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12.

Der andre Begriff, von größerem Gehalte, als der des Seienden, und gleichfalls bereits von Parmenides erfunden, wenngleich noch nicht so geschickt verwendet, wie von seinem Schüler Zeno, ist der des Unendlichen. Es kann nichts Unendliches existiren: denn bei einer solchen Annahme würde sich der widerspruchsvolle Begriff einer vollendeten Unendlichkeit ergeben. Da nun unsre Wirklichkeit, unsere vorhandene Welt überall den Charakter jener vollendeten Unendlichkeit trägt, so bedeutet sie ihrem Wesen nach einen Widerspruch gegen das Logische und somit auch gegen das Reale und ist Täuschung, Lüge, Phantasma. Zeno bediente sich besonders der indirekten Beweismethode: er sagte zum Beispiel »es kann keine Bewegung von einem Orte zum andern geben: denn wenn es eine solche gäbe, so wäre eine Unendlichkeit vollendet gegeben: dies ist aber eine Unmöglichkeit«. Achill kann die Schildkröte, die einen kleinen Vorsprung hat, im Wettlaufe nicht einholen; denn um nur den Punkt, von dem die Schildkröte aus läuft, zu erreichen, müßte er bereits zahllose, unendlich viele Räume durchlaufen haben, nämlich zuerst die Hälfte jenes Raumes, dann das Viertel, dann das Achtel, dann das Sechzehntel und so weiter in infinitum. Wenn er thatsächlich die Schildkröte einholt, so ist dies ein unlogisches Phänomen, also jedenfalls keine Wahrheit, keine Realität, kein wahres Sein, sondern nur eine Täuschung. Denn nie ist es möglich das Unendliche zu beendigen. Ein andres populäres Ausdrucksmittel dieser Lehre ist der fliegende und doch ruhende Pfeil. In jedem Augenblicke seines Flugs hat er eine Lage: in dieser Lage ruht er. Wäre jetzt die Summe der unendlichen Lagen der Ruhe identisch mit Bewegung? Wäre jetzt das Ruhen, unendlich wiederholt, Bewegung, also sein eigner Gegensatz? Das Unendliche wird hier als Scheidewasser der Wirklichkeit benutzt, an ihm löst sie sich auf. Wenn aber die Begriffe fest, ewig und seiend sind – und Sein und Denken fällt für Parmenides zusammen –, wenn also das Unendliche nie vollendet sein kann, wenn Ruhe nie Bewegung werden kann, so ist der Pfeil in Wahrheit gar nicht geflogen: er kam gar nicht von der Stelle und aus der Ruhe, kein Zeitmoment ist vergangen. Oder anders ausgedrückt: es giebt in dieser sogenannten, doch nur angeblichen Wirklichkeit weder Zeit, noch Raum, noch Bewegung. Zuletzt ist der Pfeil selbst nur eine Täuschung: denn er stammt aus der Vielheit, aus der durch die Sinne erzeugten Phantasmagorie des Nicht-Einen. Angenommen der Pfeil hätte ein Sein, dann wäre er unbeweglich, zeitlos, ungeworden, starr und ewig – eine unmögliche Vorstellung! Angenommen, die Bewegung wäre wahrhaft real, so gäbe es keine Ruhe, also keine Lage für den Pfeil, also keinen Raum – eine unmögliche Vorstellung! Angenommen, daß die Zeit real sei, so könnte sie nicht unendlich theilbar sein; die Zeit, die der Pfeil brauchte, müßte aus einer begrenzten Anzahl von Zeitmomenten bestehen, jeder dieser Momente müßte ein Atomon sein – eine unmögliche Vorstellung! Alle unsre Vorstellungen, sobald ihr empirisch gegebner, aus dieser anschaulichen Welt geschöpfter Inhalt als veritas aeterna genommen wird, führen auf Widersprüche. Giebt es absolute Bewegung, so giebt es keinen Raum: giebt es absoluten Raum, so giebt es keine Bewegung; giebt es ein absolutes Sein, so giebt es keine Vielheit. Giebt es eine absolute Vielheit, so giebt es keine Einheit. Da sollte Einem doch klar werden, wie wenig wir mit solchen Begriffen das Herz der Dinge berühren oder den Knoten der Realität aufknüpfen: während Parmenides und Zeno umgekehrt an der Wahrheit und Allgültigkeit der Begriffe festhalten und die anschauliche Welt als das Gegenstück der wahren und allgültigen Begriffe, als eine Objektivation des Unlogischen und Widerspruchsvollen verwerfen. Sie gehen bei allen ihren Beweisen von der gänzlich unbeweisbaren, ja unwahrscheinlichen Voraussetzung aus, daß wir in jenem Begriffsvermögen das entscheidende höchste Kriterium über Sein und Nichtsein, das heißt über die objektive Realität und ihr Gegentheil, besitzen: jene Begriffe sollen sich nicht an der Wirklichkeit bewähren und corrigiren, wie sie doch aus ihr thatsächlich abgeleitet sind, sondern sollen im Gegentheil die Wirklichkeit messen und richten, und, im Falle eines Widerspruchs mit dem Logischen, sogar verdammen. Um ihnen diese richterlichen Befugnisse einräumen zu können, mußte Parmenides ihnen dasselbe Sein zuschreiben, das er überhaupt allein als Sein gelten ließ: Denken und jener eine ungewordene vollkommne Ball des Seienden waren jetzt nicht mehr als zwei verschiedne Arten des Seins zu fassen, da es keine Zweiheit des Seins geben durfte. So war der überverwegene Einfall nothwendig geworden, Denken und Sein für identisch zu erklären; keine Form der Anschaulichkeit, kein Symbol, kein Gleichniß konnte hier zu Hülfe kommen; der Einfall war völlig unvorstellbar, aber er war nothwendig, ja er feierte in dem Mangel an jeder Versinnlichungs-Möglichkeit den höchsten Triumph über die Welt und die Forderungen der Sinne. Das Denken und jenes knollig-kugelrunde, durch und durch todt-massive und starr-unbewegliche Sein müssen, nach dem parmenideischen Imperativ, zum Schrecken aller Phantasie, in Eins zusammenfallen und ganz und gar dasselbe sein. Mag diese Identität den Sinnen widersprechen! Gerade dies ist die Bürgschaft, daß sie nicht von den Sinnen entlehnt ist.


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