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16. Blauer Himmel und Wolken im Brautstande.

Der Sommer verging in ungestörtem Vergnügen. Gegenseitige Besuche wurden häufig gemacht, Herr von Kadden war in Berlin, oder Elisabeth war bei den Großeltern. Das letzte freilich nicht so oft, als es das Brautpaar gewünscht hätte, – die Mutter wollte sich das Beisammensein mit der Tochter nicht mehr verkürzen lassen. Ueberdem mußte Elisabeth wirthschaften lernen, studieren am Kochen, Waschen und Plätten, denn bisher hatten ihre wissenschaftlichen Studien ihr dazu nicht Zeit gelassen. Sie war auch äußerst geschäftig und wißbegierig, und es war spaßhaft, wenn sie dem Bräutigam von Zeit zu Zeit ihre erworbenen Kenntnisse mittheilte und ihn zu überzeugen suchte, daß sie die Kunst des Haushaltens und Sparens bis in das Unglaubliche treiben würde. Es kömmt wirklich nur auf die Art an, wie etwas zubereitet wird, konnte sie versichern, die Zuthaten sind Nebensache, – von fünfzehn guten Kaffeebohnen drei Tassen.

Also auf eine Tasse fünf Bohnen, dividirte der Bräutigam richtig.

Falsch gerechnet! triumfirte sie: eine Tasse von fünf Bohnen ist weit schlechter als drei Tassen von fünfzehn Bohnen. Sie setzte ihm die Behandlung auseinander und die Sache war unzweifelhaft. – Dann ist es sehr sparsam, altes Brot zu essen, versicherte sie.

Aber frisches Brot schmeckt besser, warf er ein.

Aber auch altes schmeckt recht gut, fuhr sie fort, und dann muß man nie zu feine Butter kaufen, die ist erstens sehr theuer, und man nimmt weit mehr davon.

Also, zog der Bräutigam ernsthaft den Schluß, ich habe Aussichten auf dünnen Kaffee, altes Brot und schlechte Butter.

Elisabeth zürnte: das Vergnügen, eine Musterwirthschaft zu führen, gehe doch wirklich über frisches Brot und Sahnenbutter.

Herr von Kadden wandte sich an den Schwiegervater, um sich belehren zu lassen, wie weit in dieser Hinsicht das Regiment der Frauen reiche. Darin sind wir gänzlich drunter durch, versicherte dieser, und es sind uns nur Bittschriften gestattet. Elisabeth lachte und dachte mit nicht geringer Sicherheit: ich möchte eigentlich wissen, wo meines Regimentes Grenzen ihren Anfang nehmen.

Wenn Elisabeth in Woltheim war, nahm sie sich sehr zusammen, die Großeltern ließen hin und wieder ein Wörtchen fallen, was ihr störend war. Die Großeltern irrten sich natürlich; wenn man sich gegenseitig so lieb hat, ist das Glück gesichert! war immer wieder ihr stiller Triumf.

Lest und sprecht Ihr auch zuweilen ernsthafte Dinge? fragte die Großmama einst in einer traulichen Stunde.

Bis jetzt, liebe Großmama, sind wir eigentlich noch nicht dazu gekommen, war Elisabeths Antwort. Aber ich danke dem Herrn täglich für mein Glück, fuhr sie fort, und wenn die unruhige Brautzeit erst vorüber ist, dann will ich meine Zelt auch schön ordnen, und wir wollen täglich zusammen lesen.

Habt Ihr das verabredet? fragte die Großmama.

Nein, entgegnete Elisabeth, aber ich habe es mir fest vorgenommen, wir sind auch jetzt nur immer so flüchtig zusammen, die Zeit ist im Sommer so schnell hingegangen. Schon im Winter soll das besser werden, da geht man nicht so viel spazieren.

Ihr studiert aber Englisch zusammen? fragte die Großmama.

Das haben wir aufgegeben, entgegnete Elisabeth lachend; denke Dir, daß wir uns dabei immer gezankt haben. Er sprach so viele Worte anders aus als ich, und meinte, es sei recht; und ich werde es doch besser wissen, meine Miß ist in den vornehmsten Häusern gewesen. Als wir merkten, daß es ohne ein bischen Confusion nicht gehen wollte, haben wir es ganz gelassen, – Du glaubst nicht, wie vernünftig wir sind.

Ihr hättet Euch aber lieber vertragen sollen, rieth die Großmama, das wäre noch vernünftiger gewesen. Lieber den Streit lassen, als die Sache; Gelegenheit zum Streit werdet Ihr sonst immer finden. So musizirt Ihr zusammen, seid nicht ganz einig, und laßt es lieber. Ihr geht zusammen spazieren, zankt Euch leicht dabei, und seid so vernünftig lieber nicht spazieren zu gehen.

Großmama, tröstete Elisabeth, es war ja nicht schlimm, es war alles nur Scherz. – Ein Vaterunser haben wir noch nicht nöthig gehabt zu beten, setzte sie lächelnd hinzu.

Schiebe es ja nicht zu lange auf, warnte die Großmama wieder. Ja, liebe Elisabeth, wenn Ihr wieder einmal nicht ganz einig seid, so versuche es, nachzugeben; es ist weit besser, Du lernst es jetzt schon, Du glaubst auch nicht, wie schön das ist.

Elisabeth nickte freundlich. Er ist auch immer gleich so gütig, wenn ich ihm nur etwas entgegen komme, sagte sie glücklich.

Im October wurde Elisabeths neunzehnter Geburtstag bei den Großeltern gefeiert, ihre Eltern und Geschwister waren dort. Es war ein froher Tag. Als der Großvater die Morgenandacht hielt, auf das verflossene Jahr zurück schaute und das Brautpaar aufforderte, ihre Herzen in Dank und Liebe dem Herrn zu geben, drückte der Bräutigam Elisabeths Hand, und seine Gedanken erschienen einmal da oben in recht aufrichtiger dankender Hingabe.

Am Geburtstage wurde auch die Hochzeit festgesetzt: im Frühjahr, wenn die Veilchen blühten, sollte sie sein. Die Wohnung wurde schon besprochen, man überlegte, welcher Stadttheil der beste sei, auch auf den nöthigen Raum, die nöthigen Möbel wurde gedacht. Kurz und gut, die Sache sollte nun Ernst werden. Elisabeth war sehr eifrig, sich in ihre neue Hausfrauen-Würde immer mehr einzuleben, und konnte zuweilen äußerst vernünftig reden.

Nachdem Eltern und Geschwister abgereist waren, hatte sie die Erlaubniß noch vierzehn Tage zu bleiben, als letzten längern Besuch bei den Großeltern. Den Winter wollte sie dann in Ruhe und Fleiß bei der Mutter zubringen. Die Herbsttage waren gerade wunderschön, der Bräutigam erschien jeden Mittag und blieb bis zum Abend, und jeder Tag brachte irgend einen hübschen Spaziergang oder eine Fahrt oder ein Familienvergnügen mit Oberförsters. In Braunhausen hatte das Brautpaar einige Visiten gemacht, außerdem aber keinen Verkehr angeknüpft. Das Publikum war nicht ganz zufrieden damit, wenigstens meinte es, das Recht dadurch zu haben, dem Brautpaar gegenüber eine kritische Stellung einzunehmen.

Höre mal, Kadden, begann Herr von Stottenheim eines Tages feierlich, ich muß wirklich einmal als Freund zu Dir reden, Du vernachlässigst Deine Bekannten hier in einem solchen Grade, daß es Dir später schwer werden wird, mit Deiner jungen Frau in diesem Kreise zu leben.

Ich vernachlässige sie? fragte Kadden verwundert.

Ja, freilich, seitdem Du Dich verlobt hast, bist Du für uns nicht mehr da. Du läßt Dich von der Familie wirklich zu sehr hinnehmen, zu sehr beherrschen, ein Mann muß doch seine Selbständigkeit bewahren.

Ich versichere Dich, lachte Kadden, daß es immer mein selbständiges Verlangen ist, wenn ich mit der Familie bin, weil es mir außerordentlich wohl da ist.

Du bist ein guter Junge, sagte Stottenheim väterlich, Du läßt Dich da umgarnen, ohne daß Du es ahnst, es müßte Dir doch jedenfalls Vergnügen machen, mit Deiner reizenden Braut in unseren Gesellschaften auch einmal zu erscheinen.

Dazu hat sie keine Lust, entgegnete Kadden schnell.

Da haben wir es! rief Stottenheim, das wollte ich eben sagen, wenn sie keine Lust hat, muß sie es aus Rücksicht für Dich und Deine Freunde thun. Sie verlangt, daß Du Dich in ihre Lebensweise hineinfügst, das geht natürlich von ihrer Familie aus; Du mußt Dich aber nicht ganz und gar regieren lassen, sie müssen doch auch fühlen, welche Rücksichten sie Dir schuldig sind.

Kadden fühlte es heiß werden in seiner Brust. Die Vorstellungen des Freundes hatten leider etwas Wahres, er hatte einige Mal Wünsche geäußert mit Elisabeth an Partien, welche seine städtischen Freunde unternahmen, theilzunehmen, aber es war ihm ausgeredet worden, und da er sich mit Elisabeth überall glücklich fühlte, hatte er seine Wünsche schnell aufgegeben. Sich in der Art, wie er es eben von Stottenheim erfuhr, von seinen Freunden besprochen zu wissen, war ihm gar nicht angenehm; er unterdrückte aber diese Gefühle und sagte scherzend: Wenn es mir mehr Vergnügen macht, mit meiner Braut dort zu sein, als hier in Euren Gesellschaften, so müßt ihr gestehen, daß ich mein gutes Theil an der Regierung habe.

Ich wiederhole noch einmal, Du täuschest Dich, entgegnete Stottenheim eifrig, und ich sage Dir, laß Dir die Leutchen nicht über den Kopf wachsen. Ich bestreite ja ihre Liebenswürdigkeit nicht, ich fühle mich selbst sehr wohl zwischen ihnen, aber Du darfst darüber Deine Freunde hier nicht ganz und gar vernachlässigen, und wenn sie Dich dazu verleiten wollen, mußt Du ein Mann sein, mußt Dir überlegen, daß es so nicht geht, und nach Deinem eigenen Einsehen handeln.

Bist Du nun fertig? fragte Kadden kurz. – Stottenheim wollte etwas entgegnen. – Ich danke Dir schön, fuhr Kadden fort, beruhige Dich aber, ich werde die Sache ganz zu Deiner Zufriedenheit lösen.

Ich war gefaßt, auf einige Gereiztheit von Deiner Seite, nahm Stottenheim äußerst freundschaftlich das Wort, ich nehme es Dir auch nicht übel, ich habe es für meine Pflicht gehalten Dich zu warnen. Du willst doch hier mit uns leben. Daß der glückliche Rausch, in dem Du Dich jetzt befindest, vorübergehen wird und muß, bist Du gescheit genug einzusehen. Den Umgang, den Du jetzt abgebrochen, wirst Du natürlich nachher wieder anknüpfen müssen, Du kannst Dich dann nicht wundern, wenn Du piquirte Gesichter findest. Außerdem hat dieses Wechseln etwas Unselbständiges, Unbedachtes.

Ich habe aber durchaus meinen Umgang hier nicht absichtlich abgebrochen, unterbrach ihn Kadden ärgerlich, es hat sich so ganz natürlich gestaltet, und wird sich, wenn ich verheirathet bin, ganz natürlich wieder anders gestalten.

Mit der Antwort bin ich vollständig zufrieden, sagte Stottenheim und reichte dem Freunde die Hand. Nun thue mir aber den Gefallen und nimm an der Jagd morgen Theil, Der Oberst läßt Dir für den Rückweg einen Platz in seinem Wagen anbieten, das Diner wird spät, und in der Nacht zu reiten ist gerade nicht angenehm.

Kadden war einen Augenblick nachdenklich, er fühlte wirklich, daß er eigentlich keinen freien Entschluß in solchen Stücken mehr habe. Elisabeth war nur noch zwei Tage in Woltheim: würde sie es leiden, daß er einen Tag davon einer Hetzjagd widmete? Erstens liebte sie für ihn das Jagen, weil sie sein tolles Reiten dabei fürchtete, gar nicht, und dann um so einer albernen Gesellschaft, wie sie gern bereit war zu sagen, den ganzen Tag von ihr zu bleiben, war auch kaum denkbar. – Meine Braut ist nur noch zwei Tage in Woltheim, sagte er jetzt mit erzwungener Ruhe; daß ich da lieber mit ihr, als auf der Jagd bin, wirst Du natürlich finden.

Wir sind wieder auf dem alten Punkt, entgegnete Stottenheim, Du sollst es aus Klugheit thun, Du sollst deinen Freunden beweisen, daß Du nicht ganz und gar unter dem Pantoffel stehst, noch thun kannst was Du willst.

Unsinn! zürnte Kadden.

Thue es mir zu Liebe, bat Stottenheim, der es wirklich in seiner Art ganz aufrichtig meinte. Ich habe es eigentlich über mich genommen und gar nicht bezweifelt, daß Du die Einladung annehmen würdest.

Gut! sagte Kadden jetzt schnell, ich will kommen. Natürlich bleibe ich nicht zum Diner, sondern reite nach der Jagd sogleich nach Woltheim.

Der Freund war sehr einverstanden. Er sprach noch: wie man mit der gehörigen Klugheit sich eine Stellung in der Welt bewahren müsse, wie man mit einem gewissen klugen Benehmen Anstoß nach allen Seiten hin vermeiden könne, und auf diese Weise ein nach allen Seiten hin angenehmes Mitglied der menschlichen Gesellschaft sei. Kadden sagte sehr wenig dazu, in seinem Innern kochte es, und er war froh, als der gesprächige Freund sich entfernte und er den Weg nach Woltheim antreten konnte.

So viel hatte er im Umgang mit Herrn von Budmar schon gelernt, daß er die Haltlosigkeit und Leere von Stottenheims Lebensansichten herausfühlte, ihnen aber entgegen zu treten fehlte es ihm an Muth und auch an Erkenntniß. Auch seiner Schwiegermutter Grundgedanke bei allen ernsteren Gesprächen war immer, weil sie davon so gut aus Erfahrung sprechen konnte: nur äußeren leeren Rücksichten nicht das eigene Glück zu opfern. Er war mit ihr immer ganz einverstanden gewesen, hatte es sich auch ganz leicht vorgestellt, wenn er mit Elisabeth nur glücklich sein durfte, nach der ganzen Welt nicht zu fragen, und hatte sich dabei sein häusliches Leben mit ihr sehr lieblich und friedlich ausgemalt. Daß die Wogen der Welt von außen her ein solches Leben bedrohen, wohl gar erschüttern können, und oft schon durch die geringfügigsten Dinge, wenn dies Leben nur auf den leichten Sand der Gemüthlichkeit, die holden Regungen eines schwachen Menschenherzens, und nicht auf einen Felsengrund gebauet ist, das hatte er nicht gedacht. – Er ritt sehr langsam nach Woltheim, er konnte sich es nicht verbergen, daß er eigentlich Furcht habe, seiner kleinen sehr verwöhnten Königin einmal einen festen Entschluß, der allerdings etwas thöricht war, mitzutheilen. – Thöricht? fragte er sich, warum denn? Du wirst doch die Hetzjagden nicht aufgeben wollen, da sie dir so viel Vergnügen machen? Nein, aufgeben nicht, war die Antwort, aber morgen wärest du lieber mit deiner holden Braut als mit den Herren gewesen, ganz abgesehen davon, daß man einer Braut zu Liebe auch sonst wohl ein Vergnügen aufgeben könnte.

Also nur aus Schwäche, aus Furcht vor dem albernen Gerede der Menschen hatte er das Versprechen gegeben. Er hatte es oft gehört in der Familie, deren gefährliche Lebensluft er jetzt athmen mußte, daß Gottes Wort in allen Dingen der sicherste Führer ist, auch in allen Kleinigkeiten, die unwichtig erscheinen, aber doch eigentlich nicht unwichtig sind, weil eben das ganze Leben mit so Kleinigkeiten zusammenhängt. Ein Mann, der Gottes Wort zur Richtschnur hätte, würde erhaben sein über lächerlichen Stolz und Menschenfurcht bei solcher Gelegenheit. Ein solcher Mann würde ganz ruhig und fröhlich gesagt haben: »Ob die Menschen denken, ich stehe unter oder über dem Pantoffel, das ist mir sehr gleich; ich werde jetzt thun was recht und mir und meiner Braut lieb ist. Eure Theilnahme für mein Glück oder Unglück verweise ich auf die Zukunft, wartet es ruhig ab.« Mit diesem Ausspruch hätte er seine Selbständigkeit am besten bewiesen. Ja das ist nun noch die wunderbare Seite der Sache, daß, wo Gottes Wort die Grundlage ist, alles nicht nur auf die angenehmste Art erledigt wird, auch auf die klügste Art.

Aehnliche Gedanken kamen dem nachdenklichen Bräutigam fast gegen seinen Willen, er war zu gescheit, um nicht wirklich zu fühlen, daß seine Willenskraft, seine guten Vorsätze hier doch der Versuchung unterlegen waren. Er ärgerte sich entsetzlich über sich selbst, dann entschuldigte er sich wieder und sagte sich: die ganze Sache sei eine Lumperei und gar der Betrachtung nicht werth. Daß ihm dabei wieder der Großvaters Worte einfielen: »Wie ein Mann die kleinen Dinge im Leben behandelt, so behandelt er auch die großen« – ließ ihn auch diesen Trost nicht recht genießen. In dieser Stimmung kam er in Woltheim an.

Elisabeth war lieblich und fröhlich wie immer. Sie hatte immer wieder neue Ideen mitzutheilen und neue Aufträge zu geben. Heute war es ein Blumenfenster in der neuen Wohnung, – aber ja nach der Mittagsseite hin, – und ein kleiner Hühnerstall zu den englischen Hühnern, die Onkel Karl ihr versprochen. Die Hühner, das war ausgezeichnet berechnet, sollten mit den Pferden zusammen wohnen, damit kein Körnlein Hafer umkommen möchte. Herr von Kadden wurde vergnügt mit ihr und vergaß ganz und gar die fatale Hetzjagd. Sie inquirirte aber auch nach den Fenstermaaßen der neuen Wohnung, die er jeden Tag versprochen und die sie nothwendig zu den Vorhängen und Roulleaux haben mußte. Er hatte sie wirklich wieder vergessen. So bringst Du sie morgen jedenfalls! bat sie dringend. Morgen wird es doch nicht gehen, begann er jetzt und dachte dabei: Nur Muth! wissen muß sie es jetzt, aber ich werde sehr freundlich und ruhig sprechen.

Warum nicht? fragte sie schnell.

Morgen früh muß ich nach Breitenfelde zur Hetzjagd.

Sie sah ihn verwundert an.

Ich thue es sehr ungern, fügte er freundlich hinzu, es ließ sich aber nicht umgehen.

Wer zwingt Dich dazu? fragte sie.

Meine Freunde wünschen es sehr.

Du konntest aber wissen, daß ich es eben so sehr nicht wünsche, sagte sie zürnend; ich begreife gar nicht, wie Du es versprechen kannst, ohne erst mit mir zu reden.

Es war mir unangenehm, es abzuschlagen, und ich hoffte, Du würdest es mir zu Liebe schon erlauben, entgegnete er lächelnd, obgleich er schon fühlte, daß er nicht, wie bei früheren kleinen Streitigkeiten, über der Sache stand und Elisabeths ungezogenen herrschenden Ton amüsant finden konnte.

Erlauben? nein; – aber meinetwegen kannst Du thun was Du willst! sagte sie ganz böse.

Er fühlte es in seiner Brust etwas heiß werden. Jetzt ist sie wirklich nicht liebenswürdig, dachte er; er sagte aber nichts und sah sie nur ernsthaft an.

Sage nur nicht daß Du es ungern thust, fuhr sie in großer Erregung fort, ein Mann wird sich doch nicht zu solchen dummen Dingen zwingen lassen.

Ich habe es ungern versprochen, sagte er immer ernsthafter, jetzt wird es mir freilich leichter hinzugehen.

Wie kannst Du mir das aber wieder sagen? entgegnete sie mit zitternder Stimme.

Ueberlege Dir einmal, was Du gesagt hast, war seine kurze Antwort, dann verließ er den Gartensaal und ging in das Nebenzimmer zu den Großeltern.

Also hier doch Grenzen deines Regiments, – dachte Elisabeth, – den Freunden zu Gefallen ist er unfreundlich gegen dich! Sie war an das Fenster getreten, die bunten herbstlichen Blätter auf den Wegen und auf dem Rasen lagen so still im Sonnenscheine, die Bäume mit dem wenigen Laube schimmerten wohl prächtig gegen den tiefblauen Himmel, aber es war alles so schweigsam und wehmüthig, vertrocknete Blumen hingen traurig ihre Köpfe, und einzelne Bienen summten suchend umher, ohne viel zu finden. Elisabeth dachte an die schönen Maientage, wo Blüthen und Frühlingsschmuck im Ueberfluß; es war ihr, als ob die Blumen und Blüthen ihrer Liebeswelt auch alle verblühet wären. Wenn er unfreundlich gegen dich ist, kannst du nicht glücklich sein, – stellte sie ihre Betrachtungen an; – du bist zwar etwas heftig gewesen – Und warum? Würde der Vater die Mutter fragen, wenn er für sich eine Einladung annehmen will? Oder der Onkel Oberförster würde er die Tante erst fragen? Nein. Sie hatte sich ihre Liebe aber auch weit sonniger und schöner gedacht. – Was würden die Großeltern sagen, wenn sie den Streit gehört hätten? Sie erröthete etwas vor Ueberraschung, als sie ihre Worte überlegte. – Aber, fügte sie hinzu, ähnlich habe ich schon öfter gezankt, und er hat darüber gelacht und mich zufrieden gemacht, – er war heut übler Laune. Daß aber überhaupt ein Wechsel in seinen Launen stattfinden könne, war eben die erste bittere Erfahrung, die sie machte. – Der Schluß ihrer Betrachtung war, noch abzuwarten, ob er nicht doch zuerst würde wieder freundlich sein.

Es war Mittag, man setzte sich zu Tische. Onkel Karl und Charlottchen und die Großeltern waren gesprächig und vergnügt wie immer, auch Herr von Kadden sprach lebhaft mit, aber die Großeltern merkten gleich, daß es zwischen dem Brautpaar nicht ganz richtig sei. Bei Gelegenheit, daß vom folgenden Tage die Rede war, erwähnte er beiläufig: daß er morgen zu einer Hetzjagd nach Breitenfelde eingeladen sei und auch hingehen müsse. Also dies der Grund! dachte der kluge Großpapa sogleich, und er freute sich, daß Elisabeth die Erfahrung machte, wie es nicht immer nach ihrem Willen gehe.

Das ist ja schön! wandte er sich zu dem jungen Mann, es ist auch herrliches Jagdwetter.

Zum Diner hatte ich eigentlich nicht die Absicht zu bleiben, begann Herr von Kadden.

Ei warum denn nicht? unterbrach ihn der Großvater verwundert. Die Jagddiners sind zwar nicht in allen Häusern schön, setzte er lächelnd hinzu, aber in Breitenfelde kann man es schon aushalten.

Aushalten, ja; aber ich habe mir aus solchen Gesellschaften nie viel gemacht, versicherte der junge Mann mit einem aufrichtigen einfachen Ton.

Desto besser, entgegnete die Großmama freundlich, wir Frauen lieben diese Herren-Diners nicht sehr.

Elisabeth hatte sich in wahrer Herzensangst zu Charlottchen gewandt und ließ sich von ihr allerhand erzählen, bis die Unterhaltung zwischen den Großeltern und dem Bräutigam eine andere Richtung genommen hatte und die Tafel dann aufgehoben wurde.

Die Großeltern mußten jetzt Mittagsruhe halten, das Brautpaar ging wie gewöhnlich um diese Zeit in den Gartensaal, wo Elisabeth mit einer Arbeit, beschäftigt sich von dem Bräutigam vorlesen ließ. Ob er wirklich vorlesen kann? dachte sie gespannt; ich könnte es nicht, ich könnte nicht einmal reden.– Ganz fest und ruhig griff er nach dem Buch und fragte ebenso: Ich soll doch vorlesen? – Sie nickte nur.

»Das Wort der Frau« war es, was sie in dieser Zeit angefangen hatten; es war so schön und so romantisch, Elisabeth hatte es selbst ausgewählt. Das Wort der Frau hatte auch in dem Gedichte auf eine so liebliche Weise die bestimmende Macht. Wenn sie sich freilich in diesen fürstlichen Frauen jetzt spiegeln wollte, mußte sie sehr traurig sein. – Als sie so eine Weile neben ihm saß, und er nie aufsah, um sie freundlich anzublicken, da ward es ihr ganz bange, Sie fühlte deutlich, daß er nicht würde zuerst wieder freundlich sein, daß sie jetzt nachgeben müsse; sie wollte das auch lieber, als ihn so kalt und fremd neben sich sehen. Sie legte plötzlich ihre Hand sanft auf das Buch und sagte: O bitte, lieber Otto, lies nicht mehr.

Er sah sie erst fragend an, aber er war selbst froh, daß dieser peinliche Zustand aufhören sollte, und hatte nicht viel Neigung, ihren bittenden Blicken zu widerstehen; ja es wurde ihm ordentlich schwer, ihre Versicherung ruhig mit anzuhören, daß sie wirklich sehr ungezogen gewesen, und daß er ihr zur Strafe auch zum Diner bleiben möchte. Doch hörte er es ruhig mit an. Der Großvater hatte ihn durch das zwar an und für sich unbedeutende Gespräch bei Tische doch bedeutend gestärkt. Er berührte auch den kleinen Streit nicht mehr, aber Elisabeth sah an seinen glücklichen Augen, daß er völlig versöhnt sei. Als sie beide wieder bei den Großeltern erschienen, merkten diese sogleich, wie die Sachen standen; sie merkten auch an Elisabeths kindlicher und glücklicher Fügsamkeit und an seiner zwar sehr liebreichen aber ruhigen Würde, daß Elisabeth einmal hatte nachgeben müssen. Als am späten Abend das Brautpaar in der Saalthür Abschied nahm, sagte er glücklich: Wenn Du so liebenswürdig bist, werde ich doch nicht morgen fort können.

O doch, Du mußt hin! versicherte sie, ich bitte Dich darum, dann verschmerze ich es eher, daß ich so ungezogen war.

Ich weiß doch noch nicht, sagte er lächelnd.

Als er das Pferd bestiegen hatte, und sie ihm noch einmal die Hand hinauf reichte, bat sie nachdrücklich: Du darfst nicht eher kommen als morgen Abend!

Am folgenden Morgen ganz früh erschien Stottenheim bei seinem Freund. Du gehst doch mit? fragte er hastig.

Ich weiß doch noch nicht, entgegnete dieser lächelnd.

Also wirklich keine Erlaubniß erhalten? sagte Stottenheim mit höchst weisem Kopfschütteln.

Im Gegentheil, versicherte Kadden freudig, wenn ich mitgehe, thue ich es nur auf Befehl meiner Braut. – Stottenheim sah ihn verwundert an.– Und der Großpapa, fuhr Kadden fort, hat mich dringend aufgefordert, auch zum Diner zu bleiben.

Wahrhaftig? sagte der verwunderte Freund. Es ist aber allerliebst, fügte er hinzu, und Du gehst nun mit.

Meine Braut, sagte Herr von Kadden, wird nur trotz des erlassenen Befehles sehr glücklich sein, wenn ich sie überrasche. Ihr könnt aber morgen glücklich sein! lachte Stottenheim, und nachdem der Bräutigam noch etwas innerlich hin und her geschwankt, entschloß er sich mit dem Freunde zu gehen, und gab dem Burschen Befehl, das Pferd bereit zu machen.

An demselben Morgen ging Elisabeth schon früh spazieren, es war so thauig und frisch und sonnig glänzend, und sie war so glücklich. Sie hatte ihre kleine Bibel, mitgenommen und wollte dort, wo die Tannen beginnen, an einem stillen sonnigen Platz sich hinsetzen und lesen. Es war das in letzter Zeit selten vorgekommen, sie hatte dem lieben Gott nur immer kurze Visiten gemacht, nur ihm ihr volles glückliches Herz entgegengebracht, erfüllt von Dank und erfüllt von der Bitte um Dauer des Glücks., Sie hatte ihn aber auch vertröstet, daß sie später sich recht viel und regelmäßig ernsthaft beschäftigen würde. Wenn sie erst verheirathet war, wollte sie nicht mehr so zerstreut und so viel mit anderen Dingen beschäftigt sein.

Sie saß vor dem Tannenwalde, hatte die Bibel vor sich – und schlug sie doch nicht auf. – Warum hatte sie sich wohl hier hingesetzt, wo sie die Kirschenallee, den Weg von Braunhausen übersehen konnte? Sie war eine Thörin, sie hatte im Herzen die stille Hoffnung, der Bräutigam möchte die Jagd trotz ihres gestrengen Befehles aufgeben und kommen, und da er der Jagd wegen Urlaub hatte, konnte er auch schon früh kommen. Darum saß sie hier, schaute wartend nach der Kirschallee und vergaß daß liebe Buch auf ihrem Schooße. Sie saß aber und sann, und ging hin und her, und saß wieder, er kam nicht, – sie mußte endlich ihre thörichte Hoffnung aufgeben, und den Rückweg antreten. – Ohne zu lesen? Sie war heute zu unruhig, konnte ihre Gedanken nicht sammeln, aber im Gehen noch einmal die Bibel aufschlagen, und das Aufgeschlagene sich zum Tröste deuten, das that sie recht gern. Sie nahm die Psalmen und ihre Augen fielen auf die Worte: »Hienieden auf Erden rufe ich zu Dir, wenn mein Herz in Angst ist; Du wollest mich führen auf einen hohen Felsen. Denn Du bist meine Zuversicht, ein starker Thurm vor meinen Feinden.«

Ach ja, ich habe noch viel Feinde in mir, sagte sie sich seufzend, ich weiß nicht wie es werden soll! Lieber Herr, verzeihe mir nur, daß ich thue, als ob ich ohne Dich könnte glücklich sein, ich weiß es recht gut, daß es so nicht geht, aber jetzt bin ich sehr schwach. Jetzt quält mich der Gedanke, wie, es mit unserer Liebe wird, ob er mich Wohl jetzt noch so lieb hat als im Anfang, und ob ich ihn heut so lieb habe, als ich ihn gestern hatte? Nach dem was gestern vorgefallen ist, hätte er heute gerade kommen müssen, und mich damit belohnen. Wenn er mein Herz so recht verstände, so müßte er wissen, daß es mich sehr glücklich machte, wenn er kam, und dann wäre alles gut gewesen. Aber so ist es doch sehr bedenklich, ob der Großpapa nicht recht hat, daß eine gegenseitige Liebe nicht hinreicht und ausreicht zum Glück und Trost in allen Fällen. Es bleibt mir jetzt gar nichts anderes übrig, als liebreich und freundlich gegen ihn zu sein, sonst wird die Sache wieder schlimm; denn darin scheint der Großpapa auch recht zu haben, daß Männer es nicht vertragen können, wenn man ihnen Vorwürfe macht, und das ist doch gewiß sehr schlimm. Ich habe gedacht, man könnte alles aus Liebe ertragen; aber wenn man sich zankt und sich ärgert, da merkt man auch nichts von der Liebe, also die Liebe hilft einem in solcher Noth gerade gar nicht. In solchen Fällen muß man vielleicht ein Vater Unser beten und den lieben Gott um Hilfe bitten, daß man auch gern thut, was man thun muß. Aber es ist doch anders, wie ich es mir gedacht und geträumt habe, und traurig ist das jedenfalls.

Mit solchen Gedanken beschäftigte sich Elisabeth den lieben langen Tag, sie überzeugte sich dabei aber auch immer mehr, daß sie den Bräutigam wirklich freundlich und liebreich empfangen müsse, und stärkte sich zu diesem vernünftigen Entschluß mit sanftmüthigen und liebreichen Gedanken. Als die Nachmittagssonne sich wieder leise hinabsenkte in Westen, wandelte sie ganz einsam fort, dem Bräutigam entgegen. Sie war auch kaum einige hundert Schritte in der Allee hinauf gegangen, als er daher geflogen kam.

Warum erschrak sie sich denn, anstatt sich zu freuen? Ach der Groll, mit dem sie den Tag über gekämpft hatte, der regte sich wieder in ihrem Herzen. Wenn er dich so lieb hatte als früher, er würde nicht den ganzen Tag fortgegangen sein, da wir den langen Winter getrennt sein sollen, und wenn er dich recht lieb hätte, hätte er deine Sehnsucht mitgefühlt. Als sie so dachte, ward es ihr immer banger und heißer um das Herz – nein, es ist schrecklich, du kannst ihm zu Liebe jetzt nicht freundlich sein, du hast ihn heut nicht so lieb als gestern, sprach sie mit bester Ueberzeugung. Aber er kam ja immer näher, sie mußte sich entschließen. Sie hätte ihn weinend begrüßen mögen und ihm sagen: Ich bin so sehr traurig, weil ich Dich heut nicht so lieb haben kann als früher. Was sollte dann aber werden? Dann wird es nur schlimmer und deine Noth größer. – Sie blieb stehen, hatte die Hände krampfhaft in einander gefaßt. O lieber Herr, kann ich denn Dir zu Liebe nicht nachgeben und freundlich sein? Hilf mir doch, daß ich gar nicht daran denke, ob er mir Unrecht gethan hat. Laß mich nur an Dich denken, und denken, daß Du es verlangst, ich soll jetzt von Herzen freundlich und sanftmüthig sein. – Ich werde es doch nicht ganz verlernt haben, dem Herrn zu Liebe etwas zu thun, dachte sie und es ward ihr plötzlich ganz selig zu Sinne. Ja dem Herrn zu Liebe, dem Herrn, der mir immer mit gleicher Liebe und Treue nahe ist, und dem ich so lange gar nichts zu Liebe gethan habe, dem kann ich heut etwas zu Liebe thun.

Als der Gefürchtete vor ihr hielt, sich aus dem Sattel schwang und sie freudig begrüßte, da konnte sie ihm ganz offen und liebreich in die Augen schauen. Das Pferd am Zügel haltend, ging er neben ihr her.

Du glaubst nicht, liebe Elisabeth, wie ich mich nach Dir gesehnt habe, sagte er warm.

Ich auch, war ihre leise aber freundliche Antwort.

Weißt Du, daß ich heute Morgen beinahe doch zu Dir gekommen wäre? fuhr er fort.

Sie lehnte sich zur Antwort nur an seine Schulter. Er neigte sich und sah sie fragend an: ja sie hatte Thränen in den Augen, aber sie schaute auf, so lieblich und freundlich, sie schien weder zu zürnen, noch war sie traurig; sie war ihm aber unverständlich.

Er brach einen schwanken Zweig von einem jungen Baum und sagte: Weißt Du, Elisabeth, als die Eisblumen daran blühten, und diese Blätter in den seinen braunen Knospen saßen? – Elisabeth nickte. – Jetzt fallen diese Blatter ab, aber es sind darunter wieder kleine braune Knospen.

Und die Sonne und der schöne blaue Himmel ist immer wieder da, um sie herauszulocken, fiel Elisabeth ein. O ich habe heute immer in den schönen blauen Himmel sehen müssen, fuhr sie fort, ich wollte ihn ergründen und schaute so tief hinein, und je tiefer ich schaute, je wohler und stiller ward es mir im Herzen. Das Blau ist so wunderbar schön, so wie der Frieden selbst.

Darum ist auch Blau die Farbe der Treue, sagte er.

Und Treue ist schöner als Liebe, fiel sie schnell ein; dann war sie bange, ob sie ihre heutigen Kämpfe nicht verrathen habe, und schaute ihn unwillkürlich zagend an. Er. ging nachdenklich neben ihr her, es ward ihm immer deutlicher, sie war heute anders, – er war es kaum gewohnt, sie nicht immer hüpfen und scherzen zu sehen.

Sie kamen an einem Kastanienbaume vorbei, der seine bunten Blätter weit auf den Weg und auf den Rasen gestreut hatte; die schrägen warmen Sonnenstrahlen fielen aber so voll und golden auf die kleine Birkenbank, die darunter stand, daß Herr von Kadden unwillkürlich vor dem einladenden Plätzchen stehen blieb. Ja, schnell warf er den Zügel des Pferdes um einen Ast und führte Elisabeth nach der Bank. Sie setzten sich, er nahm ihre beide Hände, sah sie forschend an und sagte: Nun liebe Elisabeth, sage mir erst, was Du auf dem Herzen hast.

Der Angriff war unerwartet, Thränen stürzten aus ihren Augen. Er bat sie zu reden, das ging nicht sogleich. Er fragte: Weinst Du um mich? Sie versicherte jetzt, daß sie nicht weine, weil sie traurig sei, aber sie wollte ihm auch alles erzählen, wenn er ihr versprechen wollte, nicht böse zu sein. Das Versprechen gab er von ganzem Herzen.

Sie erzählte von ihren Erwartungen heute Morgen, von ihren Kämpfen den Tag über, von den guten Vorsätzen, aber auch daß, als sie ihn von weitem kommen sah, sie ihn gar nicht lieb hatte. Es war aber eigentlich nicht wahr, erzählte sie schnell, mit dem Groll im Herzen konnte ich die Liebe nur nicht fühlen. Aber ich konnte mich nicht überwinden, mit aller Kraft des Herzens nicht, weil mein Herz matt war. Da wollt ich dem Herrn zu Liebe nachgeben und freundlich sein, und da habe ich es gekonnt. – Der Bräutigam sah sie so nachdenkend und teilnehmend an. – Nun bin ich so herzlich froh, fuhr sie lebhafter fort, seitdem ich erfahren habe, daß ich alles, was mich hindern will, Dich zu lieben, dem Herrn bringen kann; nun bin ich nicht mehr so bange, wie ich den ganzen Tag gewesen bin. Ich will mich auch nicht weiter fürchten, was auch kommen mag.

Liebe Elisabeth, ich will auch alles dem Herrn bringen, was Dich hindert mich zu lieben, sagte er bewegt; ich habe es, auch zum ersten Male recht deutlich erfahren, daß der gute Wille und die festen Entschlüsse schwach sind. Du mußt mir verzeihen, und mich dennoch lieb haben. Es soll ja immer besser werden, setzte er weich hinzu.

Wir wollen nicht glauben, daß wir vollkommen sind, sagte sie leise, damit wir uns nicht so wundern und betrüben.

Er küßte sie schweigend auf die helle Stirn, stand dann eilig auf und führte sie dem Hause zu, wo die Großmutter schon ungeduldig in die Saalthür getreten war.

Wie seltsam war das, als ob die Großeltern die Stimmung des Brautpaares mitfühlten, sie waren so ernsthaft und sinnig und friedlich. Sie saßen auf dem Sofa, die Großmama hatte ihren Kopf an des Mannes Schulter gelehnt. Elisabeth saß ebenso an ihres Bräutigams Seite und hörte schweigend, wie er mit dem Großvater ernste Dinge sprach. Eigentliche Glaubens-Artikel wurden nie besprochen, aber der Großvater verstand es wohl, auch ohne Schlagwörter die rechte Sache hervorzubringen. Heute sprach er wieder von der Seelen Noth, weil er hoffte, wenn die jungen Leute so recht von der Seelennoth ergriffen wären, würden sie auch nach der Seelenhilfe fragen. Herr von Kadden war heut zum erstenmal aufmerksam und wißbegierig. Elisabeth schaute zuweilen sinnend zu ihm hinauf um sich so glücklich zu überzeugen, daß er es auch wirklich sei, der neben ihr saß. Sie erinnerte sich lebhaft des Abends im vergangenen Winter, wo der Großvater so ernsthaft sprach von der Macht der Welt, wie sie so viele junge Seelen in der Noth und in das Verderben führt. Damals hatte sie mit zagendem Herzen an die eigene Seligkeit gedacht und nicht gewagt, seiner zu gedenken; heute durfte sie aus voller Seele seine Seligkeit mit ihrer eigenen zusammenschließen. In ihrem Herzen klang jetzt wieder das Lied: »Aus tiefer Noth schrei ich zu Dir,« und als der Großvater eine Pause machte, stand sie leise auf und ging in den Gartensaal, wo das Instrument noch stand, sie konnte das Lied nicht zurückdrängen, sie mußte es singen. Sie hatte kaum einige Strofen gesungen, als der Bräutigam neben ihr stand und mit seiner schönen Tenorstimme einstimmte:

Denn wenn Du willst das sehen an
Was Sünd und Unrecht ist gethan,
Wer will, Herr, vor Dir bleiben?

Bei Dir gilt nichts denn Gnad und Gunst
Die Sünde zu vergeben,
Es ist doch unser Thun umsonst
Auch in dem besten Leben,
Vor Dir niemand sich rühmen kann,
Es muß Dich fürchten jederman
Und Deiner Gnade leben.

Als Elisabeth jetzt aufhörte, nahm er das Buch selbst in die Hand und las das Lied für sich zu Ende. Die Großeltern hatten zugehört und der Großvater sagte leise: Wir müssen nie traurig sein, wenn Wolken und auch kleine Ungewitter ihr Liebesleben trüben, Noth treibt zu Gott. Möchten sie ihrer Seelen Noth kennen lernen, ehe sie in der Welt auftreten, wo dann diese Welt es nicht lassen wird, ihre Gefühle und Begriffe verwirren zu wollen. Dein Großmutterherz muß nicht immer wollen ein übermüthiges Brautpaar sehen.

Den Abend war Herr von Kadden noch lange auf und beschäftigt mit den Erlebnissen der letzten Tage. Noch nie hatte Elisabeths Bild seine Seele so bewegt als heute. Ja, es giebt ein geheimnißvolles Seelenleben, eine geheimnißvolle Welt dort über uns, und die Fäden zwischen beiden sind es allein, welche dem Leben Reiz und der Seele Bewegung verleihen. Was die Welt Süßestes bieten konnte, war ihm ja im vollsten Maaße geboten, eine Liebe, die ihn ganz beglückte, aber mitten in dem Glücke konnte er oft den Gedanken nicht von sich weisen: Kann das Glück so bleiben? Die Welt scherzte über dieses Flitterwochen-Glück, die Erfahrung hatte es sie gelehrt, daß eine solche liebliche Brautliebe der Macht und der Gewohnheit der Zeit weichen muß: sollte es seiner Liebe besser ergehen? Sein Verstand hatte ihn bei solchen Gedanken oft schon auf seltsame Wege geführt. So wie Elisabeth dir gefallen hat, kann sie nicht auch anderen gefallen? Und warum wieder soll sie dich immer lieb haben? Wenn Zeit und Gewohnheit die Liebe abgekühlt, könnte nicht ein anderer erscheinen, der ihrer Liebe würdiger war, als er selbst, war er denn nicht ein schwacher Mensch trotz aller guten Vorsätze? Elisabeth hatte ihm nie auch die leiseste Veranlassung zur Eifersucht gegeben; die äußere Gelegenheit hatte gefehlt, aber Elisabeth vernachlässigte seinetwegen auch alle, die ihr bisher lieb waren, und wollte nichts anderes, als ganz ungetheilt ihn lieben. Sie will es, wird sie aber äußeren Einflüssen widerstehen können? sie ist doch nicht mehr als ein liebliches Kind.

In der Nähe der Großeltern hatte er immer gefühlt, obgleich er es sich nicht erklären konnte, daß Zeit und Gewohnheit ihrer Liebe nichts anhaben konnten. Heute hatte der Großvater wieder gesagt: »Lieben und leiden zusammen, zusammen der Seelen Noth tragen, das ist das Unvergängliche und Selige an der Liebe, das Liebes-Glück, was dieser Welt nur angehört, müssen wir auch dieser Welt preisgeben.« Er hatte Aehnliches öfter gehört und es blieb ihm unverständlich. Wie kann »Seelennoth zusammen tragen« das Beste von der Liebe sein? Heute, nach den Erlebnissen der beiden Tage, war ihm das Verständniß geworden, er hatte hineinblicken dürfen in die geheimnißvolle Welt dort über sich, Elisabeth in ihrer Seelennoth, in ihrem Kampf und ihrem Siege, war jetzt erst sein geworden. Elisabeth war nicht nur ein schwaches liebliches Kind, sie war stärker als er selbst, stark durch ihre kindliche Demuth.

Wie war ihm denn, dem Manne mit dem festen Willen und dem guten Gewissen, in der ersten und so leichten Versuchung, als er ihr gegenüber zum ersten Mal fühlte daß sie unliebenswürdig sei? Seine Liebe zeigte ihm keinen Weg, weil er nicht Liebe, nur Aerger fühlte, und obgleich er sich äußerlich zusammennahm, war er innerlich doch in Noth, und wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er aufstand und böse davon ging. Wie wäre es denn geworden, wenn Elisabeth nicht zuerst kam? Nun freilich, gestern hatte sie Unrecht und mußte kommen, konnte er sich beruhigen; wenn sie aber heute, wo ihr Herz doch eigentlich Recht hatte, nicht dem Herrn übergeben hatte, was sie in ihrer Liebe hindern wollte, wenn sie launig und verstimmt war, was wäre denn geworden? Er fühlte sich hier vor einem Labyrinthe, aber er mußte hindurch. Elisabeth mit ihrem zarten Gewissen und ihrer zarten Gefühlswelt brachte sich schon durch solche Kleinigkeiten in Seelennoth, und suchte in solchen Kleinigkeiten die rechte Hilfe; von ihr konnte er sich jetzt nicht vorstellen, wie es anders hätte kommen können. Er dachte an ein Mädchen wie Adolfine, und zwar nicht ohne Erröthen. Bei seinem Herkommen hatte sie ihn bezaubert, er fand sie interessant und hinreißend. Nur zuweilen fühlte er ein leises Widerstreben gegen ihre Naivetät, sein gesundes, richtiges Gefühl hielt ihn ab, seiner thörichten Neigung schnell zu folgen, und es war ein Glück, daß diese Naivetät ihm das Recht gab, Adolfinen ganz wie ein Kind zu behandeln und sich zur rechten Zeit zurückzuziehen. – Adolfine neben Elisabeth, – er mußte tief Athem holen. Der Unterschied war ihm jetzt erst verständlich. Beide schön, kindlich und gutmüthig, die eine ist trunken von der Welt Schönheit und Lust, die andere schaut mit Liebe und Sehnsucht höher hinauf. »Wir wollen dem Herrn übergeben, was uns in unserer Liebe hindern möchte,« – das sollte ihm jetzt ein Trosteswort sein, wenn ihn der Verstand auf seltsame Wege führen wollte. Trotz unserer Fehler werden wir uns lieben können, trotz der schwachen Herzen und der schwankenden Liebe. Gemeinsame Seelennoth bindet die Herzen selig zusammen, doch Glück und Lust der Welt führt sie auseinander.– Es waren dies heut nicht Reflexionen, nein, sein Verstand hätte sich gern gesträubt, das zu begreifen; es war aber das Leben seiner Seele, der warme Pulsschlag seines Herzens. Er fühlte es, Elisabeths Herz konnte sich nie wieder von ihm wenden, eine Macht hielt sie gebunden und diese Macht mußte sie halten in aller Noth, die er und die Welt und das eigne Herz ihr machten. Und wie war es mit ihm? – Er streckte unwillkürlich seine Arme aus: – Ostern ist sie mein eigen, ich will sie bewahren, wie mein Herzblatt, ich will mit ihr ein Kind sein, demüthig will ich sein, ich will mich von ihr führen lassen in eine Welt, die ich nicht begreife, nach der ich mich aber sehne, in der mein Glück unvergänglich und selig sein wird.

Bei diesen Betrachtungen war ihm immer die Melodie vor dem Geiste, die er mit Elisabeth heut Abend gesungen – die Melodie war mit seiner Stimmung verwebt, sie war aber an und für sich ergreifend. Er versuchte sie auf dem Klavier zu finden, dann hatte er auch die Worte gern gewußt. Er selbst hatte kein Gesangbuch, er hatte es sich längst anschaffen wollen und hatte es immer wieder vergessen. Sein Bursche hatte jedenfalls auch keines und war auch nicht zu Hause, er entschloß sich seine Wirthin selbst darum zu bitten. Die gefällige Frau Friedrichs griff schnell zu ihrem besten mit dem Goldschnitt und dem goldenen Kreuz darauf und reichte es dem Herrn Lieutenant, und es kam ihm so ein leichter Anflug von Schaam und Verlegenheit, als er es hinnahm. Er hatte auch Mühe das Lied zu finden, da er den Anfang nicht wußte. Er erinnerte sich endlich, daß es jedenfalls bei den Bußliedern stehen müsse, und fand es nun. Er spielte und sang es ganz durch; ohne eigentlichen Glauben und ohne eigentliche Buße that es seiner Seele wohl, dieses Lied sich einzuprägen, und er legte das Gesangbuch bei Seite mit dem festen Entschluß, sich morgen ein eignes holen zu lassen.

Elisabeth war wieder in Berlin und Herr von Kadden ruhig in Braunhausen. Das eintretende stürmische nasse Wetter nöthigte beide ein sehr einförmiges Leben zu führen. Er mußte sich mit dem Kreise begnügen, den er hatte langweilig finden lernen. Nach Woltheim konnte er wegen des schlechten Wetters und Weges selten, und nach Berlin zu kommen hatte er vor Weihnachten nur einmal Erlaubniß. Es machte sich ganz von selbst, daß er den Umgang, den er im Sommer vernachlässigt hatte, wieder anknüpfte. Des Mittags aß er mit seinen unverheiratheten Kameraden zusammen, und hörte die gewöhnliche Unterhaltung von Gesellschaften, von jungen Damen, von Avancements in den verschiedenen Regimentern, und von Pferden und Hunden und Jagden wie gewöhnlich mit an. Nach Tisch kam Herr von Stottenheim oft stundenlang und unterhielt ihn mit vielen gutmüthigen Worten ohne großen Inhalt, oder seine jüngeren Kameraden kamen auf sein Zimmer und waren übermüthig hier. Sein Zimmer war, so lange er in Braunhausen war, der Versammlungsort; wenn er auch solide war, so war er doch generös. Es verging fast kein Tag, daß der Bursche nicht Tischzeug aus dem alten Erbkoffer holen und irgend etwas auftischen mußte. Außer dieser Privat-Geselligkeit besuchte er auch wieder einige verheirathete Kameraden, und wurde besonders von der Bonsakschen Familie, ganz gegen Stottenheims Erwarten, freundschaftlich herangezogen. Frau von Bonsak und die älteren Töchter, die nur die Unterhaltung im Auge hatten, freuten sich schon auf den Umgang mit der liebenswürdigen jungen Frau von Kadden, und Adolfine war so hingenommen von neuen Herzens-Angelegenheiten, daß sie den ungezogenen Herrn von Kadden längst vergessen hatte. Die Frau Oberst war sogar so gütig, sich für seine neue häusliche Einrichtung zu interessiren, ihm zu rathen und Besorgungen zu übernehmen.

Die Alltäglichkeit mit ihrer unscheinbaren Macht übt eine große Gewalt über den menschlichen Geist. Herr von Kadden fühlte diese Art zu leben, zu sprechen und zu denken, dies ganze Treiben, bald wieder als ein ganz natürliches und herkömmliches. Das Leben mit seiner Braut, ihr Reden und Denken hätte er niemand verrathen mögen, es kam ihm selbst wohl wunderselig, aber so fremd und eigenthümlich vor; ebenso die Erlebnisse in den letzten Herbsttagen erschienen ihm fast schwärmerisch. Das Gesangbuch, das er sich seinem Vorsatz getreu sogleich holen ließ, lag unbenutzt auf dem Klavier.

Aehnlich war es auch mit Elisabeth. Ihr leichter Sinn hatte sich bald über die kleinen bedenklichen Scenen mit dem Bräutigam hinweggesetzt, sie war völlig überzeugt, daß sie eine Thörin war und sich ohne Nutzen selbst geplagt, es war ja alles schön und wundervoll, und ihre Briefe waren holdselige, bräutliche Briefe. Ernste Sachen mit dem Bräutigam zu besprechen, war einmal nicht eingeführt. Er war es nie gewohnt, dachte sie, und wenn man nicht gewohnt ist, so etwas auszusprechen, so ist es schwer; man behält es lieber für sich. Seine Briefe waren aber so zart und schön, so ernst und männlich, daß neben der Liebe sich ein Gefühl des Respektes immer mehr geltend machte. – Sie las zwischen den Zeilen alles, was er in ernsten, bewegten Augenblicken ausgesprochen, wieder heraus. – Eben so war es mit ihren Briefen: wenn sie auch nie über religiöse Gefühle sprach, so waren sie doch durchweht von dem Geiste, den sie sich wenigstens sehnte zum Führer zu haben, und die liebliche kindliche Welt, die sie ihm so ganz ohne Rückhalt erschloß, bewegte sein Herz mehr, als es sein Verstand zugeben wollte.


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