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14.

Mit dieser Vorstellung haben wir bereits einen Schritt in den Bezirk der Lehre des Anaxagoras gethan. Von ihm werden beide Einwände, der vom bewegten Denken und der von dem Woher? des Scheins, in voller Kraft gegen Parmenides erhoben: aber in dem Hauptsatze hat Parmenides ihn sowie alle jüngeren Philosophen und Naturforscher unterjocht. Sie Alle leugnen die Möglichkeit des Werdens und Vergehens, wie es sich der Sinn des Volks denkt und wie es Anaximander und Heraklit mit tieferer Besonnenheit, und doch noch unbesonnen, angenommen hatten. Ein solches mythologisches Entstehen aus dem Nichts, Verschwinden in das Nichts, eine solche willkürliche Veränderung des Nichts in das Etwas, ein solches beliebiges Vertauschen, Ausziehen und Anziehen der Qualitäten galt von nun an als sinnlos: aber ebenfalls und aus den gleichen Gründen ein Entstehen des Vielen aus dem Einen, der mannigfachen Qualitäten aus der einen Urqualität, kurz die Ableitung der Welt aus einem Urstoffe, in der Manier des Thales, oder des Heraklit. Jetzt war vielmehr das eigentliche Problem aufgestellt, die Lehre vom ungewordnen und unvergänglichen Sein auf diese vorhandene Welt zu übertragen, ohne zur Theorie des Scheins und der Täuschung durch die Sinne eine Zuflucht zu nehmen. Wenn die empirische Welt aber nicht Schein sein soll, wenn die Dinge nicht aus dem Nichts und ebensowenig aus dem einen Etwas abzuleiten sind, so müssen diese Dinge selbst ein wahrhaftes Sein enthalten, ihr Stoff und Inhalt muß unbedingt real sein, und alle Veränderung kann sich nur auf die Form, das heißt auf die Stellung, Ordnung, Gruppirung, Mischung, Entmischung dieser ewigen zugleich existirenden Wesenheiten beziehn. Es ist dann wie beim Würfelspiel: immer sind es dieselben Würfel, aber bald so bald so fallend bedeuten sie für uns etwas Anderes. Alle älteren Theorien waren auf ein Urelement, als Schoß und Ursache des Werdens, zurückgegangen, sei dies nun Wasser, Luft, Feuer oder das Unbestimmte des Anaximander. Dagegen behauptet nun Anaxagoras, daß aus dem Gleichen nie das Ungleiche hervorgehen könne und daß aus dem einen Seienden die Veränderung nie zu erklären sei. Ob man sich jenen einen angenommenen Stoff nun verdünnt oder verdichtet denke, niemals erreiche man, durch eine solche Verdichtung oder Verdünnung, Das, was man zu erklären wünsche: die Vielheit der Qualitäten. Wenn aber die Welt thatsächlich voll der verschiedensten Qualitäten ist, so müssen diese, falls sie nicht Schein sind, ein Sein haben, das heißt ewig ungeworden unvergänglich und immer zugleich existirend sein. Schein aber können sie nicht sein, da die Frage nach dem Woher? des Scheins unbeantwortet bleibt, ja sich selbst mit Nein! beantwortet. Die älteren Forscher hatten das Problem des Werdens dadurch vereinfachen wollen, daß sie nur eine Substanz aufstellten, die die Möglichkeiten alles Werdens im Schoße trage; jetzt wird im Gegentheil gesagt: es giebt zahllose Substanzen, aber nie mehr, nie weniger, nie neue. Nur die Bewegung würfelt sie immer neu durcheinander: daß aber die Bewegung eine Wahrheit und nicht ein Schein sei, bewies Anaxagoras aus der unbestreitbaren Succession unserer Vorstellungen im Denken, gegen Parmenides. Wir haben also auf die unmittelbarste Weise die Einsicht in die Wahrheit der Bewegung und der Succession, darin, daß wir denken und Vorstellungen haben. Also ist jedenfalls das starre, ruhende, todte eine Sein des Parmenides aus dem Wege geschafft, es giebt viele Seiende, ebenso sicher als alle diese vielen Seienden (Existenzen, Substanzen) in Bewegung sind. Veränderung ist Bewegung – aber woher stammt die Bewegung? Läßt vielleicht diese Bewegung das eigentliche Wesen jener vielen unabhängigen isolirten Substanzen gänzlich unberührt und muß sie nicht, nach dem strengsten Begriff des Seienden, ihnen an sich fremd sein? Oder gehört sie trotzdem den Dingen selbst an? Wir stehen an einer wichtigen Entscheidung: je nachdem wir uns wenden, werden wir auf das Gebiet des Anaxagoras oder des Empedokles oder des Demokrit treten. Die bedenkliche Frage muß aufgestellt werden: wenn es viele Substanzen giebt und diese vielen sich bewegen, was bewegt sie? Bewegen sie sich gegenseitig? Bewegt sie etwa nur die Schwerkraft? Oder giebt es magische Kräfte der Anziehung oder der Abstoßung in den Dingen selbst? Oder liegt der Anlaß der Bewegung außerhalb dieser vielen realen Substanzen? Oder strenger gefragt: wenn zwei Dinge eine Succession, eine gegenseitige Veränderung der Lage zeigen, kommt dies von ihnen selbst her? Und ist dies mechanisch oder magisch zu erklären? Oder, wenn dies nicht der Fall wäre, ist es etwas Drittes, was sie bewegt? Es ist ein schlimmes Problem: denn Parmenides hätte auch, selbst zugegeben, daß es viele Substanzen gäbe, doch immer noch die Unmöglichkeit der Bewegung, gegen Anaxagoras, beweisen können. Er konnte nämlich sagen: nehmt zwei an sich seiende Wesen, jedes mit durchaus verschiedenartigem, selbständig unbedingtem Sein – und solcher Art sind die anaxagorischen Substanzen –: nie können sie demnach auf einander stoßen, nie sich bewegen, nie sich anziehn, es giebt zwischen ihnen keine Kausalität, keine Brücke, sie berühren sich nicht, sie stören sich nicht, sie gehen sich nichts an. Der Stoß ist dann ganz ebenso unerklärlich wie die magische Anziehung; was sich unbedingt fremd ist, kann keine Art von Wirkung auf einander ausüben, also sich auch nicht bewegen, noch bewegen lassen. Parmenides würde sogar hinzugefügt haben: der einzige Ausweg, der euch bleibt, ist, den Dingen selbst Bewegung zuzuschreiben; dann ist aber doch alles Das, was ihr als Bewegung kennt und seht, nur eine Täuschung und nicht die wahre Bewegung, denn die einzige Art Bewegung, die jenen unbedingt eigenartigen Substanzen zukommen könnte, wäre nur eine selbsteigne Bewegung ohne jede Wirkung. Nun nehmt ihr aber gerade Bewegung an, um jene Wirkungen des Wechsels, der Verschiebung im Raume, der Veränderung, kurz die Causalitäten und Relationen der Dinge unter einander zu erklären. Gerade diese Wirkungen waren aber nicht erklärt und blieben so problematisch wie vorher; weshalb gar nicht abzusehn ist, wozu es nöthig wäre eine Bewegung anzunehmen, da sie gar nicht Das leistet, was ihr von ihr begehrt. Die Bewegung kommt dem Wesen der Dinge nicht zu und ist ihnen ewig fremd.

Sich über eine solche Argumentation hinwegzusetzen, wurden jene Gegner der eleatischen unbewegten Einheit durch ein aus der Sinnlichkeit stammendes Vorurtheil verführt. Es scheint so unwiderleglich, daß jedes wahrhaft Seiende ein raumfüllender Körper sei, ein Klumpen Materie, groß oder klein, aber jedenfalls räumlich ausgedehnt: so daß zwei und mehrere solcher Klumpen nicht in einem Raume sein können. Unter dieser Voraussetzung nahm Anaxagoras wie später Demokrit an daß sie sich stoßen müßten, wenn sie in ihren Bewegungen auf einander geriethen, daß sie sich den gleichen Raum streitig machen würden, und daß dieser Kampf eben alle Veränderung verursache. Mit andern Worten: jene ganz isolirten, durch und durch verschiedenartigen und ewig unveränderlichen Substanzen waren doch nicht absolut verschiedenartig gedacht, sondern hatten sämmtlich, außer einer specifischen, ganz besonderen Qualität, doch ein ganz und gar gleichartiges Substrat, ein Stück raumfüllender Materie. In der Theilnahme an der Materie standen sie Alle gleich und konnten deshalb auf einander wirken, d. h. sich stoßen. Überhaupt hieng alle Veränderung ganz und gar nicht ab von der Verschiedenartigkeit jener Substanzen, sondern von ihrer Gleichartigkeit, als Materie. Es liegt hier in den Annahmen des Anaxagoras ein logisches Versehen zu Grunde: denn das wahrhaft an sich Seiende muß gänzlich unbedingt und einheitlich sein, darf somit Nichts als seine Ursache voraussetzen – während alle jene anaxagorischen Substanzen doch noch ein Bedingendes, die Materie haben und deren Existenz bereits voraussetzen: die Substanz »Roth« zum Beispiel war für Anaxagoras eben nicht nur roth an sich, sondern außerdem, verschwiegenerweise, ein Stück qualitätenloser Materie. Nur mit dieser wirkte das »Roth an sich« auf andere Substanzen, nicht mit dem Rothen, sondern mit Dem, was nicht roth, nicht gefärbt, überhaupt nicht qualitativ bestimmt ist. Wäre das Roth als Roth streng genommen worden, als die eigentliche Substanz selbst, also ohne jenes Substrat, so würde Anaxagoras gewiß nicht gewagt haben, von einer Wirkung des Roth auf andre Substanzen zu reden, etwa gar mit der Wendung, daß das »Roth an sich« die vom »Fleischigen an sich« empfangene Bewegung durch Stoß weiterpflanze. Dann würde es klar sein, daß ein solches wahrhaft Seiendes nie bewegt werden könnte.


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