Margarete von Navarra
Das Heptameron
Margarete von Navarra

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Vierzigste Erzählung

Ein Edelmann erschlägt einen andern, weil er nicht weiß, daß es sein Schwager ist.

»Jener Vater Rolandines hatte mehrere Schwestern, von denen einige reich verheiratet, andere im Kloster waren. Eine aber, die unvergleichlich viel schöner war als alle anderen, blieb unvermählt im Hause, und ihr Bruder liebte sie mehr denn Weib und Kind. So oft jemand um sie anhielt, zeigte er sich abgeneigt, weil er die Trennung fürchtete und zudem zu sehr am lieben Gelde hing. Und so verbrachte sie in Ehrbarkeit einen großen Teil ihres Lebens daselbst, ohne sich zu vermählen.

Nun lebte bei ihrem Bruder ein junger Edelmann, der von Jugend an dort aufgewachsen war und mit der Zeit so an Schönheit und Tugend zunahm, daß er ganz unvermerkt seinen Herrn beherrschte. Wollte selbiger etwas von seiner Schwester, so schickte er stets den Edelmann, und so entstand allmählich zwischen den beiden eine herzliche Freundschaft. Doch aus Scheu vor dem Schloßherrn und um der Ehre seiner Schwester willen begnügten sie sich mit Plaudern, bis eines Tages der Bruder erklärte, er hätte gern sein Geld darangegeben, daß jener junge Edelmann aus gleich edlem Hause wäre, maßen er niemanden lieber als ihn zum Schwager gehabt hätte. Das wiederholte er so oft, daß die beiden endlich darüber sprachen und zu dem Entschluß kamen: wenn sie sich heimlich vermählen würden, könnten sie leicht des Schloßherrn Verzeihung erringen. Und also taten sie und vollzogen die Ehe, ohne daß jemand sonsten darum wußte, als der Priester und einige Frauen.

Nachdem sie derart eine Reihe von Jahren gelebt hatten, so glücklich eines der schönsten Ehepaare der Christenheit nur leben konnte, beneidete sie wohl Fortuna ob ihrer Zufriedenheit und ließ ihnen einen Feind erstehen. Der erspähte sie, just als sie ihr Glück in vollen Zügen genossen, und da er von jener Ehe nichts wußte, so hinterbrachte er dem Schloßherrn: jener Edelmann, dem er so sehr vertraue, besuche auffällig oft die Gemächer der Schwester zu Zeiten, da Männer sie nicht betreten dürften. Der Bruder wollte ihm anfangs nicht glauben. Aber jener stellte nun, gleich als läge ihm die Ehre des Hauses allzusehr am Herzen, einen Aufpasser hin, der die Nichtsahnenden wirklich überraschte.

So wurde also eines Abends der Bruder benachrichtigt, daß der Edelmann bei seiner Schwester weile. Flugs ging er hin und fand die beiden von Liebe Verblendeten beieinander im Bett ruhen. Der Zorn raubte ihm die Worte: er zog den Degen und stürzte auf den Edelmann zu, um ihn zu erstechen. Der aber war behende, entwich ihm, und da er zu Tür nicht hinauskonnte, sprang er aus dem Fenster in den Garten. Die arme Dame warf sich im Hemd vor ihrem Bruder auf die Knie und rief: ›Schont meines Gatten Leben: ich habe mich ihm vermählt, und wenn Euch das kränkt, so straft mich allein, denn es geschah auf meinen Wunsch!‹

Der Bruder aber war vor Zorn außer sich und erklärte: ›Und mag er hunderttausendmal dein Gatte sein, ich werde ihn als einen Diener strafen, der mein Vertrauen getäuscht hat!‹ Und damit lief er zum Fenster und schrie hinaus, man solle jenen töten, was auch alsbald vor beider Augen geschah. Als aber die Schwester dies grauenhafte Bild sah, das sie durch keine Bitten hatte verhindern können, da redete sie wie von Sinnen und sprach:

›Ich habe weder Vater noch Mutter und bin alt genug, mich nach eigenem Willen verheiraten zu können. Ich nahm den, von dem Ihr selbst oft sagtet, daß Ihr ihn mir zum Manne wünschtet. Trotzdem habt Ihr nun so meinen Liebsten getötet. So bitte ich Euch denn bei Eurer Liebe zu mir, laßt mich ihm in den Tod folgen, damit ich sein Geschick teile, wie wir all unser Glück geteilt hatten!‹

Der Bruder ward, trotzdem er vor Zorn raste, doch so weit von Mitleid ergriffen, daß er sie, ohne auf ihre Bitte zu antworten, verließ. Mochte er nun bei ruhiger Überlegung und ob der Kunde von jener Vermählung sein Verbrechen bereuen; mochte er fürchten, daß seine Schwester um Recht und Rache flehen könne – kurz, er ließ ihr jenes Schloß inmitten des Waldes bauen, sperrte sie dort ein, und verbot jedem mit ihr zu sprechen.

Nach einiger Zeit quälte ihn aber sein Gewissen. Er wollte sie wieder für sich gewinnen und schlug ihr eine Heirat vor. Sie aber ließ ihm sagen, er habe ihr eine so schlimme Suppe eingebrockt, daß sie auf weitere Gänge verzichte und hoffe dadurch, daß sie allein lebe, ihn vor einem weiteren Morde zu behüten. Zwar sei sie selbst zur Rache zu schwach, doch rechne sie auf den Richter droben, der kein Verbrechen ungestraft lasse und dem sie nun ihr einsames Leben weihen wolle.

Also tat sie, blieb ihr ganzes Leben dort und ward nach ihrem Tode wie eine Heilige verehrt. Bald verfiel auch das Haus ihres Bruders derart, daß von sechs Söhnen fünf im Elend starben. Und schließlich, wie ich erzählt hatte, starb auch der letzte und die ganze Erbschaft fiel an jene Rolandine, die in dem gleichen Gefängnis gelebt hatte wie ihre Tante.

So bitte ich Gott, daß an diesem Beispiele euch allen die Lust vergeht, meine Damen, euch zu eurem Vergnügen ohne Zustimmung eurer Verwandten zu vermählen. Solch ernsten Schritt soll man nicht leichtfertig und ohne guten Rat unternehmen, sonst kann man ebensoviel Leid als Lust erleben.«

»Dennoch scheint mir die Freude, den Geliebten zu heiraten, so groß, daß sie den Kummer überwiegen muß, ihn durch den Tod zu verlieren,« meinte Nomerfide. »Denn das ist doch der Lauf der Welt. Zudem war sein Tod der kürzeste und somit der beste. Denn ich kann nur die glücklich preisen, die nicht lange in den Vorhallen des Todes zu weilen brauchen und geradeswegs aus dieser irdischen in die ewige Seligkeit einziehen.« – »Und scheint Euch denn die Schande nichts,« fragte Longarine, »und jene Gefangenschaft, die sie erdulden mußte?« – »Ich finde,« erwiderte diese, »wer vollkommen und nach Gottes Geboten liebt, kennt keine Schande. Was aber jene Gefangenschaft betrifft, so kann sie, die darin einzig Gott und dem Gedenken ihres Mannes lebte, selbige nur als Freiheit empfunden haben. Zudem ist kein Gefängnis eng, wenn die Gedanken sich in weitem Fluge ergehen können.« – »Aber wie konnte auch der Schloßherr also den Edelmann vor seiner Schwester rühmen!« rief Longarine. »Das gleicht der Torheit und Grausamkeit jenes Mannes, der einem vor Durst Ersterbenden die Güte seiner Quelle rühmt und ihn tötet, weil er davon trinkt.«

»Ich finde es vielmehr verwunderlich,« sprach Saffredant, wie man es schlimm finden kann, daß ein schlichter Edelmann ohne List oder Gewalt eine Frau aus großem Hause heiratet, maßen doch der geringste Mann immer noch mehr wert ist als die vornehmste Frau.« – »Das geschieht für die Öffentlichkeit,« sagte Dagoucin, »damit nicht durch Nichtachtung des Adels die Monarchie untergraben werde.« – »Es gibt auch manche Liebesehen,« widersprach Guebron, »die zustande kamen, obgleich die Familien nicht gleich wert waren. Aber man hat sie bereut, obgleich Herz und Anlagen gleich schienen: solch unerwünschte Liebe führt zu Eifersucht und wilden Wutausbrüchen.« – »Mir scheint einzig lobenswert,« schnitt Parlamente ab, »daß alle Menschen sich Gottes Willen unterwerfen, Ruhm, Geiz und Wollust verachten und in Züchten und Ehren nach den Sitten und Gesetzen in die Ehe treten. Gibt es auch kein Leben ohne Leid, so wird diesen doch keine Reue zuteil.«

Alsbald schwuren Hircan, Guebron, Simontault und Saffredant, daß sie sich nur so verheiratet hätten und es nie bereuen würden. So waren alle zufrieden und begaben sich zur Messe, wo die Mönche ihrer harrten. Danach speisten sie und sprachen dabei noch gar mancherlei über die Ehe. Doch redeten sie so hin und wieder, daß sich das nicht im einzelnen berichten läßt. Drob nahte die Stunde der Nacht schneller als sie es erwarteten. Nur Oisille merkte, daß es Zeit wurde, sich zurückzuziehen, und gab darum das Zeichen zum Aufbruch. Und so gingen alle in ihre Stuben, zumal die Eheleute, die statt zu schlafen, einen Teil der Nacht von vergangenen Liebesstunden plauderten und die gegenwärtigen auskosteten. Derart verging gar sanft die Nacht, bis der Morgen anbrach.


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