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15. Familien-Aufregungen.

Nachdem die vierzehn Tage vorüber waren, ging der Bräutigam mit nach Berlin, um sich dort der übrigen Familie vorzustellen.

Die Ueberraschung über diese unerwartete Verlobung war hier groß genug gewesen, ebenso die Aufregung bei einigen Gliedern. Tante Wina und Tante Paula waren, gleich nachdem sie vom Bruder die Nachricht erhalten und ihm gründlich ihre Mißbilligung anzuhören gegeben, nach Generals geeilt, um auch hier ihr Herz auszuschütten, und zum erstenmal fanden sie in Emilien eine Gesinnungsgenossin. Emilie war ebenso unzufrieden als sie, wenn auch die Ursachen ihrer Unzufriedenheit sehr verschieden waren.

Den ersten besten jungen Mann zu wählen! klagte Wina.

Ja, den ersten besten jungen Mann, wiederholte Emilie, von dem man voraussetzen kann, daß er sie in die Welt führt, daß er ihr kein Halt und keine Stütze ist.

Der sie für immer von Berlin fortführt, wo wir glaubten, das Vergnügen des Zusammenlebens sollte erst recht beginnen, fuhr Wina fort.

Sie konnte hier eine weit glänzendere und vornehmere Partie machen, sagte Paula offenherzig; sie ist ja auffallend schön, sie konnte in Berlin bleiben und wir konnten Theil an ihrem Glück nehmen.

Sie konnte wenigstens noch abwarten, versicherte Wina, sie ist noch so jung, ich begreife Elisen nicht. Ja ich begreife Elisen nicht, wiederholte Emilie, gleich Elisabeths erster kindischer Neigung nachzugeben.

Elisabeth ist aber im neunzehnten Jahre, sagte die Generalin lächelnd, sie ist danach ganz berechtigt, eine Neigung zu fassen, und nach allem was man gehört hat, soll Herr von Kadden ein recht braver, liebenswürdiger Mann sein, fügte sie hinzu.

Emilie wollte etwas entgegnen, ein ernster Blick der Mutter ließ sie schweigen, die Generalin wollte mit den Tanten nicht auf ein Kapitel kommen, bei dem an keine Verständigung zu denken war.

Als die beiden Damen wenig getröstet ihren Abschied genommen hatten, erschien gleich darauf der Pastor Schlösser, der Verlobte Emiliens schon seit Ostern, und nach noch wenigen Minuten kam Klärchen Warmholz hinzu. Das Thema der Unterhaltung blieb Elisabeths Verlobung. Nachdem das äußere Factum besprochen war, zu dem so wenig Klärchen als Schlösser viel sagen konnten, weil sie beide den Bräutigam nicht kannten, nahm Emilie sehr ernsthaft das Wort:

Aber Mutter, wie konntest Du nur den Tanten sagen, daß Herr von Kadden ein liebenswürdiger und braver Mann sei!

Warum nicht? fragte die Generalin sanft.

Weil er es in unserem Sinne nicht ist, entgegnete Emilie eifrig; im Sinne der Welt mag ers sein, aber wir dürfen der Welt gegenüber unsere Ansicht nie verleugnen.

Die Generalin sagte jetzt mahnend: Nach dem, was uns Elisabeths Vater von dem Bräutigam berichtet hat, wollen wir vorsichtig sein mit unserem Urtheil, er ist nach aller Uebereinstimmung ein braver und rechtschaffener junger Mann; mit der Lebensrichtung der Familie ist er gründlich bekannt gemacht, er hat versichert, daß er, obgleich er sie nicht theilen könne, doch auch nichts dagegen habe und sich willig der Führung so vieler Liebe anvertraue. Wir können jetzt nur bitten und wünschen, daß diese Liebe ihm wirklich zur rechten Führerin wird.

O, Mutter, zürnte Emilie, Du wirst doch nicht auch glauben, daß eine solche Liebe zum Glauben führen kann?

Nein, der Herr muß der Führer sein, war der Mutter ruhige Antwort, aber er kann solche Liebe auch als Werkzeug benutzen.

Du hast doch schon im Winter von Fritz gehört, fuhr Emilie eifrig fort, wie dieser Herr von Kadden ein selbstgerechter und tugendsatter Mann ist; wenn Ihr also seine Rechtschaffenheit so sehr heraushebt, so muß ich immer wieder sagen, daß diese gerade für ihn ein Hinderniß zum Glauben ist.

Der Herr Christus ist aber auch für tugendsatte Leute da, warf Schlösser lächelnd ein. –

Es war Emilien sehr unangenehm, daß ihr Bräutigam nicht auf ihre Seite trat, und sie sagte gereizt: Also ist es uns nicht erlaubt, ein Urtheil über Weltleute zu haben, wir müssen sie entschuldigen und nur immer sagen: Der Herr Christus kann sie auch noch selig machen?

Schlösser sah seine Braut ernsthaft an und schwieg. Es entstand eine Pause.

Klärchen in ihrer Neigung zu Ruhe und Frieden mußte die Vermittlerin sein. Liebe Emilie, begann sie bedächtig, ein Urtheil sollen wir allerdings haben, es kommt nur sehr auf die Art an, wie sich das Urtheil in unserem Herzen gestaltet. Daß Herr von Kadden ein Mann ist, der unseren Glauben nicht nöthig hat, glaube ich schon, der liebe Gott hat ihn aber doch in eine gläubige Familie geführt. Nun sagt sein Verstand: Du hättest etwas Vernünftigeres thun können, als dich mit Leuten einlassen, die alle nicht recht gescheit sind! Sein Herz aber sagt: Es gefällt mir aber so wohl, und es thut so wohl, so glückliche Leute zu sehen und so viel aufrichtige Liebe. Da freuen wir uns nun herzlich, daß der verständige, tugendhafte Mann zwischen uns gerathen ist, und unser innigster Wunsch ist, daß er sich so wohl bei uns fühlt und nicht danach fragt, was sein alberner Verstand dagegen einzuwenden hat.

Ja, Klärchen, entgegnete die Generalin, wenn er sagt, daß er sich wohl bei uns fühlt, wollen wir ihn freundlich willkommen heißen.

Klärchen aber hatte es eilig und schloß jetzt ihre kurze Morgenvisite, und das Brautpaar war mit der Mutter wieder allein. Emilie war zu sehr gereizt, um nicht dasselbe Thema weiter zu besprechen. Ich habe auch nichts dagegen, daß wir freundlich gegen ihn sind, begann sie von neuem, aber wir können doch nicht leugnen, daß wir Elisabeth einen anderen Mann wünschen möchten, und wenn Elise ein Gewissen hat, so kann sie unmöglich darüber hin kommen, daß sie Elisabeth damals auf den Ball geführt hat.

Sie wird sich allerdings die Folgen dieses Balles zurechnen, entgegnete die Mutter, obgleich Elisabeth eine ähnliche Neigung auch bei andern Gelegenheiten fassen konnte. Elise thut einem um so mehr leid, da sie wirklich so ernsthaft kämpft, sich von der Welt loszureißen.

Ernsthaft kämpft? fragte Emilie. Ich finde es traurig, daß ein Christ, der nun wirklich die Einsicht hat, wie nichtig und ohnmächtig und bedeutungslos die Welt ist, sich doch nicht losreißen kann, immer wieder kämpft und immer wieder schwankt, und immer wieder mit der Welt liebäugelt. Es liegt schon in Gottes Gerechtigkeit, daß er so etwas strafen muß; ja wenn man es überlegt, so müßte man fast wünschen, daß die Folgen dieser Verlobung recht schwer sind: würden sonst nicht Eltern und Tochter in dem Glauben bestärkt werden, daß es gar nicht so gefährlich ist, zuweilen in der Welt und mit der Welt zu leben?

Gott ist gerecht und muß die abtrünnigen Kinder strafen, nahm Schlösser das Wort, aber er ist auch barmherzig und kann in seiner Liebe thun, wie er will. Kinder, die sich zu ihm bekannt haben, sind deswegen noch nicht ohne Sünde, unser Weg bis an unsern Tod ist ein fortwährender Kampf mit der Sünde. Der eine kämpft mit seiner Lauheit, seiner Schwäche, daß er sich immer noch mit der Welt befreunden muß, da er doch möchte ganz dem Herrn angehören; der andere kämpft mit seinem Hochmuth, seiner Lust zum Splitterrichten, während er den Balken in seinem Auge nicht sieht. Beide tragen die Folgen ihrer Sünde, den Unfrieden davon, beiden wünscht man aber nicht, daß Gottes Gerechtigkeit, sondern seine Barmherzigkeit sie richten möge. Wir sind alle Glieder eines Leibes, eines trägt und leidet und betet für das andere, keines könnte aber so lieblos und vorwitzig sein und behaupten, dem schwachen, immer fort wieder fallenden und aufstehenden Kinde sei nur durch harte Strafe zu helfen. So lange es den Vater anruft, hat es auch Hoffnung auf Barmherzigkeit, und der Herr hat oft Gedanken des Friedens, wo unsere lieblosen Herzen Unfrieden profezeihen.

Emilie hatte diese ganz ruhig und besonnen gesprochenen Worte in großer Spannung angehört, ihr Gesicht glühte, mit zitternder Stimme begann sie: Ich begreife nicht, wie Ihr mich so mißverstehen könnt. Es ist so einfach: Ihr könnt doch nicht verlangen, wenn ich eine Sache blau sehe, ich soll aus schwächlichem Friedens-Gefühl sagen: sie ist weiß. – Die Mutter sah sie warnend an, sie aber fuhr heftig fort: Wir sind nicht lieblos, wenn wir unserem schwachen Bruder Hilfe wünschen, sollte die Arznei auch in den nothwendigen selbstgeschaffenen Folgen der eigenen Sünde liegen.

Liebe Emilie, sagte der Bräutigam mit einem trauernden Lächeln: es ist gut, daß der Herr Christus barmherziger ist als wir Menschen, er ließ nicht gleich Feuer vom Himmel fallen, als seine Jünger ihn zornig darum baten, und ich hoffe, der armen Elisabeth wird es auch nicht so schwer ergehen, als Du als liebreicher Arzt ihr verordnen möchtest.

Wilhelm! rief sie mit stockender Stimme.

Ja, sagte er sanft und freundlich, ich gehe jetzt und Du überlegst Dir die Sache. Er reichte ihr die Hand, sie hielt das Taschentuch vor die Augen, und er entfernte sich.

Die Generalin wollte sich auch entfernen, aber Emilie bat sie zu bleiben. Ich begreife es doch nicht, liebe Mutter, sagte sie mit Thränen, wie Du mich auch so mißverstehen kannst. Hast Du Elisen nicht selbst vor dem Ball gewarnt? Hast Du ihr nicht gesagt, daß eine Mutter nicht beten darf, die ihre Tochter auf einen solchen Ball führt? Hast Du ihr nicht vorgestellt, welche Herren der Tochter dort zugeführt werden? Jetzt, wo alle unsere Befürchtungen eingetroffen sind, sollen wir plötzlich eingestehen, daß unsere Befürchtungen Täuschungen und der albernen Tanten Ansichten von der Welt und solchen Dingen die rechten sind; wir sollen wünschen, daß sie recht und wir unrecht haben, damit sie also desto sicherer sich der Welt ergeben.

Nein, liebe Emilie, entgegnete die Mutter, das wollen wir nicht wünschen. Wir wollen wünschen, daß sie trotz ihrer Schwachheit sich doch immer fester und entschiedener dem Herrn zuwenden möchten. Du kennst auch Elisen genug und weißt, daß sie die Gerechtigkeit des Herrn fürchtet und sich nach seiner Gnade sehnt. Denke, wie der Herr selbst Geduld und Langmuth hat mit dem sündigen Treiben der Welt, wie er mit Barmherzigkeit immer wieder ruft und lockt, seine Sonne scheinen läßt über Gerechte und Ungerechte, – wie sollten wir nun auf unsere Mitknechte die Gerechtigkeit des Herrn herabwünschen, da wir selbst mit bangem Herzen sprechen müssen: »Aus tiefer Noth schrei ich zu Dir.« Und: »Denn so Du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist gethan, wer kann Herr vor Dir bleiben?« Und weiter: »Bei Dir gilt nichts, denn Gnad und Gunst, die Sünden zu vergeben; es ist doch unser Thun umsonst, auch in dem besten Leben.« – Also, liebe Emilie, wollten wir Dir zu bedenken geben, daß wir alle, ob wir dem Herrn tausend Pfund, oder zehn Pfund schulden, seine Gerechtigkeit fürchten, und für uns alle seine Gnade erbitten müssen. Wir gehören alle zu den Schalksknechten, die dem Herrn tausend Pfund schulden und doch den Nächsten drängen, daß er bezahle, was er uns schuldig ist; wer das leugnet ist vom Hochmuth verblendet. Da unsere Seligkeit so ganz von der Barmherzigkeit des Herrn abhängt, da müssen wir uns in der Barmherzigkeit wohl üben und immer, wenn es an uns ist, zu richten oder barmherzig zu sein, zitternd nach der Barmherzigkeit greifen.

Meinst Du denn, daß ich es nicht thue? fragte Emilie in derselben Erregung.

In diesem Fall hast Du es nicht gethan. Fürchte Dich, daß Elisabeths liebevolles und kindliches Herz Dich nicht beschäme, Du weißt, daß der Herr spricht: Die Letzten werden die Ersten sein.

O liebe Mutter, sagte Emilie, willst Du mir jetzt Elisabeth zum Muster stellen? Der Herr weiß, wie sehr ich wünsche, daß sie fest wird und Ihm folgt; wohin hat sie aber ihre warme Liebe bis jetzt gewandt? Haben wir sie bis jetzt nicht beide beklagt und bedauert? Soll ich das alles mir verhehlen, um nur nachsichtig sein zu können?

Ich beklage sie auch noch, nahm die Mutter jetzt mit einigem Unwillen das Wort, ich beklage sie, wenn sie ihre Liebe der Welt zuwendet und dadurch den Herrn betrübt, aber ich beklage Dich doppelt, wenn Du durch Lieblosigkeit den Herrn betrübst und zugleich Deine Umgebungen unglücklich machst.

Die Mutter verließ das Zimmer, und Emilie eilte auch fort und verschloß sich im eignen Stübchen. So hatte die Mutter noch nie gesprochen; sie hatte sie zwar oft zur Demuth und Nachsicht ermahnt, aber die Befürchtung, daß sie ihre Umgebungen unglücklich mache, hatte sie noch nie gehört. Sie überlegte es jetzt, wie sie von ihren Freunden geehrt, bewundert und geliebt wurde; wie ja auch ihr Bräutigam, gleich nachdem er sie kennen gelernt, zu ihren Verehrern gehörte; wie er es anerkennend ausgesprochen, daß viele junge Mädchen ihr nachfolgen möchten im Dienste und in der Liebe zum Herrn. Nur ein gleiches Verlangen, dem Herrn zu dienen und ihn zu lieben, hatte ihre Herzen zusammengeführt, mit Stolz und Freude hatte er daran gedacht, einst eine solche Pfarrfrau zu haben. Freilich war es nach der Verlobung, weil sie da natürlich noch offener mit ihren Gedanken heraustrat, zu Gesprächen gekommen, wo er die Einfalt und Liebe des Weibes über alles Wissen und über alle Werke setzte, und sie hatte mit großen Schmerzen das auf sich beziehen müssen; aber es war doch nur ein leises Hindeuten und sie hatte den Bräutigam bald überzeugt, daß auch sie die Werke und das Wissen nicht überschätze. Heute war ihr jedenfalls Unrecht gethan. Sollte ihr jetzt Elisabeth, die von allen als ein unfertiges Kind betrachtet wurde, zum Vorbild gegeben werden? Sollte ihr nicht ein Urtheil erlaubt sein? War das lieblos, wenn sie ihr Umkehr zum Herrn wünschte, sollte es auch Umkehr durch Kreuz sein? Eine Entschuldigung unhaltbarer als die andere suchte ihr Verstand hervor; den eigentlichen Kern ihrer Sünde hielt sie von sich ab, wollte ihrer Mutter und ihrem Bräutigam gegenüber nicht von der Höhe, die ihr so gut anstand, herunter in das Thal der Demuth steigen, sie wollte nicht so ernstlich durch sie an die Worte erinnert werden: »Denn wenn Du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist gethan, wer kann Herr vor Dir bleiben!« Sie war ja eine Christin, eine aufmerksame Christin, die sich solche Worte selbst zu Gemüthe führt.

Sie war in einem trostlosen Zustande. Sie konnte auch nicht bei Tische erscheinen. Als die Mutter kam, sie zu fragen, bat sie, ungestört bleiben zu dürfen, und die Mutter nahm sie mit Thränen an ihr Herz und konnte ihr nichts sagen. War sie denn nicht selbst um Emiliens Entwicklung längst besorgt? Hier in Berlin, wo sie in einem Kreise von Gläubigen so viel Anerkennung fand, war ihre Sicherheit sehr gewachsen, und die Liebe des ausgezeichneten und begabten jungen Mannes hatte ihr Herz nicht zur Demuth sondern zur Hoheit geführt. Daß selbst der Bräutigam darüber trauerte, würde sich Emilie nie gestanden haben, aber die Mutter fühlte es mit Bangen, und eine Scene wie die heutige hatte sie immer schon erwartet. Der Herr wird ihr helfen! dachte die trauernde Mutter, wir müssen alle die Last unserer Sünde tragen, der Herr allein kann sie lehren, um Barmherzigkeit bitten.

Gegen Abend klopfte es an Emiliens Thür, sie ahnete wer es war, und ihr Herz hatte sich nicht getäuscht. Ihr Bräutigam trat ein, und an seinem Gesicht war zu sehen, daß die letzten Stunden ihm nicht süß waren. Er reichte ihr die Hand, sie legte ihren Kopf an seine Brust und sagte weinend: Wie weh hast Du mir heute gethan!

So verzeihe mir, entgegnete er mit sehr weicher Stimme.

Du hast mich mißverstanden, fuhr sie fort.

Nein ich habe Dich nicht mißverstanden, liebe Emilie, sagte er ernst.

Du hast mir gewiß Unrecht gethan! versicherte sie warm.

Ich habe Dir nicht Unrecht gethan, war wieder seine ruhige Antwort.

Meinst Du denn? begann sie –

Nicht liebe Emilie, unterbrach er sie, wir beginnen nicht noch einmal den Streit, Dein Verstand möchte Dich immer mehr in die Irre führen und den Herrn betrüben. Wenn wir Frieden haben wollen, bleibt Dir nur der eine Weg: Beuge Dich unter meinen und Deiner Mutter Ausspruch, daß Du Unrecht hast.

Welch ein Verlangen! dachte Emilie erschrocken; wie kann ein wahrheitsliebender Mensch gegen seine Überzeugung solch einen Ausspruch thun! – Was sollte aber werden? fragte sie weiter: konnte ihr Herz nicht nachgeben? konnte sie nicht demüthig sein? nicht auch einmal Unrecht leiden? Ein geübter Christ kann das alles, er verleugnet sich selbst, er will gar nichts sein und gelten. – Ja, den Feinden gegenüber kann ein Christ das alles leiden, verkannt und mißverstanden sein, was Feindes Mund spricht, ist nicht bitter; »wo aber Dich ein Freund veracht't, wird Deine Demuth irr gemacht.« Ist denn demüthig sein so schwer? Sie hatte ja so herrlich darüber reden können. Ist es denn unmöglich, unschuldig leiden? Dem Herrn Christus zu Liebe hatte sie immer so viel Muth gehabt Unrecht zu haben, nachzugeben. Wo war denn der Muth geblieben, als sie nun wirklich sich beugen sollte? Einem Herzen, darinnen der Stolz mächtiger als die Demuth, ist der Kampf sehr schwer. Dem Herrn die Schuld bekennen, das geht noch, aber nur nicht den Menschen.

Emilie stand an die Schulter des Bräutigams gelehnt und er gab ihr geduldig Zeit zur Ueberlegung. Es währte aber sehr lange, sein Herz wurde immer trauriger, er nahm ihren Kopf leise höher, er sah sie so liebreich und so traurig und so bittend an. Da ward ihre Seele bewegt. Warum ist er traurig? Um deinetwillen. Bist du so vieler Liebe werth? Sie erfaßte seine Hand und schluchzend sagte sie: Verzeihe mir, Wilhelm, ich habe Unrecht.

Da war beiden eine Last von der Seele, es war ihr wie einem Kinde, nie, nie hatte sie sich so wohl gefühlt.

O ich danke Dir! sagte sie und konnte nichts weiter sagen; aber er verstand sie wohl, er wußte ja, daß nichts seliger ist, als demüthig sein, und dem Herzen nicht wohler ist, als wenn es allen Hochmuth, alles selbstgerechte Wesen über Bord geworfen. Sie wollte jetzt ihr Herz noch ausschütten, aber er litt es nicht. Wir wollen es beide im Herzen still bewegen, sagte er. Er führte sie zur Mutter, und als diese beide so bald kommen hörte, wußte sie, daß ihre Gebete erhört waren.

An Emilien war diese Demüthigung wohl zu merken. Sollte es eine wirkliche Umkehr sein? dachte die zagende Mutter. Ach nein, der Kampf mit der Lieblingssünde, wenn er auch immer weniger mächtig wird, er währt bis an das Ende.

Emilie ward in der nächsten Zeit nicht in Versuchung geführt, nur als Elise erschien mit dem jugendlichen und überglücklichen Brautpaar, da ward es ihr bange. – War es denn möglich? selbst Elise schaute mit Stolz auf den neuen Sohn. Er war sehr einnehmend, daß Elisabeth nicht widerstehen konnte war natürlich; aber daß die Mutter sich verblenden ließ, war doch unbegreiflich.

Elisabeth mußte ihr volles Herz der lieben Cousine auch noch privatim ausschütten, sie nahm Emilien bei Seite, umarmte sie lebhaft und sagte so freudig: Liebe Herzens-Emilie, nicht wahr, eine Braut sein, ist doch zu schön?

Gewiß, entgegnete Emilie lächelnd, aber ziemlich verlegen.

Solch ein Glück habe ich mir nie träumen lassen, fuhr Elisabeth fort, aber ich bin auch dem lieben Gott sehr dankbar dafür.

Es ist wohl schön, wenn man ein treues Herz gefunden hat, war Emiliens Antwort.

Und nun das liebe schöne Leben vor sich! sagte Elisabeth freudig.

Das liebe schöne Leben wird aber auch seine schweren Stunden bringen, konnte Emilie jetzt nicht lassen zu sagen.

Nun, ja, – aber mit einem getreuen Herzen, Du weißt doch, liebe Emilie? sagte Elisabeth wieder, indem sie der ernsthaften Braut Hände ergriff und sie innig drückte.

Emilie hätte große Lust gehabt zu sagen: Verlasse Dich nur nicht auf solche Liebe und Treue, denn sie ist nicht auf einen Felsen, sondern sie ist nur auf Sand gebaut. – Aber der Bräutigam hatte schon ungeduldig nach Elisabeth geschaut, ihre Blicke begegneten sich, er hielt ihr verstohlen seine Hand hin, und schnell eilte sie und saß Hand in Hand an seiner Seite.

Als Emilie mit den Eltern wieder allein war, konnte sie nichts dagegen sagen, als beide den Bräutigam recht liebenswürdig fanden. Wie er so offen aus den Augen schaut, das ist viel werth, sagte der General. Dabei hat er etwas Ritterliches und Zartes, und die kleine Elisabeth schwebt in Wonne.

Der liebe Gott scheint auch hier der barmherzige Hüter seiner leichtsinnigen Kinder sein zu wollen, fügte die Generalin freundlich hinzu.

Ich wünsche es von Herzen, sagte Emilie jetzt. Ja, so weit hatte sie es wirklich gebracht, sie konnte es nur noch nicht glauben.

Noch leichter aber, als bei Generals war dem Brautpaar der Sieg bei Tante Paula und Wina geworden. Ein gemeinschaftlicher Spaziergang im Thiergarten war beinah hinreichend, ihre Gemüther zu beruhigen. Dieses auffallend schöne Paar, das eine allgemeine Bewunderung erregte, war ja ihre Nichte und ihr Neffe. Dazu war der Neffe wirklich aufmerksam gegen die Tanten, und als ihnen bei einem harmlosen Geplauder das Brautpaar auseinandersetzte, daß ein eigenes Tantenstübchen einst im neuen Haushalt gegründet werden sollte, da waren sie ganz glücklich und zufriedengestellt.


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