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b) Erste Aufzeichnungen zum »Fall Wagner«.

 

46.

I.

Das Mißverständniß über Richard Wagner ist heute in Deutschland ungeheuer: und da ich dazu beigetragen habe, es zu vermehren, will ich meine Schuld abtragen und versuchen, es zu verringern.

(Das fortsetzende Blatt fehlt).

II.

– Was ich selber einstmals, in meinen »jungen Jahren«, über Schopenhauer und Richard Wagner schrieb, und weniger schrieb als malte – vielleicht in einem allzuverwegenen, übermüthigen, überjugendlichen Alfresco – das will ich am wenigsten heute auf »wahr« und »falsch« hin in's Einzelne prüfen. Gesetzt aber, ich hätte mich damals geirrt: mein Irrthum gereicht zum Mindesten weder den Genannten, noch mir selber zur Unehre! Es ist etwas, sich so zu irren; es ist auch etwas, gerade mich dergestalt zum Irrthum zu verführen. Auch war es mir in jedem Falle eine unschätzbare Wohlthat, damals als ich »den Philosophen« und »den Künstler« und gleichsam meinen eigenen »kategorischen Imperativ« zu malen beschloß, meine neuen Farben nicht ganz in's Unwirkliche hinein, sondern gleichsam auf vorgezeichnete Gestalten aufmalen zu können. Ohne daß ich es wußte, sprach ich nur für mich, ja im Grunde nur von mir. Indessen: Alles, was ich damals erlebt habe, das sind für eine gewisse Art von Menschen typische Erlebnisse, welchen zu einem Ausdruck zu verhelfen mir Pflicht schien. Und wer mit einer jungen und feurigen Seele jene Schriften liest, wird vielleicht die schweren Gelöbnisse errathen, mit denen ich damals mich für mein Leben band, – mit denen ich mich zu meinem Leben entschloß: möchte er einer jener Wenigen sein, die sich zu einem gleichen Leben und zu gleichen Gelöbnissen entschließen – dürfen!

III.

Es gab einen Zeitpunkt, wo ich im Geheimen anfieng, über Richard Wagner zu lachen, damals, als er zu seiner letzten Rolle sich anschickte und mit den Gebärden eines Wundermannes, Heilverkünders, Propheten, ja sogar Philosophen vor den lieben Deutschen auftrat. Und da ich noch nicht aufgehört hatte, ihn zu lieben, so biß mich mein eignes Gelächter noch in's Herz: wie es zur Geschichte eines Jeden gehört, der von seinem Lehrer unabhängig wird und endlich seinen eignen Weg findet. In dieser Zeit entstand der hier folgende lebhafte Aufsatz, aus dem, wie mir scheint, mancher junge Deutsche auch heute noch seinen Gewinn ziehen kann: – ich selber, so wie ich jetzt gesinnt bin, würde Alles geduldiger, auch herzlicher und schonender gesagt wünschen. Inzwischen errieth ich Allzuviel von der schmerzlichen und schauerlichen Tragödie, welche hinter dem Leben eines solchen Menschen, wie Richard Wagner es war, verborgen liegt.

IV.

Welchen Werth Richard Wagner für den Nicht-Musiker haben mag, auch fürderhin behalten mag, diese Frage soll uns für jetzt noch erspart bleiben, Wagner hat ohne allen Zweifel den Deutschen dieses Zeitalters die umfänglichste Ahnung davon gegeben, was ein Künstler sein könnte: die Ehrfurcht vor »dem Künstler« ist plötzlich in's Große gewachsen: überall hat er neue Werthschätzungen, neue Begierden, neue Hoffnungen erweckt; und vielleicht nicht am wenigsten gerade durch das nur ankündigende, unvollständige, unvollkommene Wesen seiner Kunstgebilde. Wer hat nicht von ihm gelernt! wenn auch nicht so unmittelbar wie die Künstler des Vortrags und die Attitüden-Menschen jeder Art, so doch mindestens mittelbar, »bei Gelegenheit von Richard Wagner«, wie man sagen dürfte. Sogar die philosophische Erkenntniß hat keinen geringen Anstoß durch sein Erscheinen bekommen, daran ist nicht zu zweifeln. Es giebt heute eine Menge ästhetischer Probleme, von welchen, vor Wagner, auch die Feinsten noch keinen Geruch hatten, – vor Allem das Problem des Schauspielers und seines Verhältnisses zu den verschiedenen Künsten, nicht zu reden von psychologischen Problemen, wie sie der Charakter Wagner's und die Wagner'sche Kunst in Fülle vorlegt. Freilich: so weit er sich selber in das Reich der Erkenntniß begeben hat, verdient er kein Lob, vielmehr eine unbedingte Zurückweisung; den Gärten der Wissenschaft nahte er sich immer nur als der unbescheidenste und ungeschickteste Eindringling, und das »Philosophiren« Wagner's gehört zu den unerlaubtesten Arten der Dilettanterei; daß man darüber nicht einmal zu lachen verstanden hat, ist deutsch und gehört zum alten deutschen »Cultus der Unklarheit«. Will man ihm aber durchaus auch noch als einem »Denker« zu Ehren und Statuen verhelfen – der gute Wille und die Unterthänigkeit seiner Anhänger wird das sich nicht ersparen können – wohlan! so empfehle ich, ihn als den Genius der deutschen Unklarheit selber darzustellen, mit einer qualmenden Fackel in der Hand, begeistert und eben über einen Stein stolpernd. Wenn Wagner »denkt«, stolpert er. –

V.

Aber der Musiker Richard Wagner? – »Wagner und sein Ende«: das ist heute die Losung.

(Das fortsetzende Blatt fehlt).

VI.

Aber wir Freunde der Musik sind damit am Ende unserer Geduld. Wir haben so lange die beste Miene zum bösen Spiele der Wagnerei gemacht und mit Hülfe aller Tugenden und Aesthetiken uns einen ganzen langen Regentag hindurch zugeredet und ermahnt: »wie schön ist auch das schlechte Wetter! Wie viel Reize liegen im Unwetter und in schwarzen Wolken versteckt! Wie fein sich der Regen auf die »unendliche Melodie« versteht! Wie unvergleichlich leuchtet ein Blitz inmitten langer, grauer Trübsal! Und gar der Donner: wie schön ist die Chromatik des Donners!« Aber endlich, endlich wollen wir auch den aufgeklärten Himmel wieder sehn und zum Mindesten den schönen Abend haben, den wir verdienen, nach einem so tugendhaften, aber so bösen Tage! – Wirklich? Den Abend? Will es denn wirklich schon »Abend werden«? Geht nun auch noch unsre beste Kunst, die Musik, auf die Neige? ... Meine Freunde, hier ist Einer, der nicht mehr daran glaubt! Es ist noch lange nicht Zeit für den Abend! Und Wagner bedeutete weder den Tag, noch den Abend unsrer Kunst, – sondern nur einen gefährlichen Zwischenfall, eine Ausnahme und ein Fragezeichen, welches alle strengen Künstler-Gewissen auf die Probe gestellt hat! Noch zur rechten Zeit lernten wir Nein! sagen: jeder rechtschaffne und tiefe Musiker sagt heute Nein zu Wagner und zu sich selber, soweit er noch »wagnerisiert« – und zwar je gründlicher er gerade bei Wagner in die Schule gegangen, bei Wagner gelernt hat.

VII.

Es mag heute freilich schlimm um die geringer begabten, auch um die geld- und ehrgeizigen Musiker bestellt sein: es giebt gerade für sie ausgesuchte Verführungen in der Art Wagner's, Musik zu machen. Es ist nämlich leicht, mit Wagner'schen Mitteln und Kunstgriffen zu componiren, es mag auch bei dem demagogischen Verlangen heutiger Künstler nach Aufregung der »Massen« lohnbringender sein, nämlich »wirkungsvoller«, »überwältigender«, »schlagender«, »packender«, und wie die verräterischen Lieblingsworte des Theaterpöbels und der dilettantischen Schwärmer lauten. Aber was bedeutet zuletzt, in Sachen der Kunst, der Lärm und die Begeisterung von »Massen«! Gute Musik hat niemals ein »Publikum«: – sie ist und kann niemals »öffentlich« sein, sie gehört den Ausgesuchtesten zu, sie soll immer und allein – im Gleichnisse gesprochen – für die » camera« da sein. »Massen« fühlen Den heraus, der ihnen am besten zu schmeicheln versteht: sie sind auf ihre Art allen demagogischen Talenten dankbar und geben es ihnen zurück, so gut sie können. (Wie »Massen« zu danken verstehen, mit welchem »Geiste« und »Geschmacke«, dafür gab der Tod Viktor Hugo's ein belehrendes Zeugniß: ist in allen Jahrhunderten Frankreichs zusammen so viel Frankreich entwürdigender Unsinn gedruckt und geredet worden, wie bei dieser Gelegenheit? Aber auch bei dem Begräbnisse Richard Wagner's verstiegen sich die Schmeicheleien der Dankbarkeit bis hinauf zu dem »frommen« Wunsche »Erlösung dem Erlöser!« –)

VIII.

Es ist kein Zweifel, daß die Wagner'sche Kunst heute auf die Massen wirkt; daß sie das kann – sollte damit nicht über diese Kunst selber etwas ausgesagt sein? – Für drei gute Dinge in der Kunst haben »Massen« niemals Sinn gehabt, für Vornehmheit, für Logik und für Schönheit – pulchrum est paucorum hominum –: um nicht von einem noch besseren Dinge, vom großen Stile zu reden. Vom großen Stile steht Wagner am fernsten: das Ausschweifende und Heroisch-Prahlerische seiner Kunstmittel steht geradezu im Gegensatz zum großen Stile; und ebenso das Zärtlich-Verführerische, das Vielfältig-Reizende, das Unruhige, Ungewisse, Spannende, Augenblickliche, Heimlich-Überschwängliche, die ganze »übersinnliche« Maskerade kranker Sinne und was nur Alles im typischen Sinne »Wagnerisch« heißen darf. Vor Allem und zuerst die ergreifende Attitüde! Etwas, das umwirft und schaudern macht! Was liegt am »zureichenden Grunde«! Eine Art Vieldeutigkeit, selbst in der rhythmischen Phrasirung, gehört unter seine liebsten Kunstmittel, eine Art Trunkenheit und Traumwandeln, welches nicht mehr zu »folgern« weiß und einen gefährlichen Willen zum blinden Folgen und Nachgeben entfesselt. Es liegt im Unlogischen, Halblogischen viel Verführerisches – das hat Wagner gründlich errathen –: namentlich für Deutsche, bei denen Unklarheit als »Tiefe« empfunden wird. Die Männlichkeit und Strenge einer logischen Entwicklung war ihm versagt: aber er fand »Wirkungsvolleres«! »Die Musik, hat er gelehrt, ist immer nur ein Mittel: der Zweck ist das Drama.« Das Drama? Im Grunde sogar die Attitüde! – so wenigstens verstand es Wagner bei sich selber.

IX.

Man sehe nur unsre Frauen an, wenn sie »wagnetisirt« sind: welche »Unfreiheit des Willens«! Welcher Fatalismus im erlöschenden Blicke! Welches Geschehenlassen, Über-sich-ergehen-lassen! Vielleicht ahnen sie sogar, daß sie, in diesem Zustande des »ausgehängten« Willens, einen Zauber und Reiz mehr für manche Art Männer haben? –: welcher Grund mehr zur Anbetung ihres Cagliostro und Wundermannes! Bei den eigentlichen »Mänaden« der Wagner-Anbetung darf man unbedenklich sogar auf Hysterie und Krankheit schließen; irgend Etwas ist in ihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung; oder es fehlt an Kindern, oder, im erträglichsten Falle, an Männern.

X.

Etwas anders mag es mit den Wagnerischen Jünglingen bestellt sein: es ist vielleicht gerade die Freiheit des Willens, des Wagnerischen Willens, welche sie aus seiner vieldeutigen Kunst herauslesen; – und im Ganzen mag es das Gleiche sein, was gegen 1828 die leidenschaftlichen Jünger Victor Hugo's an ihrem Abgott ehrten und anbeteten. Diese Wagnerischen Jünglinge, in deren Glanz und jugendlichen Tugenden augenblicklich das Bild Wagner's selbst noch leuchtet, verehren in ihm den Meister großer Worte und Gebärden – Wagner's Musik ist immer Gebärde –, den Fürsprecher aller schwellenden Gefühle, aller erhabenen Begierden, sodann den wagenden Neuerer und Kettenlöser im Kampfe und Gegensätze zur älteren, strengeren, vielleicht beschränkteren Kunstschulung, den Eröffner neuer Zugänge, neuer Ausblicke, neuer Fernen, neuer Tiefen und Höhen der Kunst, endlich, und nicht am wenigsten: diese deutsche Jugend verehrt in Wagner einen Befehlshaber, Einen, der die Fähigkeit hat, zu kommandiren, auf sich allein zu stehen, auf sich allein zurückzuweisen, hartnackig zu sich selber Ja zu sagen, und immer im Namen des »auserwählten Volks«, der Deutschen! – kurz, das Volkstribunenhafte und Demagogische dieses Künstlers, das in seiner Natur lag; denn auch Wagner gehört zu den Demagogen der Kunst, die auf die Instinkte der Massen zu wirken wissen und eben damit auch die Instinkte solcher Jünglinge verführen, deren Begierde auf Macht gerichtet ist. Von welchem schlechten, ja abscheulichen Geschmack diese ganze »Selbst-in-Scene-Setzung« Wagner's ist, davon sehen solche begeisterte Jünglinge noch Nichts: die Jugend hat einmal das Recht zum schlechten Geschmack, – es ist ihr Recht. Will man aber kennen lernen, wohin die Unschuld und die unbedenkliche Bereitwilligkeit von Jünglingen durch einen alten umgetriebenen Rattenfänger des Geistes geführt und verführt werden kann, so werfe man einen Blick auf jenen litterarischen Sumpf, aus welchem zuletzt der angeworbene Meister mit seinen »Jungen« zu singen liebt (ist »Singen« das rechte Wort?) – ich meine die übel berufenen »Bayreuther Blätter«. Das ist wirklich ein Sumpf: Anmaßung, Deutschthümelei und Begriffs-Wirrwarr im trübsten Durcheinander, ein unausstehlicher Zucker »süßesten« Mitleidens darüber gegossen, dazwischen die nur theoretische Zuneigung zu grünen Gemüsen und eine zweckbewußte Rührseligkeit zu Gunsten der Thiere, dicht neben dem ungeschminkten, echten und gründlichen, auch durchaus untheoretischen Hasse auf die Wissenschaft, und überhaupt der Verhöhnung und Verunglimpfung alles Dessen, was Wagnern im Wege steht und stand, – wie stand seinem Einflusse die vornehmere Natur Mendelssohn's, die reinere Natur Schumanns im Wege! – dabei ein kluges Ausschielen nach neuen Hülfstruppen, ein »Entgegenkommen« nach der Seite mächtiger Parteien hin, zum Beispiel das vollends unsaubere Spielen und Äugeln mit christlichen Symbolen, – Wagner, der alte Atheist, Antinomist und Immoralist, ruft sogar einmal salbungsvoll das »Blut des Erlösers« an! – im Ganzen die Unbescheidenheit eines dick-umräucherten Oberpriesters, der über alle erdenklichen, gerade ihm gänzlich entzogenen und verbotenen Bereiche des Denkens seine dunklen Gefühle wie Offenbarungen verlautbart; und dies in einem Deutsch, einem eigentlichen Sumpf-Deutsch der Unklarheit und Übertreibung, wie es vielleicht selbst von den Deutsch-feindlichsten Schülern Hegel's nicht erreicht worden ist!

Was aber die Musik betrifft, die zu diesem Deutsch gehört, die Musik des »letzten Wagner«, so mögen ein paar Reime verraten, welche Gefährlichkeit dieser Parsifal-Musik innewohnt.

– Ist Das noch deutsch? –
Aus deutschem Herzen kam dies schwüle Kreischen?
Und deutschen Leibs ist dies Sich-selbst-Entfleischen?
Deutsch ist dies Priester-Händespreizen,
Dies weihrauch-düftelnde Sinne-Reizen?
Und deutsch dies Stocken, Stürzen, Taumeln,
Dies ungewisse Bibambaumeln?
Dies Nonnen-Äugeln, Ave-Glocken-Bimmeln,
Nies ganze falsch verzückte Himmel-Überhimmeln?
– Ist Das noch deutsch? –
Erwägt! Noch steht ihr an der Pforte: –
Denn, was ihr hört, ist Rom, – Rom's Glaube ohne Worte!

XI.

– Dieser letzte Wagner, im Grunde ein zerbrochner und überwundener Mensch, der aber die große Schauspielerei seines Lebens auf die Spitze brachte, dieser Wagner, der zuletzt gar noch von den »Entzückungen« sprach, die er dem protestantischen Abendmahle abzugewinnen wisse, während er zu gleicher Zeit mit seiner Parsifal-Musik allem eigentlich Römischen die Hände entgegenstreckte: dieser überallhin sich anbietende Schmeichler aller deutschen Eitelkeiten, Unklarheiten und Anmaßungen, – dieser letzte Wagner sollte der letzte und höchste Gipfel unsrer Musik und der Ausdruck der endlich erreichten 'Synthesis der »deutschen Seele« sein, der Deutsche selber? – Es war im Sommer 1876, daß ich diesem Glauben bei mir abschwor; und damit begann jene Bewegung des deutschen Gewissens, von der sich heute immer ernstere, immer deutlichere Zeichen zu erkennen geben, – und der Rückgang der Wagnerei!

XII.

Zur Rangordnung. – Vielleicht, daß heute bereits verrathen werden kann, wohin Richard Wagner gehört: nämlich nicht in die große Reihe der Eigentlichen und Echten höchsten Ranges, nicht an diesen olympischen »Hof der Höfe«, von wo aus man vielmehr verwundert und mit heiterer Kälte dergleichen ehrgeizige schwitzende Plebejer heranstürmen sieht, welche zu glauben scheinen, daß der »gute Wille« und jener »Schweiß vor der Tugend«, von dem mit bäurischem Ungeschmack der griechische Bauer und Dichter Hesiod gesprochen hat, bereits ausreiche, die ewige unverrückbare Rangordnung der Seelen umzuwerfen, – oder gar »der unzufriedne Geist, der stets auf Neues sinnt«, welchen Wagner als seinen Dämon in Anspruch genommen hat. Vielmehr gebührt Wagner ein ganz anderer Rang und eine ganz andere Ehre – und in der That keine kleine und gemeine: Wagner ist eines von jenen drei Schauspieler-Genie's der Kunst, von welchen die Menge in diesem Jahrhundert – und es ist ja das »Jahrhundert der Menge«! – erst den Begriff »Künstler« zu lernen hatte: ich meine jene drei wunderlichen und gefährlichen Menschen – Paganini, Liszt und vielleicht, in einem beträchtlichen Theile seiner Natur, eben auch Wagner –, welche ebensosehr zum »Nachmachen« als zum Erfinden, zum Schaffen in der Kunst des Nachmachens selber vorherbestimmt waren, und deren Instinkt Alles errathen hat, was zum Zweck des Vortrags, des Ausdrucks, der Wirkung, der Vezauberung, der Verführung ausfindig und ausgiebig gemacht werden kann. Als dämonische Mittler und Kunst-Interpreten wurden sie – und sind sie heute die Meister aller Künstler der Interpretation überhaupt: Jedermann in diesen Kreisen hat von ihnen gelernt; – unter Schauspielern und ausübenden Spielleuten jeder Art wird man deshalb auch den Herd und insgleichen die Herkunft des eigentlichen »Wagner-Cultus« zu suchen haben. Abgesehen aber von diesen Kreisen, denen man alles Recht zu ihrem Glauben und Aberglauben zusprechen darf, und im Hinblick auf die gesammte Erscheinung jener drei Schauspieler-Genie's und ihren geheimsten und allgemeinsten Sinn, komme ich bei mir nicht darüber hinweg, immer dieselbe Frage wieder aufzuwerfen: Was sich in jenen Dreien scheinbar neu ausdrückt, ist das vielleicht doch nur der alte und ewige »Cagliostro«, nur neu verkleidet, neu in Scene gesetzt, »in Musik gesetzt«, in Religion gesetzt, – wie es dem Geschmack des neuen Jahrhunderts – dem Jahrhundert der Menge, wie gesagt, – am besten entsprechen mag? Also nicht mehr wie der letzte Cagliostro als der Verführer einer vornehmen und ermüdeten Cultur, sondern – als demagogischer Cagliostro? – Und unsre Musik, mit deren Hülfe hier »gezaubert« wird: – was, ich bitte und frage euch, bedeutet diese Musik?


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