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3. Aus dem Vorreden-Material.

(1885-88.)

a) Allgemeines.

 

1.

Über wie viel Zufälliges bin ich Herr geworden! Welch schlechte Luft blies mich an, als ich Kind war! Wann waren die Deutschen dumpfer, ängstlicher, muckerhafter, kriecherischer, als in jenen fünfziger Jahren, in denen ich Kind war!

 

2.

Als ich zwölf Jahre alt war, erdachte ich mir eine wunderliche Drei-Einigkeit: nämlich Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Teufel. Mein Schluß war, daß Gott, sich selber denkend, die zweite Person der Gottheit schuf: daß aber, um sich selber denken zu können, er seinen Gegensatz denken mußte, also schaffen mußte. – Damit fieng ich an zu philosophiren.

 

3.

Man muß zu heftigen Bewunderungen fähig sein und mit Liebe vielen Sachen in's Herz kriechen: sonst taugt man nicht zum Philosophen. Graue kalte Augen wissen nicht, was die Dinge werth sind; graue kalte Geister wissen nicht, was die Dinge wiegen. Aber freilich: man muß eine Gegenkraft haben: einen Flug in so weite hohe Fernen, daß man auch seine bestbewunderten Dinge tief, tief unter sich sieht, und sehr nahe Dem, was man vielleicht verachtete. – Ich habe meine Proben gemacht, als ich mich weder durch die große politische Bewegung Deutschlands, noch durch die künstlerische Wagner's, noch durch die philosophische Schopenhauer's von meiner Hauptsache habe abspänstig machen lassen: doch ward es mir schwer, und zeitweilig war ich krank daran.

 

4.

Als ich jung war, bin ich einer gefährlichen Gottheit begegnet, und ich möchte Niemandem das wiedererzählen, was mir damals über die Seele gelaufen ist – sowohl von guten als von schlimmen Dingen. So lernte ich bei Zeiten schweigen, sowie daß man reden lernen müsse, um recht zu schweigen: daß ein Mensch mit Hintergründen Vordergründe nöthig habe, sei es für Andere, sei es für sich selber: denn die Vordergründe sind einem nöthig, um von sich selber sich zu erholen, und um es Anderen möglich zu machen, mit uns zu leben.

 

5.

1. Geburt der Tragödie
Artisten-Metaphysik.
2. Unzeitgemäße Betrachtungen
I. Der Bildungsphilister. Der Ekel.
II. Leben und Historie – Grundproblem.
III. Der philosophische Einsiedler. »Erziehung«.
IV. Der Künstler-Einsiedler. Was an Wagner zu lernen ist.
3. Menschliches, Allzumenschliches
Der freie Geist.
4. Vermischte Meinungen und Sprüche
Der Pessimist des Intellekts.
5. Der Wanderer und sein Schatten
Einsamkeit, als Problem.
6. Morgenröthe
Moral als eine Summe von Vorurtheilen.
7. Fröhliche Wissenschaft
Hohn über die europäische Moralistik. Aussicht auf eine Überwindung der Moral. Wie müßte ein Mensch beschaffen sein, der jenseits lebte? – Zarathustra – – –

 

6.

Die genannten Schriften (3-7), sorgsam und langwierig befragt, möchten als Mittel benutzt werden, um vielleicht den Zugang zum Verständniß eines noch höheren und schwierigeren Typus zu erschließen, als es selbst der Typus des freien Geistes ist: – es führt kein andrer Weg zum Verständniß.

 

7.

Allen seinen natürlichen Hängen zu widerstehen und es zu versuchen, ob nicht auch vom entgegengesetzten Hange Etwas in uns ist: eine nützliche Sache, obwohl sie viel Unbehagen mit sich bringt. Wie wenn ein Mensch aus einer gewohnten trocknen Luft in ein feuchtes Klima versetzt wird. Es verlangt einen unerschütterlichen Willen – und wenn meine Denkweise Nichts verlangt als Dies, so ist schon ein Grund, weshalb sie wenige Anhänger haben wird, Ein solch starker und doch geschmeidiger Wille ist zu selten.

 

8.

Hat schon je ein Mensch auf dem Wege der Wahrheit gesucht, wie ich es bisher gethan habe, – nämlich Allem widerstrebend und zuwiderredend, was meinem nächsten Gefühle wohlthat?

 

9.

So wie ich über moralische Dinge denke, bin ich zu langem Stillschweigen verurtheilt gewesen. Meine Schriften enthalten diesen und jenen Wink; ich selber stand kühner dazu; schon in meinem 28. Jahre verfaßte ich für mich ein Promemoria »über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne«. Ich bin sogar mit Menschen umgegangen, welche sich auf ihre Art mit Moral beschäftigten; sie werden mir bezeugen, daß ich nie auf meine Art mit ihnen von Moral gesprochen habe. Jetzt, wo ich einen freieren Überblick über diese Zeit habe und Vieles mir erlaube, was ich früher für unerlaubt gehalten hätte, sehe ich keine Gründe mehr, hinter dem Berge zu halten, »Daß die ›Wahrheit‹ in diesen Dingen schädlich ist«, um mich der Sprache der moralischen Hypokriten zu bedienen, und daß sie Viele zu Grunde richten kann, gebe ich zu: aber »schädlich sein« und »zu Grunde richten« gehört so gut zu den Aufgaben des Philosophen wie »nützlich sein« und »aufbauen«. –

 

10.

Ich werde Jahr für Jahr offenherziger, in dem Maße, in welchem mein Blick für dieses 19. Jahrhundert, für dies Jahrhundert der großen moralischen Tartüfferie, tiefer und tiefer wird; ich finde immer weniger Gründe, heute – hinter dem Berge zu halten. Welche Meinungen könnten heute gefährlich sein, wo Nichts mehr »in tiefe Brunnen« fällt! Und wären sie gefährlich und zerstörerisch: es ist wünschenswerth, daß Vieles umfällt, damit Vieles gebaut werden muß.

 

11..

Die Menschen können den Ton des Versprechens und den Ton der Erfüllung nicht zusammen hören: denn sie haben sich aus dem Versprechen Etwas herausgehört, das nicht darin war. – So ich; ich versprach Wahrheits-Härte, – freilich mit manchem phantastischen Ausdrucke: und nun habe ich diesen unschuldigen Kindern ihren Milchtopf umgestoßen,

 

12.

Nach langen Jahren, welche aber nichts weniger waren als lange Unterbrechungen, fahre ich fort, auch öffentlich Das wieder zu thun, was ich für mich immer thue und immer gethan habe: nämlich Bilder neuer Ideale an die Wand zu malen.

 

13.

Nichts im Kopfe als eine persönliche Moral: und mir ein Recht dazu zu schaffen ist der Sinn aller meiner historischen Fragen über Moral. (Es ist nämlich schrecklich schwer, dies Recht sich zu schaffen!)

 

14.

Ein böses Buch einmal zu machen, schlimmer als Macchiavell und – Mephistopheles, jener sehr deutsche und mild-boshafte unterthänigste Teufel!

Seine Eigenschaften: grausam (Lust am Zusehn, wie ein schöner Typus zu Grunde geht);

verführerisch (einladend zur Lehre, daß man das Eine und auch das Andere sein müsse);

spöttisch gegen die Tugenden des Mönchs, des Philosophen, den wichtigthuerischen Künstler u. s. w. auch den guten braven Heerden-Menschen;

vornehm gegen das Neugierige, Zudringliche, Pöbelhafte der Erkennenden, ebenso gegen das Zopfige, Duckmäuserhafte; kein Lachen, kein Zorn.

 

15.

Hier kommt eine Philosophie – eine von meinen Philosophien – zu Worte, welche durchaus nicht »Liebe zur Weisheit« genannt sein will, sondern sich, aus Stolz vielleicht, einen bescheidneren Namen ausbittet: einen abstoßenden Namen sogar, der schon seinerseits dazu beitragen mag, daß sie bleibt, was sie sein will: eine Philosophie für mich – mit dem Wahlspruch: satis sunt mihi pauci, satis est unus, satis est nullus. – Diese Philosophie nämlich heißt sich selber: die Kunst des Mißtrauens und schreibt über ihre Hausthür: μέμνησ άπιστείν .

 

16.

Wenn ich an meine philosophische Genealogie denke, so fühle ich mich im Zusammenhang mit der antiteleologischen, d. h, spinozistischen Bewegung unsrer Zeit, – doch mit dem Unterschied, daß ich auch »den Zweck« und »den Willen« in uns für eine Täuschung halte;

ebenso mit der mechanistischen Bewegung (Zurückführung aller moralischen und ästhetischen Fragen auf physiologische, aller physiologischen auf chemische, aller chemischen auf mechanische), – doch mit dem Unterschied, daß ich nicht an »Materie« glaube und Boscovich für einen der großen Wendepunkte halte, wie Copernicus;

daß ich alles Ausgehen von der Selbstbespiegelung des Geistes für unfruchtbar halte und ohne den Leitfaden des Leibes an keine gute Forschung glaube. Nicht eine Philosophie als Dogma, sondern als vorläufige Regulative der Forschung.

 

17.

Der Wille zum System: bei einem Philosophen, moralisch ausgedrückt, eine feinere Verderbtheit, eine Charakter-Krankheit; – unmoralisch ausgedrückt, sein Wille sich dümmer zu stellen als er ist – dümmer, das heißt: stärker, einfacher, gebietender, ungebildeter, commandirender, tyrannischer ...

 

18.

... An dieser Stelle weiterzugehn überlasse ich einer andern Art von Geistern, als der meine es ist. Ich bin nicht bornirt genug zu einem System – und nicht einmal zu meinem System ...

 

19.

Man bemerkt bei meinen früheren Schriften einen guten Willen zu unabgeschlossenen Horizonten, eine gewisse kluge Vorsicht vor Überzeugungen, ein Mißtrauen gegen die Vezauberungen und Gewissens-Überlistungen, welche jeder starke Glaube mit sich bringt. Mag man darin zu einem Theile die Behutsamkeit des gebrannten Kindes, des betrogenen Idealisten sehen – wesentlicher erscheint mir der epikureische Instinkt eines Räthselfreundes, der den änigmatischen Charakter der Dinge sich nicht leichten Kaufs nehmen lassen will, – am wesentlichsten endlich ein ästhetischer Widerwille gegen die großen, tugendhaften, unbedingten Worte, ein Geschmack, der sich gegen alle plumpen, viereckigen Gegensätze zur Wehr setzt, ein gut Theil Unsicherheit in den Dingen wünscht und die Gegensätze wegnimmt, als Freund der Zwischenfarben, Schatten, Nachmittagslichter und endlosen Meere.

 

20.

In Aphorismen-Büchern gleich den meinigen stehen zwischen und hinter kurzen Aphorismen lauter verbotene lange Dinge und Gedanken-Ketten, und Manches darunter, das für Oedipus und seine Sphinx fragwürdig genug sein mag. Abhandlungen schreibe ich nicht: die sind für Esel und Zeitschriften-Leser. Ebensowenig Reden. Meine »unzeitgemäßen Betrachtungen« richtete ich als junger Mensch an junge Menschen, welchen ich von meinen Erlebnissen und Gelöbnissen sprach, um sie in meine Labyrinthe zu locken, – an deutsche Jünglinge: aber man überredet mich zu glauben, daß die deutschen Jünglinge ausgestorben seien. Wohlan, so habe ich keinen Grund mehr, in jener früheren Manier »beredt« zu sein. Damals schämte ich mich noch nicht, »beredt« zu sein; heute – könnte ich es vielleicht nicht mehr. Wer Tags, Nachts und Jahrein Jahraus mit seiner Seele im vertraulichsten Zwiste und Zwiegespräche zusammengesessen hat, wer in seiner Höhle – es kann ein Labyrinth oder auch ein Goldschacht sein – zum Höhlenbär oder Schatzgräber wurde, wer wie ich sich allerhand Gedanken, Bedenken und Bedenkliches durch den Kopf über das Herz laufen ließ und läßt, das er nicht immer mittheilen würde, selbst wenn er Geister seiner Art und ausgelassene tapfere Kameraden um sich hätte: dessen Begriffe selber erhalten zuletzt eine eigene Zwielicht-Farbe, einen Geruch ebensosehr der Tiefe als des Moders, etwas Unmittheilsames und Widerwilliges, welches jeden Neugierigen kalt anbläst: – und eine Einsiedler-Philosophie, wenn sie selbst mit einer Löwenklaue geschrieben wäre, würde doch immer wie eine Philosophie der »Gänsefüßchen« aussehn.

 

21.

Ich habe manche nicht unbedenkliche Versuche gemacht, um mir Menschen heranzulocken, denen ich von so seltsamen Dingen reden könnte: alle meine Schriften waren bisher ausgeworfne Netze: ich wünschte Menschen mit tiefen, reichen und ausgelassenen Seelen mir dazu einzusaugen.

(Aber an wen sich wenden? Meinen längsten Versuch machte ich an jenem vielfachen und geheimnißvollen Menschen, dem vielleicht von den Menschen dieses Jahrhunderts die meisten guten und schlimmen Dinge über die Seele gelaufen sind, an Richard Wagner. Später gedachte ich die deutsche Jugend zu »verführen« – denn es ist mir gut bekannt, wie gefährlich es in den zwanziger Jahren in einem Deutschen zugeht. Noch später machte ich mir eine Sprache für verwegene Mannsköpfe und Mannsherzen zurecht, die irgendwo in einem Winkel der Erde auf meine wunderlichen Dinge warten möchten. Endlich – doch man wird es nicht glauben, zu welchem »endlich« ich gelangte. Genug, ich erdichtete »Also sprach Zarathustra«.)

Soll ich es gestehen? Ich fand Keinen bisher, aber immer wieder irgend eine wunderliche Form jener »rasenden Dummheit«, welche sich gern noch als Tugend anbeten lassen möchte; ich nenne sie am liebsten »die moralische Tartüfferie«, ehre sie als das Laster unsres Jahrhunderts und bin bereit, ihr noch hundert Fluchworte beizugesellen.

 

22.

Diesem mesquinen Zeitalter, mit dem ich mich nun einmal irgendwie abfinden muß, eine Probe davon zu geben, was Psychologie im großen Stile ist, hat eigentlich keinen Sinn; – wer käme mir auch nur mit dem Tausendstel von Leidenschaft und Leiden entgegen, um begreifen zu können, wie man zum Wissen in solchen fremden und entscheidenden Dingen kommt?

Und was muß Einer Alles in sich erlebt haben, um mit seinen fünfundzwanzig Jahren die Geburt der Tragödie zu concipiren?

Ich habe mich nie beklagt über das Unbeschreibliche meiner Entbehrung, nie einen verwandten Laut zu hören, nie von gleichem Leiden und Willen.

Ich selbst kenne in keiner Litteratur Bücher, welche diesen Reichthum an seelischen Erfahrungen hätten, und dies vom Größten bis zum Kleinsten und Raffinirtesten. Daß dies außer mir im Grunde Niemand sieht und weiß, hängt an der Thatsache, daß ich verurtheilt bin, in einer Zeit zu leben, wo das Rhinozeros blüht, und noch dazu unter einem Volke, welchem in psychologischen Dingen überhaupt noch jede Vorschulung fehlt, (einem Volk, das Schiller und Fichte ernst genommen hat!!).

 

23.

Welche Art Menschen mag sich beim Lesen meiner Schriften schlecht befinden? (– von denen, wie billig, abgesehn, welche sie überhaupt »nicht verstehen«, wie die gebildeten Schweine und Großstadt-Gänse, oder die Pfarrer, oder die »deutschen Jünglinge«, oder Alles, was Bier trinkt und nach Politik stinkt). Da sind z. B. die Litteraten, welche mit dem Geiste Schacher treiben und von ihren Meinungen »leben« wollen, – sie haben nämlich entdeckt, daß Etwas an einer Meinung (wenigstens an gewissen Meinungen) ist, das Geldes Werth hat, – gegen sie bläst aus meinen Schriften ein beständiger Hauch eisiger Verachtung. Insgleichen beglücke ich schwerlich die Litteratur-Weiberchen, wie sie zu sein pflegen, mit krankhaften Geschlechts-Werkzeugen und Tintenklexen an den Fingern; vielleicht weil ich zu hoch vom Weibe denke, als daß ich es zum Tintenfische heranbringen mochte? Insgleichen verstehe ich, warum alle geschwollenen Agitatoren mir gram sind: denn sie brauchen gerade die großen Worte und den Lärm tugendhafter Prinzipien, welche ich ablehne, und sind, sobald sie einen Stich fühlen, in Gefahr zu platzen.

An all dieser Gegnerschaft ist mir wenig gelegen; aber es giebt eine andre, deren Wehe mir selbst wehthut: – das sind die aus dem Pöbel Sich-mühsam-Emporarbeitenden, die Menschen des sittlichen Durstes, der kämpfenden Spannung, die nach dem Vornehmen leidenschaftlich Verlangenden, Ihnen muß es scheinen, als ob aus meinen Schriften sie ein ironisches Auge anblicke, das sich Nichts von ihrem kleinen Heldenthum entgehen läßt, – ein Auge, dem ihr ganzes kleines Elend, auch ihre Ermüdungen und was von Eitelkeit allen Müden noth thut, ihr Ameisen-Klettern und -Herabpurzeln beständig gegenwärtig ist. –

 

24.

Es giebt viele Dinge, gegen welche ich nicht nöthig gefunden habe zu reden: es versteht sich von selbst, daß mir der Litterat widerlich ist, daß mir alle politischen Parteien von heute widerlich sind, daß der Sozialist von mir nicht nur mit Mitleiden behandelt wird. Die beiden vornehmsten Formen Mensch, denen ich leibhaft begegnet bin, waren der vollkommene Christ – ich rechne es mir zur Ehre, aus einem Geschlechte zu stammen, das in jedem Sinne Ernst mit seinem Christenthum gemacht hat – und der vollkommene Künstler des romantischen Ideals, welchen ich tief unter dem christlichen Niveau gefunden habe: es liegt auf der Hand, daß, wenn man diesen Formen den Rücken gekehrt hat, weil sie Einem nicht genügen, man nicht leicht in einer anderen Art Mensch von heute sein Genüge findet, – insofern bin ich zur Einsamkeit verurtheilt, obwohl ich mir sehr gut eine Art Menschen denken kann, an der ich mein Vergnügen hätte.

 

25.

Und lieber gleich einer schwarzen halbzerstörten Veste allein auf seinem Berge sitzen, nachdenklich und still genug; also daß sich die Vögel selbst vor dieser Stille fürchten.

 

26.

Meine Schriften sind sehr gut vertheidigt: wer zu ihnen greift und sich dabei vergreift als Einer, der kein Recht auf solche Bücher hat – der macht sich sofort lächerlich –, ein kleiner Anfall von Wuth treibt ihn, sein Innerstes und Lächerlichstes auszuschütten: und wer wüßte nicht, was da immer herauskommt!

Die Unfähigkeit das Neue und Originale zu sehn: die plumpen Finger, die eine Nuance nicht zu fassen wissen, der steife Ernst, der über ein Wort stolpert und zu Falle kommt: die Kurzsichtigkeit, welche vor dem ungeheuren Reiche ferner Landschaften bis zur Blindheit sich steigert.

Habe ich mich je über mein Schicksal beklagt, zu wenig gelesen, so schlecht verstanden zu sein? Aber für wie Viele darf denn überhaupt etwas Außerordentliches geschaffen werden! – Meint ihr denn, daß Gott die Welt um der Menschen willen geschaffen hat?

 

27.

Man pflegt mich zu verwechseln: ich gestehe es ein; insgleichen daß mir ein großer Dienst geschehen würde, wenn jemand Anderes mich gegen diese Verwechselungen vertheidigte und abgrenzte. Aber wie gesagt, ich muß mir selbst zu Hülfe kommen: wozu geht man »auf eignen Wegen«?

 

28.

Es giebt Fälle, wo eine uns bezeugte Sympathie indignirt: z. B. unmittelbar nach einer außerordentlichen Handlung, die ihren Werth an sich hat. Aber man gratulirt uns, »daß wir mit ihr fertig sind«: u. s. w.

Ich habe bei meinen Kritikern häufig den Eindruck von Canaille gehabt. Nicht, was man sagt, sondern daß ich es sage, und inwiefern gerade ich dazu gekommen sein mag, dies zu sagen – das scheint ihr einziges Interesse, eine Juden-Zudringlichkeit, gegen die man in praxi den Fußtritt als Antwort hat. Man beurtheilt mich, um nichts mit meinem Werke zu thun zu haben: man erklärt dessen Genesis, – damit gilt es hinreichend für – abgethan.

 

29.

Ich achte die Leser nicht mehr: wie könnte ich für Leser schreiben? ... Aber ich notiere mich, für mich.

 

30.

Ich schreibe für mich selber: und welchen Sinn hätte Schreiben in diesem zerschriebenen Zeitalter! wenig: denn abgesehen von den Gelehrten versteht Niemand mehr zu lesen; – und auch die Gelehrten – –

 

31.

Ich will nicht besorgt sein: der Schutz tiefer Bücher liegt jetzt darin, daß die Meisten keine Zeit haben, sie tief zu nehmen, gesetzt sie hätten selbst die Kraft dazu.

 

32.

Ich will das höchste Mißtrauen gegen mich erwecken: ich rede nur von erlebten Dingen und präsentire nicht nur Kopf-Vorgänge.

 

33.

Ich selber bilde mir ein, den neuen Deutschen die reichsten, erlebtesten und unabhängigsten Bücher gegeben zu haben, die sie besitzen: ebenfalls, selber für meine Person ein capitales Ereigniß in der Krisis der Werthurtheile zu sein.

 

34.

Ich habe seltsame Dinge in Bezug auf Wirkung von meinen Büchern erlebt. Kürzlich traf der Brief eines alten reichen Holländers ein, welcher »Menschliches, Allzumenschliches« als seinen treuesten Lebensgesellen betrachtet; die »Geburt der Tragödie« hat vielleicht im Leben Richard Wagner's den größten Glücks-Klang hervorgebracht, er war außer sich, und es giebt wunderschöne Dinge in der Götterdämmerung, welche er in diesem Zustande einer unerwarteten äußersten Hoffnung hervorgebracht hat. Ich möchte wissen, ob dies Buch von Jemandem verstanden ist: seine Hintergründe gehören zu meinem persönlichsten Eigenthum. Zarathustra hat die Werthschätzungen von ein paar Jahrtausenden gegen sich; ich glaube absolut nicht daran, daß Jemand heute im Stande ist, seinen Gesammt-Ton klingen zu hören: auch setzt sein Verstehen eine solche philologische und mehr als philologische Arbeit voraus, wie sie heute Niemand daran setzen wird, aus Mangel an Zeit.


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