lange Strecken. Es war mit einem Worte eine ganz neue Natur, die uns umgab. Die Einfahrt selber ist sehr schön und geht durch zwei enge Strassen zwischen langgestreckten Halbinseln. Das Land ist mit niedriger Vegetation bestanden, ohne Bäume und Büsche, von jener eigentümlich gelblich grünen Farbe, die so ganz verschieden ist von der, die man auf den Wiesen des Nordens sieht, und deren ich mich so gut von dem nördlichen, waldlosen Gebiet Feuerlands erinnerte. Um sechs Uhr des Morgens gingen wir vor Anker in dem wohlgeschlossenen Hafen, in dem jedoch wegen der Gestaltung des Landes der Wind zu freien Spielraum hat, und der deshalb nicht hervorragend gut genannt werden kann.

Es währte eine Weile, bis wir die üblichen Besuche der Behörden empfingen, und als sie sich schliesslich einfanden, bedurfte es eingehender Erwägungen, ehe man uns gestattete, an Land zu gehen, da wir versäumt hatten, uns in unserm letzten Hafen mit Gesundheitsattesten zu versehen. Wir hatten damals ja nicht daran gedacht, solcher Papiere so bald benötigt zu sein. Nachdem wir eine Weile unterhandelt hatten, wurde die Sache jedoch zu allseitiger Zufriedenheit geordnet. Vor uns liegt eine lange, doppelte oder dreifache Reihe von Häusern, reinlich und gut gebaut, aber im allgemeinen in demselben einfachen Stil gehalten, wie er hier unten an der Grenze der Zivilisation fast ausnahmslos üblich ist. Viele Häuser sind von Gärten umgeben, in denen die Blumen jetzt in Blüte stehen. Port Stanley ist die einzige Stadt der Falklandsinseln, mit ungefähr 900 Einwohnern, und einer jener zahlreichen Stützpunkte für den Handel und die Kriegsflotte, wie das britische Reich sie sich überall auf der Welt zu schaffen verstanden hat. Wir werden später gelegentlich auf eine Schilderung dieses Platzes, seiner Geschichte und Bevölkerung zurückkommen.

Nach einem Besuch auf dem schwedischen Konsulat machte ich mit Kapitän Larsen einen Besuch bei dem Gouverneur dieses kleinen Königreichs, Mr. Grey-Wilson, der uns auf das Zuvorkommendste empfing und uns einlud, den Sylvesterabend in seiner Familie zuzubringen. Später besuchte ich auch das im Hafen liegende Kriegsschiff, das uns schon am Morgen begegnet war und uns durch einen seiner Offiziere allen Beistand, dessen wir etwa bedürfen könnten, hatte anbieten lassen. Während sich die Kameraden mit den Einkäufen beschäftigten, die hier gemacht werden sollten, und namentlich Erkundigungen in Bezug auf die Anschaffung von Hunden einzogen, machte ich einen kurzen Ritt landeinwärts, um den Charakter der Landschaft zu studieren. Namentlich interessierten mich die für die Falklandsinseln charakteristischen »stone-rivers« oder Steinrinnen, für deren Erklärung alle Gelehrten, die diese Inseln seit Darwins Zeit besucht haben, Theorien aufzustellen bemüht gewesen sind. Sie scheinen gleichsam Denkmäler aus einer früheren Kälteperiode zu sein, ohne jedoch in direktem Zusammenhang mit einer das Land bedeckenden Eisschicht zu stehen, für die alle Beweise fehlen.

Dem Diner bei dem Gouverneur folgte ein angenehmer Abend mit Musik und Unterhaltung. Es war ein eigentümliches Gefühl, zu wissen, dass wir nun zum letzten Male einen Abend auf diese Weise, wie sie unter zivilisierten Menschen üblich ist, verbrachten. Um Mitternacht brachen wir auf, jetzt aber war das Wetter umgeschlagen, in strömendem Regen und heulendem Wind standen wir auf der Brücke und warteten, dass jemand unsere Signale bemerken und uns ein Boot von der »Antarctic« schicken sollte. Als wir schliesslich an Bord gelangten, herrschte dort ein munteres Leben. Alle, die nicht an Land waren, hatten sich im Gunroom versammelt, um das neue Jahr zu begrüssen, von dem wir alle so viel erhofften. Auch dort wurden Reden gehalten, ertönte Musik und Gesang, wenn auch von einfacherer Art als die uns eben gebotenen Genüsse. Ich nahm eine Weile teil an dem Fest, zog mich aber doch bald zurück, um in meiner Kabine nach Hause zu schreiben.

Selten habe ich eine so stimmungsvolle Stunde verbracht wie diese. Der Jahreswechsel, der Abschied, die Gefühle der letzten Stunden, alles vereinigte sich zu einem Eindruck, den man nie wieder vergessen kann. Wenn mein Brief sein Ziel erreichte, würden wir auf unberechenbare Zeit von Eis umschlossen sein.

Der Neujahrstag des Jahres 1902 begann hell und schön, und wir begaben uns alle früh an Land, um bis zu der auf den Nachmittag festgesetzten Abreise fertig zu sein. Eine Person an Land hatte es übernommen, eine Anzahl Hunde zur Auswahl zu sammeln, und schon aus der Entfernung hörten wir ein Geheul und ein Bellen, das uns den Weg zu dem Platz zeigte, wo ungefähr zwanzig Tiere, alle von schottischer Schäferhundrasse, zur Ansicht bereit standen. Einer von ihnen, auf den Namen Jim hörend, war ein gänzlich wildes Tier, das nach Hunden und Menschen um sich biss, namentlich schien es einen grossen schwarzen Hund, Tom, mit tödlichem Hass zu verfolgen. Diese beiden nahmen wir mit, in der Hoffnung, dass sich ihre Wildheit in nützliche Arbeit werde verwandeln lassen, sonst aber war es schwer, eine Wahl zu treffen, da niemand von uns irgend welche Erfahrung in Bezug auf die Eigenschaften dieser Hunde besass. Der Besitzer hatte die Gelegenheit benutzt, um ziemlich unverschämte Preise zu fordern, namentlich, wenn man bedenkt, dass natürlich nur solche Tiere angeboten wurden, die sich zu Wachthunden als nicht geeignet erwiesen hatten. Da ich im übrigen grosses Misstrauen in Bezug auf die Brauchbarkeit dieser Hunde hegte, nahm ich nur acht Stück mit, die sofort an Bord der »Antarctic« gebracht wurden.

Wir hatten den Gouverneur und seine Frau, den Konsul sowie eine Anzahl anderer Herren und Damen der Gesellschaft von Port Stanley eingeladen, an Bord zu kommen und unser Schiff zu besichtigen. So füllte sich denn während des Vormittags die »Antarctic« mit einer interessierten Schar Insulaner, die auf alle denkbare Weise wetteiferten, uns ihr Wohlwollen zu erkennen zu geben und uns Glück und Erfolg für unsere Fahrt wünschten.

Die Gärten der Stadt hatten einen grossen Tribut an Blumen zollen müssen, die man uns überreichte. Im Gunroom waren Wein, Obst und Süssigkeiten aufgetragen, und der Gouverneur verlieh in einem Toast den Glückwünschen der ganzen Versammlung Ausdruck. Noch lange nachher entdeckten wir draussen auf dem Meere zurückgelassene Beweise des Wohlwollens, das unsere Gäste beseelte, die fast unschlüssig erschienen, ob sie uns unserm Schicksal überlassen sollten.

Aber alles hat ein Ende, und trotz allen Zuredens wollten wir auch hier keine Stunde unnötig vergeuden. Unsere Gäste begaben sich an Land, und mit den zurückkehrenden Booten kamen auch die letzten von unserer Expedition an Bord, die aus irgend einem Grunde noch an Land geblieben waren. Der allerletzte war unser in Buenos Aires neu angeheuerter Zimmermann, ein Original ersten Ranges. Er hatte alle Meere der Erde befahren und an allen Küsten Schiffbruch gelitten, überall hatte er Freunde und alte Bekannte, vor allem aber, glaube ich, in Port Stanley, von welchem Ort er sich nur schwer zu trennen schien. Um halb vier Uhr wurden die Anker gelichtet, und wir traten unsere neue Reise an.

Es stellte sich indes bald heraus, dass wir sehr wohl die Nacht noch hätten im Hafen bleiben können. Draussen stand ein heftiger Sturm uns gerade entgegen, und am nächsten Morgen um 8 Uhr lagen wir nach einer arbeitsvollen Nacht, die uns sehr viele Kohlen gekostet hatte, noch bei dem Leuchtturm von Kap Pembroke. Nun aber wurde der Wind besser und bei guter Fahrt konnten wir südwärts an der Küste entlang steuern, und diesen vorteilhaften Wind behielten wir bis zum nächsten Tage, wo ein Sturm aus Westen mit harten Böen einsetzte, der uns fast gänzlich am Vorwärtskommen hinderte. Das Fahrwasser vor der Staateninsel ist eins der gefährlichsten auf der Erde infolge der dort herrschenden starken Strömung im Verein mit dem stürmischen und nebeligen Klima, und man musste deshalb ausserordentlich vorsichtig sein, um der Küste nicht zu nahe zu kommen. Es griff unsern armen Kohlenvorrat sehr an, dass wir dort unter vollem Dampf liegen mussten, ohne auch nur aus der Stelle zu kommen. Am 5. Januar kam Land in Sicht, und wir erblickten den Leuchtturm bei St. Johns, den südlichsten auf der Welt. Endlich gegen Abend legte sich der Wind, und gegen die starke Strömung dampften wir nach der Neujahrsinsel, auf der das Observatorium liegt.

Die »Antarctic« im Hafen von Port Stanley

Schon um 4 Uhr des Morgens wurde das Boot ausgesetzt, und die magnetischen Instrumente mit mir nehmend, begab ich mich an Land, begleitet von Bodman und andern Kameraden. Die Insel ist ganz klein, mit einem offenen, halbrunden, rasenbewachsenen Plateau und ohne jegliche Vegetation, mit steilen Ufern und kleinen ausgerundeten Buchten, die einzigen Stellen, wo man an eine Landung denken kann. Sie ist bisher unbewohnt gewesen, jetzt ist aber in einer der Buchten ein kleiner Hafen eingerichtet. Auf einem sich windenden Pfad gelangt man den steilen Abhang hinan, und schwerere Gegenstände können mit einer Winde hinaufgewunden werden. Alles war noch still und öde auf der Insel, die Bewohner schliefen noch, und erst als wir gelandet waren, begegneten uns ein paar Soldaten, die eiligst an den Strand hinabkamen. Sobral übernahm die Unterhaltung mit ihnen und erklärte ihnen, wer wir waren. In ihrem Geleite begaben wir uns nach den Observatoriumsgebäuden hinauf, die auf dem höchsten Punkt des Plateaus liegen. Während der Wanderung kamen wir an den Baracken vorüber, die eine Menge Verwiesener und Gefangener beherbergen; sie werden jetzt mit Arbeiten am Observatorium und dem neuen Leuchtturm beschäftigt, der auf der Insel aufgeführt wird.

Port Stanley

Auch in den Observatoriumsgebäuden lagen noch alle im tiefsten Schlaf. Sobral pochte an die Tür, aber ohne den geringsten Erfolg. Ein junger Offizier, der da drinnen lag, erwachte allerdings, als er aber die wohlbekannte Stimme eines Kameraden hörte, den er weit weg glaubte, fasste er das ganze nur als eine Fortsetzung seiner Träume auf und schlief wieder ein. Schliesslich wurden unsere Bemühungen dennoch mit Erfolg gekrönt, und bald hatten wir Gelegenheit, die Bekanntschaft des ganzen wissenschaftlichen Personals, einschliesslich des Chefs, Kapitän Balvé, zu machen.

Das erste, was wir erfuhren, war, dass unsere Reise leider vergeblich gewesen war, da das magnetische Variationsinstrument der Station bisher noch nicht hatte aufgestellt werden können. Ein Vergleich konnte deswegen nicht stattfinden, und wir mussten uns damit begnügen, allerlei Verabredungen in Bezug auf unser wissenschaftliches Zusammenarbeiten wie auf einige gleichzeitige Observationen, die ausserhalb des eigentlichen internationalen Programms lagen, zu treffen. Wir besuchten auch das grossartige meteorologische Observatorium mit allen seinen kostbaren Apparaten, da wir aber sonst nichts ausrichten konnten, wollten wir nicht länger verweilen. Nachdem wir unsere allerletzten Briefe und Telegramme aufgegeben hatten, waren wir schon um 8 Uhr wieder auf dem Wege an den Strand hinab.

Skottsberg hatte inzwischen eine lange Wanderung unternommen, um Proben der hier herrschenden Vegetation zu sammeln. Die Insel besitzt auch ein reiches Tierleben, Überreste aus jener Zeit, als nur selten ein Mensch den Fuss auf diese Insel setzte. Draussen auf der Nordwestspitze sieht man einen Brutplatz für unzählige Kormorane, die dort mit einer Menge Pinguine zusammen leben. Die Luft wird schwarz von den Schwärmen, wenn man sich nähert und sie auf irgend eine Weise aufscheucht. Zwischen den Klippen unten am Strande leben noch grosse Scharen von Seelöwen, stattliche Tiere mit ihrer langen Mähne und ihrer brüllenden Stimme. Sie hatten gerade jetzt Junge, was uns veranlasste, näher heranzugehen und sie zu beobachten, ohne dass sie irgend welche Angst bekundeten.

Im Gegensatz zu der kleinen, verhältnismässig kahlen Neujahrsinsel zeichnet sich die Staateninsel durch ihre üppige Vegetation aus; in den dichten, undurchdringlichen Wäldern wächst u. a. die immergrüne Buche (Fagus betuloides), die feuerländische Magnolia mit ihren grossen, weissen Blüten (Drimys Winteri), Berberitzenarten mit prächtigen gelblich-roten Blütendolden in verschiedenen interessanten Formen. Hiervon bekamen wir jedoch diesmal nichts zu sehen.

Während wir an Land waren, hatten die Geologen einen Dredschzug mit guter Ausbeute auf der seichten Sandbank gemacht. Namentlich zeichnete sich dieser Ort durch seinen Reichtum an roten Kalkalgen aus.

Jetzt nur noch ein letzter Gruss dem letzten bewohnten Ort, den letzten Menschen ausser uns, die wir während langer Monate und Jahre sehen sollen, und dann geht die Fahrt wieder südwärts. Wir steuern an der Küste entlang, und mit einer eigentümlichen Empfindung denkt man daran, dass diese Hügel mit ihren hohen, scharf geformten Spitzen, hier und da mit einzelnen Schneeflächen bedeckt, die äussersten Ausläufer der längsten Bergkette der Erde bilden, die von hier aus fast ununterbrochen quer durch alle Zonen der Erde läuft, um erst dem Nordpol bedeutend näher zu enden, als die Gegenden gelegen sind, von denen unsere Expedition ausgegangen ist. Wir biegen um die letzte Landzunge und steuern dann mit frischer Brise geradeswegs gen Süden, auf den Drakesund zu, wie man mit einem wenig zutreffenden Namen das breite Fahrwasser, das Amerika von den antarktischen Ländern trennt, nach seinem Entdecker genannt hat.

Es ist dies ein eigentümliches Gewässer, die Grenze zwischen zwei Weltteilen und zwischen zwei Weltmeeren. Gerne wären wir dort geblieben, um wissenschaftliche Arbeiten vorzunehmen, aber gerade auf dem Kurse, dem wir folgten, hatte die Belgica-Expedition eine Serie Lotungen und hydrographische Arbeiten vorgenommen; unter diesen Umständen hielten wir unsere Zeit für zu kostbar, um diese Untersuchungen zu wiederholen.

Wir glitten vor einer leichten Brise über das kaum bewegte Meer.

Wir erfreuten uns eines merkwürdig guten Wetters in Anbetracht dieser berüchtigten Gegend. Am 8. Januar hatten wir auf dem 58° s. Br. den herrlichsten Sommertag. Wir sassen im Sonnenschein oben auf dem Achterdeck und tranken unsern Kaffee, und mit einem Glase Punsch stiessen wir auf den Erfolg dessen an, was vor uns lag, worauf wir eine kleine Partie spielten.

Vogelleben auf der Neujahrsinsel. Sitzende und fliegende Kormorane

Der nächste Tag brachte ganz anderes Wetter. Die Temperatur des Meeres hatte sich nicht sehr verändert, sie betrug noch immer drei Grad Wärme, aber die Luft war kalt und schwer. Am Morgen hatten wir dichten Nebel, und am Abend erinnerten uns einige kleine Schneeflocken, dass die lange Reise jetzt hinter uns lag, dass wir quer über den warmen Gürtel der Erde in die Gegenden gelangt waren, wo selbst im Sommer Eis und Schnee Alleinherrscher sind.


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