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7.

Jenes gefährliche Wort, Hybris, ist in der That der Prüfstein für jeden Herakliteer; hier mag er zeigen, ob er seinen Meister verstanden oder verkannt hat. Giebt es Schuld, Ungerechtigkeit, Widerspruch, Leid in dieser Welt?

Ja, ruft Heraklit, aber nur für den beschränkten Menschen, der auseinander und nicht zusammen schaut, nicht für den contuitiven Gott; für ihn läuft alles Widerstrebende in eine Harmonie zusammen, unsichtbar zwar für das gewöhnliche Menschenauge, doch Dem verständlich, der, wie Heraklit, dem beschaulichen Gotte ähnlich ist. Vor seinem Feuerblick bleibt kein Tropfen von Ungerechtigkeit in der um ihn ausgegossnen Welt zurück; und selbst jener cardinale Anstoß, wie das reine Feuer in so unreine Formen einziehen könne, wird von ihm durch ein erhabnes Gleichniß überwunden. Ein Werden und Vergehen, ein Bauen und Zerstören, ohne jede moralische Zurechnung, in ewig gleicher Unschuld, hat in dieser Welt allein das Spiel des Künstlers und des Kindes. Und so, wie das Kind und der Künstler spielt, spielt das ewig lebendige Feuer, baut auf und zerstört, in Unschuld – und dieses Spiel spielt der Neon mit sich. Sich verwandelnd in Wasser und Erde, thürmt er wie ein Kind Sandhaufen am Meere, thürmt auf und zertrümmert: von Zeit zu Zeit fängt er das Spiel von Neuem an. Ein Augenblick der Sättigung: dann ergreift ihn von Neuem das Bedürfniß, wie den Künstler zum Schaffen das Bedürfniß zwingt. Nicht Frevelmuth, sondern der immer neu erwachende Spieltrieb ruft andre Welten in's Leben. Das Kind wirft einmal das Spielzeug weg: bald aber fängt es wieder an, in unschuldiger Laune. Sobald es aber baut, knüpft, fügt und formt es gesetzmäßig und nach inneren Ordnungen.

So schaut nur der ästhetische Mensch die Welt an, der an dem Künstler und an dem Entstehen des Kunstwerks erfahren hat, wie der Streit der Vielheit doch in sich Gesetz und Recht tragen kann, wie der Künstler beschaulich über und wirkend in dem Kunstwerk steht, wie Nothwendigkeit und Spiel, Widerstreit und Harmonie sich zur Zeugung des Kunstwerkes paaren müssen.

Wer wird nun von einer solchen Philosophie noch eine Ethik, mit den nöthigen Imperativen »Du sollst« verlangen oder gar einen solchen Mangel dem Heraklit zum Vorwurf machen! Der Mensch ist bis in seine letzte Faser hinein Nothwendigkeit und ganz und gar »unfrei«, – wenn man unter Freiheit den närrischen Anspruch, seine essentia nach Willkür wie ein Kleid wechseln zu können, versteht, einen Anspruch, den jede ernste Philosophie bisher mit dem gebührenden Hohne zurückgewiesen hat. Daß so wenig Menschen mit Bewußtsein in dem Logos und in Gemäßheit des Alles überschauenden Künstlerauges leben, das rührt daher, daß ihre Seelen naß sind und daß des Menschen Augen und Ohren, überhaupt ihr Intellekt ein schlechter Zeuge ist, wenn »feuchter Schlamm ihre Seelen einnimmt«. Warum das so ist, wird nicht gefragt, ebenso wenig, warum Feuer zu Wasser und Erde wird, Heraklit hat ja keinen Grund, nachweisen zu müssen (wie ihn Leibniz hatte), daß diese Welt sogar die allerbeste sei, es genügt ihm, daß sie das schöne unschuldige Spiel des Aeon ist. Der Mensch gilt ihm sogar im Allgemeinen als ein unvernünftiges Wesen: womit nicht streitet, daß sich in allem seinem Wesen das Gesetz der allwaltenden Vernunft erfüllt. Er nimmt gar nicht eine besonders bevorzugte Stellung in der Natur ein, deren höchste Erscheinung das Feuer, zum Beispiel als Gestirn, ist, aber nicht der einfältige Mensch. Hat dieser am Feuer einen Antheil durch die Nothwendigkeit erhalten, so ist er etwas vernünftiger, soweit er aus Wasser und Erde besteht, steht es schlimm mit seiner Vernunft. Eine Verpflichtung, daß er den Logos erkennen müsse, weil er Mensch sei, existirt nicht. Warum giebt es aber Wasser, warum giebt es Erde? Dies ist für Heraklit ein viel ernsteres Problem, als zu fragen, warum die Menschen so dumm und schlecht seien. In dem höchsten und in dem verkehrtesten Menschen offenbart sich die gleiche immanente Gesetzmäßigkeit und Gerechtigkeit. Wenn man aber Heraklit die Frage vorrücken wollte: warum ist das Feuer nicht immer Feuer, warum ist es jetzt Wasser, jetzt Erde?, so würde er eben nur antworten »es ist ein Spiel, nehmt's nicht zu pathetisch, und vor Allem nicht moralisch!« Heraklit beschreibt nur die vorhandne Welt und hat an ihr das beschauliche Wohlgefallen, mit dem der Künstler auf sein werdendes Werk schaut. Düster, schwermüthig, thränenreich, finster, schwarzgallig, pessimistisch und überhaupt hassenswürdig finden ihn nur Die, welche mit seiner Naturbeschreibung des Menschen nicht zufrieden zu sein Ursache haben. Diese aber würde er, sammt ihren Antipathien und Sympathien, ihrem Haß und ihrer Liebe, für gleichgültig halten und ihnen etwa mit solchen Belehrungen dienen »die Hunde bellen Jeden an, den sie nicht kennen« oder »dem Esel ist Spreu lieber als Gold«.

Von solchen Unzufriednen rühren auch die zahlreichen Klagen über die Dunkelheit des heraklitischen Stils her: wahrscheinlich hat nie ein Mensch heller und leuchtender geschrieben. Freilich sehr kurz, und deshalb allerdings für die lesenden Schnellläufer dunkel. Wie aber ein Philosoph undeutlich, mit Absicht, schreiben sollte – was man Heraklit nachzusagen pflegt – ist völlig unerklärlich: falls er nicht Grund hat, Gedanken zu verbergen, oder Schelm genug ist, seine Gedankenlosigkeit unter Worten zu verstecken. Muß man doch sogar, wie Schopenhauer sagt, in Angelegenheiten des gewöhnlichen praktischen Lebens sorgfältig, durch Deutlichkeit, möglichen Mißverständnissen vorbeugen; wie denn sollte man im schwierigsten, abstrusesten, kaum erreichbaren Gegenstande des Denkens, den Aufgaben der Philosophie, sich unbestimmt, ja räthselhaft ausdrücken dürfen? Was aber die Kürze anbetrifft, so giebt Jean Paul eine gute Lehre. »Im Ganzen ist es recht, wenn alles Große – von vielem Sinn für einen seltnen Sinn – nur kurz und (daher) dunkel ausgesprochen wird, damit der kahle Geist es lieber für Unsinn erkläre, als in seinen Leersinn übersetze. Denn die gemeinen Geister haben eine häßliche Geschicklichkeit, im tiefsten und reichsten Spruch nichts zu sehen als ihre eigne alltägliche Meinung«. Übrigens und trotzdem ist Heraklit den »kahlen Geistern« nicht entgangen; bereits die Stoiker haben ihn in's Flache umgedeutet und seine ästhetische Grundperception vom Spiel der Welt zu der gemeinen Rücksicht auf Zweckmäßigkeiten der Welt und zwar für die Vortheile der Menschen herabgezogen: so daß aus seiner Physik, in jenen Köpfen, ein cruder Optimismus, mit der fortwährenden Aufforderung an Hinz und Kunz zum plaudite amici, geworden ist.


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