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h) Zur Götzendämmerung.

Schluß einer verloren gegangnen Vorrede.

 

100.

... Hier kommt mir eine heitere Erinnerung. Ich erzähle, was ein kleines Buch mir erzählt hat, als es von seiner eisten deutschen Reise zurückkehrte. » Jenseits von Gut und Böse« ist sein Titel, – es war, unter uns gesagt, das Vorspiel zu einem Werke, von dem ich mich eben durch etwas »Müßiggang« erhole. Das kleine Buch sagte zu mir: »Ich weiß ganz gut, was mein Fehler ist: ich bin zu neu, zu reich, zu leidenschaftlich, – ich störe die Nachtruhe. Es giebt Worte in mir, die einem Gotte noch das Herz zerreißen, ich bin ein Rendezvous von Erfahrungen, die man nur 6000 Fuß über jedem menschlichen Dunstkreis macht: Grund genug, daß die Deutschen mich › verstanden‹ ...« Aber, antwortete ich, mein armes Buch, wie konntest du auch deine Perlen – vor die Deutschen werfen? Es war eine Dummheit! – Und nun erzählte mir das kleine Buch, was ihm begegnet war.

In der That, man hat sich seit 1871 nur zu gründlich in Deutschland über mich unterrichtet: der Fall bewies es. Ich wundere mich nicht, wenn man meinen Zarathustra nicht versteht: ein Buch so fern, so schön, daß man Götterblut in den Adern haben muß, um seine Vogelstimme zu hören. Aber jenes »Jenseits« nicht zu verstehen – das bewundere ich beinahe. Man versteht es überall, am besten in Frankreich, – Ein Referent der Nationalzeitung nahm das Buch als Zeichen der Zeit, als die echte, rechte Junker-Philosophie, zu der es der Kreuzzeitung nur an Muth gebreche. Ein kleines Licht der Berliner Universität erklärte, in der »Rundschau«, offenbar in Rücksicht auf seine eigne Erleuchtung, das Buch für psychiatrisch und citirte sogar Stellen dafür: Stellen, die das Unglück hatten, Etwas zu beweisen. – Ein Hamburger Blatt erkannte in mir den alten Hegelianer! Das Literarische Centralblatt gestand ein, »den Faden« für mich verloren zu haben (wann hat es ihn gehabt? –) und citirte, zur Begründung, ein paar Worte über den »Süden in der Musik«: als ob eine Musik, die nicht in Leipziger Ohren geht, damit aufhörte, Musik zu sein! Es bleibt dennoch wahr, was ich dort im Prinzip bekenne: il faut méditerraniser la musique. – Eine theologische Unschuld gab mir zu verstehn, mir liege gar nichts an der Logik, sondern einzig an »schönem Stile«: wie könne man ernst nehmen, was ich selbst so wenig ernst nähme? – Dies Alles mag noch hingehn. Wer ich habe Fälle erlebt, wo das »Verständniß« das Maß des Menschlichen überschritt. Ein Schweizer Redakteur, vom »Bund«, wußte dem genannten Werke nichts Anderes zu entnehmen, als daß ich mit demselben die Abschaffung aller anständigen Gefühle beantragte: man steht, er hatte sich bei den Worten »jenseits von Gut und Böse« wirklich Etwas gedacht ... Aber einem solchen Falle war meine Humanität noch immer gewachsen. Ich dankte ihm dafür, ich gab ihm selbst zu verstehn, Niemand habe mich besser verstanden, – er hat's geglaubt ... Ein Jahr darauf behandelte dasselbe Blatt meinen Zarathustra, das tiefste Buch der Menschheit, als höhere Stilübung, mit geistreichen Winken über die Unvollkommenheit meines Stils ...

– Und ich hatte mein Vergnügen an dem Allen: was sollte ich's verschweigen? Man ist nicht umsonst Einsiedler. Das Gebirge ist ein stummer Nachbar; es vergehen Jahre, ohne daß Einen ein Laut erreichte. Aber der Anblick des Lebenden erquickt: man läßt endlich alle »Kindlein« zu sich kommen, man streichelt jede Art Gethier noch, selbst wenn es Hörner hat. Nur der Einsiedler kennt die große Toleranz. Die Liebe zu den Thieren – zu allen Zeiten hat man die Einsiedler daran erkannt ...

Sils-Maria, Oberengadin,
Anfang September 1888.


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