Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Bis zur Silberhochzeit.

Fünfundzwanzig Jahre sind vorüber, das alte graue Haus mit den Wappen über den Thüren ist wieder festlich mit Blumen geschmückt, der Himmel steht so weit und rein und blau darüber, duftend ist der junge Wald, die Aurikeln prangen im farbigen Sammet, die Nachtigallen singen am silberhellen Bach, und im jungen Grün der Wiese hatte sich wieder die liebe lichte buntschimmernde Blumengesellschaft eingefunden. Ja, die Frühlingswelt war dieselbe als vor fünfundzwanzig Jahren, aber die Menschenwelt war sehr verändert. In der Oberförsterei waren neue Bewohner, die wenig Verkehr mit den Bewohnern des alten grauen Hauses hatten. Die beiden stattlichen Bilder in den goldenen Rahmen waren hierher übergesiedelt, sie hingen in der Familienstube über dem künstlich geschnitzten Nußbaum-Sofa mit dem kirschrothen Damast-Ueberzuge. Auf dem Sofa saßen zwei Leute, den Bildern sehr ähnlich, nur – hübscher geworden, nach gegenseitiger Uebereinkunft. Klang das thöricht? Nein, so soll es immer sein. Das Fleisch macht Raum dem Geiste, die Züge waren wohl schmaler und scharfer geworden, aber die in fünfundzwanzig Jahren erlebte Liebe und Freude war darin zu lesen, und die zusammen erlebten Sorgen und Prüfungszeiten, die der Herr seinen Kindern schickt, um sie zu ziehen und wachsen zu lassen in dem, das, wie die selige Tante so gut zu schildern wußte, eine Wunderwelt sich aufschließt, darinnen alle menschlichen Gefühle umgezaubert werden. Das alles lebte in den Augen und in den Zügen, und es war kein Wunder, daß sich die Leute mit so getreuen Herzen schöner fanden als vor fünfundzwanzig Jahren.

Aber auch die Welt und der Kreis, in dem sie lebten, war ihnen schöner und reicher geworden. Die Tante war zwar gestorben, und das war für beide ein großer Verlust, aber die fünfzehn Jahre, die sie noch mit ihr zusammen verlebt hatten, waren auch wieder ein Reichthum zu nennen. Und welch ein reicher Kinderkreis war um sie versammelt, ja selbst zwei Enkel nahmen die Herzen der Großeltern in Anspruch, fast mit wärmerer Liebe als die eigenen kleinen Kinder es gethan.

Daß der jugendliche Großvater nicht mehr Offizier, sondern Rentmeister war, und nicht in dem kleinen Hause hinter den Tannenbergen, sondern hier im geräumigen väterlichen Hause wohnte, hatte der Krieg veranlaßt. Ein Jahr hatte er mit seiner jungen Frau im ungestörten Glück verlebt, da kam das unglückliche Jahr 1806. Er mußte in das Feld, und obgleich der Frieden des nächsten Jahres ihn wieder in die Garnison zurückführte, so ruhten die Folgen des Krieges und selbst die des Friedens schwer auf ihm und seiner Familie. Bruder Karl, der so viel für den verheirateten Bruder thun wollte, wußte in den Jahren der Bedrückung selbst nicht ein und aus, konnte sich selbst kaum über Wasser halten. Bruder Fritz mußte von dem Lieutenants-Gehalte leben, und es war natürlich, daß Sorgen und Noth hier oft recht laut an die Thüre pochten. Die gute Tante Oberförsterin, die noch zehn Jahre als Wittwe ihren eigenen kleinen Haushalt in Woltheim hatte, brachte ein Stück nach dem andern, um die nöthigsten Lücken in dem jungen Haushalt auszufüllen, und nahm der Nichte dadurch manche schwere Sorge ab. Sie that aber noch mehr, sie nahm Theil an den Sorgen der reichen Kinderstube, Sorgen, die von der Welt wenig getheilt und nie hoch genug gewürdigt werden. Da heißt es wohl: das Kind ist krank, und nach Wochen heißt es: das Kind ist wieder gesund; welche Kämpfe diese Wochen in sich fassen, wie da ein Mutterherz ringen muß in Geduld und Glauben, wie es auf den Wogen der Hoffnung hoch hinauf und sehr tief hinab getragen wird, und wie es wohl ganz verzagen müßte, wenn es nicht die eine treue Hand vor sich sähe, die es ergreifen und bittend rufen darf: Herr, hilf mir, denn ich verderbe! das alles wird nur von Eingeweihten ermessen.

In diesen kleinen und doch so bangen Sorgen in der Kinderstube des kleinen Häuschens dort hinter den Tannenbergen gesellten sich ernstere. Ein liebliches Kind starb im zarten Alter, der Vater mußte mit dem anbrechenden Befreiungskriege von neuem ins Feld ziehen, und Armuth und Noth wurden immer drückender. Aber der Herr half immer hindurch, Trost fehlte nicht, selbst in den bittersten Stunden, die Kinder blühten fröhlich auf bei schmaler Kost, und die schweren Zeiten gingen an ihnen fast unbemerkt vorüber, ja Glück und Lust der Kinder nahmen das ganze Häuschen so in Anspruch, daß Sorgen und Noth der Eltern davor fliehen mußten.

In der Schlacht von Leipzig lähmte ein Schuß des Vaters linken Arm, er war nun zum Dienst unfähig und erhielt nach dem Frieden die Rentmeister-Stelle in seiner Vaterstadt. Die ganze Familie siedelte nun in das alte große Haus mit den geräumigen Stuben und Kammern über, die, wie Onkel Karl zufrieden versicherte, doch nun ihre Zinsen brachten. Mit der Familie zog aber auch Charlottchen ein, ihre Mutter war gestorben, und es war sehr einfach und wünschenswerth, sie als liebreiche und helfende Kinderfreundin im Hause zu haben. Außerdem wurde noch ein Hauslehrer genommen, der nach dem Ausspruch einer Familienkonferenz billiger zu erhalten war, als die vielen Jungens auf einem Gymnasium.

Das war nun ein großer Kreis und ein rechter Umschwung in dem alten Hause, es gab auch wunderliche Verwickelungen, und es gehörte eben dazu ein Bruder Fritz, der bei aller Hoheit und Würde eine so seine zarte Seele war, und die Frau seines Herzens mit ihrer frischen Gewandtheit, und das gefühlvolle Charlottchen und der wunderliche gutherzige Onkel Karl, und die ganze lustige Kinderschaar, um die Verwickelung immer wieder gemächlich auszugleichen.

Meinen Sie, Charlottchen, daß der Wilhelm schon wieder eine neue Hose braucht? so fragte einst Onkel Karl bedenklich, indem er sich mit seiner Pfeife in der Kinderstube etablirte; ich weiß nicht, zu meiner Zeit konnten Jungens in dem Alter noch Flecken vor den Knien tragen.

Ei wenn sie von derselben Couleur sind, sagte Charlottchen freundlich.

Natürlich, fiel Onkel Karl ihr in das Wort, von derselben Couleur müßten sie sein; die Großtante hatte damals mit ihren blöden Augen dem Max einen Changeant auf das Braune gesetzt, das sah abscheulich aus, und ich bin dafür, wir müssen unseren Stand respektiren.

Darin haben Sie sehr recht, versicherte Charlottchen.

Es gehört eben die rechte Umsicht dazu, fuhr der Onkel fort, in keinem Stücke darf man zu weit gehen, und ich muß mit Schmerz gestehen, meinem Bruder gehen die rechten praktischen Eigenschaften eines Hausvaters völlig ab. Zu dem Changeant hat er gelacht, der Max hat ihn wirklich aufgetragen, und dagegen kann meine Schwägerin die Hand immer im Beutel haben, wenn es ihr beliebt, den Kindern etwas anzuschaffen. Ich bin durchaus nicht für Wilhelms Hose, und es ärgert mich sehr, wenn die Hose gekauft wird.

O Herr von Budmar, tröstete Charlottchen, die Sache muß sich ändern lassen, sie ist allerdings von Wichtigkeit.

Ja von Wichtigkeit, bekräftigte Onkel Karl, denn eine Kleinigkeit kömmt zur anderen, und es ist des Prinzipes wegen bei den vielen Kindern. Sie glauben nicht, Charlottchen, setzte er mit besonderem Nachdruck hinzu, wie schwer es ist, aus unserem Gute etwas zu machen. Sie wissen ja am besten, wie es mein Denken und Arbeiten ist seit langer Zeit.

Ja wohl, schon damals mit dem Klee und Futterbau, siel ihm Charlottchen in die Rede.

Richtig! fuhr er fort, jetzt stecke ich nun mitten in der rationellen Landwirtschaft, aber ich versichere Sie, wenn so viel neue Hosen angeschafft werden, und überhaupt ein solcher großer Hausstand nicht mit Umsicht geleitet wird, wir kommen auf keinen grünen Zweig. Ja Charlottchen, Sie können glauben, es wird mir zuweilen angst und bange, was aus den vielen Kindern werden soll.

Aber herrliche Kinder! entgegnete Charlottchen, keines wird aus der Art schlagen.

Elisabeth, die älteste Tochter, die nach der alten Großtante den Namen führte, unterbrach jetzt das Gespräch, indem sie zu Tische rief. Onkel Karl und Charlottchen folgten ihr.

Welch eine herrliche lange Tafel war das. Der Onkel Karl saß oben an, anders hatte es Bruder Fritz nicht gewollt, und so gehörte es sich auch. Ihm zur Rechten saß die Frau Schwägerin, zur andern Seite der Bruder; Charlottchen nahm an der einen Seite den Mittelpunkt zwischen den Kindern ein und der Herr Hofmeister an der anderen Seite. An den gehaltenen Mienen des Onkel Karl war deutlich zu sehen, daß er etwas auf dem Herzen habe. Kinder und Eltern merkten das, und die Frau Rentmeisterin konnte eine unangenehme Spannung nicht unterdrücken. Ihr Mann aber reichte ihr lächelnd die Hand über den Tisch, was so viel heißen sollte: Laß Dichs nicht beunruhigen, liebe Frau, Du kannst glauben, es ist ganz ohne Wichtigkeit. – Der Vater sprach das Tischgebet, darauf folgte ein Rauschen und Rücken und Klappern der Teller, und dann begann der Onkel feierlich:

Fritz, meinst Du, daß der Wilhelm schon wieder eine neue Hose nöthig hat?

Ich weiß wirklich nicht, lieber Bruder, entgegnete der Rentmeister harmlos. Herr Formschneider, wandte er sich zum Hauslehrer, Sie müßten das besser wissen als ich.

Ich glaube: ja, – entgegnete der Gefragte lächelnd.

Mein geehrtester Herr Formschneider, sagte der Onkel, – er gebrauchte diese höfliche Anrede nur, wenn er ärgerlich war, – ich habe geglaubt, der größte Nutzen eines Hauslehrers wäre der, daß man durch ihn die öffentliche Schule vermeidet und die Kinder in der Häuslichkeit kleiden kann wie man will.

Herr Formschneider, der mit dem Geiste des Hauses und mit den theuren Eltern seiner Pflegebefohlenen sich wohl eingelebt hatte, wußte genau, wie er sich jetzt zu verhalten hatte. Allerdings, entgegnete er ernsthaft, ist das ein großer Vortheil: wir können hier in unserem eignen kleinen Königreiche leben, wie wir wollen, es kömmt nur auf einen hohen Entschluß an, ich bin überzeugt, es wird weder unsere noch Wilhelms Ruhe stören, wenn die Sonntags-Hose noch einmal sein ausreparirt wird.

Wir geben sie der guten Großtante, scherzte der Vater.

Nein ich übernehme es selbst, entgegnete die Mutter freundlich.

Dem Onkel zuckten die buschigen Augenbrauen auf und nieder, seine Stimmung war umgeschlagen, die große Bereitwilligkeit von allen Seiten, in seine praktischen Anordnungen einzugehen, war ihm fast unangenehm. Aber es sollte heute noch ein ganz anderer Angriff seinen armen Nerven bevorstehen.

Als die Suppe gegessen war, kam eine Schüssel mit Kartoffeln, eine mit Hammelfleisch und ein großer Napf mit Zwiebelbrühe. Die Bewegung aus des Onkels Gesicht verschwand plötzlich, und mit großer Spannung schaute er auf die Zwiebelbrühe. Das war nämlich ein Gericht was Bruder Fritz nie essen mochte, deswegen hatte es, seine Frau auch nie gemacht und die Kinder kannten es nicht, so lange sie dort hinter den Bergen wohnten. Als es nach des Onkels Anordnung zum ersten Mal auf dem Tische erschien, sahen es die Kinder an, der Geruch schon schien ihnen unangenehm, sie reichten es schweigend einer dem andern. Der Onkel war sehr aufgeregt darüber, er sprach von der Nützlichkeit der deutschen Gewürze und schalt es eine große Sünde an der Kindererziehung, wenn die jungen Magen mit ausländischen scharfen Gewürzen so verfeinert würden, daß sie keinen Geschmack an einer einfachen deutschen kräftigen Brühe von Kümmel und Zwiebeln finden wollten. Bruder Fritz disputirte damals mit ihm darüber im scherzhaften Ton; als die Brühe aber sehr bald darauf von der gefälligen Schwägerin wieder auf den Tisch gebracht wurde, ging der Vater mit gutem Beispiel voran, er nahm eine gehörige Portion, und das war das Zeichen des allgemeinen Angriffs, ein jedes Kind nahm Zwiebelbrühe. Damit aber war noch nicht erreicht, daß ihnen das Essen Vergnügen machte, nein allem Anscheine nach wurde es ihnen herzlich sauer, und das Hinunterquälen und Gesichterschneiden dabei griff des Onkels Nerven so sehr an, daß er diesmal heftiger für seine Zwiebelbrühe eiferte als das erste mal, und die Erziehungskunst des Bruders gröblich in Zweifel zog. Ja es war ihm eigentlich unbegreiflich, wie die Jungens einmal durch die Welt kommen sollten, wenn sie keine Zwiebelbrühe essen konnten, denn an fremden Tischen durften sie sich doch so jämmerlich nicht haben, wenn ihnen dies köstliche Gericht angenöthigt wurde. Der Vater hatte darauf die Kinder scherzend ausgescholten über die Grimassen, und die Sache war abgemacht.

Was sollte nun heute der ungewöhnlich große Napf mit dem kräftig duftenden Essen? Einen besonderen Grund mußte es haben, denn die Kinder lächelten sich an und flüsterten mit einander. Kartoffeln und Fleisch wurden ausgetheilt und jetzt setzte sich der verhängnißvolle Napf in Bewegung. Die Mutter nahm etwas, der Onkel auch, dann nahm der Vater, aber schon bedeutend mehr, dann kamen die Kinder an die Reihe, und es war nun, als ob sie nicht schnell genug des Napfes habhaft werden könnten, eins fuhr immer muthiger und tiefer in das Zwiebelessen als das andere. Der Onkel wagte kaum zu athmen. Was soll das bedeuten? dachte er. Und, – fügte ganz leise sein weiches Onkelherz hinzu, wenn die Tischordnung aufrecht erhalten werden soll, und ein jedes seinen Teller abessen muß, so wird das ein entsetzliches Schauspiel werden. Er hatte den Napf verfolgt bis zu einem kleinen fünfjährigen Jungen, der neben der Mutter saß, auch er fuhr mit dem Löffel tapfer in den Napf und immer wieder hinein.

Mäxchen, es ist Zwiebelbrühe! rief jetzt der erschrockene Onkel warnend. – Der Kleine kniff die Lippen schmunzelnd zusammen, sah den Onkel von der Seite an und nickte, er ersparte sich die Worte: Das weiß ich recht gut.

Paß auf, Onkel Karl, sagte jetzt der Rentmeister mit erzwungener Gravität: jetzt Kinder, – ein – zwei – drei! – Mit einem Mal fuhren alle Löffel klapperndin die Zwiebelbrühe, und in nicht viel längerer Zeit, als das Kommando dauerte, war die Arbeit gethan.

Brav, Kinder! rief der Vater. Und nun Bruder, wandte er sich triumfierend zum verstummten Onkel, zweifelst Du noch an unserer guten Erziehung? Zweifelst Du noch, daß die Jungens durch die Welt kommen?

Ein allgemeines Vergnügen und Jubeln der Kinder konnte jetzt nicht unterdrückt werden, und das kam dem Onkel sehr erwünscht, es war ihm wahrlich das Weinen nahe gekommen, und so schwankte er mit seiner Nervenaufregung glücklich zum Lachen hinüber. Er rief dann den größten von den Jungens, den schlanken Wilhelm, der schon etwas auf seinen Anzug gab, und dem das Garderobekapitel nicht ganz gleichgiltig gewesen war, und flüsterte ihm in das Ohr: Wilhelm! ich schenke Dir, weiß Gott, eine neue Hose.

So und ähnlich lösten sich die Verwicklungen, und je mehr man sich daran gewöhnte, und je größer die Kinder wurden, desto mehr wurden diese Verwicklungen eigentlich nur Anlaß zum Vergnügen.

Die Zeit war ganz unbemerkt heran gekommen, wo man von den erwachsenen Kindern des Herrn Rentmeisters sprach, und im Winter 1824 war die größte Neuigkeit in Woltheim: der Herr Landrathsverweser Kühneman wünschte sich mit Elise Budmar zu verloben.

Der Herr Landrathsverweser war eigentlich Assessor, er war nur einstweilen hergeschickt, um die erledigte Landrathsstelle zu versehen. Er war ein ausgezeichnet kluger und feingebildeter Mann, seine Eltern lebten noch in Berlin, und es waren ihm in einem sogenannten Geheimraths-Kreise alle ästhetischen Bildungsmittel, welche Literatur und Kunst in sich fassen, von Jugend an dargeboten. Er kam sehr ungern nach Woltheim, und hielt sich bald nur ganz zur Oberförsterei, wo die Frau Oberförsterin, eine reiche Oekonomentochter, ein feines Haus zu machen suchte und Umgang mit den Offiziers-Familien der nahen Garnison und mit der Landnachbarschaft hatte. Hier am Spieltisch hörte der junge Landrath ganz gelegentlich erzählen, daß im Budmarschen Hause nicht gespielt würde, nicht weil es Herr von Budmar in jeder Art verdammen wollte, aber weil man in seinem Hause, wie er sagte, etwas Besseres vorzunehmen wüßte. Es wurde darüber gescherzt und hin und her gesprochen. Dem ästhetisch gebildeten Herrn Kühneman ging das aber doch durch den Kopf, er war neugierig zu wissen, was im Budmarschen Hause vorgenommen würde, denn er fing an sich zu langweilen bei seinen Spielpartien.

Es ward ihm nicht schwer, sich mit dem Herrn Rentmeister zu befreunden, und er fand den Mann ganz anders, als er sich gedacht, noch mehr aber ward er überrascht von dem Familienleben im Budmarschen Hause. Die Kinder waren alle sehr wohl unterrichtet, es wurde viel musizirt, fremde Sprachen wurden getrieben, der Vater selbst machte sie mit den besten Erscheinungen der alten und neueren Literatur bekannt, nicht nur wie ein Schulmeister, nein er selbst hatte Interesse daran. Ebenso die Mutter, die mit den erwachsenen Kindern eigentlich erst recht angefangen zu lernen und zu üben und Freude an solchen Dingen zu finden. Daß Elise, die älteste Tochter, eine fast gründlichere Bildung hatte, als die ihm bekannten Mädchen in der Residenz, war dem jungen Landrath bald deutlich genug, aber noch deutlicher, daß schöner und liebenswürdiger gar niemand in der Welt sein könne.

Elisens Eltern merkten diese Gesinnungen bald, und die Mutter war wenig einverstanden damit. Ich weiß nicht, sagte sie bedenklich zu ihrem Manne, ich möchte unsere Elise nicht an der Seite dieses Mannes sehen.

Warum nicht? fragte der Vater.

Sie müßte in der Stadt wohnen, entgegnete die Mutter seufzend, und noch dazu in einem Kreise, wo Bildung und Kunst über alles gilt; denn Kühnemans ganzes Streben ist, in seine Heimath zurück, und es wird ihm auch gelingen.

Hältst Du das für ein Unglück? fragte der Vater lächelnd.

Vielleicht kein Unglück, aber ich halte es für eine große Gefahr, besonders für Elisen, die so viel auf ihren Verstand und ihr Wissen giebt.

Kühneman aber ist ein braver Mann und fühlt sich wohl in unserem Hause, er hat auch durchaus keinen Widerspruch gegen alles Positive, er hat mir erst kürzlich versichert, er studire mit großem Interesse Luthers Werke. Thut er es für jetzt mit dem Verstande, so laß ihn, der Herr wird weiter helfen. Und giebt Elise zu viel auf ihren Verstand, so laß sie erfahren, wie weit sie damit gelangt. Nein, ich habe den Mann von Herzen lieb, und ich habe keinen Grund ihn abzuweisen. Wir können unsere Kinder nicht von der Welt abschließen, sie müssen hindurch mit des Herrn Hilfe. Wir dürfen uns nicht einbilden, daß wir mit einer christlichen Erziehung den Kindern alle eigenen inneren Kämpfe ersparen wollen. Wir wollen einen guten Grund legen und wollen für sie beten, dann mögen sie sich mit des Herrn Hilfe durcharbeiten. Sie aber von dieser Arbeit, von diesen Kämpfen zurückhalten zu wollen, sie ganz abzuschließen, ist wieder eine Gefahr in der christlichen Erziehung. Die Kinder müssen sich hindurcharbeiten durch Schiller und Göthe und Shakspeare, durch Classiker und Romantiker und durch das ganze Heer der großen feinen Geister, auch durch Volkslieder und Liebeslieder, Sonaten und Ouvertüren. Der junge Geist will Nahrung haben, es ist besser, diese Nahrung wird ihm gereicht nach weiser Einsicht und nach weisem Maaße, als wenn er sie mit leichtem Sinn und großer Begier sich selber sucht. Der Geist kann auch an allen diesen Dingen wachsen, aber er wird sie, wenn er außerdem in gesunder Luft und Zucht steht, im Wachsen abschütteln als zu eng und zu klein. Ja übergieb nur Deine Pflänzlein dem himmlischen Ober-Gärtner, bitte ihn um Thau und Sonnenschein, und denk nur nicht, daß Du mit Deinen Sorgen viel ausrichten kannst.

Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen! sagte die Mutter nachdenklich, aber doch sehr getröstet und sehr einverstanden mit ihrem weisen Eheherrn.

Das Sorgen würde ich in Deiner Stelle lassen, sagte dieser freundlich.

Lasse es einmal! entgegnete sie seufzend: das ganze Leben ist für ein Mutterherz eine Schule, wo sie lernen soll nicht zu sorgen, aber so recht wird sie mit der Aufgabe nicht fertig, erst sorgt sie für sich, für die kleinen Kinder, dann sorgt sie für die großen Kinder.

Dann für die Enkel, fiel ihr Mann scherzend ein.

Ja freilich, sagte sie ernsthaft, so wird es kommen. Jetzt sorge ich mich um Elisen, ob ihr Herz sich nicht täuschen wird, und ob sie sich einst gegen ihren Mann auch so betragen wird, wie es sich gehört, ob sie liebenswürdig genug ist, um glücklich zu sein.

Ob sie ihn mit dem richtigen Maaße unter dem Pantoffel haben wird, fügte der Mann wieder scherzend hinzu.

Da wäre sie beinahe böse geworden, solche Anspielungen konnte sie nicht leiden, sie war fest überzeugt, daß von ihrer Seite nie regiert wurde, und wünschte das anerkannt zu sehen; aber selbst die Anerkennung, indem sie leicht von Seiten des Gemahls einen Beigeschmack liebenswürdiger Fügsamkeit hatte, war ihr nicht recht, darum blieb dieser Punkt am besten unerörtert.

Trotz aller Bedenken und aller Sorgen verlobte sich Elise mit dem Herrn Landrathsverweser. Ja das Herz der Mutter wurde sehr warm, als sie die Tochter glücklich sah, und als der neue Sohn mit kindlicher Liebe und Verehrung ihr entgegen kam und Ansprüche an ihre mütterliche Gegenliebe machte. Daß der künftige Schwiegersohn nicht adlig war, kam bei den Eltern nicht in Betracht, nur Onkel Karl konnte sich nicht ganz darüber hinwegsetzen, und Charlottchen wurde wieder die Vertraute seines Mißvergnügens.

Ich weiß nicht, worin es liegt, sagte er, aber es ist nun einmal so: er ist nicht adlig, und ich hätte gewünscht, Elise wäre in ihrem Stande geblieben.

Charlottchen war gefällig genug zu erwiedern: Ja es ist ein Jammerschade, daß sie eine Mesalliance macht.

Das war dem Onkel zu viel, er wollte ja eben widersprochen sein. Eine Mesalliance können Sie es wieder nicht nennen, entgegnete er eifrig, Kühneman ist so ausgezeichnet, so gescheit und so bedeutend.

Und von so vornehmen Manieren, fügte Charlottchen wieder hinzu.

Dann, Charlottchen, müssen Sie bedenken, daß es jetzt anders ist als zu unserer Zeit mit dem Adel, das Verdienst gilt jetzt eigentlich mehr als der Adel, so bürgerliche Leute steigen zu den höchsten Ehrenstellen hinauf, selbst bis zum Minister.

Wenn unser Elischen eine Frau Ministerin wird, so ist es gerade passend für sie, versicherte Charlottchen: Frau Minister Kühneman, geborne von Budmar.

Onkel Karl nickte, und sie waren beide getröstet.

Für jetzt wurde Elischen nur eine Frau Assessorin. Die Beschäftigung in Woltheim nahm für den Bräutigam ein Ende, er kehrte wieder in seine alte Stellung zurück. Die Brautzeit war für das ganze Budmarsche Haus eine sehr bewegte Zeit, die Mutter besonders hatte viel zu schaffen und zu sorgen, aber für sie gerade gab es auch reiche und tröstliche Stunden. Das waren die einsamen, die sie mit dem Brautpaar verlebte, wo sie ihnen vieles an das Herz zu legen hatte und gern gehört wurde, wo sie ihnen auch das schöne Verlobungs- und Hochzeitslied, das Erbstück von der seligen Tante, übergab. Wenn sie auch fühlte, daß die bewegte Stimmung und das liebende Herz des Bräutigams ihren Antheil daran hatten, so konnte sie doch an der Aufrichtigkeit seines guten Willens nicht zweifeln, als er feierlich nachsprach:

So mach ich denn zu dieser Stund
Samt meinem Hause diesen Bund:
Wich alles Volk auch von ihm fern,
Ich und mein Haus stehn bei dem Herrn.

Mit der Hochzeit waren der Mutter Sorgen aber nicht vorüber, nein es schien, als ob jetzt das Leben erst recht beweglich werden wollte. In die nächsten Jahre fielen die leidigen großen Examina der ältesten Sühne, die das Recht haben einer Mutter Unruhe zu verursachen. Dazwischen hatte das sechzehnjährige Julchen Lust eine Herzensneigung anzuknüpfen, die eben nur eine Selbsttäuschung war und nicht gelitten werden durfte. Dann folgten die Großmuttersorgen, es mußte hin und her gereist werden, daheim aber waren auch noch ziemlich kleine Kinder in der Kinderstube, ja, es war wirklich der Höhepunkt in der Bewegung und Mannigfaltigkeit des Familienlebens eingetreten.

Mitten auf diesen Höhepunkt fiel die silberne Hochzeit. Das Silber-Paar erkannte es, daß gerade die viele Bewegung in der Familie, die Arbeit, die Sorgen, die Unruhe, ihr schönster und bester Reichthum war. Sie hatten nur ein Herz zum Loben und Preisen und Danken, und der Gedanke an weiter Sorgen und weiter Arbeiten war ihnen ein seliges Glück. Heute aber war weder von Arbeit noch von Sorge die Rede, es war, als ob sie ein hochgehendes Meer verlassen und ausgestiegen wären auf einer Insel, wo die Sonne des Glückes und Friedens und eine ganze Blumenwelt der Freude sie umgab.

Heute war kaum ein Raum im alten großen Hause, der nicht benutzt war. Die alte Kinderstube war von der Frau Regierungsräthin Kühneman mit ihren zwei Kleinen eingenommen, der Herr Regierungsrath selbst wohnte mit den großen Jungen zusammen, schien auch wirklich an jugendlicher Lust und Uebermuth mit ihnen wetteifern zu wollen. Die großen Jungen aber waren der 23jährige Wilhelm, ein junger Auskultator, der 21jährige Adolf, ein Student, der 17jährige Max, ein schlanker Kadett. Julchen und die jüngere Schwester Marie waren die getreuen Tanten von Elisens Kindern. Der unconfirmirte Knabe befand sich noch unter der Obhut des Hauslehrers.

Außer den Kindern war aber noch die Frau Oberst von Reifenhagen, die einzige Schwester der Gebrüder von Budmar, mit zwei Kindern im Hause. Sie hatte sich weit später verheirathet als der Rentmeister, so daß ihre jüngste Tochter Emilie nur zwei Jahre älter war als dessen älteste vierjährige Enkelin, die vom. ganzen Hause bewunderte und geliebte Elisabeth.

Dann wollte gern auch noch ein junger Mann zur Familie gezählt werden, der zwar nicht zur Hausgenossenschaft gehörte, das war der neue Oberförster Herr von Schulz, der seit einem Jahre, wo sein Vorgänger Forstmeister ward, die Stelle in Woltheim inne hatte. Julchens blaue Augen hatten sein Herz ganz und gar hingenommen, Julchen schien nicht unzufrieden damit, und ihre Eltern hatten nicht nur nichts dagegen, sondern der Mutter war es sogar ein Herzenswunsch. Der Oberförster war ein gescheiter Mann, war treu und rechtschaffen und gottesfürchtig, und die Mutter meinte, auf der alten lieben Oberförsterei sei ihr Töchterlein ganz besonders wohl geborgen. Dies angehende Brautpaar gehörte eigentlich recht dazu, um das Vergnügen des Familienkreises vollständig zu machen.

Am Morgen des Festtages kam Onkel Karl zu Charlottchen, um das Plauderstündchen, was ihm nach den vielen Jahren zur unentbehrlichen Gewohnheit geworden war, zu genießen. Er war heute etwas angegriffen, der Polterabend hatte zu lange gedauert, die schönen Verkleidungen und Deklamirstücke, wie sie Charlottchen nannte, wollten kein Ende nehmen, samt Gesang und Tanz und Vergnügen der jungen Leute.

Die Sache ist ausgemacht, begann der Onkel, Julchen nimmt den Oberförster, und ich bin es sehr zufrieden, denn wissen Sie, Charlottchen, es ist immer für ein Mädchen am besten gesorgt, wenn sie heirathet.

Er sagte das ganz ohne Beziehung, und Charlottchen nahm es so. Am besten ist es, entgegnete sie freundlich. Und welch eine schöne Partie! fügte sie hinzu.

Sie können glauben, fuhr der Onkel fort, es fällt mir immer ein Stein vom Herzen, wenn eines von unseren vielen Kindern versorgt ist.

Gewiß, gewiß, war ihre Antwort.

Freilich, fuhr er wieder fort, heißt es jetzt immer: Thu nur auf dein Beutelein! und ich sage Ihnen, dies Jahr wird ein schweres Jahr. Erstens Julchens Ausstattung; dann wird der Max Offizier und will equipirt sein, noch dazu will der Junge zur Kavallerie gehen. Ich kann es ihm zwar nicht verdenken, fügte er einverstanden hinzu, wenn ich Militär würde, ginge ich auch nur zur Kavallerie; aber die Equipirung kostet noch einmal so viel als bei der Infanterie.

Sie werden alles möglich machen, Herr von Budmar, versicherte Charlottchen gerührt; es ist doch wahr, Gottes reicher Segen liegt auf Ihrem Wirtschaften!

Nun ja, entgegnete Onkel Karl, und ich hoffe auch, wir werden die Kinder alle standesgemäß durchbringen.

Welch herrliche Kinder! ein wahrer Stolz! warf Charlottchen dazwischen.

Recht gut erzogene Kinder, sagte der Onkel wieder; sie könnten vielleicht noch etwas sparsamer sein, aber mein Bruder Fritz ist selbst kein Held im Sparen. Meine Ideen, unser Gut so etwas bedeutender zu machen, so heraus zu arbeiten, habe ich für jetzt aufgegeben, denn, Charlottchen, wenn man immer herausziehen, immer geben und geben soll, kann man nichts hineinstecken. Ich versichere Sie, ich bin jetzt gerade so weit, als ich vor dreißig Jahren war. Daß Bruder Fritz nichts vom Wirthschaften versteht, ist klar –

Hm, hm – sagte Charlottchen. Sie wollte keine Einwendung machen, und wollte auch dem Herrn Rentmeister nicht zu nahe treten.

Daß Bruder Fritz aber sich immer noch nicht überzeugen will, fuhr der Onkel Karl fort, daß das Gut sich nothwendig verbessern muß, wenn ich nur thun könnte, wie ich wollte, – das ist beinahe ärgerlich. Sehen Sie, Charlottchen, mit den wenigen Kräften, die mir zu Gebote stehen, befinde ich mich eigentlich immer in einem Holter-Polter, so zu sagen, der aufregende Gedanke, immer baar Geld zu erzielen, läßt mich gar nicht zum vernünftigen rationellen Wirtschaften kommen.

Ich begreife das, sagte Charlottchen theilnehmend.

In einigen Jahren aber hoffe ich doch meine Verbesserungen vorzunehmen, fuhr er fort, wenn der Wilhelm Assessor ist, und Adolf nicht mehr so viel braucht, und Max Offizier ist, und wir auch Julchen nicht mehr auf unserer Tasche haben, dann tritt eine Erholungszeit ein, man kann wieder zu Athem kommen. Ich habe die Absicht, dem Wilhelm ein ganz anderes Gut zu überlassen, als es jetzt ist. Er wird hoffentlich Landrath hier und so ein recht würdiges Oberhaupt der Budmarschen Familie.

Herrlich, herrlich! versicherte Charlottchen, und beide vertieften sich wieder in Landwirthschaft und herrliche Aussichten der Zukunft. Onkel Karl kam auf Bodenverbesserung und Futterkräuter, Charlottchen erinnerte ihn an die Schriften des Edlen von Kleefeld, mußte sich aber von ihm belehren lassen, daß diese längst aus der Mode waren. Von dieser gemächlichen Unterhaltung gestärkt, konnte sich Onkel Karl wieder in die Bewegung des Festes begeben. Und welch ein Fest war es: nicht allein der Himmel war blau und die ganze Frühlingswelt in Lust und Freude, in den Herzen und Augen der Menschen war es ebenso licht und freudenhell.

Lieber Bruder Karl, sagte der Rentmeister, Du glaubst nicht, wie schön eine Silberhochzeit ist, – ich will Dir zwar das Herz nicht mehr schwer machen.

Nein, nein, sagte Karl lachend, obgleich sein Lachen, weil seine buschigen Augenbrauen beinahe zusammengewachsen waren, einen seltsamen Anstrich von Grämlichkeit hatte, – nein, lieber Fritz, sagte er, ich danke Gott, daß wir so weit sind, ich denke doch, der unruhigste und mühsamste Theil unseres Lebens ist abgewickelt.

Glaube doch das nicht, sagte Fritz: wenn wir mit den Kindern fertig sind, dann kommen die Enkel dran.

Die Enkel? fragte Onkel Karl ganz verdutzt.

Ja, natürlich die Enkel.

Ei, was gehen uns die Enkel an, da mögen die Eltern für sorgen! Ich sage Dir, Fritz, ein für allemal –

In dem Augenblick kam die kleine vierjährige Elisabeth herangesprungen und rief: Nicht wahr, Onkel Karl, morgen suchen wir Kiebitzeier zusammen? Sie schüttelte dabei kühn den hellen Lockenkopf und sah mit den freudestrahlenden Augen fragend den alten Onkel an.

Ja, Lieschen, wir suchen Kiebitzeier zusammen, versicherte der Onkel und nahm das wirklich holdselige Kind auf seinen Arm.

Aber, fuhr Lieschen fort, Du mußt auch zwei Ziegenböcke vor einen Wagen spannen, dann will ich Dich fahren.

Ich habe aber keine Ziegenböcke und auch keinen Wagen, entgegnete der Onkel bedauernd.

Dann mußt Du einen für Geld kaufen, belehrte ihn das kluge Lieschen.

Nun ja, Lieschen, wir wollen sehen, sagte der Onkel ernsthaft, wenn Du wiederkommst.

Ich will aber nicht fort von Dir, berichtigte das Kind, ich will bei Großmama und Großpapa bleiben, ich will auch alle Tage Kiebitzeier suchen, und will Deinen Spitz in das Bette legen, und will mit Dir Kaffee trinken mit Zucker.

Das ist auch wahr, Lieschen, Du kannst den Sommer hier bleiben, sagte der alte Onkel ganz erfreut. –

Fritz, wandte er sich zum Bruder, ich glaube wirklich, das Kind bliebe bei uns.

Warum nicht, entgegnete der Rentmeister, setzte aber ernsthaft thuend hinzu: Wir wollen uns aber hüten vor solcher Last, da mögen die Eltern für sorgen, wir haben genug mit den eigenen Kindern zu schaffen, wir kommen sonst nie auf einen grünen Zweig.

Für solch ein kleines Wesen werden wir auch noch sorgen können, sagte Onkel Karl beinahe ärgerlich.

So? entgegnete Fritz, so kleine Wesen, merkst Du aber, machen Ansprüche, ein Wagen und zwei Ziegenböcke –

Sind auch nicht die Welt, fügte der Onkel wieder hinzu. Ja, Lieschen, wandte er sich zu dem Kind, Du sollst auch hier bleiben, Du sollst auch einen kleinen Wagen haben. – Das Kind lächelte den Onkel glücklich an und lief fort.

Nun, Bruder, nahm jetzt der Rentmeister vergnügt das Wort: ich habe nichts dagegen, wenn Du meine Enkel so behandelst, aber ich merke schon, Du hast ein Großmutterherz und vergissest die Erziehungskunst bei der jüngeren Generation.

Ein Großmutterherz? fragte die Silberbraut und trat näher. Sie hatte die letzten Worte gehört und sagte zum Schwager: Nicht wahr, lieber Bruder, für dies Kind muß man ein Herz haben, so schön und liebenswürdig ist keins von unseren Kindern gewesen.

Du bist parteiisch, weil es Dir so ähnlich ist, versicherte ihr Mann.

Mir ähnlich? Gewiß nicht. Ich bin nie so feurig und doch so liebreich gewesen als dies Kind, sagte die Großmutter. Deine Erziehung war anders, entgegnete der Großvater, Du mußtest Dich von Jugend an in gehöriger Ordnung und Ruhe verhalten.

Da sprang Lieschen wieder heran, sie umfaßte die Großmama und sagte: Großmama, ich habe Dich so lieb! Die Großmama küßte das Kind auf die Stirn. Großpapa, ich habe Dich aber auch so lieb! sagte Lieschen wieder und umfaßte den Großpapa. Das freut mich, entgegnete dieser. – Und den Onkel habe ich lieb, fuhr Lieschen fort, – und die ganze Welt habe ich lieb, – und die Stühle habe ich lieb, – o, und die Tische habe ich sehr lieb. Sie umfaßte eines nach dem andern und drückte es herzhaft, – dann sprang sie wieder fort.

O, du liebreiches Kind! sagte die Großmutter ganz entzückt. Ja, lieber Fritz, wandte sie sich zu dem jugendlichen Silberbräutigam, indem sie sich beide auf das Sofa setzten, das Sorgen für unsere Kinder habe ich immer mehr verlernt und will es mit des Herrn Hilfe noch mehr verlernen. Ich will auch gewiß nicht für meine Enkel sorgen, aber für dieses Kind mußt Du es mir erlauben, Du mußt da Nachsicht mit mir haben, oder noch besser, Du mußt mit mir sorgen. Es ist mir, wenn ich es ansehe, als ob der Herr es gerade uns auf die Seele legen wolle.

Ich erlaube es Dir, Du liebes Großmutterherz, sagte der Gemahl, es ist auch möglich, ich sorge mit Dir, ich weiß noch nicht.

Das Kind wird uns zwar nicht viel Sorgen machen, fuhr die Großmutter fort, ein Herz, so voll Liebe, muß glücklich sein und auch beglücken.

Das ist nicht ausgemacht, sagte lächelnd der Großvater: ein Kind, das Tische und Stühle so warm an das Herz nimmt, kann auch die Welt mit Liebe fassen.

Nicht doch, bat das Großmutterherz, Lieschen ist so weichherzig, sie wird sich so leicht ziehen lassen, so leicht auf den rechten Weg geleiten.

Aber sie hat auch ihren eigenen Willen bei dem weichen Herzen, entgegnete wieder der Mann.

Die Aufmerksamkeit der Großeltern wurde jetzt zu dem Kind selbst geleitet, das mit der etwas älteren Emilie von Reifenhagen ein lebhaftes Gespräch begann.

Bitte Emilie, ich will Deinen Gartenhut nehmen, sagte Lieschen sehr bittend.

Wo hast Du denn Deinen? fragte Emilie. Den weiß ich nicht, entgegnete Lieschen, aber ich will gerne Deinen haben, der Onkel Karl will mir ein Kiebitznest zeigen.

Du bist immer ein so unordentliches Kind, sagte Emilie altklug, und ich will Dir meinen Hut nicht borgen.

Bitte, bitte, Emilie! Onkel Karl will gleich fortgehen und ich kann meinen Hut nicht finden.

Nein, wenn ich Dir meinen gebe, habe ich keinen, sagte Emilie.

Du kannst ja meinen nehmen, der liegt im Garten, rieth Lieschen, und ich will jetzt Deinen nehmen.

Nein, sagte Emilie wieder, Du bist so unordentlich, und Du willst meinen Hut auch wegwerfen.

In Lieschens kleinem Gesichte zuckten schon Blitze des Unwillens und der Ungeduld, sie sagte aber noch einmal: Aber der Onkel will fort und ich möchte Deinen Hut!

Nein, nein, nein! versicherte Emilie.

Altes dummes Mädchen! rief da Lieschen, dann – bautz! folgte eine Ohrfeige, dann noch ein tüchtiger Schub, alles so schnell, daß die überraschte Emilie das Gleichgewicht verlor und schreiend zur Erde fiel.

Die Großmutter hatte gleich im Anfange des Streites aufstehen und ihn schlichten wollen, aber ihr Mann verhinderte es und sah mit Spannung dem Ausgang entgegen. Da haben wir es! sagte er jetzt. Nein, Mariechen, wandte er sich zu seiner Silberbraut, so ein Brausekopf bist Du nicht gewesen, und ich kann es Dir nicht verargen, wenn Du um sie sorgst.

Die schreiende Emilie versammelte bald einen Kreis von Autoritäten und Nicht-Autoritäten um sich, es folgte eine Erziehungsscene, die aber des hohen Festtags wegen sehr milde und kurz gefaßt wurde. Die Scene war überhaupt von keinem Einfluß weiter, und das Fest ward gefeiert in ungetrübter Fröhlichkeit und schloß mit Danken und Preisen aller Herzen. Nach dem Feste verließ man wieder die glückliche Insel, ein jeder bestieg sein eigen Schifflein und trieb in die Wogen hinaus, und mit der Hoffnung eines ähnlichen Ruhepunktes wünschte man sich ein fröhliches Wiedersehen.


 << zurück weiter >>