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17. Der letzte Winter in Berlin.

Die Wochen bis Weihnachten waren endlich vergangen, der Bräutigam reiste nach Berlin und blieb dort bis nach Neujahr. Die Tage waren wunderschön und die ganze Kühnemansche Familie gewann den geliebten Otto ihrer Elisabeth immer lieber. Elise bemerkte mit Freude, daß er Elisabeth gegenüber doch eine Art Uebergewicht gewonnen, bei den kleinen Neckereien und Streitigkeiten, die zwischen beiden vorkamen, blieb er vernünftig und besonnen, so daß auch Elisabeth viel schneller vernünftig und liebenswürdig wurde. Wie viel die bedenklichen Scenen im Herbst zu diesem Fortschritt beigetragen, machte sich das Brautpaar selbst nicht klar. Wenn er ihr oft genug erlaubte, zu Emiliens förmlichem Entsetzen, die Königin zu spielen und äußerst anspruchsvoll zu sein, so bedurfte es doch nur eines gewissen, schnellen, fragenden Blickes, um sie vorsichtig zu machen. Wenn sie dann schnell nachgab und er wieder derselbe aufmerksame Bräutigam war, merkte außer einer einzigen Person niemand anders, daß er nur den geringsten Antheil an ihrer Fügsamkeit hatte.

Diese eine Person war Schlösser, und seltsam war es, daß die beiden so verschiedenen Männer sich zu einander hingezogen fühlten, sie wußten es mit ihrer Freundschaft nur noch nicht recht anzufangen, aber bei allen Gelegenheiten zeigten sie schnelles Verständniß. Dagegen aber war Emilie Herrn von Kadden unerträglich, und der gute Ruf der Sanftmuth und Besonnenheit, den er sich in der ersten Hälfte seines Besuches erworben, scheiterte in der zweiten Hälfte einige Mal sehr auffallend im Zusammensein mit ihr. Das letzte Mal war er nahe daran, sehr heftig und rücksichtslos gegen sie zu sein, aber Schlösser reichte ihm freundlich die Hand und sagte: Lieber Vetter, mit jungen Damen muß man Nachsicht haben.

Das wirkte wie ein Zauber. Verzeihen Sie mir, lieber Schlösser, daß ich mich mit Fräulein Emilie nicht gut vertragen kann, sagte er seufzend, dann wandte er sich wie im Scherz zu Emilien und fügte hinzu: Ich fürchte auch fast, wir werden es nie recht gut lernen.

Ich fürchte es auch, entgegnete sie kalt, und die Sache war abgemacht.

Kadden schüttete seiner Schwiegermutter darüber das Herz aus, als er bald darauf mit ihr allein war. Der arme Schlösser! versicherte er eifrig, er kann mit ihr nicht glücklich sein; mich würde das Mädchen zur Verzweiflung bringen. Ich weiß nicht, – nun ich will nichts weiter sagen.

Lieber Otto, sagte Elise freundlich, wir sollen aber gegenseitig Geduld mit einander haben.

Mit der kann kein Mann Geduld haben, fiel er heftig ein.

Schlösser kann es, sagte Elise ruhig.

Nun, da helfe ihm der liebe Gott! fügte Kadden. seufzend hinzu.

Elise mußte lächeln, aber sie benutzte diese Gelegenheit, ihm Emiliens Eigenthümlichkeit gründlich auseinanderzusetzen, ihre Fehler und ihre guten Seiten. Daß ihr Verstand ihr oft Noth mache, gab sie zu. Dagegen mußte sie ihre aufopfernde Liebe nach allen Seiten hin loben: daß sie keine Mühe scheute, die liebsten Wünsche daran gäbe im Dienste des Herrn, im Dienste seiner Armen und Kinder und Kranken. Sie mußte auch schildern, wie Emilie die Schärfe und Härte ihres Sinnes erkenne, wie sie die Ehrfurcht und Liebe gegen die Eltern nie verletze, ebenso gegen den Bräutigam ihre Fehler mit allem Ernst bekämpfe.

Kadden hatte theilnehmend zugehört und schien auch geneigt sich überzeugen zu lassen. Ich möchte mein Unrecht gegen Emilien wohl einsehen, sagte er, ich würde auch bereit sein ihr das zu sagen, aber ich fürchte mich vor ihrer Charakterstärke, wenn sie trotz des Aergers, den sie gegen mich hat, sich gnädig herabließe mir zu verzeihen, anstatt ganz offenherzig mit mir zu zanken.

Elise tadelte diesen neuen Angriff und versicherte, sie wünsche nur, Elisabeth lernte ihre Fehler eben so zu überwinden als Emilie und nähme sich deren Gewissenhaftigkeit zum Muster.

Liebe Mutter, Du irrst Dich in Elisabeth, begann Herr von Kadden.

Wirst Du nicht mehr Geduld mit ihr haben müssen, als Schlösser mit Emilien? fragte Elise lächelnd.

O wenn ich nur ein Achtel von Schlössers Ruhe hätte! entgegnete er schnell.

Du hast sie aber nicht? fragte sie wieder. – Er schüttelte lächelnd den Kopf. – Du siehst also, mein lieber Otto, daß wir alle unsere Fehler haben, und daß wir uns alle mit Geduld tragen müssen.

In dem Augenblick trat Elisabeth herein, und das Brautpaar stand Arm in Arm vor der Mutter, als sie sagte: Ihr beide werdet das auch nöthig haben.

Das werden wir auch; aber um uns sorge Dich nicht, versicherte der Bräutigam warm, wir wollen unsere Sache schon gut machen.

Mit Gottes Hilfe, fügte sie freundlich hinzu, und das Brautpaar nickte einverstanden.

Am Tage nach Neujahr machte Herr von Kadden noch einige Abschiedsbesuche, Elisabeth war mit ihm. Nachdem sie bei Frau von Warmholz gewesen waren, gingen sie zu der alten Tante, der Hundefreundin. Elisabeth hatte diese Bekanntschaft gleich nach ihrer Verlobung gemacht, hatte auch ihre Besuche, die sie als Nichte zu machen hatte, pflichtmäßigst fortgesetzt. Die alte Dame war sehr erfreut darüber, ja versicherte einmal ernsthaft, daß sie schwanke, ob die holde Nichte ihr nicht lieber sei als die geliebte Diane.

Als das Brautpaar zurück durch die winterlichen düstern Straßen ging, erinnerten sie sich beide des ähnlichen Tages, wo sie sich hier so unerwartet begegneten. Elisabeth erzählte ihm, daß sie gefürchtet hätte, er möchte die Nacht verunglücken, und welche Besorgnisse sie wegen seines Glaubens hatte. Sie erzählte es so vertrauend und freudig, daß es ihm der beste Beweis war, sie sei jetzt sicher über seinen Glauben, sie sei sicher, daß er seinen öden Gewissens-Himmel mit einem Himmel voll Gnade und Liebe vertauscht hatte; das that ihm sehr wohl und er dankte es ihr mit liebreichem Blick. Das schöne Weihnachtsfest, welches er zum erstenmal in einer Familie verlebte, besonders in dem gläubigen Kinderkreise, von dem seine Elisabeth ihm das lieblichste Kind war, hatte ihn neue Blicke thun lassen in die geheimnißvolle Welt dort über sich. Die Fäden, die da von oben herab jetzt wieder seine Seele umfaßten, hätte er umklammern mögen, um sich nie wieder abgerissen und zweifelnd und ohne Halt zu fühlen.

Er begleitete Elisabeth nach Hause und ging dann noch allein, Schlösser einen Besuch zu machen. Er wurde freundlich begrüßt, aber beide Männer standen sich doch verlegen gegenüber, weil die Freundschaft ihrer Herzen noch zu zart war und sich nicht herauswagte an das Tageslicht.

Ich störe Sie gewiß, sagte Herr von Kadden bescheiden, Sie haben Wichtigeres zu thun.

Aber nichts Lieberes, fiel Schlösser mit Wärme ein.

Ehe ich abreise, muß ich Ihnen eine Bitte mittheilen, begann Kadden. – Schlösser sah ihn fragend an. – Sie müssen Ostern meine Traurede übernehmen, fuhr Kadden dringend fort.

Ich? fragte Schlösser verwundert. Ich würde es Ihnen gewiß nicht recht machen, fügte er lächelnd hinzu.

Trauen Sie mir nur das Beste zu, sagte der Bittsteller wieder, ich möchte ja gern mit allem, was sie zu sagen haben, einverstanden sein.

Schlösser versicherte lächelnd, daß er ihm wirklich das Beste zutraue und sich die Sache überlegen wolle.

Es thut mir leid, daß ich nicht öfter mit Ihnen sein kann, begann Herr von Kadden darauf wieder etwas zaghaft.

Schlösser reichte ihm die Hand und sagte: Ganz im Vertrauen will ich Ihnen sagen, daß ich wahrscheinlich Pastor in Wendstädt werde, der zweiten Eisenbahnstation von Ihnen, und daß ich mich herzlich freue, Sie und Elisabeth dann öfters sehen zu können.

Diese Aussicht wurde von beiden mit Theilnahme besprochen. Wendstädt war mit der Eisenbahn in einer halben Stunde zu erreichen und lag am Wege nach Berlin, also oft genug mußte sich Gelegenheit zu Besuchen finden. Schlösser hoffte, wenn der Wunsch mit dieser Stelle in Erfüllung ging, dann auch im Sommer heirathen zu können.

Ich will dann auch gewiß besser lernen, mich mit Emilien zu vertragen, versicherte Herr von Kadden scherzend, ich muß Sie um Verzeihung bitten, daß ich oft so unartig gegen Ihre Braut gewesen bin.

In Ihrer Stelle wäre ich es auch gewesen, entgegnete Schlösser ebenso scherzend.

Ja, eben aber doch nur in meiner Stelle, sagte Herr von Kadden mit einem leichten Seufzer.

Nun ja, der Herr weiß es, wie er die Herzen zusammen führt, nahm Schlösser das Wort, es ist gut, daß Elisabeth nicht wie Emilie ist.

Das gerade aber reizt mich an ihr, fuhr Herr von Kadden lebhaft auf, daß sie Elisabeth stets wie ein unbedeutendes Kind behandelt.

Emilie hat Unrecht, sagte Schlüsser ernst, sie wird sich aber selbst davon überzeugen müssen.

Kadden war mit diesem Ausspruch zufrieden und der Besuch endete bald darauf zu beider Zufriedenheit.

Ende Januar, an einem schönen Wintertage, ging der Geheimerath Kühneman wieder mit seiner Familie zu Generals zum Shakspeare-Abend. Elisabeth hatte heute einen Brief vom Bräutigam bekommen mit dem Auftrage, Schlösser an sein Versprechen mit der Traurede zu erinnern. Den Auftrag wollte sie gern ausrichten, sie hatte Schlössern herzlich lieb. Als sie ankamen, waren alle Mitglieder schon versammelt, nur Emilie fehlte, sie war noch in einem Verein.

Wird es denn mit diesen christlichen Vereinen nicht gar zu viel jetzt? fragte der General kopfschüttelnd.

Es hat sich in der letzten Zeit für Emilien die Arbeit sehr gehäuft, entgegnete seine Frau.

Ja, das ist, weil wir ohne Ihr Töchterlein nicht recht bestehen können, begann Frau von Warmholz; sie ist die Seele von allem, unermüdlich in der Arbeit und so umsichtig und praktisch, jede Sache greift sie bei dem rechten Ende an.

Noch eine Haupteigenschaft, begann Klärchen, sie weiß hübsch Ordnung zu halten und den unendlich verschiedenen Ansichten der vielen Damen die Spitze zu bieten.

Herrlich, herrlich kann sie das, lachte Frau von Warmholz. Liebste Freundin, wandte sie sich zur Generalin Sie hätten Ihr Töchterlein am vergangenen Freilag sehen sollen, wie sie sich mit der kleinen Vorsteherin, mit der Frau M ... zankte. Sie hatte aber natürlich Recht, wir waren alle auf ihrer Seite, Frau M ... mußte nachgeben.

Ja, sagte Elise freundlich, sie ist recht dazu geschaffen, solchen Sachen vorzustehen.

Die Generalin schwieg, und Schlösser schwieg, Frau von Warmholz nur ergoß sich wieder in Lob und Bewunderung Emiliens.

Elisabeth hatte dem Gespräche aufmerksam zugehört und wandte sich jetzt zu Schlösser, von dem sie übrigens das Versprechen der Traurede schon erhalten hatte: Emilie hat mir gerathen in Braunhausen einen kleinen Missionsverein anzufangen, das kann ich doch nicht? – Schlösser lächelte. – Wenn die älteren Damen einen anfangen und ich darf in aller Stille teilnehmen – sagte sie wieder. Ja in aller Stille, wiederholte Schlösser.

Und dann muß ich erst fragen, ob Otto es mir erlaubt; Emilie sagt, solche Dinge müßte er mir erlauben.

Müßte? fragte Schlösser verwundert.

Ich soll mich nicht wie ein Kind haben, klagte Elisabeth, in Glaubenssachen dürfte ich mich nicht beirren lassen, der Herr Christus müßte immer der erste Herr in meinem Leben sein.

Das soll er auch, entgegnete Schlösser ruhig, aber der Herr Christus hat nicht befohlen, daß eine Frau gegen den Willen ihres Mannes an einem Missionsverein Theil nimmt; er sagt: Gehorsam ist besser denn Opfer, und ich werde in Ihrer Traurede Ihnen sehr einprägen: »Und er soll Dein Herr sein,« – setzte er lächelnd hinzu.

Elisabeth sah ihn mit ihren großen Augen freudig an. Ich werde Otto auch immer erst fragen, sagte sie, und wenn ich es sehr wünsche, wird er mir später solche Sachen auch erlauben.

Ja, fangen Sie nur Ihren jungen Haushalt in aller Stille mit dem Herrn an, sagte Schlösser, leben Sie sich erst mit Ihren Leuten, mit den nächsten Umgebungen im Sinne des Herrn ein, dann ist ihm auch gedient.

Wenn ich das nur erst kann, – unterbrach ihn Elisabeth bedenklich.

Ohne den Herrn sind wir schwach und mit dem Herrn sind wir stark, war Schlössers freundliche Antwort. – Elisabeth nickte ebenso freundlich. Schlösser war der einzige in diesem Kreise, der sie nicht immer ermahnte, tadelte und bange machte, sondern ihr auch Muth machte.

Liebster Herr Pastor, wandte sich Frau von Warmholz jetzt lebhaft zu Schlösser, und alle ihre Ringellocken tanzten um ihren feinen Kopf: Sie müssen einmal mit der Sprache heraus, Sie sind in diesem Winter immer so schweigsam, wenn wir von unseren Vereinen sprechen? Das ist doch seltsam. Haben Sie etwas dagegen?

Gegen die Vereine gewiß nicht, entgegnete Schlösser ruhig, nach meinen Erfahrungen aber scheint mir die Sache für die Theilnehmerinnen etwas bedenklich.

Für uns? rief Frau von Warmholz verwundert.

Nicht für alle gleich, war Schlössers Antwort.

Der Herr Pastor meint, begann Klärchen nachdenklich, wenn es zu viel Zeit hinnimmt, zu viel Kräfte, wie bei der armen Emilie, die gar nicht zur Ruhe kommen kann.

Schlösser nickte und sah vor sich nieder.

Es ist mir doch ordentlich lieb, begann der junge Reifenhagen, daß ein Mann, auf dessen Urtheil man etwas giebt, gegen diesen Vereinseifer ist. Ich kenne eine Dame, ich will sie aber nicht nennen, die über diese christlichen Pflichten ihre kleinen geringen Hausfrauen-Pflichten beinahe unter ihrer Würde hält. Ja sie verlangt, daß Mann und Kinder mit Freudigkeit sich von ihr vernachlässigen lassen und sie verehren ihres hohen Berufs wegen. Der Mann ist auch dumm und thut es.

Herr von Reifenhagen, Sie sind abscheulich! zankte Frau von Warmholz. Wenn eine Frau besondere Gaben hat, für einen größeren Kreis zu wirken, so wäre es doch Unrecht, sie abzuhalten.

Ich würde, sagte er, einer Frau nie erlauben in einem größeren Kreise zu wirken, ehe sie nicht die unbedeutendsten Pflichten, die ihr als Hausfrau und Mutter obliegen, gethan hat, und eine Frau, die Mann und Kinder hat, hat eigentlich hinlänglich Beruf. Wenn sie gern mildthätig ist und gern dem Herrn auch außer dem Hause dienen will, wird ihr das Leben genug Gelegenheit bieten, es in aller Stille zu thun. Vereine kosten an und für sich zu viel Zeit, Vereine sind für Damen, die keinen Beruf haben, recht schön, und Fräulein Emilien, der angehenden jungen Frau Pastorin, kömmt es zu, ihre herrlichen Gaben so schön anzuwenden.

Schlösser schwieg immer noch und sah lächelnd vor sich hin.

Jetzt trat Emilie ein, schnell athmend und zerstreut nach verschiedenen Seiten hin grüßend sagte sie: Ich habe wohl auf mich warten lassen?

Ja mein Kind, entgegnete Frau von Warmholz, wir können mit unserem Shakspeare aber auch recht gut auf Dich warten.

Emilie setzte sich seufzend neben den Bräutigam. Heute bin ich ordentlich abgespannt, sagte sie.

Nun erzählen Sie, was Sie heute alles erlebt haben, begann ihr Vetter Theodor.

Das würde wenig Erfreuliches sein, entgegnete Emilie mit einem etwas würdevollen Lächeln.

Liebe Emilie, kann ich Dir nicht zuweilen Wege abnehmen? erbot sich Elisabeth schnell, ich möchte es doch wohl sehen, wie es bei so armen Leuten aussieht.

Nein, Kind, Du kannst meine Wege nicht thun, entgegnete Emilie lächelnd.

Elisabeth erröthete. Oder ich könnte mit Dir gehen, setzte sie verlegen hinzu.

Das ginge vielleicht, war Emiliens herablassende Antwort.

Liebe Emilie, begann Frau von Warmholz eifrig, es ist gut, daß Du gekommen bist; Du sollst mit mir unsere Vereine gegen diese Herren vertheidigen.

Welche Herren? fragte Emilie verwundert.

Diese jungen Herren? sagte Frau von Warmholz und zeigte auf Schlösser und Reifenhagen; unser Hauptfeind aber ist Herr von Reifenhagen.

Das bezweifle ich noch, warf Schlösser ein.

Du wärest gegen unsere Vereine, wandte sich Emilie ziemlich scharf zum Bräutigam.

Nicht gegen die Vereine? erklärte Schlösser noch einmal, ich befürchte nur, daß einzelne Mitglieder diese Thätigkeit nicht vertragen können.

Wie so? fragte Frau von Warmholz ungeduldig.

Wenn Sie in mich dringen, nahm Schlösser jetzt ernsthaft das Wort, so will ich meine Meinung darüber sagen. Wenige Frauen-Gemüther können es vertragen, fortwährend nach außen hin gezogen und beschäftigt oder gar der Mittelpunkt eines öffentlichen Wirkungskreises zu sein, da ihr eigentlicher Beruf ist, in der Demuth und Einfalt zu wandeln. Es ist uns Männern schon unmöglich, immer zu geben, ohne im Stillen zu sammeln und zu nehmen; noch schwerer aber ist es für Frauen. Unter diesen ungewohnten Anforderungen, die fortwährend an sie gemacht werden, müssen sie selbst innerlich entbehren, und wenn ich über Emilien erst bestimmen darf, werde ich ihr ein Jahr Ruhe von allen solchen Dingen verordnen, damit sie wieder Kräfte sammeln kann.

Wilhelm! zürnte Emilie beinahe erschrocken.

Recht so, Herr Schwiegersohn, recht so! fiel der General ihr in das Wort und augenblicklich entstand zwischen dem General und seinem Neffen und dem Geheimerath Kühneman ein lebhaftes Gespräch, so daß die Uebrigen schweigen mußten.

Das Resultat blieb unklar. Der Geheimerath konnte nicht eigentlich klagen, weil seine Frau nie zu lebhaft teilgenommen an diesem Dienst der christlichen Frauen. Der junge Herr von Reifenhagen hatte nur die äußeren Vernachlässigungen im Auge und der General wußte den Grund seiner Unzufriedenheit selbst nicht recht zu erklären.

Die Sache ist die, nahm Emilie endlich ruhig das Wort, die Herren meinen, wir taugen nicht einen größeren Wirkungskreis zu haben, wir seien allein für das Haus und ihre Bequemlichkeit da.

An mich hatte ich nicht gedacht, versetzte Schlösser freundlich, wenn ich Dich ein Jahr von aller Arbeit dispensiren möchte, nur an Dich allein, liebe Emilie.

Ich bitte Dich, Wilhelm, unterbrach ihn die Braut, kränke mich nicht mit Deinen Scherzen; Du weißt recht gut, wie ich gewöhnt bin an diese liebe Arbeit.

Mein Freund, begann Frau von Warmholz wieder lebhaft, man darf sein Licht nicht unter den Scheffel stellen, und Emilie ist berufen, überall Feuer anzuzünden, ich sehe in ihr schon das Ideal einer Pfarrersfrau.

Ich auch, unterbrach sie Schlösser, eine stille, demüthige Pfarrersfrau, die weder Vorsteherin von Jungfrauen-Vereinen noch Kinderschulen noch Suppenanstalten ist.

Emiliens Lippen zitterten, aber sie schwieg. Heute nach der ungewöhnlichen Anstrengung in Werken der Liebe hatte sie wirklich Anerkennung erwartet von dem Bräutigam, er war entsetzlich rücksichtslos.

Aber liebster Schlösser, fragte Frau von Warmholz, ist es denn nicht ein großes Verdienst, solche Dinge in das Leben zu rufen? Und Emilie thut es mit so großer Freudigkeit.

Ich könnte auch ohne diese Thätigkeit nicht leben, sagte Emilie eifrig, alles andere in der Welt kömmt mir so nichtig vor.

Daß Du ohne diese Dinge nicht meinst leben zu können, sollte Dich aufmerksam machen, ob es Dir gut ist, sagte der Bräutigam. Das Amt der stillen, einfältigen Pfarrersfrau ist jedenfalls schwerer, als das einer bewunderten Gründerin von schönen Vereinen.

Einfältige Leute giebt es ja genug in der Welt! fuhr Emilie heraus. – Sie war gereizt und hatte es nicht so schlimm gemeint, aber allen Zuhörern ging plötzlich ein Licht auf von Schlössers eigentlicher Meinung. Für Emilien war diese Thätigkeit kein Opfer, es war bei aller Aufrichtigkeit, mit der sie dem Herrn dienen wollte, zugleich die schönste Nahrung ihrer Lieblingssünden.

Schlösser selbst blieb auch nach Emiliens Aeußerung ruhig, er wußte, daß sie nur gereizt war, und dachte jetzt nicht schlimmer als vorher von ihr. Er reichte ihr die Hand zur Versöhnung, und sie bezwang ebenso schnell ihre Aufregung und versuchte zu lächeln. Frau von Warmholz, um eine verlegene Pause zu vermeiden, sagte schnell: Jetzt habe ich es verstanden, nur für die zu Eifrigen ist eine Gefahr in dieser Thätigkeit, also für mein Klärchen und mich durchaus nicht, wir dürfen ruhig weiter arbeiten.

Bis Klärchens zukünftiger Gemahl, sollte er auch zu dieser Männer-Verschwörung gehören, Protest einlegt! scherzte der General.

Klärchen sah auf ihre Arbeit, um ihre Verlegenheit zu verbergen, und Elise übernahm gefällig für sie eine scherzende Antwort.

Der junge Reifenhagen mit seinen hübschen Augen und etwas leidenden Zügen hatte seine Blicke nachdenklich auf Klärchen gerichtet; es war dem kleinen Kreise langst kein Zweifel mehr, daß das arme Klärchen trotz ihres widerstrebenden Verstandes einem leberkranken Mann ihr Herz geschenkt, und die Ruhe ihres sanften Gemüthes die Gereiztheit und die Launen eines geliebten, liebenswürdigen Gegenstandes ausgleichen sollte.

Das Lesen nahm jetzt seinen Anfang und die Unterhaltung damit eine andere Richtung. Emilie hatte bald mit großer Tapferkeit ihre Aufregung überwunden und sprach über das Gelesene mit ihrer gewöhnlichen Ruhe und Umsicht, bis die Gäste und auch der Vater das Zimmer verlassen hatten und sie mit Schlösser und der Mutter allein war.

Es ist wohl gut, wir kommen noch einmal auf unser Gespräch von heut Abend zurück, sagte Schlösser jetzt freundlich. Die Mutter zeigte sich sehr einverstanden damit, und man sah es Emiliens Zügen an, daß sie sich zu einem Kampfe rüste. Schlössers scharfer Blick hatte sie sogleich durchschaut. Nicht so, liebe Emilie! sagte er, ich habe durchaus nicht Absichten mit Dir zu streiten, Du weißt, ich bin kein Freund davon.

Aber Du wirst erlauben, daß ich mich vertheidige, fiel sie schnell ein.

Auch das ist nicht nöthig, war seine Antwort, ich vertheidige Dich weit besser, als Du es selbst thust.

Doch nicht immer, sagte Emilie seufzend, heute hast Du mich beschuldigt, als ob ich bei allem, was ich thue, nur meine Ehre und nicht des Herrn Ehre suche.

Nein gewiß, versicherte Schlösser ernsthaft, das thust Du nicht, und dennoch muß ich dabei bleiben, daß es Dir besser ist, Du versuchst es einmal, still und einfältig zu leben. Ich kann es Dir jetzt nicht beweisen, Du wirst den Segen solcher Stille und solches Verborgenseins selbst erfahren müssen. Ich habe auch nicht daran gedacht, Dich in Deiner jetzigen Thätigkeit, die so vielen Menschen zum Segen ist, zu stören; nur würde ich Dir einen neuen äußeren Lebensabschnitt recht in ruhiger Sammlung anzufangen rathen. Was dann aus diesem stillen, verborgenen Leben heraus sich nach und nach gestaltet, wird Dir Thätigkeit genug sein.

Liebe Emilie, nahm die Mutter das Wort, ich würde Dir auch dann nicht rathen, an die Spitze von Vereinen und ähnlichen Dingen zu treten, es werden sich immer passende Persönlichkeiten dazu finden, und Du kannst unbemerkt Deinen Einfluß üben und mit Deinen Erfahrungen nützen.

Ihr seid ja außerordentlich besorgt um mich, sagte Emilie jetzt ziemlich ironisch, aber – fügte sie mit Nachdruck hinzu – ich will alle diese Dinge lassen, ich will in aller Stille mit dem Herrn leben, ich will Euch zeigen, daß mir an der Geschäftigkeit nichts liegt.

Da haben wir es, lächelte Schlösser, sie will immer etwas zeigen, Du sollst eben gar nichts zeigen wollen, Du sollst auch nichts sein wollen.

Emilie stutzte. Ihr scheint mich immer mißverstehen zu wollen, nahm sie dann das Wort. Ich soll nichts sein wollen; ich soll also plötzlich gedankenlos sein und mein ganzes inneres Leben zum Schlafen bringen. Ich soll auch meinen Umgebungen plötzlich eine andere sein, soll z. B. zu Elisabeth sagen: Ich habe Unrecht gehabt, wenn ich Dich zu allerhand Thätigkeit und besserer Zeitanwendung aufforderte; es ist weit besser, so gedankenlos und kindlich zu leben, als Du es thust.

Das sollst Du nicht Elisabeth, das sollst Du Dir sagen, unterbrach sie der Bräutigam; sie ist kindlich und harmlos genug, man kann ihr schon etwas Ernst anrathen.

Ich warne Dich aber, von Elisabeth nicht gar zu herablassend zu reden, sagte die Mutter.

Ihr wollt sie mir wieder zum Muster stellen? fragte Emilie mit einem gewissen Kopfschütteln, als ob es wirklich etwas zu Unglaubliches sei.

Du weißt recht gut, was wir wollen, liebe Emilie, sagte die Mutter sanft, laß Dich von Deinem Verstand nicht in die Irre führen.

Aber wenn man einmal so gescheit ist, so ist das schwer? scherzte Schlösser und sah der Braut forschend und theilnehmend in die Augen.

Ja schwer, flüsterte sie, als er jetzt Abschied nahm.

Mit des Herrn Hilfe! sagte er eben so leise, und ging dann fort.

Als er aus dem Hause trat, kam ihm Herr von Reifenhagen noch einmal entgegen. Ich habe Sie hier erwartet, sagte er schnell, ich muß Ihnen eine Mittheilung machen.

Aber keine Ueberraschung! entgegnete Schlösser.

Herr von Reifenhagen lächelte und erzählte, daß er nach reiflicher Ueberlegung so eben auf dem Heimwege eine Anfrage gewagt, und von der Mutter und von Klärchen das vorläufige Jawort erhalten habe. Klärchen hatte zwar erst gemeint, ob sie nicht besser passe, ganz im Stillen bei den Vereinen zu arbeiten, aber er sei doch bei der Bitte geblieben, ihre christliche Liebe und Geduld an ihm zu üben. Nur zu einer solchen bescheidenen Seele durfte ich kommen, schloß er seinen Bericht, eine andere würde es mit mir nicht aushalten.

Ohne des Herrn Hilfe sind wir alle schwach, entgegnete Schlösser, und es ist gut, wenn man das schon in den ersten rosigen Zeiten einsieht, fügte er scherzend hinzu.

Beide Männer trennten sich jetzt, beide gedachten diesen Abend mit Hoffen und Bangen viel an die Zukunft, und beide hatten bei ihren verschiedenen Betrachtungen die Worte in der Seele: Ohne des Herrn Hilfe sind wir alle schwach.


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