Margarete von Navarra
Das Heptameron
Margarete von Navarra

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Einundsechzigste Erzählung

Mit welch erstaunlicher Hartnäckigkeit eine Burgunderin einen Kanonikus zu Autun mit ihrer frechen Liebe verfolgte.

»Unweit Autun lebte eine bildschöne Frau. Sie war groß, hatte lichte Haut und war unvergleichlich wohlgestaltet. Ihr ehrenwerter Mann schien gar jünger als sie selbst, worob sie nur zufrieden sein konnte. Bald nach der Vermählung kamen beide für eine Angelegenheit nach Autun. Und derweile nun der Ehemann seinen Sachen nachging, betete sie in der Kirche für sein Heil. Maßen sie diese heilige Stätte so oft besuchte, verliebte sich ein reicher Kanonikus in sie und setzte ihr derart zu, daß ihm die Ärmste zu Willen war. Ihr Mann aber schöpfte keinen Argwohn und sorgte mehr für sein Gut denn für sein Weib.

Als nun die Abreise nahte und sie zu dem Hause, das sieben Meilen von der Stadt entfernt lag, zurückkehren sollten, ward die Frau recht betrübt. Doch versprach ihr der Kanonikus, sie oft zu besuchen. Das tat er denn auch, indem er Reisen vorschützte, die ihn an jenem Hause vorbeiführten, wo er dann allemal abstieg. Der Ehemann war nicht so dumm und merkte die Sache. Daher richtete er es künftig so ein, daß die Frau stets wohl verborgen war, wenn der Kanonikus ankam. Aber ihr behagte des Mannes Eifersucht keineswegs, also daß sie wohl bedachte, wie sie dem abhelfen könne. Denn sie vermeinte in der Hölle zu sein, wenn sie ihren Gott nicht erblickte.

Eines Tages also, da ihr Mann außer dem Hause war, gab sie allen Dienstleuten verschiedenerlei Aufträge, so daß sie allein blieb. Flugs packte sie dann alles Notwendige zusammen, ging – einzig begleitet von ihrer Liebestollheit – zu Fuß davon und kam noch rechtzeitig genug in Autun an, um von ihrem Kanonikus erkannt zu werden. Der barg sie, wohl abgesperrt, länger denn ein Jahr, trotz der Drohungen und Flüche, die der Ehemann ihm zuteil werden ließ. Da dieser nun weiter keinen Ausweg fand, klagte er beim Bischof, dessen Erzdechant einer der ehrenwertesten Männer Frankreichs war: also daß er alle Wohnungen der Laienpriester aufs sorgfältigste untersuchte, bis er die Vermißte fand. Die warf er in den Kerker, derweile er dem Kanonikus eine schwere Buße auferlegte.

Der Ehemann war sehr froh, als er vernahm, daß sein Weib von dem Erzdechanten und seinen wackeren Leuten wiedergefunden sei. Und da sie ihm zuschwor, in alle Zukunft voller Sittsamkeit mit ihm zu leben, so nahm er sie wieder zu sich. Er glaubte ihrem Eid, behandelte sie zuvorkommend wie bisher und gab ihr nur zwei alte Kammerfrauen zur Gesellschaft, die sie nie allein lassen durften.

Aber trotz all seiner Liebe erschien ihr ob ihrer Neigung zu dem Kanonikus diese Ruhe wie die schlimmste Qual. Obgleich sie selbst so schön und ihr Mann voll Gesundheit, Lebenskraft und Leistungsfähigkeit war, so hatte sie doch keine Kinder von ihm; denn ihr Herz weilte immer sieben Meilen fern von ihrem Körper. Aber sie barg das so wohl in ihrer Seele, daß ihr Mann vermeinte, sie habe gleich ihm alles Vergangene vergessen. Das stimmte nun keineswegs.

Sobald sie sicher war, daß ihr Mann sie mehr liebte denn je und immer weniger beargwöhnte, stellte sie sich krank; und sie spielte diese Rolle so gut, daß ihr Mann voll tiefen Schmerzes ward und ihr in jeder Weise zur Seite stand. Bald aber schien es ihm und den andern, daß es mit ihr zu Ende ginge und ihre Kräfte schwanden. Und da sie nun inne ward, daß ihr Mann just so laut klagte, als er sich eigentlich hatte freuen sollen, bat sie ihn, ihren letzten Willen abfassen zu dürfen. Das gestand er ihr unter Tränen zu. Und alsbald vermachte sie alles ihm, da sie ja keine Kinder hatte, und bat ihn zugleich ob ihrer Fehler um Vergebung. Sodann ließ sie den Pfarrer kommen, beichtete, nahm das heilige Abendmahl und zeigte sich so demütig, daß alle ob ihres glorreichen Endes weinten. Als dann der Abend kam, bat sie ihren Mann, ihr die letzte Ölung geben zu lassen, da sie so schwach sei, daß sie fürchte, es könne sonst zu spät werden. Das geschah alles flugs, und jeder mußte sie ob ihrer frommen Ergebenheit preisen.

Alsdann erklärte sie, nun sei sie ruhig und zufrieden und wolle ein wenig ruhen; das gleiche solle ihr Mann tun, der dessen nach so viel Wachen und Tränen bedürfe. Also tat er und schlief bald ein, gleichermaßen auch die Dienerschaft. Und die beiden Alten, die sie während ihrer Gesundheit so bewacht hatten, vermeinten sie höchstens durch den Tod verlieren zu können, und legten sich ebenfalls nieder.

Da sie nun auch diese schnarchen hörte, erhob sie sich im Hemd, schlüpfte aus dem Zimmer und lauschte, ob niemand im Hause sich rühre. Sowie sie dann ihrer Sache sicher war, entwich sie durch eine Gartenpforte, die nicht verschlossen war, und lief die ganze Nacht hindurch, im Hemd und barfüßig, auf Autun zu, um ihren Heiligen zu finden, der sie vor dem Tod bewahrt hatte. Maßen aber der Weg recht weit war, ward sie vom Tag überrascht. Alsbald schaute sie den Weg zurück und gewahrte zwei Reiter, die eilig dahersprengten. Sie war sicher, daß jenes ihr Mann sei, der sie suche, verkroch sich bis zum Hals in einem Sumpf und verbarg ihren Kopf zwischen Wurzeln. So ritt ihr Mann vorbei, und sie hörte, wie er zu seinem Knecht sagte: ›Wehe, was für ein arges Weib! Wer konnte denken, daß sie unter dem Mantel heiliger Sakramente solche Verworfenheit verhüllen würde.‹ Und der Knecht erwiderte: ›Da Judas, als er das Abendmahl nahm, sich nicht scheute, seinen Herrn zu verraten, wie kann Euch da der Verrat einer Frau erstaunen?‹ So zogen sie weiter, und die Frau blieb fröhlicher zwischen Sumpf und Wurzeln, da sie ihn damit hinterging, als sie daheim ergeben in einem guten Bett gelegen hätte.

Der Ehemann durchsuchte vergebens ganz Autun, und war schließlich sicher, daß sie sich dort nicht befand. So kehrte er den gleichen Weg wieder zurück und klagte unaufhörlich über diesen großen Verlust; im übrigen aber drohte er ihr, im Fall er sie wiederfände, mit dem Tod. Darob aber sorgte sie sich so wenig wie um die Kälte, die ob des Wetters und ihres Versteckes ihren Körper plagte. Wer da weiß, wie das höllische Feuer alle wärmt, die davon durchglüht werden, vermag zu schätzen, wie wundersam die Ärmste, die geradeswegs aus einem warmen Bett kam, einen ganzen Tag in solcher Kälte verbringen konnte. Jedenfalls verlor sie den Mut nicht, weiterzupilgern. Kaum brach die Dunkelheit herein, so machte sie sich flugs wieder auf den Weg und kam just nach Autun, als man das Tor schließen wollte. Alsbald ging sie eiligst zu dem Haus ihres Heiligen, der schier seinen Augen nicht trauen wollte. Da er aber genau zusah und fand, daß sie aus Fleisch und Knochen bestand und kein Geist war, ward er hoch beglückt. Und in schönster Eintracht verbrachten sie nun vierzehn oder fünfzehn Jahre zusammen.

Eine gute Weile hielt sie sich wohl verborgen. Mit der Zeit aber verlor sie alle Furcht, ja schlimmer noch, sie rechnete sich ihren Freund zum Ruhm an und stellte sich daher in der Kirche über die meisten ehrengeachteten Frauen der Stadt, auch die von Beamten und anderen. Zudem hatte sie von dem Kanonikus mehrere Kinder, unter anderen ein Mägdelein, das einen reichen Kaufmann heiratete. Bei der Hochzeit trat sie so prunkhaft auf, daß alle Damen sich darob entrüsteten. Aber sie konnten nichts dagegen tun.

Da begab es sich, daß einst die Königin Claudia, die Gemahlin des hochseligen Königs Franz, durch Autun kam. In ihrer Begleitung befand sich die Frau Regentin und deren Tochter, die Herzogin von Alençon. Zu dieser kam eine Kammerfrau namens Perrette und sagte: ›Hohe Frau, höret mich bitte an, so werdet Ihr ein gutes Werk tun, und schier ein besseres, als wenn Ihr täglich die Messe besucht.‹ Und die Herzogin schenkte ihr Gehör, maßen sie wußte, daß sie stets gute Ratschlage erteilte.

Alsbald erzählte ihr Perrette, sie habe sich als Hilfe bei der Wäsche ein Mägdelein bei der Stadt angenommen, und als sie dieses über Neuigkeiten ausfragte, habe die Kleine berichtet, daß alle wohlanständigen Frauen der Stadt empört seien, weil das Weib jenes Kanonikus sich derart überhöbe. Und dann habe sie die Lebensgeschichte dieser Frau geschildert. Flugs begab sich die Herzogin zur Königin und Regentin und erzählte ihnen den Fall.

Die ließen kurz und bündig die unselige Frau kommen. Aber selbige verbarg sich keineswegs, zeigte sich auch nicht beschämt oder verlegen, sondern stellte sich kecklich den Damen vor, also daß selbige vor ihrer Frechheit gar betreten wurden und anfangs nichts zu sagen wußten. Dann aber hub die Frau Regentin an, ihr Vorhaltungen zu machen, die jede vernünftige Frau zu Tränen gebracht hätte. Nicht so jene; vielmehr sprach sie voll kühnen Selbstvertrauens: ›Ich bitte Euch, erlauchte Damen, rühret nicht an meiner Ehre! Ich habe gottlob mit dem Herrn Kanonikus so wohl und sittsam gelebt, daß mich niemand darob tadeln kann. Man soll nur nicht glauben, daß ich gegen Gottes Gebot lebe, denn seit dreien Jahren hat er mich nicht mehr berührt und wir leben keusch und voller Liebe mitsammen gleich zweien Engelein, ohne Zank oder Streit, und wer uns trennte, beginge eine große Sünde, maßen der Gute nunmehro schier neunzig Jahre alt ist und ohne mich – die fündundvierzig ist – nicht leben könnte!‹ Ihr könnt Euch denken, wie den Damen darob zumute wurde und was sie ihr für Vorwürfe machten. Da sie aber ihre Verranntheit sahen, die trotz ihres Alters und der ehrenvollen Zusprache nicht zu beheben war, so ließen sie, schon um sie zu demütigen, den Erzdechanten rufen, der sie zu einem Jahr Kerker bei Wasser und Brot verurteilte. Sodann wurde der Ehemann zu den Damen berufen, der ob ihrer Ermahnungen damit zufrieden war, sie nach Ablauf ihrer Strafe zu sich zu nehmen. – Als nun der Kanonikus inne ward, daß jene im Kerker saß, entschloß er sich, sie nie wieder zu sich zu nehmen, und dankte vielmehr den Damen, daß sie ihm jenen Teufel von den Schultern gejagt hatten.

Die Frau aber zeigte solche Reue, daß ihr Mann schließlich gar nicht das Jahr abwartete, sondern sie schon nach vierzehn Tagen vom Erzdechanten freibat. Und fortan lebten sie in Frieden und Eintracht miteinander.

So erkennet, wie des heiligen Petrus Fesseln sich durch schlechte Priester in des Satans Ketten verwandeln – also daß gar die heiligen Sakramente noch mithelfen, statt die Teufel zu verjagen. Denn mit den besten Dingen richtet man just das schlimmste Unheil an, wenn man sie mißbraucht.«

»Wahrlich, das war ein unseliges Weib.« rief Oisille. »Doch ward ihr auch eine gerechte Strafe zuteil, da sie vor Richterinnen, wie jene Damen es waren, trat.« – »Mir scheint,« erklärte Parlamente, »daß das Gefängnis und die Unmöglichkeit, fürder den Kanonikus zu sehen, für sie ärgere Strafen waren als die Vorwürfe der beiden Damen.« – »Ihr vergesset das Wichtigste,« meinte Simontault, »darum sie zu ihrem Manne zurückkehrte: der Kanonikus war nämlich inzwischen neunzig Jahre alt geworden, ihr Mann aber jünger als sie. So gewann die Gute nach jeder Seite hin. Wäre der Kanonikus noch jung gewesen, dann hätte sie ihn nicht so fahren lassen.« – »Mir scheint sogar, sie tat recht klug, ihre Sünden nicht zuzugeben,« sagte Nomerfide. »Seine Vergehen soll man Gott allein gestehen und sie vor den Menschen mit aller Kraft ableugnen.« – Aber Longarine widersprach: »Eine Sünde läßt sich nur schwer so verhehlen, daß sie nicht ans Licht kommt.« – »Was sagt ihr aber von jenen Frauen, die alsbald jede Torheit, die sie begehen, ausplaudern?« fragte Hircan. – »Das schiene mir seltsam,« entgegnete jene. »Es bewiese nur, daß ihr Vergehen ihnen nicht mißfällt. Was aber Gott nicht selbst gnädig verhüllt, läßt sich auf die Dauer vor den Menschen nicht verleugnen. Gar manche machen sich eine Freude daraus, mit ihren Lastern zu prunken, andere aber klagen sich selbst an, indem sie sich verschnappen.« – »Das hieße, sich recht ungeschickt selbst fangen,« meinte Saffredant. »Wißt Ihr aber eine diesbezügliche Geschichte, so erzählt sie bitte, und ich werde Euch mein Wort geben.«

»So höret denn,« hub jene an.


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