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II. Geplante Einleitung.

(1871.)

Der Titel, den ich meinen Vorträgen gegeben habe, sollte, wie es die Pflicht jedes Titels ist, so bestimmt, deutlich und eindringlich wie möglich sein, ist aber, was ich jetzt recht wohl merke, aus einem Übermaaß von Bestimmtheit zu kurz ausgefallen und darum wieder undeutlich geworden, so daß ich damit beginnen muß, diesen Titel und damit die Aufgabe dieser Vorträge vor meinen geehrten Zuhörern zu erklären, ja nöthigenfalls zu entschuldigen. Wenn ich also über die Zukunft unserer Bildungsanstalten zu reden versprochen habe, so denke ich dabei zunächst gar nicht an die specielle Zukunft und Weiterentwicklung unsrer baslerischen Institute dieser Art. So häufig es auch scheinen möchte, daß viele meiner allgemeinen Behauptungen sich gerade an unsern einheimischen Erziehungsanstalten exemplificiren ließen, so bin ich es nicht, der diese Exemplifikationen macht und möchte daher ebensowenig die Verantwortung für derartige Nutzanwendungen tragen: gerade aus dem Grunde, weil ich mich für viel zu fremd und unerfahren halte und mich viel zu wenig in den hiesigen Zuständen festgewurzelt fühle, um eine so specielle Configuration der Bildungsverhältnisse richtig zu beurtheilen oder gar um ihre Zukunft mit einiger Sicherheit vorzeichnen zu können. Andrerseits bin ich mir um so mehr bewußt, an welchem Orte ich diese Vorträge zu halten habe, in einer Stadt nämlich, die in einem unverhältnismäßig großartigen Sinne und in einem für größere Staaten gradezu beschämenden Maßstabe die Bildung und Erziehung ihrer Bürger zu fördern sucht: so daß ich gewiß nicht fehlgreife, wenn ich vermuthe, daß dort, wo man um so viel mehr für diese Dinge thut, man auch über sie um so viel mehr denkt. Gerade Das aber muß mein Wunsch, ja meine Voraussetzung sein, mit Zuhörern hier in geistigem Verkehr zu stehen, welche über Erziehungs- und Bildungsfragen ebenso sehr nachgedacht haben, als sie Willens sind, mit der That das als recht Erkannte zu fördern: und nur vor solchen Zuhörern werde ich mich, bei der Größe der Aufgabe und der Kürze der Zeit verständlich machen können – wenn sie nämlich sofort errathen, was nur angedeutet werden konnte, ergänzen, was verschwiegen werden mußte, wenn sie überhaupt nur erinnert zu werden, nicht belehrt zu werden brauchen.

Während ich es also durchaus ablehnen muß, als unberufener Rathgeber in baslerischen Schul- und Erziehungsfragen betrachtet zu werden, denke ich noch weniger daran, von dem ganzen Horizont der jetzigen Culturvölker aus auf eine kommende Zukunft der Bildung und der Bildungsmittel zu prophezeien: in dieser ungeheuren Weite des Gesichtskreises erblindet mein Blick, wie er ebenfalls in einer allzugroßen Nähe unsicher wird. Unter unseren Bildungsanstalten verstehe ich demgemäß weder die speciell baslerischen, noch die zahllosen Formen der weitesten, alle Völler umspannenden Gegenwart, sondern meine die deutschen Institutionen dieser Art, deren wir uns ja auch hier zu erfreuen haben. Die Zukunft dieser deutschen Institutionen soll uns beschäftigen, d. h. die Zukunft der deutschen Volksschule, der deutschen Realschule, des deutschen Gymnasiums, der deutschen Universität: wobei wir einstweilen ganz von allen Vergleichungen und Werthabschätzungen absehn und uns besonders vor dem schmeichelnden Wahne hüten, als ob unsre Zustände, im Hinblick auf andere Culturvölker, eben die allgemein mustergültigen und unübertroffnen seien. Genug, es sind unsre Bildungsschulen und nicht zufällig hängen sie mit uns zusammen, nicht umgehängt sind sie uns wie ein Gewand: sondern als lebendige Denkmäler bedeutender Culturbewegungen, in einigen Formationen selbst »Urväterhausrath«, verknüpfen sie uns mit der Vergangenheit des Volkes und sind in wesentlichen Zügen ein so heiliges und ehrwürdiges Vermächtniß, daß ich von der Zukunft unserer Bildungsanstalten nur im Sinne einer höchst möglichen Annäherung an den idealen Geist, aus dem sie geboren sind, zu reden wüßte. Dabei steht es für mich fest, daß die zahlreichen Veränderungen, die sich die Gegenwart an diesen Bildungsanstalten erlaubte, um sie »zeitgemäß« zu machen, zum guten Theil nur verzogene Linien und Abirrungen von der ursprünglichen erhabenen Tendenz ihrer Gründung sind: und was wir in dieser Hinsicht von der Zukunft zu hoffen wagen, ist eine so allgemeine Erneuerung, Erfrischung und Läuterung des deutschen Geistes, daß aus ihm auch diese Anstalten gewissermaßen neugeboren werden und dann, nach dieser Neugeburt, zugleich alt und neu erscheinen: während sie jetzt zu allermeist nur »modern« und »zeitgemäß« zu sein beanspruchen.

Nur im Sinne jener Hoffnung rede ich von einer Zukunft unserer Bildungsanstalten: und dies ist der zweite Punkt, über den ich mich von vornherein, zu meiner Entschuldigung erklären muß. Es ist ja die größte aller Anmaßungen, Prophet sein zu wollen, so daß es bereits lächerlich klingt zu erklären, daß man es nicht sein will. Es dürfte Niemand über die Zukunft unserer Bildung und eine damit im Zusammenhange stehende Zukunft unserer Erziehungsmittel und -methoden sich im Tone der Weissagung vernehmen lassen, wenn er nicht beweisen kann, daß diese zukünftige Bildung in irgend welchem Maße bereits Gegenwart ist und nur in einem viel höheren Maße um sich zu greifen hat, um einen nothwendigen Einfluß auf Schule und Erziehungsinstitute auszuüben. Man gestatte mir nur, aus den Eingeweiden der Gegenwart, gleich einem römischen Haruspex, die Zukunft zu errathen, was in diesem Falle nicht mehr und nicht weniger sagen will als einer schon vorhandenen Bildungstendenz den einstmaligen Sieg zu verheißen, ob sie gleich augenblicklich nicht beliebt, nicht geehrt, nicht verbreitet ist. Sie wird aber siegen, wie ich mit höchstem Vertrauen annehme, weil sie den größten und mächtigsten Bundesgenossen hat, die Natur: wobei wir freilich nicht verschweigen dürfen, daß viele Voraussetzungen unsrer modernen Bildungsmethoden den Charakter des Unnatürlichen an sich tragen und daß die verhängnisvollsten Schwächen unserer Gegenwart gerade mit diesen unnatürlichen Bildungsmethoden zusammenhängen. Wer mit dieser Gegenwart sich durchaus eins fühlt und sie als etwas »Selbstverständliches« nimmt, den beneiden wir weder um diesen Glauben noch um dies skandalös gebildete Modewort »selbstverständlich«: wer aber, auf dem entgegengesetzten Standpunkte angelangt, bereits verzweifelt, der braucht auch nicht mehr zu kämpfen und darf sich nur der Einsamkeit ergeben, um bald allein zu sein. Zwischen diesen »Selbstverständlichen« und den Einsamen stehen aber die Kämpfenden, das heißt die Hoffnungsreichen, als deren edelster und erhabener Ausdruck unser großer Schiller vor unsern Augen steht, so wie ihn uns Goethe in seinem Epilog zur Glocke schildert:

Nun glühte seine Wange roth und röther
Von jener Jugend, die uns nie entfliegt,
Von jenem Muth, der, früher oder später,
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt,
Von jenem Glauben, der sich stets erhöhter
Bald kühn hervordrängt, bald geduldig schmiegt,
Damit daß Gute wirke, wachse, fromme,
Damit der Tag dem Edlen endlich komme.

– Das bisher von mir Gesagte möge von meinen geehrten Zuhörern im Sinne eines Vorwortes aufgenommen werden, dessen Aufgabe nur sein durfte, den Titel meiner Vorträge zu illustriren und ihn gegen mögliche Mißverständnisse und unberechtigte Anforderungen zu schützen. Um nun sofort, am Eingange meiner Betrachtungen, vom Titel zur Sache übergehend, den allgemeinen Gedankenkreis zu umschreiben, von dem aus eine Beurtheilung unserer Bildungsanstalten versucht werden soll, soll, an diesem Eingange, eine deutlich formulirte These als Wappenschild jeden Hinzukommenden erinnern, in wessen Haus und Gehöft er zu treten im Begriff ist: falls er nicht, nach Betrachtung eines solchen Wappenschildes, es vorzieht einem solchen damit gekennzeichneten Haus und Gehöft den Rücken zu kehren. Meine These lautet:

Zwei scheinbar entgegengesetzte, in ihrem Wirken gleich verderbliche und in ihren Resultaten endlich zusammenfließende Strömungen beherrschen in der Gegenwart unsere ursprünglich auf ganz anderen Fundamenten gegründeten Bildungsanstalten: einmal der Trieb nach möglichster Erweiterung der Bildung, andererseits der Trieb nach Verminderung und Abschwächung derselben. Dem ersten Triebe gemäß soll die Bildung in immer weitere Kreise getragen werden, im Sinne der anderen Tendenz wird der Bildung zugemuthet, ihre höchsten selbstherrlichen Ansprüche aufzugeben und sich dienend einer anderen Lebensform, nämlich der des Staates unterzuordnen. Im Hinblick auf diese verhängnißvollen Tendenzen der Erweiterung und der Verminderung wäre hoffnungslos zu verzweifeln, wenn es nicht irgendwann einmal möglich ist, zweien entgegengesetzten, wahrhaft deutschen und überhaupt zukunftsreichen Tendenzen zum Siege zu verhelfen, das heißt dem Triebe nach Verengerung und Concentration der Bildung, als dem Gegenstück einer möglichst großen Erweiterung, und dem Triebe nach Stärkung und Selbstgenugsamkeit der Bildung, als dem Gegenstück ihrer Verminderung. Daß wir aber an die Möglichkeit eines Sieges glauben, dazu berechtigt uns die Erkenntniß, daß jene beiden Tendenzen der Erweiterung und Verminderung ebenso den ewig gleichen Absichten der Natur entgegenlaufen als eine Concentration der Bildung auf Wenige ein nothwendiges Gesetz derselben Natur, überhaupt eine Wahrheit ist, während es jenen zwei anderen Trieben nur gelingen möchte, eine erlogene Cultur zu begründen.


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