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18. Die Hochzeit.

Es war an einem wunderlieblichen Tage, vierzehn Tage nach Ostern, – der Himmel war blau und lau die Luft, die Lerchen sangen und die Veilchen blühten, die Kinder lärmten vor den Thüren und die Sperlinge unter den Fenstern, die Tauben trippelten lebhaft auf den Dächern hin und her, oder flogen mit den silbernen Fittigen im goldenen Sonnenschein, –da war es im alten grauen Hause von Woltheim wieder festlich und lebhaft. Elisabeths Hochzeit wurde gefeiert. Der beschränkte Stadthaushalt in Berlin hatte eine große Familien-Versammlung nicht zugelassen, darum war der Großeltern und Oberförsters Vorschlag, die Hochzeit in Woltheim zu feiern, gern angenommen, und da glücklicher Weise weder in Geheimeraths noch in Oberförsters Kinderstube Masern oder Stickhusten oder Schnupfenfieber, sondern alles sehr wohl auf war, so war die Hochzeit ein Fest für Große und Kleine. Am Polterabend hatte es natürlich auch nicht an künstlichen Vorstellungen gefehlt, Elisabeth konnte zwar zu der Kinder Mißvergnügen nicht dabei mitwirken, dagegen waren Frau von Warmholz, die mit ihrem Brautpaar sich so gern zu diesem Feste laden ließ, und besonders Tante Wina und die Frau Oberförsterin erfinderisch gewesen, die Verse flössen nur von den Lippen der Jugend, rührend und komisch und feierlich, wie es der Gegenstand verlangte. Aber auch uneingeladene Gäste waren, wie wohl zu erwarten war, gekommen. Zu ihnen gehörte Herr von Stottenheim mit seinen jüngeren Kameraden, und Elisabeth, die Königin des Festes, nahm die Huldigungen, die ihr von allen Seiten, den glücklichen Bräutigam an der Spitze, gebracht wurden, mit unverholenem Entzücken entgegen.

Am Hochzeitsmorgen war es unruhig im Haus, und Elisabeth schlich sich hinaus in den stillen Garten und ging in der sonnigen Kirschenallee hinauf, den lieben bekannten Weg. Sehr bald sah sie den Erwarteten daher kommen, und ebenso bald sah sie ihn vor sich. Er schwang sich wie gewöhnlich gleich vom Pferde und begrüßte sie: Zum letzten Mal bist Du mir so entgegen gekommen, sagte er bewegt, jetzt sollen wir nie, nie wieder getrennt sein!

Sie sah ihn mit ihren großen Augen so wunderlieblich und vertrauend an, daß er wieder dachte: Du willst sie wie dein Herzblatt bewahren.

Er übergab jetzt dem nachfolgenden Burschen sein Pferd, Elisabeth hatte ihm vorgeschlagen, da es im Hause so unruhig sei, einen Spaziergang zu machen. Beide gingen denselben Weg, den die Großeltern an ihrem Hochzeitsmorgen wählten. Oben auf den Tannenbergen saßen sie im stillen Frühlingssonnenschein und schauten hinab auf die Thürme von Braunhausen. Sie unterhielten sich nicht so ernsthaft, als damals ihre Vorgänger; sie waren ja zu sehr überzeugt, daß es nur ihrer Liebe bedürfe zu ihrem Glücke. Die kleinen trüben Erfahrungen, die sie im Brautstande gemacht, waren jetzt sehr natürlich vergessen. Der Bräutigam hatte sich immer mehr überzeugt, daß er seine Elisabeth jetzt erst recht kennen lernte; er wollte sie gewiß auf Händen tragen, er wollte nur zart und rücksichtsvoll mit ihr umgehen, ihre Fehler wollte er tragen mit wenigstens so viel Geduld, als Schlösser die Fehler seiner Emilie trug. Elisabeth dagegen zweifelte gar nicht, daß der Bräutigam immer liebenswürdiger geworden sei. Das war auch natürlich. Woher sollte er wissen, mit Damen umzugehen? Er war ja von Jugend auf nur mit Männern gewesen; sie hatte es ihn erst lehren müssen, und da er ein so gelehriger Schüler war, sah sie es sicher voraus, daß er es nur immer noch besser lernen werde.

Der Bräutigam erwähnte jetzt scherzend, daß hier einst die Großmama ihren Bräutigam versicherte, sie höre nichts lieber als das Gebot: »Er soll dein Herr sein.« Er sagte es scherzend, weil ihm jetzt selbst die Möglichkeit solcher Herrschaft fern lag.

Von der Großmama aber war das ganz natürlich, nahm Elisabeth weise das Wort, sie hatte gesehen, daß der alte Großonkel seine Frau so tyrannisch behandelte, und daß die gute Großtante so fügsam und nachgebend war. In den Zeiten damals war das oft Sitte, die Großmama war darum schon glücklich, einem so liebenswürdigen Herrn folgen zu müssen, und konnte das wohl aussprechen, aber ich habe ihr schon gesagt, daß sich die Zeiten geändert haben, und daß alles so etwas nicht mehr Mode ist. – Der Bräutigam lächelte, aber schien doch ganz einverstanden. – Zu so Verstandesheirathen, oder wenn die Töchter Ja sagen mußten, weil die Eltern Ja gesagt, da paßte das auch noch, fuhr Elisabeth fort; wenn man sich aber lieb hat, ist die Sache anders, da möchte man doch gar nicht leiden, daß der eine mehr gilt als der andere.

Der Bräutigam nickte wieder und hörte wenigstens ebenso aufmerksam zu, als der Bräutigam damals seiner Braut, die ihm in aller Demuth auseinandersetzte, sie könne nicht begreifen, daß er sie immer lieben würde, die seine Liebe als ein Gnadengeschenk des Herrn betrachtete und die Bewahrung auch der Gnade überlassen wollte. Daß diese Demuth, mit der sie in dem Bräutigam einen Herrn sehen wollte, diesen, weil er eben eine zarte Seele war, gar nicht zur Herrschaft kommen ließ, war ihr selbst nicht bewußt geworden.

Ihre Enkelin sah die Sache anders an. Sieh mal, lieber Otto, fuhr sie wieder belehrend fort: wenn ich Unrecht habe, werde ich es einsehen; wenn Du Unrecht hast, mußt Du es aber auch einsehen.

Natürlich, versicherte der glückliche Bräutigam. Wenn wir aber beide Unrecht haben? setzte er lächelnd hinzu.

Dann müssen wir es beide einsehen, bestimmte sie kurz, und die Sache war erledigt.

Als sie nach Hause kamen, war es Zeit zum Ankleiden. Elisabeth wurde von der Großmutter und von der Mutter, – alle andere Hilfe hatte sie sich, zu Tante Winas Entrüstung, ernsthaft verbeten, – in Empfang genommen und in Elisens altem Stübchen erlebten die drei eine schöne selige Stunde zusammen. Elisabeth war es zwar, als ob sie träume, sie ließ sich wie ein Kind schmücken, hörte auch alle die lieben freundlichen und ernsten Worte der Mutter und Großmutter gern an, war mit allem einverstanden, es war und blieb ihr aber doch nur wie ein Traum.

Sie war fertig, der Bräutigam durfte eintreten.

Elise war so bewegt, sie konnte den beiden eben so bewegten Kindern wenig sagen, und zu ihrer inneren Betrübniß hatte sie sich schon vorher gestehen müssen, daß sie gegen den Sohn doch nie so herzlich und offen mit ihren innersten Gedanken herausgetreten war, als sie es sich vorgenommen. Sie hatte immer noch zu sehr berechnet, wie er zu behandeln sei, daß heißt, wie sie von Glaubenssachen am klügsten mit ihm reden müsse, und die Klugheit kommt in solchen Stücken nicht weit; die Einfalt fühlt sich sicherer auf Grund und Boden des Glaubens. Sie hatte zwar oft ganz hübsch ernst und mütterlich mit ihm geredet, aber eine jede nicht gläubige, aber wohlmeinende und rechtschaffene Mutter hätte mit ihm so reden können.

Die Großmama dagegen war gleich von Anfang an anders zu dem neuen Sohn; harmlos und offen hatte sie ihn immer den ganzen Reichthum ihres Glaubenslebens schauen lassen und dem heiligen Geiste überlassen, was er damit wirken möchte. Der wirkt auch besser als alle menschliche Klugheit, und der junge Mann liebte die Großmama mit einer kindlichen Hingabe, die ihn selbst glücklich machte. Wie gern hörte er jetzt ihre lieben Worte und ihre schönen Segenswünsche, die unumwunden den Herrn Christus als einzigen Heilsweg priesen. Ihr habt zwar eine bessere Traurede zu erwarten, als damals ich und mein lieber Fritz, schloß sie, aber die Minuten vor der Trauung, wo wir so allein uns sammeln konnten, waren doch gar zu schön, die sollt Ihr auch haben und sollt auch mein schönes Hochzeitslied zusammen lesen.

Sie verließ mit Elisen das Zimmer, und das Brautpaar stand allein am Fenster. Er hatte das Blatt und las das Lied, Elisabeth kannte es und sah nicht hinein, sie las in seinen Zügen und las in seinen Augen, und lehnte sich an ihn, so ganz vertrauend seiner Liebe und Güte und seinem Schutze, als ob nun für sie hier in der Welt nichts mehr zu fürchten sei. Er hatte gelesen:

Wohl einem Haus, wo Jesus Christ
Allein das All in Allem ist!
Ja wenn er nicht darinnen wär,
Wie finster wärs, wie arm und leer.

Das konnte er noch nicht recht fassen, aber sein Herz war weich und von Dank und Glück erfüllt; daß er überhaupt nur einen Hausstand anfangen sollte, bewegte ihn schon. Dem Herrn, der ihn aus seinem einsamen öden Leben in diese Fülle von Liebe und Freude geführt, dem sollte sein Leben gewiß gehören, das verstand sich ebenso sehr von selbst, als sein Glück, was so reich und weit vor ihm ausgebreitet lag.

Für Dich ist das Lied auch, liebe Elisabeth, sagte er zur Braut.

Ich kann es aber auswendig, entgegnete sie leise.

Den letzten Vers lasen sie noch einmal zusammen:

So mach ich denn zu dieser Stund
Samt meinem Hause diesen Bund:
Wich alles Volk auch von ihm fern,
Ich und mein Haus stehn bei dem Herrn.

Elisabeth hatte bei dem Lesen keine bestimmten Gedanken, noch weniger Vorsätze, es verstand sich auch bei ihr alles von selbst, nichts erschien ihr heute natürlicher und leichter als fromm sein, liebenswürdig und glücklich sein.

Mit dieser Stimmung stand das Brautpaar dem lieben Schlösser gegenüber, sie hörten beide, daß seine Rede ernst und ganz nach der alten Mode war, und waren auch damit einverstanden. Nach der Trauung wußten sie aber kaum viel davon, besonders Elisabeth. Das wunderbare und ergreifende des ganzen Actes hatte sie zu sehr hingenommen. Vom Einsteigen in den Wagen an – dann die neugierige Menge des kleinen Städtchens und die feierliche geputzte Verwandtschaft, – der Mann ihr zur Seite – alles, alles kam ihr wie ein Traum vor. Selbst bei dem feierlichen Mittagsessen konnte sie sich noch nicht recht fassen, erst als nach Tische die Gesellschaft sich in die verschiedenen Zimmer, in den Gartensaal und vor dem Saal in den schönen warmen Sonnenschein zerstreute, da kam sie zu sich selbst.

Sie war jetzt liebenswürdig nach allen Seiten. Die Großmama wurde von ihr hin und wieder umarmt mit großer Innigkeit, dem Großpapa küßte sie die Hand, der Mutter setzte sie sehr ernsthaft auseinander, wie sie ihre Wirtschaftsbücher führen wolle und kaum erwarten könne, ihre neues Mädchen anzulernen, – aber ganz nach ihrer Weise zu kochen, nicht nach Tante Julchens Art. Das Mädchens war nämlich ein älteres, schon von der Tante angelerntes. Der Tante Julchen machte sie indessen doch Freundschaftsversicherungen, dankte herzlich für alle Mühe, die sie von ihrer Hochzeit hatte, und versicherte aufrichtig, sie würde sich nie mehr mit ihr zanken, sondern sehr gute Nachbarschaft halten. Sie freute sich besonders auf schöne musikalische Abende in der Oberförsterei, sie konnte recht gut zu Fuße von Braunhausen nach Woltheim gehen, und der Onkel Oberförster hatte ihr schon versprochen, sie im Winter, besonders des Abends, fahren zu lassen.

Onkel Karl aber knüpfte an Elisabeths Verheirathung besondere Spekulationen. Sie sollte ihm bei den Damen ihrer Bekanntschaft feste Butter-, Milch- und Eier-Kunden verschaffen, damit er nicht immer genöthigt sei, sich auf die Ehrlichkeit der Botin zu verlassen. Er hatte Charlottchen begreiflich gemacht: wöchentlich an 60 Pfund Butter einen Silbersechser profitirt, macht jede Woche einen Thaler, das Jahr aber 52 Thaler. Dies Geld sollte unter der Gestalt von Schinken, Schlacken, Kartoffeln, Kohl und Rüben wieder in Elisabeths Wirtschaft wandeln, so blieb es in der Familie und war doch eine reine Ersparniß. Charlottchen war gerührt von dieser herrlichen Idee, und bewunderte, wie immer, die weise Umsicht und wirthschaftliche Kunst des guten Herrn von Budmar. Elisabeth hatte gegen diesen Vorschlag natürlich auch nichts einzuwenden und jetzt eben erzählte sie ihrem lieben Otto, und zwar in des Onkels Gegenwart, der mit dem ganzen Gesichte und noch mehr mit dem Herzen lachte, daß ihn die Befürchtung wegen der schlechten Butter nicht beunruhigen dürfe, da sie von der feinsten und berühmtesten Butter der ganzen Gegend, und zwar bei ermäßigtem Preise, speisen würden.

Bald darauf stand sie wieder sehr lieblich und demüthig neben dem Bräutigam, als ihnen Schlösser die Abschrift seiner Traurede übergab. Beide versprachen, nächsten Sonntag Nachmittag die Rede noch einmal in rechter Sammlung zu lesen und zu Herzen zu nehmen. Schlösser war so brüderlich und herzlich und auch fröhlich mit Elisabeth, daß Emilie es mit dem besten Willen nicht lassen konnte, sich zu wundern. Niemand, niemand fordert sie zum Ernst auf! dachte sie. Daß diese entsetzlichen Tanten Wina und Paula sie umschmeicheln und vergöttern, ist nicht zu vermeiden, wir aber sollten es doch besser mit ihr meinen und sie nicht so sicher in ihren thörichten Hoffnungen und Erwartungen hingehen lassen.

Elisabeth trat jetzt zu ihr und zu gleicher Zeit auch Klärchen. Elisabeth, aus deren Augen heute mehr als je nur Güte und Freude leuchtete, sagte zu den Freundinnen: Ich hoffe, daß Ihr jetzt endlich Respect vor mir habt, denn ich bin verheirathet und Ihr seid doch nur Bräute.

Das hilft Dir noch wenig, entgegnete Emilie mit großer Ruhe; wenn Du uns einen Blick in die Zukunft thun lassen könntest, ob Du uns wirklich ein Vorbild sein kannst, so wollt ich Respect vor Dir haben.

Liebe Emilie, bat Elisabeth noch scherzend aber doch etwas verletzt, Du wirst mir doch heut an meinem schönsten Festtag nicht bange machen wollen?

Ich weiß nicht, welcher Tag in Deinem ganzen Leben geeigneter wäre, Dich aufmerksam zu machen auf das, was Dir noth thut, war Emiliens feste Antwort.

Du traust mir doch aber wenig zu, nahm Elisabeth ernster das Wort, das ist unrecht, Du weißt ja gar nicht, wie es in meinem Herzen aussieht.

Du täuschest Dich eben über Dein Herz, begann Emilie jetzt etwas eifriger; wenn Du dabei bleibst, alles mit so leichtem Sinn, mit solcher Freude und Sicherheit zu betrachten, kannst Du nicht glücklich sein.

Elisabeth erröthete und sah zürnend auf die Sprecherin, und da sie doch nicht wie in ihrer Jugend sagen konnte: Altes dummes Mädchen! auch ihr keine Ohrfeige geben und sie umrennen konnte, wandte sie sich schnell von ihr.

Das gute Großmutterherz hatte auch diesmal die Scene beobachtet. Obgleich sie die Worte nicht alle verstanden hatte, wußte sie den Sinn. Sie trocknete jetzt Elisabeths Thränen und rieth ihr so warm und innig, gar nicht nach der Meinung der Menschen zu hören und in aller Noth sich an den Herrn zu halten. Elisabeth lächelte durch Thränen und konnte sich auch entschließen, Emilien freundlich Lebewohl zu sagen, als die Zeit des Abschiedes kam.

Der Tante Wina war es jetzt gestattet, nachdem Elisabeth das Brautkleid mit dem Reisekleid vertauscht hatte, auf den jugendlichen Kopf das erste Häubchen zu setzen. Der Bräutigam stand daneben, und Wina benutzte diese Gelegenheit gern, sich etwas wichtig zu machen. Sie begann eine feierliche Rede von dem Werthe edler Frauenwürde, als Herrn von Kaddens guter Bursche unglücklicher Weise die Thür aufmachte und Elisabeth zum erstenmal anredete: Gnädige Frau, sollen denn die Sachen alle in den Wagen?

Elisabeth lachte, schaute mit Vergnügen hinauf zu ihrem jungen Gemahl, gab auch mit großer Umsicht ihre Befehle, von der feierlichen Wirkung aber von Winas einstudirter Rede war durchaus nichts mehr zu erwarten.


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