Margarete von Navarra
Das Heptameron
Margarete von Navarra

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Siebenzigste Erzählung

Die zügellose Wildheit einer Herzogin hat ihren Tod und den eines Liebespaares zur Folge.

»Im Herzogtum Burgund lebte ein hochedler Herzog, der ein gar schöner Fürst war und eine Frau geheiratet hatte, deren bestrickende Schönheit ihn all ihre sonstigen Eigenschaften verkennen ließ. Also suchte er ihr auf jede Weise zu gefallen, und sie tat, als erwidere sie seine Gefühle. In des Herzogs Schloß lebte nun ein junger Edelmann, der schier alle menschlichen Vollkommenheiten in sich vereinte, und von allen geliebt wurde, insonderheit von dem Herzog, der ihn seit seiner Jugend bei sich aufgezogen hatte und ihm nun angesichts seiner Vorzüge alles anvertraute, was er nur bei seiner Jugend zu bewältigen vermochte.

Die Herzogin aber besaß weder das Herz eines Weibes noch gar das einer tugendhaften Fürstin: sie begnügte sich weder mit der Liebe noch der Fürsorge ihres Gatten, blickte oft auf den Jüngling, und da er ihr gefiel, verliebte sie sich in ihn gegen allen Sinn und Verstand. Ohn' Unterlaß suchte sie ihm ihre Gefühle durch schmachtende, klagende Blicke, durch Seufzer und leidenschaftliches Gebaren zu verstehen zu geben. Da jener aber nur die Tugend kannte, begriff er solche Äußerungen des Lasters nicht bei einer Dame, die doch dazu gar keine Ursache hatte. So erntete sie nur wütende Verzweiflung und quälte sich eines Tages derart, daß sie ihre Frauennatur vergaß und, statt sich bitten zu lassen und abzuweisen, gleich einem Manne sich entschloß, ihre unerträgliche Gier zu stillen.

Sobald also ihr Mann zur Ratssitzung gegangen war, wohin ihm der Jüngling ob seiner Jugend nicht folgen durfte, machte sie diesem ein Zeichen; flugs nahte er ihr, weil er vermeinte, sie wolle ihm einen Auftrag geben. Sie aber stützte sich auf seinen Arm, führte ihn in einen Saalgang und sprach: ›Wie kommt es, daß ein so schöner anmutiger Jüngling wie Ihr unter so viel liebreizenden Damen lebt, ohne sich je in eine zu verlieben?‹ Und damit schaute sie ihn über die Maßen zärtlich an und schwieg, derweile er antwortete: ›Hohe Frau, wäre ich näherer Beachtung Eurer Hoheit wert, so würdet Ihr gar mehr erstaunt sein, zu sehen, daß ein Unwürdiger, wie ich, seine Dienste darbringt, um Spott und Ablehnung zu ernten.‹

Ob dieser klugen Antwort liebte die Herzogin ihn noch mehr und schwor ihm zu, daß jede Dame des Hofes von seiner Liebe beglückt wäre und er es nur wagen solle. Er aber hielt weiter die Augen gesenkt und wagte die glühenden Blicke nicht aufzufangen, die einen Eisblock hätten zum Schmelzen bringen können. Just als er sich unter Entschuldigungen zurückziehen wollte, wurde die Herzogin zu ihrem Bedauern auch zu der Ratssitzung gerufen. Der Jüngling aber tat auch fürder, als habe er nichts verstanden. Das quälte sie namenlos, und sie gab schließlich seiner Schüchternheit alle Schuld.

Darum beschloß sie einige Tage später, alle Angst und Scham in den Wind zu schlagen und ihm offen ihre Gefühle zu erklären. Also nahm sie ihn nach einigen anderen vergeblichen Gesprächen beim Ärmel und erklärte Ihm, sie müsse ihn in einer wichtigen Sache sprechen. Voll Demut und Ergebenheit, so wie es seine Pflicht war, ging er zu ihr in eine tiefe Fensternische, darein sie sich zurückgezogen hatte. Und da sie nun sicher war, daß niemand sie vom Zimmer aus sehen konnte, setzte sie mit einer Stimme, die zwischen Begierde und Angst bebte, ihre ersten Anträge fort und meinte wieder, jegliche Dame würde ihm gern die beste Aufnahme zuteil werden lassen. Darob erstaunte er, geriet in Entrüstung und entgegnete: ›Würde ich nur einmal abgewiesen, so wäre alle meine Lebensfreude dahin, und dabei weiß ich, daß ich die Gunst keiner Dame dieses Hofes verdiene!‹

Die Herzogin vermeinte, nun sei er gleich besiegt, und versicherte ihm, wenn er nur wolle, würde die schönste Frau dieses Hauses ihn mit Freuden aufnehmen und darob würde er gewißlich unsäglich zufrieden sein. ›Ach, edle Frau,‹ entgegnete er, ›ich glaube nicht, daß es hier ein so unglückliches verblendetes Weib gibt, das an mir Gefallen fände.‹ Da sie nun inne ward, daß er sie nicht verstehen wollte, begann sie ihre Glut zu enthüllen. Doch aus Furcht vor seiner Tugendhaftigkeit bediente sie sich einer Frage: ›Was würdet Ihr sagen, wenn das Glück Euch also segnete, daß just ich selbst Eurer Liebe harrte?‹ Und der Edelmann, der das schon erwartet hatte, beugte das Knie und sprach: ›Wenn Gott mir die Gunst meines Herrn und die Eure allezeit bescheren würde, wäre ich der glücklichste Mensch der Welt. Und da der Herzog mich von Jugend an bei sich aufgezogen hat, so will ich ihm und den Seinen ein treuer Diener sein und nie je einen andern Gedanken in meinem Herzen tragen.‹

Die Herzogin ließ ihn nicht weiter sprechen, weil sie eine kränkende Ablehnung fürchtete, und unterbrach ihn kurz: ›Ach, Ihr eingebildeter Narr, wer bittet Euch denn um anderes? Glaubt Ihr, in Eure Schönheit verliebt sich jede Fliege? Wenn Ihr so verwegen wäret, Euch an mich zu wenden, so würde ich Euch zeigen, daß ich nur meinen Gatten liebe. Meine Worte vorher waren nur zur Kurzweil, aus Neugierde und um mich über törichte Liebhaber lustig zu machen.‹ – ›Edle Frau,‹ erwiderte jener, ›das nahm ich auch an und glaube es darum gern.‹

Sie aber hörte ihn weiter nicht an, sondern ging eilends in ihr Gemach. Und weil ihre Damen ihr folgten, begab sie sich in ihr Kabinett, wo sie sich unbeschreiblichem Kummer hingab. Einerseits quälte sie ihre Liebe, andrerseits der Zorn über seine kluge Ablehnung. Sie vermeinte vor Wut zu sterben; dann aber wollte sie am Leben bleiben, um sich an diesem vermeintlichen Todfeinde zu rächen. Nachdem sie derart lange Zeit geweint hatte, stellte sie sich krank, um nicht an der Abendmahlzeit teilzunehmen, bei der jener Jüngling den Herzog bediente.

Ihr Mann aber besuchte sie ob seiner großen Liebe zu ihr. Und um leichter zum Ziel zu kommen, gab sie vor: wahrscheinlich, da sie in andern Umständen sei, habe sie sich einen schweren Augenkatarrh zugezogen. So verbrachte sie zwei, drei Tage voll trauriger Verzweiflung, also daß der Herzog sich wohl sagte, daß hier nicht jene Schwangerschaft die Ursache war. Darum ruhte er eines Nachts bei ihr, beglückte und ergetzte sie nach Kräften und sagte schließlich, als er darob ihre Seufzer doch nicht zum Schweigen brachte: ›Teure Freundin, Ihr wißt, daß ich Euch mehr liebe als mich selbst. Darum sagt mir bitte, um meine Gesundheit ungefährdet zu erhalten, worob Ihr also seufzet; denn ich kann nicht glauben, daß es nur von einer Schwangerschaft kommt.‹

Da nun die Herzogin inne ward, daß sie jetzt alles verlangen könne, bedachte sie, daß die Stunde der Rache gekommen sei, umarmte ihren Mann und sprach: ›Wehe, o Herr, mein großes Leid besteht darin, daß ich Euch von Leuten betrogen sehe, die Eure Ehre wohl hüten sollten.‹ Ob dieser Worte wollte der Herzog gern wissen, von wem sie spräche, und bat sie, furchtlos die Wahrheit zu sagen. Das verweigerte sie mehrmals, aber endlich sprach sie: ›Ich verwundere mich nun nicht mehr, daß Freunde einen Fürsten anfeinden, wenn jener Edelmann‹ (hier nannte sie seinen Namen) ›es gewagt hat, an die Ehre Eures Hauses und Eurer Kinder zu tasten. Erst konnte ich ihn gar nicht verstehen. Aber schließlich sprach er seine niedrigen Wünsche offen aus. Und ob ich nun gleich ihm geantwortet habe, wie die Sitte es verlangt, so mag ich ihn doch fürder nicht mehr sehen. Darum blieb ich in meinem Gemach, und flehe nun, duldet diese Pest nicht länger in Eurem Hause, denn er könnte gar noch Schlimmeres bewerkstelligen.‹

Zwar liebte der Herzog sein Weib über alles und war ob dieses Schimpfes tief verletzt. Aber andrerseits hatte er die Treue dieses Edelmannes so oft erprobt, daß er die Geschichte kaum glauben konnte und nun in großer Pein war, wo die Wahrheit steckte. Zornig stand er auf und befahl, als er in sein Zimmer ging, der Edelmann solle nicht mehr vor ihm erscheinen und in seiner Wohnung bleiben. Maßen der Jüngling die Ursache nicht kannte, war er ganz außer sich, und seiner Diensttreue sicher entsandte er einen Gefährten mit einem Brief zum Herzog, darin er demütig bat, sofern er Ungünstiges über ihn gehört habe, ihn doch nicht von sich zu verbannen, sondern ihm erlauben zu wollen, daß er zunächst die Wahrheit aufkläre; denn nie habe er sich etwas zuschulden kommen lassen.

Darob besänftigte sich der Zorn des Herzogs ein wenig. Heimlich ließ er ihn in sein Zimmer kommen und sagte mit wütendem Gesicht: ›Ich habe Euch bei mir aufgezogen und hätte nie geglaubt, daß Ihr, statt Dankbarkeit zu üben, die Ehre meines Weibes zu beflecken suchen könntet. Sie selbst hat sich bei mir beklagt, und ihre einzige Waffe ist ihre Keuschheit.‹ Obgleich der Edelmann so die Boshaftigkeit jener Frau erkannte, wollte er sie doch nicht anklagen, sondern erwiderte: ›Ihr kennet sie besser als ich und wißt zudem, ob ich sie jemals anders als in Gesellschaft sprach, außer in einem einzigen Fall, wo sie nur wenige Worte sagte. Ihr seid ein gerechter Richter. So saget selbst, ob Ihr je etwas Verdächtiges gemerkt habt. Jemand müßte doch solch verborgene Leidenschaft wahrnehmen. Aber seid versichert: außer daß sie Eure Gemahlin ist – es gibt hier so viele, in die ich mich verlieben könnte, warum sollte ich da meine Sinne gerade auf diese richten?!‹

Der Herzog wurde milde und hieß ihn, künftig weiter so ehrbar zu bleiben, wenn er ihn aber abfassen sollte, so solle er seines Todes gewiß sein. Der Edelmann dankte ihm und erklärte sich im Übertretungsfalle zu jeder Strafe bereit. Als ihn nun die Herzogin wieder im Dienst sah, machte sie ihrem Gatten die zornigsten Vorwürfe. Der suchte sie zu beruhigen und meinte: falls jener sich etwas zuschulden kommen ließe, würde er nicht vierundzwanzig Stunden am Leben bleiben. Darauf verlangte sie, ihn schwören zu lassen, ob und wen er liebe. ›Denn wenn er eine andere liebt,‹ sagte sie, ›so bin ich, wie Ihr glauben könnt, beruhigt. Wenn aber nicht, dann könnt Ihr sehen, daß ich die Wahrheit sprach.‹

Dieser Vorschlag schien dem Herzog sehr vernünftig, und so ging er mit dem Edelmann ins Feld und sprach: ›Mein Weib wundert sich mit gutem Grunde darüber, daß Ihr nie geliebt habt, soviel man weiß. Gerade darum scheint es mir richtig, daß Ihr meine Frau liebt, und so bitte ich Euch als Freund und befehle Euch als Euer Herr: schwöret mir, ob Ihr eine Dame auf dieser Welt liebt.‹ Nun mußte der Jüngling, obgleich er es so gern verborgen hätte, ob der großen Eifersucht seiner Herrin eingestehen, daß er in der Tat in eine Dame verliebt sei, deren Schönheit selbst die der Herzogin überstrahle. Doch bat er den Namen verschweigen zu dürfen, weil dies Band sicherlich zerrissen würde, wenn einer von beiden den Namen des andern enthüllte. Der Herzog versprach ihm das und war so zufrieden, daß er ihn besser behandelte denn je.

Das bemerkte die Herzogin sehr wohl, und durch kluge Listen erfuhr sie auch bald die Ursache. So gesellte sich zu ihrer Rachsucht noch die Eifersucht, und darum drängte sie den Herzog, sich den Namen sagen zu lassen, weil jener ihn nur durch solche Lüge geblendet habe. Vielmehr sei dies Verschweigen ein neuer Beweis ihrer Behauptung.

Der Herzog ließ sich bestimmen, ging mit dem Jüngling lustwandeln, fragte ihn nach dem Namen, und als jener sich weigerte, stellte er ihn vor die Wahl: entweder die Wahrheit zu sagen oder verbannt zu werden mit der Gefahr, nach acht Tagen eines grausamen Todes zu sterben. So entschloß sich der Jüngling endlich, das Geständnis zu machen, warf sich vor ihm auf die Knie und bat ihn mit gefalteten Händen, ihm zu schwören, daß er niemals dies Geheimnis verraten werde. Das tat jener, und da der Edelmann nun sicher zu sein hoffte, sprach er:

›Vor sieben Jahren lernte ich Eure Nichte kennen, die verwitwet war und keinen Bewerber hatte. Ich bemühte mich um ihre Gunst. Da ich aber nicht hoch genug geboren war, um sie heiraten zu können, begnügte ich mich damit, ihr zu dienen, wie ich es seitdem getan habe. Und Gott hat es gefügt, daß bisher niemand außer ihr und mir etwas davon wußte. So lege ich nun Leben und Ehre in Eure Hand, o Herr, und bitte Euch, die Sache geheimzuhalten und Eure Nichte deshalb nicht minder zu achten. Denn wahrlich, es lebt auf dieser Erde kein reineres und keuscheres Geschöpf.‹

Der Herzog war darob voller Freuden. Er kannte die Schönheit seiner Nichte sehr wohl und wußte, daß sie die seiner Frau noch übertraf. Da er sich aber gar nicht denken konnte, wie das alles so geheimnisvoll vor sich gehen konnte, bat er den Edelmann, ihm zu berichten, wie er sie sähe. Und der erzählte, die Wohnung dieser Dame ginge in einen Garten hinaus. Daselbst bliebe eine kleine Pforte unverschlossen, so oft er kommen wolle. Er käme dort hinein und warte, bis ein kleiner Hund belle, den die Dame in den Garten ließe, sowie alle ihre Frauen sich zurückgezogen hätten. Dann käme er zu ihr und plaudere während der ganzen Nacht mit ihr. Beim Fortgehen sage sie ihm, wann er wiederkommen könne, und das habe er ohne wichtigen Grund noch nie versäumt.

Der Herzog war der neugierigste Mensch der Welt und bat ihn daher, ihn nicht als Herrn, sondern als Gefährten mitzunehmen. Da der Edelmann nun schon so viel zugestanden hatte, erklärte er sich auch dazu bereit, also daß der Herzog froher war als hätte er ein Königreich erobert. So ritten beide das nächstemal zum Hause jener Dame, ließen die Pferde bei der Gartenpforte und traten in den Garten. Der Edelmann hieß den Herzog, sich hinter einem großen Nußbaum verbergen, wo er alles sehen und hören konnte, und alsbald begann der kleine Hund zu kläffen. So schlüpfte der Edelmann in den Schloßturm, wo ihm die Dame entgegenkam und ihn herzte und küßte, als hätten sie sich hundert Jahre nicht gesehen. Dann traten sie in das Gemach, dessen Tür offen blieb, also daß der Herzog, der ihnen nachschlich, ihre keuschen Reden vernehmen konnte. Darob war er tief befriedigt, und nun brauchte er auch nicht lange zu warten; denn der Edelmann gab vor, früh heim zu müssen, weil der Herzog um vier Uhr zur Jagd aufbräche. So ging er schon um ein Uhr nachts von dannen. Der Herzog schlüpfte vor ihm hinaus, beide stiegen zu Pferde und kehrten heim.

Unterwegs schwor der Herzog dem Jüngling unaufhörlich, eher würde er sterben, als dies Geheimnis je ausplaudern. Und fortan schenkte er ihm so viel Vertrauen, daß niemand am Hofe gleiche Gunst genoß. Darob schäumte die Herzogin schier vor Wut. Sie quälte ihren Mann derart, daß er ihr einmal gar drohte, sie zu verlassen, und so nahm die Krankheit der Herzogin immer noch zu. Doch gab sie vor, nur für ihr Kind besorgt zu sein, das sie unter dem Herzen trug. Der Herzog war darob so erfreut, daß er wieder eine Nacht bei ihr zubrachte. Aber sobald sie sah, daß die Leidenschaft ihn übermannte, wandte sie ihm den Rücken zu und sprach: ›Ihr liebet weder Weib noch Kind, darum lasset uns beide sterben.‹

Und alsbald erhob sie solch Geschrei und tränenvolle Klagen, daß der Herzog fürchtete, sie könne eine Frühgeburt haben, und sie tröstend fragte, was sie denn wolle. Alsbald erklärte sie ihm, daß er ihr sein Geheimnis nicht anvertrauen wolle, obgleich er doch durch sein Kind in ihr lebe, er also wahrlich die Pflicht habe, ihr das zu sagen, und dabei umarmte und küßte sie ihn, übergoß sein Gesicht mit einer Flut von Tränen und jammerte und ächzte so herzzerreißend, daß ihr Gatte Weib und Kind zu verlieren fürchtete. So schwor er ihr zunächst, sie würde von seiner Hand sterben, wenn sie jemandem davon spräche, und sie nahm diese Bedingung an. Nunmehr enthüllte der arme betrogene Mann ihr alles, und sie tat sehr erfreut darüber und verbarg, wie sehr es sie wurmte.

Nun war bald darauf ein großes Fest, das der Herzog der Hofgesellschaft veranstaltete. Unter den geladenen Damen befand sich auch jene Nichte. Als die Tänze begannen, ward die Herzogin über die Maßen beim Anblick jener schönen anmutigen Frau gequält, so daß sie keine Freude, nur Grimm empfinden konnte. So rief sie alle Damen zu sich, ließ sie bei ihr Platz nehmen und begann von Liebe zu sprechen. Und als sie merkte, daß ihre Nichte schwieg, da barst ihr Herz schier vor Eifersucht und sie sagte: ›Und Ihr, schönste Nichte: ist es möglich, daß Eure Schönheit keinen Freund oder Diener errungen haben sollte?‹ – ›Hohe Frau,‹ entgegnete jene, ›meine Schönheit ließ mich ohne Gewinn. Seit dem Tode meines Gatten hatte ich keine Freunde als meine Kinder, die meine ganze Zufriedenheit ausmachen.‹ – ›Ei, schöne Nichte,‹ sprach die Herzogin in bitterstem Grimme, ›es gibt keine noch so geheime Liebe, die nicht bekannt würde, noch gar wohlgezogene Hündlein, deren Bellen man nicht hören könnte.‹

Ihr könnt euch den Schmerz vorstellen, der das Herz jener armen Dame zusammenkrampfte, als sie ein so wohlgeborgenes Geheimnis so schimpflich enthüllt sah. Daneben quälte sie der Verdacht, daß ihr Freund sein Versprechen gebrochen habe; doch ließ sie sich nichts merken und erwiderte lachend, daß sie die Sprache der Tiere nicht verstünde. Aber dann erhob sie sich gepreßten Herzens und ging durch das Gemach der Fürstin in eine Kleiderstube, davor der Herzog auf und ab ging. Der sah sie wohl, aber sie vermeinte allein zu sein und ließ sich nun so erschöpft auf ein Bett niedersinken, daß eine Kammerzofe, die im Durchgang etwas schlafen wollte, aufwachte und durch den Bettvorhang schaute, wer das wohl sei. Und da sie merkte, daß es die Nichte des Herzogs sei, die sich allein glaubte, schwieg sie und horchte zu. Die Ärmste aber begann, halb tot vor Leid, also zu klagen: ›Unselige, was hast du da gesagt? Wie konntest du also mein Todesurteil aussprechen?‹ Und so erzählte sie jener unbewußt den ganzen Vorfall und klagte ihren Freund und die Herzogin des Verrates an. Dabei überwältigten sie Leid und Gram derart, daß sie kreidebleich wurde, ihre Lippen sich blau färbten und ihre Glieder erstarrten; und also sank sie rücklings zu Boden.

Just in diesem Augenblick betrat der Edelmann den Saal, und da er jene überall suchte, kam er auch in das Gemach der Herzogin, darinnen der Herzog sich befand. Der erriet seinen Gedanken und flüsterte ihm ins Ohr: ›Sie ist in die Kleiderstube dort gegangen; mir schien, daß sie sich unwohl fühlte.‹ Und er ließ ihn hineingehen. Als der Edelmann die Stube betrat, sah er sie im Verscheiden. Eilends umfing er sie, aber mit einem Blick voll Liebe und Zorn wuchs noch ihr Leid, und unter einem klagenden Seufzer hauchte sie ihre Seele aus.

Halb tot vor Schreck fragte der Edelmann die Zofe, was für eine Krankheit die arme Dame ergriffen habe. Und da jene ihm die Worte der Verblichenen berichtete, erkannte er, daß der Herzog das Geheimnis seinem Weib enthüllt hatte. Unter Tränen umarmte er die Leiche und klagte derweile den Herzog ob seines Verrates an und enthüllte dabei auch die Schlechtigkeit seines Weibes. Dann plötzlich erhob er sich wie ein Mensch, der seinen Verstand verloren hat, zückte seinen Dolch, durchbohrte sich mit gewaltiger Kraft das Herz und umfing flugs mit solcher Glut den Leib der Toten, als sei er mehr in den Armen der Liebe als des Todes. Die Zofe aber schrie um Hilfe, als er sich den Dolch in die Brust bohrte. Bei diesem Schrei ahnte den Herzog ein Unheil, er stürzte in die Stube und suchte den Edelmann loszureißen, um ihn, wenn möglich, zu retten. Aber der klammerte sich so fest an die Verblichene, daß man seine Umschlingung erst lösen konnte, nachdem er selbst verschieden war. Doch hörte er noch des Herzogs Frage: ›Wehe, wer ist daran schuld?‹ und antwortete mit wütendem Blick: ›Meine Zunge und die Eure, Herr.‹ Dann preßte er sein Antlitz auf das der Freundin und verschied.

Nunmehr zwang der Herzog die Zofe, da er mehr wissen wollte, zu erzählen, was sie gesehen und gehört habe; und das tat sie denn des Langen und Breiten. Daraus entnahm jener, daß er selbst all dies Unheil verursacht hatte, warf sich unter Tränen und Klagen auf das tote Liebespaar, bat sie um Verzeihung und küßte beide zu wiederholten Malen. Dann erhob er sich wutentbrannt, riß den Dolch aus der Leiche des Edelmannes, und gleichwie ein Keiler, den man mit einem Spieß verwundet hat, sich in jähem Ungestüm auf den Jäger wirft, so stürzte er sich auf jene Frau, die ihn in der tiefsten Seele verwundet hatte. Er fand sie beim Tanz im Saal, fröhlicher denn je, weil sie vermeinte, an des Herzogs Nichte eine gute Rache verübt zu haben.

Der Herzog packte sie inmitten des Tanzes an und sprach: ›Ihr habt das Geheimnis mit Euerm Leben verbürgt, und so wird auf Euer Leben die Strafe fallen.‹ Damit ergriff er sie beim Schopf und stieß ihr den Dolch in die Kehle. Die Gäste waren tief erschüttert und vermeinten, der Herzog sei von Sinnen. Der aber versammelte nach vollbrachter Tat all seine Untergebenen im Saal um sich und erzählte ihnen die ehrbaren und traurigen Schicksale seiner Nichte und den bösen Streich, den sein Weib verübt hatte. Und gar viele der Anwesenden vergossen darob heiße Tränen.

Alsdann ließ der Herzog sein Weib in einer Abtei beisetzen, die er gründete, und ein herrliches Grabmal bauen, darinnen die Leichen seiner Nichte und des Edelmannes gemeinsam bestattet wurden. Und eine Inschrift berichtet ihr erschütterndes Geschick.

Bald darauf unternahm der Herzog einen Feldzug gegen die Türken, und Gott begünstigte sein Vorhaben, also daß er Ruhm und Gewinn erntete. Als er aber zurückkehrte und inne ward, daß sein Sohn alt genug sei, um seine Herrschaft zu führen, legte er seine Würden nieder und ging als Mönch in jene Abtei, darinnen sein Weib und das Liebespaar bestattet waren. Dort verlebte er sein Alter mit Gott in Glück und Frieden.

Dies, meine Damen, ist die Geschichte, um die ihr mich batet, und die ihr, wie mir eure Augen verraten, nicht ohne Mitgefühl vernommen habt. So nehmet euch daraus ein Beispiel und setzet bei einer Liebe nie eure Ehre aufs Spiel. Denn mag sie auch ansonsten voller Sittsamkeit sein, am Ende kann sie doch ein böses Nachspiel haben. Auch der Apostel Paulus will ja, daß nur Verheiratete solch innige Liebe zu einander hegen, weil unsere Sache sich in dem Maße von himmlischer Liebe entfernt, je mehr sie sich an irdische Dinge klammert. Je ehrenhafter und tugendsamer eine Neigung ist, um so schwerer ist dies Band zu zerreißen. Darum bitte ich euch, flehet zu jeder Stunde Gott an, euch mit dem Heiligen Geist zu erleuchten, damit er euer Herz so sehr in himmlischer Liebe entflamme, daß es auch keinen Schmerz bereitet, im Tode die Lieben zu verlassen, an denen euer Herz allzusehr hängt.«

»Wenn jene Liebe so ehrbar war, wie Ihr es schildert,« meinte Hircan, »«warum mußte sie dann also verborgen gehalten werden?« – »Weil die Bosheit der Menschen derart ist, daß sie nie an die Ehrsamkeit so großer Liebe glauben will,« sprach Parlamente. »Sie beurteilen Männer und Frauen nach ihren eignen unzüchtigen Leidenschaften. Darum auch muß eine Frau, die neben ihrer engsten Verwandtschaft einen guten Freund hat, insgeheim mit ihm plaudern, wenn sie ihm mehr als drei Worte sagen will. Denn die Ehre der Frau wird gleichermaßen bezweifelt, ob sie nun tugendsam oder lasterhaft liebt. Man hält sich nur an das, was man sieht.«

»Aber wenn das Geheimnis enthüllt wird, nimmt man doch das Schlimmste an,« entgegnete Guebron. Worauf Longarine ausrief: »Deshalb muß ich schier gestehen – das beste ist, man liebt überhaupt nicht!« – »Das können wir nicht gelten lassen,« widersprach Dagoucin. »Denn wenn wir glauben sollten, daß die Damen ohne Liebe sind, dann wollten wir gern auf unser Leben verzichten. Ich verstehe es vielmehr so, daß sie nur dafür leben, um Liebe zu erringen. Und gelingt ihnen das selbst nicht, so hält sie doch die Hoffnung aufrecht und läßt sie hunderttausend edle Dinge vollbringen, bis das Alter ihre edlen Leidenschaften in andere Sorgen umwandelt. Der Gedanke, daß die Frauen nimmer lieben, würde die Krieger in Krämer verwandeln, die statt an Ehre nur noch daran denken, Reichtümer einzuheimsen.«

»Das heißt also,« spottete Hircan, »wenn's keine Frauen mehr gäbe, so wären wir alle böse Schelme, gleich als ob wir nur den Mut und das Herz besäßen, womit jene uns beschenken. Ich bin gerade der entgegengesetzten Ansicht: ich meine, nichts beengt mehr ein Männerherz, als zuviel Sorge und Liebe für eine Frau. Darum bestimmten die Gesetze der Hebräer, daß die Männer im ersten Ehejahre nicht in den Krieg ziehen sollen; denn sie befürchteten, daß jene aus Liebe zu ihrem Weibe sich den Gefahren, die der Krieg erheischt, entzögen.«

»Ich finde dies Gesetz nicht sehr vernünftig,« entgegnete Saffredant. »Gerade die Ehe jagt die Männer vor allem aus dem Hause, maßen der Krieg im Felde erträglicher ist als der in der Familie. Ich meine just, man sollte die Männer verheiraten, um in ihnen die Begierde zum fremden Lande zu erwecken und die Freuden am eignen Herde zu nehmen.«

»Das ist wahr!« rief Emarsuitte. »Die Ehe raubt ihnen die Sorge für ihre Familie. Sie vertrauen alles ihren Frauen an, denken nur noch an Ruhmesernten und vermeinen, daß die Frauen den Gewinn schon sorglich hüten werden.« Und Saffredant erwiderte: »Ich freue mich in jeder Beziehung, daß Ihr meiner Ansicht seid.«

«Aber ihr redet gar nicht vom Wichtigsten,« unterbrach Parlamente. »Warum starb jener Edelmann, der an all jenem Unheil schuld war, nicht auf der Stelle gleich jener unglückseligen Dame, die doch schuldlos war, vor Kummer und Gram?« Nomerfide entgegnete: »Weil die Frauen inniger lieben als die Männer.«

»Keineswegs,« entrüstete sich Simontault. »Vielmehr bersten die Frauen vor Eifersucht und Verlangen, ohne selbst zu wissen warum. Die Einsicht der Männer aber läßt sie erst nach der Wahrheit forschen. Daß sie selbige klugen Sinnes ergründen, erweist gerade ihre innere Überlegenheit. So geschah es mit dem Edelmann, der da bewies, wie innig er seine Freundin liebte, und darob den Tod nicht scheute, nachdem er den Grund ihres Endes erfahren hatte.«

»Jedenfalls starb sie aus wahrer Liebe,« meinte Emarsuitte, »denn ihr treues Herz vermochte solch niederen Verrat nicht zu ertragen.« – »Das war eben die Eifersucht,« sagte Simontault, »die den Ausschlag gab. Sie setzte bei ihrem Freunde eine Schlechtigkeit voraus, die ihm gar nicht zu Eigen war, vernünftige Überlegung kannte sie nicht, und da sie also ein Heilmittel nicht fand, mußte der Tod erfolgen. Ihr Freund aber starb freiwillig, nachdem er ihr Unglück erfahren hatte.«

»Wie groß muß doch eine Liebe sein, die solchen Schmerz verursacht,« grübelte Nomerfide. Hircan erwiderte spottend: »Seid getrost, Ihr werdet nicht an solcher Krankheit sterben.« – »Und Ihr,« erboste sich jene, werdet Euch nicht töten, wenn Ihr solche Schmach erlebt.«

Parlamente merkte, daß der Streit auf ihre Kosten ging. Darum rief sie lachend: »Es genügt, daß zwei ob ihrer Liebe gestorben sind, wozu sollen sich zwei andere aus gleichem Grund streiten! Eben tönt die Vesperglocke, wollt ihr nun also aufbrechen oder nicht?!«

Daraufhin erhoben sich alle, gingen zum Gottesdienst und schlossen in ihr Gebet auch die Seelen jenes wahrhaftigen Liebespaares ein. Für sie auch sagten die Mönche bereitwilligst ein ›De profundis‹. Und während des Abendessens sprachen sie nur immerfort von Frau du Verger (jener Nichte des Herzogs und Freundin des Edelmannes). Nachdem sie alsdann einige Zeit mitsammen verbracht hatten, zog sich jeglicher in seine Stube zurück. Und also beendeten sie den siebenten Tag.


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