Margarete von Navarra
Das Heptameron
Margarete von Navarra

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Zweiundzwanzigste Erzählung

Ein eifriger Prior sucht unter dem Deckmantel der Frömmigkeit mit allen Mitteln eine Nonne zu verführen, wodurch seine Bosheit am Ende entschleiert wird.

»Zu Paris lebte ein Prior des Klosters Saint-Martin-des-Champs, dessen Namen ich in Anbetracht unserer früheren freundschaftlichen Beziehungen verschweigen will. Bis zu seinem fünfzigsten Jahre führte er ein gar sittenstrenges Leben, also daß sich der Ruf seiner Heiligkeit über ganz Frankreich verbreitete und hohe fürstliche Persönlichkeiten ihn voll Achtung empfingen. Alle Verbesserungen in der Kirche gingen von ihm aus und schufen ihm den Beinamen ›Vater des wahren Glaubens‹. So wurde er zum Visitator der großen Frauenklöster von Fontevrault ernannt und alle Nonnen erzitterten vor Angst, wenn er eines dieser Klöster besichtigte. Um seine Strenge zu beschwichtigen, ward er gleich wie ein König empfangen. Das lehnte er anfangs ab. Da er aber dem fünfzigsten Lebensjahre nahekam, begann ihm die anfangs so streng verbetene Ehrung zu behagen. Er betrachtete sich allmählich selbst für einen Segen für die Kirche und begehrte, mehr für seine Gesundheit zu sorgen.

Obzwar also die Vorschriften jeden Fleischgenuss verbieten, dispensierte er sich selbst davon (was er keinem andern gewährt hatte) unter dem Vorwande, dass auf ihm alle Last der Kirche ruhe. So ließ er es sich gar wohl ergehen, und bald wurde der magere Mönch recht feist. Doch änderte die neue Lebensweise auch sein Gemüt, maßen er begann, sich die Gesichtlein wohl zu beschauen, denen er früher keine Beachtung geschenkt hatte. Und der Anblick so mancher Schönheit, die durch den Schleier nur begehrenswerter wurde, weckte in ihm das Verlangen: um das zu stillen, suchte er nach schlauen Listen, und aus dem Hirten wurde ein Wolf, so daß er am Ende jegliche etwas beschränkte Nonne kurzer Hand verführte. Nachdem er dergestalt lange Zeit in Unzucht gelebt hatte, erbarmte sich Gottes Güte der armen verirrten Lämmer und verhinderte so, daß der Böse weiter triumphierte.

Nämlich einmal besichtigte der Prior das Kloster Gif, nahe bei Paris. Als er nun alle Nonnen dort beichten ließ, fand er unter ihnen eine mit Namen Marie Hérouët, deren Stimme so gar hold und süß erklang, dass sie ein gleich sanftes Angesicht und Herz zu künden schien. Dieser bestrickende Wohllaut entflammte in seiner Seele eine Liebesglut, die heißer war als jene Leidenschaft, die alle Nonnen insgesamt bisher in ihm entzündet hatten. Also beugte er sich nieder, derweile er mit ihr sprach, und gewahrte alsbald einen gar lieblichen roten Mund. Nun vermochte er nicht mehr an sich zu halten: er lüftete ihren Schleier, und da er in ein Paar Augen blickte, die wohl dem übrigen glichen, durchzuckte ihn eine so jähe Begier, daß er darob nicht mehr essen noch trinken mochte, wie sehr er sich auch zu verstellen suchte.

Selbst nachdem er zu seiner Abtei zurückgekehrt war, fand er keine Ruhe. Tag und Nacht suchte er nach Mitteln und Wegen, wie er sein Verlangen gleich wie sonst stillen könnte. Er erkannte wohl, wie schwer das sei. Denn jene war gar tugendhaft und feinfühlig, er hingegen reichlich alt und hässlich. So entschloss er sich, Überredung nicht zu versuchen und sie durch Angst zu bändigen. Alsbald begab er sich wieder in jenes Kloster, zeigte sich aber dort strenger denn je: über jegliche Nonne ergrimmte er gewaltig; der einen Schleier hing nicht tief genug, die andere trug den Kopf zu hoch, die dritte verneigte sich nicht demütig genug. So fürchteten ihn alle wie Gott beim Jüngsten Gericht. Und er durchschnüffelte, obgleich er die Gicht hatte, alle Winkel, bis er zur Vesperstunde, die er erwartet hatte, in den Schlafsaal gelangte. Die Äbtissin sagte: ›Ehrwürdiger Vater, es ist Zeit, den Vespergottesdienst zu halten.‹ Worauf er erwiderte: ›Gut, gut, haltet ihn; ich bin schon zu müde und will hier nur noch bleiben – nicht, um mich auszuruhen – sondern um mit der Schwester Marie zu reden, über die mir Schlechtes berichtet wurde: sie soll klatschsüchtig sein wie ein Weib der eitlen Welt.‹

Die Äbtissin war eine Tante ihrer Mutter. Darum bat sie ihn, sie gehörig ins Gebet zu nehmen, und ließ sie allein mit ihm und einem jungen Geistlichen, der zu seiner Begleitung gehörte. Alsbald hob er ihren Schleier auf und hieß sie, ihn anzublicken. Sie erwiderte, die Vorschrift verbiete ihr, Männer anzuschauen. ›Schon gut,‹ antwortete er, ›aber vermeinet nicht, meine Tochter, daß Geistliche noch für Männer gelten.‹ Daher fürchtete Marie, sie könne sich durch Ungehorsam zur Schuld bringen, und blickte ihn an; doch fand sie ihn so häßlich, daß ihr bedünkte, dieser Anblick sei mehr eine Strafe denn eine Sünde. Nun hielt ihr der biedere Pater etliche erbauliche Reden und begann am Ende ihre Brust zu betasten. Aber sie stieß ihn zurück, wie es ihre Pflicht war. Da rief er höchlich ergrimmt: ›Darf etwa eine Nonne wissen, daß sie Brüste hat?‹ Doch sie entgegnete: ›Ich weiß, daß ich welche habe, und weder Ihr noch ein anderer wird sie berühren. Ich bin nicht mehr so jung und unwissend, um nicht darüber klar zu sein, was Sünde ist und was nicht!‹

Als er inne ward, daß sie mit Redensarten nicht zu fassen war, versuchte er ihr auf andere Weise beizukommen und sprach: ›Wehe, meine Tochter, ich muß Euch gestehen, daß ich unter einem Zwange leide, einer Krankheit, die nach Ansicht der Ärzte unheilbar ist, wenn ich mich nicht an einer geliebten Frau ergetze und mit ihr Kurzweil treibe. Wahrlich, ich möchte keinerlei Todsünde begehen. Doch wenn es darauf ankommt, weiß ich gar wohl, daß Hurerei einem Morde noch keineswegs gleich ist. Ist Euch also mein Leben lieb, so könnt Ihr Euch den Vorwurf der Grausamkeit ersparen und es mir retten.‹ Darauf fragte sie, was für eine Kurzweil er meine, und er entgegnete, sie könne auf sein Gewissen vertrauen, er würde nichts tun, was ihr oder ihm zur Last fiele. Und um den Anfang jener Kurzweil zu zeigen, umarmte er sie und versuchte sie aufs Bett zu werfen. Doch sie durchschaute seine Absicht und wehrte ihm so wohl mit Worten und Armen, daß er nur ihr Gewand berühren konnte.

Kaum sah er ein, daß seine Kniffe und Anstrengungen erfolglos waren, da ward er über die Maßen wütend, verlor nicht nur jede Gewissensregung, sondern gar jegliche Vernunft, griff unter ihren Rock und zerkratzte, was er nur erreichen konnte, mit solchem Ingrimme, daß das arme Mägdelein unter lautem Geschrei der Länge nach ohnmächtig zur Erde niederstürzte. Auf dies Geschrei kam die Äbtissin in den Schlafsaal gelaufen. Sie hatte sich erinnert, daß sie die Tochter ihrer Nichte allein bei dem wackeren Pater gelassen hatte, und da solches ihr Gewissen beschwerte, war sie vom Gottesdienst fortgegangen und zur Tür des Schlafsaales getreten, um zu horchen, was da vorginge. Nun stieß sie die Tür auf, die der junge Mönch hütete.

Als der Prior sie kommen sah, wies er auf ihre bewußtlose Nichte und rief: ›Ihr tatet nicht recht daran, daß Ihr mich nicht unterrichtet habt, wie schwach die Gesundheit der Schwester Marie ist. So ließ ich sie vor mir stehen, derweile ich sie ins Gebet nahm, und darob ward sie, wie Ihr sehet, bewußtlos.‹

Mit Essig und anderen Mitteln brachten sie die Nonne wieder zur Besinnung und fanden, daß sie sich durch den Sturz am Kopf verletzt hatte. Aber der Prior fürchtete, sie könnte ihrer Tante erzählen, was er ihr angetan hatte. Daher sagte er, sobald sie wieder zu sich kam: ›Meine Tochter, bei Strafe der ewigen Verdammnis befehle ich Euch, daß Ihr niemals von dem sprechet, was ich hier getan habe. Ihr wißt, daß maßlose Liebe mich überwältigte, und da Ihr nicht nachgeben wollt, so werde ich nie wieder davon reden. Wollt Ihr mich aber lieben, so ließe ich Euch zur Oberin einer der schönsten Abteien des Königreiches ernennen.‹ Sie entgegnete darauf, lieber wolle sie in ewiger Kerkerhaft umkommen denn je einen andern lieben als den, der für sie den Kreuzestod erlitten habe. Nie solle er fürder mehr mit dergleichen an sie herantreten, sonst würde sie es der Äbtissin sagen. Anderenfalls würde sie schweigen.

So ging denn der schlimme Hirt von dannen. Um sich aber recht zu verstellen und zudem die Geliebte nochmals zu sehen, wandte er sich zu der Äbtissin und sprach: ›Ehrwürdige Mutter, laßt Eure Töchter ein Salve Regina zu Ehren jener Jungfrau singen, auf die ich große Hoffnungen setze.‹ Das geschah; und während des Gesanges vergoß der alte Fuchs heiße Tränen, doch nicht aus Andacht, sondern aus Schmerz, daß seine frommen Wünsche sich nicht erfüllt hatten. Alle Nonnen vermeinten, das geschähe zu Ehren der heiligen Jungfrau, und hielten ihn für einen gar frommen Mann. Schwester Marie aber kannte nun seine Bosheit und betete innerlich zu Gott, er möge diesen Verächter der Keuschheit zermalmen. Dann machte sich der Heuchler wieder nach Saint-Martin davon.

Doch das arge Feuer brannte dort weiter in seinem Herzen und Tag und Nacht suchte er nach Auswegen, die ihn zum Ziele führen könnten. Maßen er nun vor allem die tugendhafte Äbtissin fürchtete, bedachte er, sie von dem Kloster zu versetzen. Also begab er sich zur Frau von Vendôme, die zu La Fère wohnte und ein Benediktinerkloster Mont d'Olivet erbaut hatte. Über dieses hatte er ebenfalls die Aufsicht. Darum gab er jener zu verstehen, die derzeitige Äbtissin von Mont-d'Olivet sei ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen. Alsbald bat ihn die Dame, ihr eine würdigere zu nennen, und sintemalen er das gerade gewünscht hatte, riet er ihr, die Äbtissin von Gif zu nehmen, die von allen Damen Frankreichs sicher am geeignetsten sei.

Alsbald ließ Frau von Vendôme jene mit dem Kloster Mont-d'Olivet betrauen und statt ihrer setzte der Prior in Gif eine Äbtissin ein, die ihm völlig ergeben war. Einige Zeit nach dieser Wahl begab er sich wieder nach Gif um nochmals den Versuch zu machen, ob er durch Bitten und Sanftmut die Schwester Marie Hérouët nicht gewinnen könne. Aber er mußte erkennen, daß es vergeblich war und kehrte daher wieder nach Saint-Martin zurück. Und um nun gleichzeitig sein Ziel zu erreichen und ob ihrer Grausamkeit an ihr Rache zu nehmen, ohne daß seine Arglist an den Tag käme, tat er folgendes. Eines Nachts ließ er heimlich die Reliquien aus Gif stehlen und beschuldigte dessen den dortigen Beichtvater, einen ehrwürdigen Greis. Dafür befahl er, ihn ins Gefängnis von Saint-Martin zu sperren. Dann ließ er zwei Zeugen ein Schriftstück unterzeichnen, ohne daß sie es lesen durften, und darin stand geschrieben: ›Sie hätten gesehen, wie jener Beichtvater mit der Schwester Marie im Garten schmutzige, unzüchtige Handlungen begangen habe!‹ Weiter verlangte er von dem Beichtvater, diese Tatsachen einzugestehen. Der kannte aber die Vergehen des Priors gar wohl und bat daher, ihn dem Kapitel vorzuführen, wo er vor allen Geistlichen die volle Wahrheit aussagen wolle. Der Prior sagte sich, daß die Rechtfertigung jenes Beichtvaters seine eigene Verurteilung nach sich ziehen würde, und wollte darauf nicht eingehen. Und da jener fest blieb, behandelte er ihn so schlecht, daß er nach Ansicht der einen starb, nach Ansicht der anderen aber seine Kutte ließ und in die Fremde floh. Jedenfalls hat man ihn seitdem nie wieder gesehen.

Nachdem der Prior sich so gesichert hatte, begab er sich in jenes Kloster, deren Äbtissin zu abhängig von ihm war, um sich ihm irgendwie zu widersetzen. Dort befahl er allen Nonnen, kraft seiner Autorität, vor ihm zu beichten und ließ eine nach der andern zu sich in ein Zimmer treten. Als nun Schwester Marie an der Reihe war, die den Schutz ihrer guten Tante nicht mehr zur Seite hatte, hub er also an: ›Ihr wißt, wessen Ihr verklagt seid und daß alle keusche Heuchelei Euch nichts hilft; denn wir wissen, was davon zu halten ist.‹ Schwester Marie entgegnete sehr zuversichtlich: ›Laßt den Kläger vor mich treten, so wollen wir sehen, ob er seine Behauptung aufrechterhält.‹ Er aber erklärte: ›Da der Beichtvater selbst es zugegeben hat, braucht Ihr andere Beweise!‹ Schwester Marie erwiderte: ›Ich schätze ihn zu hoch, als daß ich annehmen könnte, daß er solche gemeine Lüge zugegeben hat. Doch laßt ihn doch vor mich treten, so will ich ihn schon widerlegen.‹

Als der Prior sah, daß er sie auf keine Weise aus der Fassung bringen konnte, sprach er: ›Ich bin gleichsam Euer Vater und will daher Eure Ehre retten. Ich überlasse alles Euerm Gewissen und beschwöre Euch daher, mir bei der Strafe ewiger Verdammnis der Wahrheit gemäß zu versichern, ob Ihr noch Jungfrau waret, als Ihr hier eintratet.‹ Sie entgegnete: ›Ehrwürdiger Vater, damals war ich fünf Jahre alt. Das mag Euch ein genügender Beweis sein.‹ – ›Sehr wohl, meine Tochter. Und seitdem habt Ihr Eure Jungfrauenschaft nicht verloren?‹ Sie schwor, das sei nicht möglich gewesen, maßen niemand anderes als er selbst ihr zu nahe gekommen sei. Darauf entgegnete er, das könne er nicht so ohne weiteres glauben und es käme auf den Beweis an.

›Was für einen Beweis wollt Ihr haben?‹ fragte sie. – ›Den gleichen, den andere mir lieferten. Denn gleichwie ich Seelen prüfen muß, muß ich auch die Körper prüfen. Eure Äbtissinnen und Oberinnen sind alle durch meine Hand gegangen. Darum fürchtet nicht, daß ich Eurer Jungfrauenschaft nachstelle. Vielmehr leget Euch auf jenes Bett, hebet Eure Röcke hoch und bedecket damit Euer Gesicht.‹ Aber Schwester Marie entgegnete voller Zorn: ›Ihr habt mir so viel von Eurer tollen Liebe erzählt, daß ich fürchte, Ihr wollt mir viel eher meine Jungfrauenschaft nehmen denn sie besichtigen. Darum werde ich Euch nie zu Willen sein.‹ Alsbald erklärte er ihr, er werde sie wegen Ungehorsams exkommunizieren und vor dem ganzen Kapitel entehren, indem er ihr Vergehen enthülle – sofern sie nicht nachgäbe. Doch sie erwiderte furchtlos: ›Der, so die Herzen seiner Diener kennet, wird mir soviel Ehren spenden, als Ihr mir vor jenen Schande aufladet. Und da Eure Bosheit so weit gekommen ist, erschöpfet lieber Eure Grausamkeit gegen mich, statt Euer Begehr an mir zu stillen, denn Gott ist unser Richter.‹

Alsbald ließ er das ganze Kapitel versammeln und Schwester Marie vor allen niederknien. Sodann sprach er zu ihr mit gutgespielter Entrüstung: ›Schwester Marie, es mißfällt mir sehr, daß meine gutgemeinten Vorhaltungen so ergebnislos bleiben und Ihr also in Ungebühr verharret, daß ich mich gezwungen sehe, gegen meine Gewohnheit Euch eine Buße aufzuerlegen. Nachdem ich Euren Beichtvater bezüglich der ihm vorgeworfenen Vergehen ins Verhör genommen habe, gestand er mir, daß er sich an Euch vergangen hat, so wie die Zeugen dies angegeben hatten. Gleichwie ich Euch nun vorher geehrt und über die Novizen gesetzt habe, so verurteile ich Euch nunmehr, nicht nur der letzten unter ihnen ergeben zu sein, sondern zudem auch vor allen Schwestern auf den Knien Wasser und Brot zu genießen, bis Euere Reue genügend erscheint, um diese Strafe zu mildern.‹

Schwester Marie war von einer Gefährtin, die das Verfahren kannte, darauf aufmerksam gemacht worden, daß sie im Falle eines Widerspruches zu lebenslänglicher Kerkerhaft (in pace) verurteilt würde. Daher ertrug sie geduldig die Worte des Priors, hob die Augen zum Himmel empor und bat den, der ihr zu diesem Widerstände die Kraft verliehen hatte, er möge sie auch dies harte Geschick in Festigkeit tragen lassen. Der Prior aber gebot noch obendrein, während dreier Jahre kein Gespräch zwischen ihr und ihren Eltern und Verwandten zu erlauben, falls diese sie besuchen sollten, noch auch das Schreiben von Briefen, sofern sie nicht zur Durchsicht gegeben würden. Dann ging der elende Mensch von dannen und ließ sich lange Zeit nicht mehr dort sehen. Das arme Mägdelein aber erduldete seit jener Zeit die auferlegte Strafe.

Als ihre Mutter, die alle ihre Kinder herzlich liebte, fürder keine Nachricht mehr von ihr erhielt, ward sie beunruhigt und sprach ihrem Sohne gegenüber die Vermutung aus, daß jene Tochter vielleicht gestorben sei und die Nonnen es ihr verheimlichten um das Jahresgeld nicht zu verlieren; sie bat ihn daher, auf irgendeine Weise zu ermöglichen, daß er sie sähe. Der junge Edelmann ging unverweilt zum Kloster, wo man ihm die gewohnten Entschuldigungen vorbrachte: sie läge seit dreien Jahren im Bett und vermöge nicht sich zu rühren. Jener aber gab sich damit nicht zufrieden und schwor, er würde über die Mauer klettern und in das Kloster eindringen. Da ergriff die Nonnen die Angst, und sie brachten die Schwester an das Gitter, während die Äbtissin so dicht neben ihr blieb, daß sie alles hören konnte, was jene etwa sagen würde.

Schwester Marie aber war klug und hatte alles, was weiter oben berichtet war, aufgeschrieben, und obendrein noch vielerlei Verführungsversuche des Priors, die ich nicht berichten will, weil es zu lang wäre. Nachgetragen sei nur noch aus jener Zeit, da ihre Tante dort Äbtissin war, daß er diese Schwester durch einen jungen schönen Geistlichen hatte versuchen lassen, da er vermeinte, sie wiese ihn nur ob seiner Häßlichkeit ab und er könne sie einschüchtern, wenn sie an jenem Gefallen fände und sich ihm hingäbe. Als aber der Geistliche ihr dort – unter so schamlosen Gebärden, daß ich mich schämen würde, sie zu beschreiben – dieserart zusetzte, lief das arme Mägdelein angstvoll aus dem Garten, wo dies geschah, zu der Äbtissin, die mit dem Prior plauderte, und rief: ›Die uns visitieren, sind keine Geistlichen, sondern Teufel!‹ Der Prior hatte Angst, daß seine Bosheit an den Tag käme, und entgegnete lachend: ›Wahrlich, die Schwester Marie hat recht.‹ Dann nahm er sie bei der Hand und sagte vor der Äbtissin zu ihr. ›Ich hatte gehört, daß Schwester Marie den Eitelkeiten der Welt ergeben sei. Darum richtete ich Worte an sie, wie ich sie gelesen hatte (denn aus Erfahrung kenne ich nichts dergleichen); und da ich bedachte, nur mein Alter und meine Häßlichkeit wären an ihrem tugendhaften Gebahren schuld, befahl ich jenem jungem Mönche, gleichermaßen mit ihr zu sprechen. Nun habe ich ihre wahre Tugendhaftigkeit erkannt und wünsche daher, daß sie nach Euch die Erste sei, auf daß ihr Wille zur Tugend auch fürder wachse und gedeihe.‹

Dies alles hatte nebst vielem andern der wackere Prior in den drei Jahren, da er in jene Nonne verliebt war, sich zuschulden kommen lassen, und die Beschreibung dieser kläglichen Geschichte reichte sie ihrem Bruder durch das Gitter. Dieser brachte den Brief seiner Mutter, und selbige eilte verzweifelt nach Paris zu der Königin von Navarra, der einzigen Schwester des Königs. Als die Königin den Bericht gelesen hatte, war sie schmerzlich bewegt, denn sie hatte dem Prior stets vertraut und ihm auch ihre Schwägerinnen, die Äbtissinnen von Montivilliers und Caen, unterstellt. Aber diese Verbrechen erfüllten sie mit solchem Abscheu und Rachedurst, daß sie die Angelegenheit dem Kanzler des Königs übergab, der damals zugleich päpstlicher Legat in Frankreich war. Dann ließ sie den Prior holen, der sich nur mit seinem Alter von siebzig Jahren zu entschuldigen wußte und die Königin bat, ihm in Anbetracht sonstiger Verdienste den Prozeß zu ersparen. Auch wolle er gern jene Schwester Marie für eine Perle an Ehrsamkeit und Jungfräulichkeit erklären.

Die Königin war so verblüfft, daß sie ihn ohne Antwort stehen ließ. Er aber kehrte verwirrt in sein Kloster zurück, ließ sich vor niemandem mehr sehen und starb ein Jahr darauf. Die Schwester Marie aber wurde nach Verdienst geehrt und von Königs Gnaden zur Äbtissin von Gien bei Montargis ernannt, wo sie viele Verbesserungen schuf und gleich einer Gottbegnadeten ihr Leben verbrachte.

Diese Geschichte, meine Damen, erweist wieder die Wahrheit des Ausspruches Jesu Christi: ›Wer sich erhöhet, der soll erniedrigt werden, und wer sich erniedrigt, der soll erhöhet werden‹.«

»O wie viele Leute hat jener Prior getäuscht!« rief Oisille aus. Sichtlich glaubte man ihm mehr denn Gott selbst« – »Ich täte das nicht,« meinte Nomerfide, »denn ich mag mit diesen Leuten nichts zu tun haben.« – »Es gibt auch gute unter ihnen,« entgegnete jene, »und man soll nicht alle verurteilen. Die besten sind aber die, so sich weltlichem Leben und den Frauen fernhalten.« – »Irrt Euch nur nicht,« bemerkte Emarsuitte. »Die man wenig sieht, kennt man schlecht und könnte sie darum wertschätzen. Denn bei näherer Bekanntschaft erweist sich erst ihr wahrer Charakter.« – »Ach, lassen wir das und sehen wir, wem Guebron das Wort erteilt,« unterbrach Nomerfide. – »Ich gebe es Frau Oisille,« sprach dieser, »auf daß sie etwas zum Ruhme der geistlichen Brüder berichte.« Und Oisille sprach:

»Wir haben geschworen, die Wahrheit zu erzählen, und davon mag ich nicht abgehen. Nun fiel mir bei der letzten Geschichte eine andere ein, die zwar auch sehr betrüblich ist, die ich aber erzählen möchte, da sie sich zu meiner Zeit und in meiner Gegend ereignete. Zudem möget ihr daraus entnehmen, daß ihr jene Heuchler nicht für frömmer zu halten braucht als andere Sterbliche, vielmehr euer Heil einzig in Dem ruht, der uns allein in seiner Allmacht zum ewigen Leben verhelfen kann. Erkennet, daß Satan sich oft in Engelsgestalt kleidet und uns so verblendet, und vernehmet darum die folgende wahrhaftige Geschichte.«


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