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13. Ein bedenklicher Auftrag.

Einige Tage später fuhr die ehrwürdige Kutsche mit den Schimmeln vor, die Großeltern wollten mit Elisabeth nach Braunhausen. Schon im Herbst hatte ein neuer Regimentskommandeur bei Herrn von Budmar und bei Oberförsters mit Frau und Töchtern Visite gemacht, sie wäre vielleicht niemals erwiedert worden, aber bei dieser Gelegenheit, wo Herr von Budmar den jungen Herren einen Gegenbesuch versprochen hatte, durfte der Kommandeur nicht vernachlässigt werden. Die Großmama und Elisabeth fuhren also mit. Am Thore stieg Herr von Budmar aus, er wollte erst die beiden Herren aufsuchen und sich dann mit Frau und Enkelin treffen.

Der Oberst von Bonsak, seine Frau und die vier Fräulein waren sehr erfreut über so lieben Besuch. Der Herr des Hauses blieb sogleich bei den älteren Damen, um Herrn von Budmar zu erwarten, während die jungen Mädchen in einer niedlichen, hinter Efeu-Gittern verborgenen Ecke Platz nahmen. Die beiden ältesten Fräulein waren schon etwas verblüht, aber dennoch nicht alt, die dritte war überhaupt nicht hübsch, aber Adolfine, die jüngste, erst sechszehn Jahr alt, war eine sehr blühende und feurige Schönheit. Elisabeth sollte von der Residenz berichten, von Bällen und Theater; sie that es, so gut sie es konnte, verstummte aber immer mehr vor der Gesprächigkeit der Schwestern.

Braunhausen ist eigentlich ein elendes Nest, sagte Adolfine, und es ist ein Unglück, daß wir gerade jetzt, wo ich mich amüsiren will, hierher versetzt sind.

Du bist ein albernes Kind, scherzte die ältere Schwester, für Dich wird sich wohl hier noch Unterhaltung finden lassen.

So? – sagte Adolfine und schüttelte den dunkelen Lockenkopf sehr graciös; vier unverheirathete Lieutenants existiren hier nur, die Bälle sind schrecklich langweilig.

Und der eine Tänzer, der beste, tanzt nur mit den Damen, die sitzen geblieben sind, lachte eine andere Schwester.

So möchte ich am liebsten immer sitzen bleiben! entgegnete Adolfine in affectirter Naivetät, die aber von den Schwestern gern als baare Münze genommen wurde.

Elisabeth nahm sich fest vor, nicht roth zu werden bei einem gewissen Namen, und wirklich, als die eine Schwester fragte: Sie kennen ja die Herren von Stottenheim und Kadden? sagte sie ziemlich gefaßt: Ja, ich habe sie gesehen.

Kadden ist sehr nett, versicherte die älteste Schwester herablassend, und hat mit Adolfinen immer seinen Spaß.

Hatte – fiel Adolfine ein; Stottenheim versichert, sein Freund leide jetzt viel an Kopfschmerz, darum sei er so ernsthaft.

Ja, Papa meint, er sei jetzt auch nicht mehr so unsinnig mit seinem Reiten, fügte die andere Schwester hinzu.

Ich liebe nun dieses muthige Wesen, versicherte Adolfine kühn, ich werde mit Papa auch reiten und dann mit den Herren ein steaple chase mitreiten.

Die Schwestern lachten und versicherten, sie sei ein rechtes Soldatenkind, und Elisabeth dachte: Deine Idee mit Ypsilanti darfst du nicht erzählen, sonst lachen sie dich aus. Und dabei ward ihr es schwer im Herzen. Ja sie konnte hier nicht frisch und fröhlich sein, diese Art Unterhaltung hatte sie nie geführt, denn vom Reiten kamen sie wieder auf Bälle, und von Bällen auf Bilderstellen, und immer so weiter. In der nächsten Woche sollte große Soiree bei ihnen sein, sie wollten Bilder stellen, dann tanzen. Herr von Kadden muß der Egmont sein und ich das Käthchen, sagte Adolfine wieder ganz naiv.

Käthchen muß blond sein! versicherte die älteste Schwester, Du bist zu italienisch, Du und Cäcilie Ihr könnt die beiden Eleonoren vorstellen.

Adolfine schüttelte ihre Locken.

Es ist ein abscheuliches Mädchen, das ist ihr zu langweilig, lachte Cäcilie.

Liebes Fräulein, Sie müssen künftige Woche auch herkommen, bat die älteste Schwester, die Elisabeth mit großem Interesse angesehen und sich vorgenommen hatte, das liebliche blöde Mädchen, daß bei den Großeltern, den bekannten Pietisten, ein entsetzliches Leben führen mußte, freundlich zu bemuttern.

Ach nein, sagte Elisabeth.

Sie müßten mit Herrn von Stottenheim das trauernde Königspaar machen, rief Adolfine.

Die Schwestern lachten laut und Elisabeth sagte etwas kühner: Ach nein, das möcht ich nicht.

Warum denn nicht? fragte Adolfine.

Mit fremden Herren – begann sie und schüttelte den Kopf.

Adolfine machte große Augen, aber schwieg. Haben Sie nicht Sehnsucht nach Berlin? fragte Cäcilie. Es muß Ihnen doch einsam sein bei den Großeltern.

Elisabeth wollte doch zeigen, daß sie weder langweilig sei, noch sich langweile, sie erzählte die herrliche Aufführung von Wilhelm Tell und ihre Schlittenfahrten.

Die Schwestern fanden es allerliebst, aber was sie auszusetzen hatten, war nur Adolfine in ihrer Naivetät dreist genug zu sagen: Also wirklich, Sie können sich noch mit Kindern amüsiren? – Elisabeth sah sie verwundert an. – Die Schwestern lachten aber wieder herzlich und die älteste sagte: Es ist ein abscheuliches Mädchen; seitdem sie confirmirt ist, meint sie, sie müsse immer junge Herren zu ihrer Unterhaltung haben.

Die jungen Damen wurden jetzt an den Theetisch beordert, wo eben Herr von Budmar hinzugekommen war, es entstand eine allgemeine Unterhaltung, woran die Töchter des Obersten ganz natürlich und liebenswürdig Theil nahmen.

Nach sehr kurzer Zeit wurde Herr von Stottenheim gemeldet. Er war sehr aufgeregt, daß er den Besuch des verehrten theuren Herrn von Budmar versäumt hatte. Wir müssen uns geradezu in einer Straße verfehlt haben, war seine Versicherung, ich war nur zu Kadden gegangen, um zu sehen, wie es dem armen Jungen geht; in derselben Zeit haben Sie ihn verlassen.

Was macht Herr von Kadden? fragte Frau von Bonsak teilnehmend.

Immer diesen benommenen Kopf! war Stottenheims Antwort. Ich forderte ihn auf mit herzukommen, denn die Unterhaltung mit seinem Burschen und der guten Frau Friedrichs muß ihm ja den Kopf nur dummer machen, er lehnte aber entschieden ab.

Unwohl habe ich ihn nicht gefunden, sagte Herr von Budmar unbefangen.

Doch, doch, versicherte der Kommandeur, er ist wirklich seit einiger Zeit anders.

Es fehlt ihm der rechte Lebensmuth, fiel Stottenheim ein.

Vielleicht der Uebermuth, lächelte Herr von Budmar, und das ist ja, nach dem was man von ihm hört, ganz wünschenswerth.

Schaden kann es ihm freilich nicht, wenn er sich etwas beruhigt, sagt der Oberst lachend. Es ist aber doch ein Vergnügen, ihn reiten zu sehen: in vergangener Woche setzte er über einen Hohlweg, wo alle seine Kameraden für besser fanden zurück zu bleiben, und als er drüben war, sah er sich ganz verwundert um, warum niemand folgte. Ich zankte ihn gehörig aus, daß er so ganz ohne Noth das schöne Pferd und den eigenen Hals risquirte und schlug ihm vor, etwas hinauf zu reiten und so zurück zu kommen; er aber ritt noch eine Strecke ruhig hin, wandte dann, sauste daher und. stand neben uns.

Auf dem Pferde, hat er mir versprochen, soll ich im Frühjahr reiten! sagte Adolfine vergnügt.

Frau von Budmar sah forschend das hübsche Mädchen an.

Sie wird immer wie ein Kind betrachtet, sagte Frau von Bonsak entschuldigend, die jungen Leute haben ihren Spaß mit ihr.

Herr von Stottenheim neckte sich mit Adolfinen, als noch eine junge Dame erschien, die als Fräulein Amalie Keller, Tochter der verwittweten Frau Präsidentin Keller, vorgestellt wurde. Während die alten Herrschaften unter einander sprachen, wandte sich Herr von Stottenheim ganz zu den jungen Damen, die jetzt mit der Freundin ganz besonders lebhaft waren. Also in künftiger Woche bei Euch? sagte Amalie. Dazu ist alles leicht arrangirt. Wir wollen doch aber die Bilder noch überlegen: Herr von Kadden und Cäcilie als Egmont und Klärchen.

Adolfine möchte so gern das Klärchen sein, warf Cäcilie ein.

O nein, bestimmte Amalie entschieden, Adolfine paßt nicht zum Klärchen. Sie könnte aber ein hübsches Edelfräulein sein, fügte sie nachdenklich hinzu.

So schlage ich vor, mein gnädigstes Fräulein, nahm Stottenheim sachverständig das Wort: wir nehmen Kadden zum Edelknaben, weil er so jugendlich ist, und ich übernehme den etwas würdevolleren Grafen Egmont. – Die Mädchen gaben lachend ihre Einwilligung, und der Bilderabend wurde in der Art weiter besprochen.

In der Woche darauf, begann jetzt Amalie höchst wichtig, wird Mama bitten, und weil wir nicht Raum zum Tanzen haben, bleibt es dabei, wir spielen ein Lustspiel.

Ein französisches? fragte die älteste Schwester.

Um Gottes Willen nicht! fiel Stottenheim ein, plagen Sie uns und das Publikum doch nicht.

Ein deutsches ist nur gar zu schwer zu finden, meinte Cäcilie. Mama meint, es bleibt uns kaum etwas anderes als Kotzebue.

Der hat auch allerliebste Sachen geschrieben, versicherte Stottenheim sehr verständig, und die Mädchen nahmen sich vor, noch heute Abend ein Stück auszuwählen. Herr von Stottenheim hatte zuweilen forschende Blicke auf Elisabeth gerichtet, noch mehr aber Amalie mit ihren hellblauen klugen Augen. Sie wundern sich wohl über eine schweigsame junge Dame? wandte er sich jetzt an diese, aber ich versichere Sie, diese junge Dame kann auch lebhaft sein.

Ich erwartete immer, Sie würden uns mit einigem guten Rath aus der Residenz zu Hilfe kommen, sagte Fräulein Amalie mit einem Gesicht, das noch hinzufügte: Ich bedarf zwar des Rathes nicht.

Davon verstehe ich gar nichts, war Elisabeths Antwort.

Freilich, Sie sind noch jung, fuhr Amalie fort, und es gehört eine gewisse Uebung dazu. Sie werden es aber schnell genug lernen.

Elisabeth lächelte etwas ironisch.

Nehmen Sie sich in Acht, Fräulein Keller, nahm Herr von Stottenheim das Wort, damit Sie nicht eine Strafpredigt von dem Berliner Fräulein hören.

Wie so? fragte Amalie keck, dann fiel ihr wohl die bekannte Richtung der Budmarschen Familie ein und sie fügte lächelnd hinzu: Sie halten das doch nicht für Sünde?

Elisabeth schwieg verlegen.

Für Sünde! rief Adolfine und lachte laut auf.

Elisabeth ärgerte sich; um nicht gar zu dumm zu erscheinen, sagte sie hastig: Wenn auch nicht für Sünde, es ist unpassend.

Unpassend? riefen jetzt die Mädchen verwundert, und Elisabeth, um ihren Fehler wieder gut zu machen, fügte hinzu:

Meine Eltern und meine Großeltern sagen es.

Aber gestehen Sie nur, lachte Adolfine wieder, Sie würden es gern mitthun, wenn Sie es dürften.

O nein! war Elisabeths schnelle Antwort.

Meine junge Damen, gestritten wird nicht! nahm Herr von Stottenheim ganz väterlich das Wort, die Sache hat zu vielerlei Seiten.

Die jungen Damen schienen damit einverstanden, ja Elisabeth war sehr froh, als dies Kapitel abgebrochen wurde, sie war ja selbst so unklar und unselbständig solchen Dingen gegenüber, so sehr sich auch ihr Gefühl sträubte gegen den ganzen Ton, in welchem die Mädchen unter einander verkehrten und welcher zeigte, wie ihre ganze Seele in den eitlen Dingen versunken war.

Sie hatten sich jetzt zu der übrigen Gesellschaft gewandt. Hier versicherte eben der Oberst, nachdem man Wetter und Wege, Gegend und Nachbarschaft besprochen: Braunhausen sei ein sehr angenehmer Ort, es lasse sich hier eben so gut als in einer großen Stadt leben. Denken Sie, wandte er sich zu Herrn von Budmar, ehegestern hat meine Frau einen Ball eröffnet.

Und Papa hat auch getanzt, fügte Adolfine hinzu.

Ja, aber nicht mit meiner alten Frau, scherzte der Oberst, nur mit jungen hübschen Frauen.

Wie häßlich klingt das! dachte Elisabeth, so würde der Großpapa nicht scherzen.

Die Schimmel fuhren endlich vor, und Elisabeth war froh, als sie im Wagen saß. Sie konnte es selbst sich nicht erklären, aber sie hatte sich dort so verlassen gefühlt, es war ihr fast bange geworden zwischen den schwatzenden Mädchen, besonders aber waren ihr Adolfinens schöne Züge und ihr ganzes auffallendes Wesen unangenehm. Nun, Elisabeth, wie hat es Dir gefallen? fragte der Großvater, als sie die Stadt hinter sich hatten.

Die Mädchen sind doch ganz anders als meine Bekannten, entgegnete Elisabeth nachdenklich.

Ich hoffe, daß Dir Deine Mutter andere Freundinnen zuführte, sagte die Großmama freundlich.

Wißt Ihr, daß mir angst und bange da geworden ist? fuhr Elisabeth fort.

Es ist aber gut, sagte die Großmama, daß Du solchen Kreis einmal kennen gelernt hast, nicht wahr? Man kömmt sich darinnen wie in der Fremde vor. Lieber Fritz, wandte sie sich zu ihrem Mann, es war mir doch heute, als ob ich ein junges Mädchen wäre, und es war mir so lieb, daß ich Dich als Schutz zur Seite hatte. Du müßtest mich nur zuweilen zu solchen Leuten führen, damit ich immer dankbarer fühle, wie gut es mir in der Welt geworden ist.

Das zu erkennen hast Du nun Zeit genug gehabt, entgegnete der Großpapa scherzend.

O nein, fuhr die Großmama fort, das geht mir zuweilen noch wie ein Blitz durch die Seele, und ich staune dann, wenn ich meine Lebensführung betrachte, und es ist mir, als ob ich dem Herrn bis jetzt vergessen hätte zu danken, und müßte alles nachholen.

War das nicht sehr häßlich von Herrn von Bonsak, zürnte Elisabeth, daß er sagte: er tanze lieber mit jungen hübschen Frauen als mit seiner Frau?

Das hätte ich mich unterstehen sollen zu sagen! fiel der Großpapa scherzhaft ein.

Ja, sagte die Großmama, das würde mir schön Herzweh machen. Ihr seht nun, nahm der Großvater ziemlich ernsthaft das Wort, daß Ihr verwöhnt seid in Eurer Gefühlsweise, und daß der Welt Art und Weise Euch nicht gefallen möchte.

In der Welt, fuhr die Großmama eifrig fort, dauert eine ewige Liebe nicht viel länger als die Flitterwochen, darauf folgt, wenn das Glück gut ist, eine Freundschaft, die nur rechtschaffen, aber nicht zart zu sein braucht, – und das eben nur, wenn das Glück gut ist.

Die Frauen sind aber so vernünftig und verlangen nicht anderes, sagte der Großvater, und darum giebt es noch genug leidliche Ehen.

Höre mal, Großpapa, begann Elisabeth nachdrücklich, ich werde einmal sehr viel verlangen.

Ja, das fürchte ich auch, war seine Antwort.

Jetzt schwiegen alle drei.

Nach einer Pause begann der Großvater, und es schien fast, als ob er einen Anlauf nähme: Höre, liebe Elisabeth, es ist jetzt ganz passend, daß ich einen Auftrag ausrichte.

Elisabeths Herz fing mächtig an zu klopfen. Sie wußte, wo der Großvater Nachmittag gewesen war, – und doch – er konnte von daher keinen Auftrag haben.

Du weißt doch wohl schon, daß Du leidlich hübsch bist, fuhr er fort.

Ihr Herz wurde wieder leichter. Also nur ein Scherz! dachte sie und sagte lachend: Wenn Ihr sagt, daß ich der Großmama ähnlich sehe.

Nun ja, fuhr der Großvater fort, Du wirst Dich auch wahrscheinlich nicht wundern, wenn Dich andere Leute hübsch finden, besonders nach den heutigen Erfahrungen, wo Du etwas gemerkt hast, wie es in der Welt hergeht, und Du wirst den Auftrag, den ich Dir von daher, und zwar versprochenermaßen selbst bringen muß, zu würdigen wissen.

Elisabeth ward es wieder bedenklich zu Sinne.

Kurz und gut, fuhr der Großvater fort, ein junger Herr hat mir angezeigt, daß er Dich hübscher und liebenswürdiger findet, als alle Damen seiner Bekanntschaft, und daß er hofft, diese Gefühle sind unveränderlich.

Er machte eine Pause, Elisabeth wagte kaum zu athmen.

Ich habe das bezweifelt, und er hat mir das Versprechen gegeben, bis zum Mai wenigstens sich durchaus um uns nicht zu bekümmern, und zu prüfen, ob ihm die jungen Damen seiner Bekanntschaft nicht besser gefallen. Ich zweifle gar nicht daran, daß, wenn er im Frühjahr Adolfinen Reitstunde giebt, seine unveränderlichen Gefühle in Gefahr gerathen, und wir wollen es ihm auch nicht übel nehmen. Für jetzt habe ich ihm das Gegenversprechen geben müssen, Dir von seinen Gefühlen und von meinen Wünschen darüber zu sagen, damit Du Dich nicht wunderst über ihn und ihn nicht mißverstehst, wenn er uns in Ruhe läßt. Du kannst darum auch ruhig die festgesetzten acht Tage noch bei uns bleiben, und überlegst Dir schön, was von einer solchen Lieutenantsliebe zu halten ist.

Wie gut war es, daß der Großvater das hier im dunkeln Wagen sagte. Sie war so überrascht und so erschrocken, und wußte nicht, ob sie bange sein, oder sich freuen müsse. Daß er sie lieb hatte, und hatte es sogar ausgesprochen, das ging ihr doch zu wunderbar durch das Herz. Aber war es denn Ernst? Sie konnte es nicht glauben.

Der Großvater war nicht überrascht durch ihr Schweigen und fuhr fort: Wundere Dich auch nicht, wenn Du einmal jemand hübsch und liebenswürdig findest, junge Herzen sind leicht bewegt; doch laß es nur Gedanken sein, die über Deinen Kopf fliegen, wenn Du es ihnen nicht wehren kannst; hege und pflege sie nicht.

Und dann fügte die Großmama warm hinzu, überlasse alles dem Herrn, dem lieben, treuen Gott dort oben, der weiß es wohl zu machen. Wenn man ihm so Herzenssachen hingiebt, sollte es selbst wie Herzweh scheinen, so giebt es dafür wohl später große Herzensfreude. – Elisabeth beugte sich zur Großmama und legte ihre heißen Wangen auf die lieben Hände.

Als denselben Abend die Großeltern allein waren, war die Großmama doch neugierig, sie wollte von der sonderbaren Conferenz Näheres wissen, und ihr Mann erzählte etwas weitläuftiger, wovon er Elisabeth bloß das End-Resultat mitgetheilt hatte. Ja, sagte er dann, es ist ein junger Mann, gerade wie man ihn in einem Roman nöthig hat, hübsch und offenherzig, aufbrausend und großmüthig, ein Romanschreiber würde nun diesen edlen Mann durch eine wahre tiefe Liebe zu einem Engel werden lassen; schade, daß es in der Wirklichkeit nicht gelingt.

Und Elisabeth, fürchte ich, hofft das auch, sagte die Großmama sorglich.

Er wenigstens hofft es, fuhr der Großvater fort. Er versichert, die Liebe zu Elisabeth hätte ihn jetzt schon zu einem anderen Menschen gemacht. Ich erklärte ihm, daß von einer Liebe, die nicht auf Gottes Wort und Gottes Furcht gegründet, auch durchaus nichts zu erwarten sei, sie sei Strohfeuer, und viele Ehen hätten in einer hochfliegenden, wundervollen Liebe ihren Anfang genommen, und mit einer Scheidung geendet. Er hörte alles ganz ruhig an, aber ich sah, wie es in seinem Innern tobte. Er biß die Lippen auf einander, kniff die Finger krampfhaft zusammen, und ich konnte mir deutlich Scenen ausmalen, die einer Scheidung vorangehen.

Lieber Fritz! sagte die Großmama entsetzt.

Ja mein Kind, fuhr er fort, ein so junger, lebensfrischer, leidenschaftlicher Mann, dem nichts helfend zur Seite steht als seine guten Vorsätze, das ist wohl schlimm. Ich versuchte ihn wieder zu beruhigen, denn soll ich es Dir gestehen, trotz seiner wüthenden Blicke fühlte ich doch große Theilnahme für ihn, da plötzlich reichte er mir die Hand, und sagte seufzend: Verzeihen Sie mir, aber wenn Sie wüßten, wie Sie mich quälen. Ich meinte, ich hätte auch wohl genug gesprochen, ich wollte nun aufhören; aber er bat mich wie ein Kind, ich möchte nur alles sagen, was ich für nöthig fände, er versprach geduldig und sanft zu bleiben. Ich stellte ihm vor, daß Elisabeth auch wohl kindisch, herrschsüchtig und eigensinnig sein könnte. Er fand diese Fehler liebenswürdig.

Das hast Du einstmal aber auch gefunden, sagte die Großmama ernsthaft.

Ja, das habe ich, entgegnete der Großpapa, ich bin auch aus Liebe zu Dir in die Oberförsterei gegangen und habe aus Liebe zu Dir mich mit der Tante ernsthaft unterhalten und gute Vorsätze gefaßt, aber mein guter Wille und mein Gewissen waren doch nicht mein Gott, ich fühlte mich gern klein einem Größeren gegenüber, und habe Seine Hilfe nicht für unnütz gehalten. Und dann habe ich doch nie die Hände geballt und mit den Füßen gestampft, fügte er lächelnd hinzu.

Nun ja, das wäre freilich sehr schlimm gewesen, versicherte sie wieder.

Als ich ihm ferner sagte, das Herz müsse bereit sein, auch wenn die Stimmung nicht die rechte sei, die Frau zu ehren, zu lieben und auf Händen zu tragen, nur darum, weil der Herr, der den heiligen Ehebund eingesetzt, es so verlange, versicherte er ganz warm und treuherzig: der Grund würde nie bei ihm nöthig sein, und sein Gewissen würde es ihm selbst nie erlauben, gegen seine Frau anders zu sein, als sich gehöre. Es ist unmöglich ihn von der Hilflosigkeit so guter Vorsätze und guter Gewissenhaftigkeit zu überzeugen, schloß der Großvater, denn ich kann ihm doch kein neues Herz andisputiren.

Es war wieder eine Woche vergangen, am nächsten Tage sollte Elisabeth abreisen, als der Onkel Oberförster noch einmal den Nachmittag kam, um Elisabeth auf der Großmutter besonderen Wunsch zu einem weiteren Spaziergang abzuholen. Sie war in den letzten Tagen kaum aus der Stube gewesen, der schöne Winter war plötzlich heftigem Thauwetter gewichen, und Regen und Wind hatten jeden Spaziergang unmöglich gemacht. Heute war das Wetter besser, und der Onkel wollte Elisabeth in den Wald führen, wo die Wege leidlich waren. Daß er gerade nach den Tannenbergen wollte, war der Großmama nicht recht, doch konnte sie es dem Schwiegersohn nicht sagen, und stand nur nachdenklich am Fenster, als beide über die graue Wiese schritten. Das arme Kind! dachte sie: ihre Unbefangenheit ist fort, sie ist noch so jung, hätte noch lange ihre Jugend harmlos genießen und erst verständiger werden können. Wenn es ein Mann aus unseren Kreisen wäre, sollte es mir nicht bangen; an einer festen Stütze würde sie fest werden. Warum habe ich für sie immer besonders gesorgt, – und doch muß es so des Herrn Wille sein! Warum ging Elise auf den Ball, warum mußte er dorthin kommen, und warum gerade aus unserer Garnison? Wie mag ihr nun um das Herz sein? Ich weiß aus meiner Jugend, es ist eine schöne Zeit. –

Elisabeth zu fragen hatte sich die Großmutter wohl gehütet. Durch Aussprechen nehmen Herzenssachen oft erst den bestimmten Charakter an, und zwischen allen Sorgen hoffte sie immer noch, es sollte glücklich vorübergehen. Ganz ähnlich hatte sie es ja mit Julchen erlebt, sogar hatte damals der junge Mann die Erklärung dem jungen warmherzigen Mädchen selbst gemacht, das war noch weit schlimmer. Weiter tröstete sie sich: wie oft kommen solche Geschichten in der Welt vor, und bei Elisabeth durfte man gar nicht hoffen, daß sie so ganz vor kleinen Herzens-Erregungen bewahrt werden möchte.

Während die gute Großmutter das Sorgen nicht lassen konnte, wanderte Elisabeth den Tannenbergen zu. Ihr Herz war sehr froh. Wenn sie nach der andern Richtung in die Eichen hinein gemußt hätte, gewiß hätte sie Herzweh gehabt. Gott hat es so gefügt, dachte sie, und es ist vielleicht eine Belohnung, weil ich immerfort gekämpft habe mit den Gedanken, die mir über den Kopf flogen. – Oben auf dem höchsten Punkte schaute sie nach Braunhausen hinab, die Thürme lagen unter einem dunkeln Wolkendamm, der Wind sauste über die farblose winterliche Gegend.

Der Onkel ließ Elisabeth nicht lange hier stehen und führte sie in den schützenden Wald. Da, wo der Berg sich nach der rechten Seite zu einer feuchten Niederung hinabsenkt, war der eigentliche Holzschlag, nach welchem der Onkel wollte. Es war ein kleines Ellern-Revier. Schon von weitem leuchteten die feuerrothen abgeschlagenen Stämme und die aufgeklafterten Scheite der Ellern. Elisabeth freute sich über den hübschen Anblick und versicherte den Onkel, daß ein Ellernschlag der allerhübscheste sei, und wie sie ihm danke, daß er sie gerade hierher geführt. – Als sie näher kamen, fanden sie auch ein Feuer angezündet, die graue Rauchsäule zog sich in einzelnen dunkeln Tannen hinauf und zerrann dann gegen den düstern grauen Himmel. Der Onkel ging, um mit den Holzschlägern zu reden, während Elisabeth sich auf einen Stamm an das Feuer setzte. Sie lehnte sich mit dem Rücken an aufgeklaftertes Holz und hielt ihre schwarzen Lederstiefelchen nahe der warmen Gluth, sie hatte kalte nasse Füße.

Als sie ganz allein saß, ging der Kampf mit den Gedanken wieder an. Hier ist es so schön, dachte sie, wie wird es mir sein, wenn ich wieder zu Hause bin? Es wird mir sein, als ob ich geträumt habe. Vielleicht ist es gut, dort in der Stadt mit den dunkeln Thürmen ist mein Glück nicht zu finden, da stellen sie Bilder und tanzen und reiten und sprechen sehr viel, da fühle ich mich verlassen. Bei uns kann es ihm nicht behagen, es wird ihm bange werden, oder er wird lächeln und sagen: Ich bedarf eures Glaubens nicht, ich schaffe mir Himmel und Hölle selbst. Heute, wußte sie, war die Festlichkeit bei Bonsaks, heute mußte er dort einen Edelknaben spielen. Ja, da muß er sich wohl fühlen, da wird er gefeiert, und bei uns wird er nicht gefeiert. Aber mein Herz? – Sie senkte die Blicke in die Kohlengluth und kämpfte mit den Gedanken.

Sie hörte jetzt Schritte und Rauschen an den feinen Ellern-Wasen, sie sah nicht auf, Holzschläger und Arbeiter waren ja rund herum, bis endlich das Schnaufen eines Pferdes sie erschreckte. Sie sah auf, und ganz nahe am Waldrande stand mit seinem schönen braunen Pferde ein junger Mann, der ihr wohl bekannt war. Er zögerte nicht, führte das Pferd vorsichtig über das geschlagene Holz hin und stand jetzt neben ihr.

Beide reflectirten nicht weiter, ob sie sich über dies Begegnen freuen dürften. Sie war aufgestanden; um ihre Verwirrung zu verbergen, streichelte sie den Hals des schönen Thieres. Er erzählte, daß er vom Waldwege drüben den Holzschlag gesehen, und beim Näherkommen zu seiner Verwunderung – er unterdrückte ein lieberes Wort – ihre Gestalt zwischen den kräuselnden Rauchwolken erkannt habe. Sie fragte, wie alt das Pferd wohl sei, und er entgegnete, es sei fünf Jahr, und dann sagte sie, neulich in der Sonne hätte es weit heller ausgesehen, es wäre doch wohl beinahe schwarz? und er versicherte: es wäre ganz gewiß braun.

Da trat der Oberförster heran, der während der Zeit mit einem Holzhauer ganz in der Nähe gesprochen hatte. Er war verwundert den Herrn hier zu sehen, und ließ sich den Grund erzählen. Auf seine Einladung, hier am romantischen Feuer einige Augenblicke Platz zu nehmen, dankte Herr von Kadden. Ach Sie haben heute eine große Geschichte bei Ihrem Obersten? sagte der Oberförster.

Das treibt mich nicht, war seine Antwort.

Sie sind doch wohl ein Hauptacteur? fuhr der Oberförster fort.

Nein, ich bin ganz überflüssig, entgegnete jener.

Der Oberförster war beschäftigt sich eine Cigarre anzuzünden, Elisabeth bückte sich zum Feuer und hielt ihm lächelnd einen herrlichen glühenden Ast hin. Wollen Sie nicht auch die schöne Gelegenheit benutzen? fragte der Oberförster gemüthlich, und zeigte dabei auf die erloschene Cigarre, die Herr von Kadden in der Hand hielt.

Er war bereit, Elisabeth übergab ihm den Ast, und er dankte und empfahl sich. Er führte das Pferd langsam über das Holz, setzte sich am Waldesrand auf, sah sich noch einmal um, ohne zu grüßen, und verschwand dann langsam zwischen den braunen Baumstämmen. Der Oberförster sah ihm ein Stückchen schweigend nach und trat dann mit seiner Nichte den Rückweg an.

Hier liefere ich meine liebe Nichte wieder ab! sagte der Onkel, als er mit Elisabeth zu den Großeltern eintrat; sie kann wacker laufen. Aber es war hübsch? wandte er sich zu Elisabeth.

Wunderhübsch! wiederholte Elisabeth, und die Großmama sah mit warmem Herzen auf das jugendliche Gesicht, das von der Luft geröthet, umgeben von den zerwehten Locken besonders frisch und kindlich war.

Wir hatten aber auch ein Abenteuer, fuhr der Onkel ruhig fort, ein junger Kürassier verirrte sich nach unserem Holzschlag.

Herr von Kadden? fragte die Großmutter unwillkürlich.

Ja, Herr von Kadden war es, fuhr der Oberförster fort; er hatte es aber sehr eilig, ich habe auch nie einen so ernsthaften Menschen gesehen, – nicht wahr, Elisabeth er hat uns kaum Adieu gesagt.

Das hat er doch wohl, entgegnete Elisabeth, und verließ das Zimmer, um ihre Sachen fortzutragen. Der Onkel ging aber gleich hinter ihr her.

Es ist doch seltsam, sagte die Großmutter zu ihrem lieben Gemahl, wie sie sich immer treffen müssen! – Er nickte. – Aber hübsch ist es von ihm, daß er sein Versprechen so pünktlich hält; er weiß doch, daß sie übermorgen abreist, und hätte gewiß noch gern mit ihr gesprochen.

Ja, sagte der Großvater, die Sache wird mir bedenklich, besonders bedenklich, weil das Großmutterherz auch schon Sympathien für ihn hat. Wenn es aber wirklich nicht anders ist, so werden wir auch am besten thun, wenn wir ihn recht lieb haben, und mit unserer Liebe sein junges Herz gewinnen.

Die Großmama sah ihn einverstanden an und verabredete noch, daß sie Elisabeth selbst nach Berlin bringen wollte und dort die Sache ruhig mit den Eltern besprechen. Tochter Julchen, die gute Frau Oberförsterin, das war ausgemacht, dürfte jetzt davon nichts hören, wenn die Sache glücklich in aller Stille vorüber gehen sollte.


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