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10.

Aber Niemand vergreift sich ungestraft an so furchtbaren Abstraktionen, wie das »Seiende« und das »Nichtseiende« sind; das Blut erstarrt allmählich, wenn man sie berührt. Es gab einen Tag, an dem Parmenides einen seltsamen Einfall hatte, der allen seinen früheren Combinationen den Werth zu nehmen schien, so daß er Lust hatte, sie wie einen Beutel mit alten abgenutzten Münzen bei Seite zu werfen. Gewöhnlich nimmt man an, daß auch ein äußerer Eindruck und nicht nur die von innen her treibende Consequenz solcher Begriffe wie »seiend« und »nichtseiend«, bei der Erfindung jenes Tages mit thätig gewesen sei, die Bekanntschaft mit der Theologie des alten, viel umher getriebenen Rhapsoden, des Sängers einer mystischen Naturvergötterung, des Kolophoniers Xenophanes. Ein außerordentliches Leben hindurch lebte Xenophanes als wandernder Dichter und wurde durch seine Reisen ein viel belehrter und viel belehrender Mann, der zu fragen und zu erzählen wußte; weshalb Heraklit ihn unter die Polyhistoren und überhaupt unter die »historischen« Naturen, in dem erwähnten Sinne rechnete. Woher und wann ihm der mystische Zug in's Eine und ewig Ruhende gekommen ist, wird Niemand nachrechnen können; vielleicht ist es erst die Conception des endlich seßhaft gewordnen greisen Mannes, dem, nach der Bewegtheit seiner Irrfahrten und nach dem rastlosen Lernen und Erforschen, das Höchste und Größte in der Vision einer göttlichen Ruhe, in dem Beharren aller Dinge innerhalb eines pantheistischen Urfriedens, vor die Seele tritt. Im Übrigen scheint es mir rein zufällig, daß gerade am gleichen Orte, in Elea, zwei Männer eine Zeit lang zusammen lebten, von denen Jeder eine Einheitsconception im Kopfe trug: sie bilden keine Schule und haben Nichts gemeinsam, was etwa der Eine von dem Andern hätte lernen und dann weiter lehren können. Denn der Ursprung jener Einheitsconception ist bei dem Einen ein ganz andrer, ja entgegengesetzter als bei dem Andern; und wenn Einer die Lehre des Andern überhaupt kennen gelernt hat, so mußte er sie sich, um sie nur zu verstehen, erst in seine eigne Sprache übertragen. Bei dieser Übertragung gieng aber jedenfalls gerade das Specifische der andern Lehre verloren. Wenn Parmenides zur Einheit des Seienden rein durch eine vermeintliche logische Consequenz kam und sie aus dem Begriff Sein und Nichtsein herausspann, ist Xenophanes ein religiöser Mystiker und gehört mit jener mystischen Einheit recht eigentlich in das sechste Jahrhundert. War er auch keine so umwälzende Persönlichkeit wie Pythagoras, so hat er doch, auf seinen Wanderungen, den gleichen Zug und Trieb, die Menschen zu bessern, zu reinigen, zu heilen. Er ist der ethische Lehrer, aber noch auf der Stufe des Rhapsoden; in späterer Zeit wäre er ein Sophist gewesen. In der kühnen Mißbilligung der bestehenden Sitten und Schätzungen hat er in Griechenland nicht Seinesgleichen; dazu zog er sich keineswegs, wie Heraklit und Plato, in die Einsamkeit zurück, sondern stellte sich eben vor jenes Publikum hin, dessen jauchzende Bewunderung für Homer, dessen leidenschaftlichen Hang nach den Ehren der gymnastischen Festspiele, dessen Anbetung menschlich geformter Steine er mit Zorn und Hohn, und doch nicht als zankender Thersites, geißelte. Die Freiheit des Individuums ist mit ihm auf der Höhe; und in diesem fast grenzenlosen Heraustreten aus allen Konventionen ist er näher mit Parmenides verwandt, als durch jene letzte göttliche Einheit, die er einmal, in einem jenes Jahrhunderts würdigen Zustande der Vision, geschaut hat, und die mit dem einen Sein des Parmenides kaum den Ausdruck und das Wort, aber gewiß nicht den Ursprung gemein hat.

Ein entgegengesetzter Zustand war es vielmehr, in dem Parmenides die Lehre vom Sein fand. An jenem Tage und in diesem Zustande prüfte er seine beiden zusammenwirkenden Gegensätze, deren Begierde und Haß die Welt und das Werden constituirt, das Seiende und das Nichtseiende, die positiven und die negativen Eigenschaften – und er blieb plötzlich bei dem Begriffe der negativen Eigenschaft, des Nichtseienden, mißtrauisch hängen. Kann denn Etwas, was nicht ist, eine Eigenschaft sein? Oder principieller gefragt: kann denn Etwas, was nicht ist, sein? Die einzige Form der Erkenntniß aber, der wir sofort ein unbedingtes Vertrauen schenken und deren Leugnung dem Wahnsinne gleichkommt, ist die Tautologie A = A. Aber eben diese tautologische Erkenntnis; rief unerbittlich ihm zu: was nicht ist, ist nicht! Was ist, ist! Plötzlich fühlte er eine ungeheure logische Sünde auf seinem Leben lasten; hatte er doch ohne Bedenken immer angenommen, daß es negative Eigenschaften, überhaupt Nichtseiendes gäbe, daß also, formelhaft ausgedrückt A = nicht A sei: was doch nur die volle Perversität des Denkens aufstellen könne. Zwar urtheilt, wie er sich besann, die ganze große Menge der Menschen mit der gleichen Perversität: er selbst hat nur am allgemeinen Verbrechen gegen die Logik theilgenommen. Aber derselbe Augenblick, der ihn dieses Verbrechens zeiht, umleuchtet ihn mit der Glorie einer Entdeckung, er hat ein Princip, den Schlüssel zum Weltgeheimniß, abseits von allem Menschenwahne, gefunden, er steigt jetzt, an der festen und furchtbaren Hand der tautologischen Wahrheit über das Sein, hinab in den Abgrund der Dinge.

Auf dem Wege dahin begegnet er Heraklit – ein unglückliches Zusammentreffen! Ihm, dem an der strengsten Scheidung von Sein und Nichtsein Alles gelegen war, mußte gerade jetzt das Antinomien-Spiel Heraklit's tief verhaßt sein: ein Satz wie der: »wir sind und sind zugleich nicht«, »Sein und Nichtsein ist zugleich dasselbe und wieder nicht dasselbe«, ein Satz, durch den alles Das wieder trübe und unentwirrbar wurde, was er eben aufgehellt und entwirrt hatte, reizte ihn zur Wuth: »Weg mit den Menschen, schrie er, die zwei Köpfe zu haben scheinen und doch Nichts wissen! Ist doch bei ihnen Alles im Fluß, auch ihr Denken! Sie staunen dumpf die Dinge an, müssen aber sowohl taub als blind sein, um so die Gegensätze durcheinander zu mischen!« Der Unverstand der Masse, durch spielerische Antinomien glorificirt und als Spitze aller Erkenntniß gepriesen, war ihm ein schmerzliches und unbegreifliches Erlebniß.

Nun tauchte er in das kalte Bad seiner furchtbaren Abstraktionen. Das, was wahrhaft ist, muß in ewiger Gegenwart sein, von ihm kann nicht gesagt werden »es war«, »es wird sein«. Das Seiende kann nicht geworden sein: denn woraus hätte es werden können? Aus dem Nichtseienden? Aber das ist nicht und kann Nichts hervorbringen. Aus dem Seienden? Dies würde nichts Anderes als sich selbst erzeugen. Ebenso steht es mit dem Vergehn; es ist ebenso unmöglich wie das Werden, wie jede Veränderung, wie jeder Zuwachs, jede Abnahme. Überhaupt gilt der Satz: Alles, von Dem gesagt werden kann »es ist gewesen« oder »es wird sein«, ist nicht, vom Seienden aber kann nie gesagt werden »es ist nicht«. Das Seiende ist untheilbar, denn wo ist die zweite Macht, die es Heilen sollte? Es ist unbeweglich, denn wohin sollte es sich bewegen? Es kann weder unendlich groß, noch unendlich klein sein, denn es ist vollendet und eine vollendet gegebene Unendlichkeit ist ein Widerspruch. So schwebt es, begrenzt, vollendet, unbeweglich, überall im Gleichgewicht in jedem Punkte gleich vollkommen, wie eine Kugel, aber nicht in einem Raume: denn sonst wäre dieser Raum ein zweites Seiendes. Es kann aber nicht mehrere Seiende geben, denn um sie zu trennen müßte Etwas da sein, das nicht seiend wäre: eine Annahme. die sich selbst aufhebt. So giebt es nur die ewige Einheit.

Wenn jetzt aber Parmenides seinen Blick zurückwandte zur Welt des Werdens, deren Existenz er früher durch so sinnreiche Combinationen zu begreifen gesucht hatte, so zürnte er seinem Auge, daß es das Werden überhaupt sehe, seinem Ohre, daß es dasselbe höre. »Folgt nur nicht dem blöden Auge«, so lautet jetzt sein Imperativ, »nicht dem schallenden Gehöre oder der Zunge, sondern prüft allein mit des Gedankens Kraft!« Damit vollzog er die überaus wichtige, wenn auch noch so unzulängliche und in ihren Folgen verhängnisvolle erste Kritik des Erkenntnißapparats: dadurch, daß er die Sinne und die Befähigung, Abstraktionen zu denken, also die Vernunft jäh auseinanderriß, als ob es zwei durchaus getrennte Vermögen seien, hat er den Intellekt selbst zertrümmert und zu jener gänzlich irrthümlichen Scheidung von »Geist« und »Körper« aufgemuntert, die, besonders seit Plato, wie ein Fluch auf der Philosophie liegt. Alle Sinneswahrnehmungen, urtheilt Parmenides, geben nur Täuschungen; und ihre Haupttäuschung ist eben, daß sie Vorspiegeln, auch das Nichtseiende sei, auch das Werden habe ein Sein. Alle jene Vielheit und Buntheit der erfahrungsmäßig bekannten Welt, der Wechsel ihrer Qualitäten, die Ordnung in ihrem Auf und Nieder, wird erbarmungslos als ein bloßer Schein und Wahn bei Seite geworfen; von dorther ist Nichts zu lernen, also ist jede Mühe verschwendet, die man sich mit dieser erlogenen, durch und durch nichtigen und durch die Sinne gleichsam erschwindelten Welt giebt. Wer so im Ganzen urtheilt, wie dies Parmenides that, hört damit auf, ein Naturforscher im Einzelnen zu sein; seine Theilnahme für die Phänomene dorrt ab, es bildet sich selbst ein Haß, diesen ewigen Trug der Sinne nicht loswerden zu können. Nur in den verblaßtesten, abgezogensten Allgemeinheiten, in den leeren Hülsen der unbestimmtesten Worte soll jetzt die Wahrheit, wie in einem Gehäuse aus Spinnefäden, wohnen: und neben einer solchen »Wahrheit« sitzt nun der Philosoph, ebenfalls blutlos wie eine Abstraktion und rings in Formeln eingesponnen. Die Spinne will doch das Blut ihrer Opfer; aber der parmenideische Philosoph haßt gerade das Blut seiner Opfer, das Blut der von ihm geopferten Empirie.


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