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f) Zur Fröhlichen Wissenschaft.

1. Erste Gedanken zur Vorrede.

 

81.

Der triumphirende Zustand, aus dem dies Buch hervorgieng, ist schwer zu begreifen. Ein Stück graues eiskaltes Greisenthum, an der unrechtesten Stelle des Lebens eingeschaltet, die Tyrannei des Schmerzes überboten durch die Tyrannei des Stolzes, der die Folgerungen des Schmerzes ablehnt, die Vereinsamung als Nothwehr gegen eine krankhaft-hellseherische Menschen-Verachtung und deshalb noch als Erlösung geliebt und genossen, andrerseits ein Verlangen nach dem Bittersten, Herbsten, Wehethuendsten der Erkenntniß. Das Bewußtsein des Widerwillens gegen Alles, was hinter mir lag, gepaart mit einem sublimen Willen zur Dankbarkeit dafür: welche nicht zu fern von dem Gefühl des Rechts auf eine lange Rache war.

 

82.

Ein durch Kriege und Siege gekräftigter Geist, dem die Eroberung, das Abenteuer, die Gefahr, der Schmerz sogar, zum Bedürfniß geworden ist; eine Gewöhnung an scharfe hohe Luft, an winterliche Wanderungen, an Eis und Gebirge in jedem Sinne! eine Art sublimer Bosheit und letzten Muthwillens der Rache, – denn es ist Rache darin, Rache am Leben selbst, wenn ein Schwer-Leidender das Leben unter seine Protektion nimmt.

 

83.

Der übermüthige, unruhige Zustand!

Eine Lustbarkeit vor einer großen Unternehmung, zu der man jetzt endlich die Kraft bei sich zurückkehren fühlt: wie Buddha sich zehn Tage den weltlichen Vergnügungen ergab, als er seinen Hauptsatz gefunden.

Allgemeiner Spott über alles Moralistren von heute. Vorbereitung zu Zarathustra's naiv-ironischer Stellung zu allen heiligen Dingen (neue Form der Überlegenheit: das Spiel mit dem Heiligen).

Über das Mißverständnis; der »Heiterkeit«. Zeitweilige Erlösung von der langen Spannung, – der Übermuth, die Saturnalien eines Geistes, der sich zu langen und furchtbaren Entschließungen weiht und vorbereitet. Der »Narr« in der Form der »Wissenschaft«.

NB. Zarathustra, der auf eine heilige Weise allen heiligen Dingen Muth und Spott entgegenstellt und seinen Weg zum Verbotensten, Bösesten, mit Unschuld geht – – –

 

84.

Es gehört zu den Dingen, die ich nicht vergessen werde, daß man mir zu diesem Buche des » gai saber« mehr Glückwünsche gesagt hat, als zu allen übrigen zusammen: man war plötzlich mit mir versöhnt, man zeigte sich wieder entgegenkommend und liebreich, alle Welt sah darin Genesung, Rückkehr, Heimkehr, Einkehr – nämlich als Rückkehr zu »aller Welt«.

Abgesehen von einigen Gelehrten, deren Eitelkeit an dem Worte »Wissenschaft« Anstoß nahm (– sie gaben mir zu verstehen, dies sei fröhlich vielleicht, sicherlich aber nicht »Wissenschaft« –), war alle Welt davon erbaut.

 

85.

Zum Tanzlied » An den Mistral«.

Möge Niemand glauben, daß man unversehens und mit beiden Füßen eines Tags in einen solchen herzhaften Zustand der Seele hineinspringt, dessen Zeugniß oder Gleichniß das eben abgesungene Tanzlied sein mag (eine solche herzhafte und ausgelassene Frohmüthigkeit ist mir am wenigsten angeboren). Bevor man solchermaßen tanzen lernt, muß man gründlich gehn und laufen gelernt haben. Und schon auf eignen Beinen stehn ist Etwas, für das, wie mir scheint, immer nur Wenige vorbestimmt sind. In der Zeit, wo man sich zuerst auf den eignen Gliedmaßen hinauswagt und ohne Gängelbänder und Geländer, in den Zeiten der ersten jungen Kraft und aller Anreize eines eignen Frühlings, ist man am schlimmsten gefährdet und geht oft schüchtern, verzagt, wie ein Entlaufener, wie ein Verbannter, mit einem zitternden Gewissen und mit wunderlichem Mißtrauen seines Wegs.

2. Erste Fassung des »Epilogs« (Aph. 383).

 

86.

Epilog. – Aber indem ich zum Schluß dieses düstere Fragezeichen langsam, langsam hinmale und eben noch Willens bin, meinen Lesern die Tugenden des rechten Lesens – oh was für vergessene und unbekannte Tugenden! – in's Gedächtnis; zu rufen, begegnet mir's, daß um mich das boshafteste, munterste, koboldigste Lachen laut wird: die Geister meines Buches selber fallen über mich her, ziehn mich an den Ohren und rufen mich zur Ordnung: »Wir halten es nicht mehr aus! Oh über diesen schauerlichen Versucher und Gewissens-Störenfried! Willst du uns denn bei der ganzen Welt den Ruf verderben? Unsern guten Namen anschwärzen? Uns Zunamen anhängen, die sich nicht nur in die Haut einfressen? – Und wozu am hellen blauen Tage diese düstern Gespenster, diese moralischen Gurgeltöne, diese ganze tragische rabenschwarze Musik! Sprichst du Wahrheiten: nach solchen Wahrheiten können keine Füße tanzen, also sind es noch lange keine Wahrheiten für uns! Ecce nostrum veritatis sigillum! Und hier ist Rasen und weicher Grund: was gäbe es Besseres als geschwind deine Grillen wegjagen und uns, nach deiner Nacht, einen guten Tag machen? Es wäre endlich Zeit, daß sich wieder ein Regenbogen über dies Land ausspannte und daß uns Jemand sanfte tolle Lieder zu hören und Milch zu, trinken gäbe: – wir Alle haben wieder Durst nach einer frommen, von Herzen thörichten und milchichten Denkungsart.« – Meine Freunde, ich sehe es, ihr verliert meine Geduld, – und wer sagt euch, daß ich nicht längst schon gerade darauf wartete? Aber ich bin zu eurem Willen; und ich habe auch, was ihr braucht. Seht ihr nicht dort meine Heerden springen, alle meine zarten, sonnigen, windstillen Gedanken-Lämmer und Gedanken-Böcke? Und hier steht auch für euch schon ein ganzer Eimer Milch bereit: habt ihr aber erst getrunken – denn ihr dürstet alle nach Tugend, ich sehe es, – so soll es nicht an Liedern fehlen, wie ihr sie wollt! Anzufangen mit einem Tanzliede für die muntersten Beine und Herzen: und wahrlich, wer es singt, der thut es Einem zu Ehren, der Ehre verdient, einem der Freiesten unter freien Geistern, der alle Himmel wieder hell und alle Meere brausen macht. –


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