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Eine Ballunterhaltung
(nach Tische)

In einer geschlossenen Veranda, voll von Topfpflanzen und Blattgewächsen in Kübeln, sitzt eine junge Dame in Balltoilette auf einer winzig kleinen Gartenbank. Ein junger Herr steht neben ihr. Aus dem Saal ertönt Tanzmusik.

»Auf Sie ist sicher gar kein Verlaß, Dr. Birker!«

»Wollen das gnädige Fräulein damit sagen, daß ich mich unpassend benehme?«

»Freilich! Sie sind ein Hans Narr! Sie glauben, daß alle Damen, die ein wenig freundlich gegen Sie sind, gleich in Sie verliebt sein müssen.«

»Nein, davor bewahre mich der Himmel!«

»Sie sind obendrein ungezogen.«

»Nur höflich!«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ja, ich nehme an, daß die jungen Damen zu wohlerzogen sind, um unfreundlich gegen einen armen Fremdling zu sein, der ihnen nichts Böses getan hat.«

»Herr Doktor!«

»Mein gnädiges Fräulein!«

»Sie sind für mich ein unausstehlicher Mensch!«

»Ich kann dies Kompliment leider nicht erwidern. Im Gegenteil, ich finde Sie entzückend!«

»Wissen Sie, was so empörend an Ihnen ist?«

»Nein, darüber habe ich wirklich noch niemals nachgedacht.«

»Sie meinen nicht, was Sie sagen. Sie sind ganz gleich gegen alle Damen: gleich schmeichelnd, gleich lächelnd, gleich unleidlich.«

»Darf ich denn nicht lachen?«

»Ja, wenn Sie wirklich etwas damit meinen.«

»Darf ich denn jetzt lächeln?«

»Seien Sie jetzt vernünftig, Herr Doktor, und setzen Sie sich. Da ist noch ein kleiner Platz neben mir frei.«

»Wir sitzen hier wie zwei verliebte Hühner auf einer Stange. Ach, darf ich Ihren Fächer ein wenig haben?«

»Herr Doktor, wollen Sie einen Augenblick vernünftig mit mir reden?«

»Sie wollten sich die Mühe machen?«

»Nein, ich will nicht mit Ihnen reden! Gehen Sie.«

»Ich kann nicht – ich sitze fest.«

»Sagen Sie mir einmal, Herr Doktor, gehen Sie jemals in die Kirche?«

»Ja-a!«

»Wen hören Sie denn gewöhnlich?«

»Das weiß ich wirklich nicht, das kommt immer darauf an, wer begraben wird!«

»Sie sind abscheulich!«

»Besten Dank, mein gnädiges Fräulein.«

»Wissen Sie, was man von Ihnen sagt?«

»Nein!«

»Man sagt, daß Sie Freigeist sind.«

»Was Sie sagen! Sie machen mich ganz verlegen. Ich glaubte, es handelte sich mindestens um einen Kindesmord oder um Bigamie!«

»Pfui, Herr Doktor, wie leichtsinnig Sie reden! Man sollte fast glauben, es sei Ihr Ernst.«

»Dann ist es ja ein wahres Glück, daß Sie wissen, daß ich es niemals so meine, wie ich sage.«

»Sind Sie eigentlich immer so?«

»Ja, ich bin leider Gottes sehr verderbt. Wissen Sie aber auch, woher das kommt?«

»Nun?«

»Ich habe eine unglückliche Liebe. Mögen Sie eine traurige Geschichte mit anhören?«

»Herr Doktor, – das ist nicht Ihr Ernst.«

»Freilich ist es mein Ernst. – – Es ist jetzt gerade ein Jahr her, – Sie brauchen die Bank nicht umzuwerfen – – – Ich war jung, lebensfroh, voller Hoffnungen, – voll von all dem Edlen, von dem ein junger Mann erfüllt sein muß.«

»Ihr Ruf war aber doch nicht gerade tadellos!«

»Giftige Verleumdung, mein gnädiges Fräulein! Ich war fast unschuldig.«

»Waren Sie denn auch gläubig?«

»Ich war in der Frauenkirche, als eine Cousine von mir konfirmiert wurde, und ich stand Gevatter bei dem Kinde eines Freundes.«

»Haben Sie verheiratete Freunde?«

»Nein, keine verheiratete, aber –«

»Aber was denn?«

»Gnädiges Fräulein, gleiten wir leicht über diese Sache hinweg, die sich weder für Sie anzuhören noch für mich zu erzählen geziemt. – – Also, ich war jung und unschuldig. Aber dann kam ich auf einen Ball.«

»War denn das etwas so Arges?«

»Ist das Ihre Art und Weise, ernsthaft zu sein? – – Auf dem Ball traf ich sie. Sie war schön, blendend schön. Groß, schlank, blond, feurig, mit schönen Zähnen, einem so zarten Teint, einem so weißen Halse –«

»Sie brauchen nicht weiter zu gehen.«

»Ich bin auch gleich fertig. Meine Kenntnisse reichen nicht viel weiter. Mir fehlen nur noch die Lippen. Dazu komme ich gleich nachher. – – Ich tanzte den Tischtanz und den dritten Walzer mit ihr. Um den letzteren bemogelte sie einen Marineoffizier. Während wir den ersten abtanzten, hielt ich um ihre Hand an, und sie sagte ja. Als wir während des letzteren Eis aßen, küßte ich sie auf den Mund, – auf ihre heißen, frischen, daunenweichen Lippen. Nie werde ich diese Lippen vergessen. – – Es hilft Ihnen nicht, daß Sie den Versuch machen, aufzustehen, mein gnädiges Fräulein, – – wir sitzen fest, bis wir beide auf einmal aufstehen.«

»Den Rest der Geschichte können Sie sich sparen. Am nächsten Tage schrieb ich Ihnen, das Ganze sei natürlich nur ein Scherz gewesen, sowohl von Ihrer als auch von meiner Seite. Ich hatte nur eine Bitte an Sie, die haben Sie mir nicht erfüllt! Es ist nicht hübsch von Ihnen, Herr Doktor, diese dumme Geschichte wieder aufzuwühlen.«

»Ach, mein gnädiges Fräulein, Sie sagen dumme Geschichte –«

»Als ob Sie anders darüber dächten! War das Ihre unglückliche Liebe?«

»Sie sind so heftig, mein gnädiges Fräulein! Wenn Sie mich nur ausreden lassen wollten! – Ich fand Ihren Brief so vernünftig, so richtig. Ich war gerade im Begriff, Ihnen einen gleichlautenden zu schreiben. – – Aber, wissen Sie, was ich niemals vergaß seit unserer – ja, ich darf mich wohl des Ausdruckes: Verlobungszeit bedienen? Das waren Ihre Lippen – heiß, frisch, daunenweich. Diese Lippen wurden meine unglückliche Liebe. Die jagten mich hinaus in Ausschweifungen und Gottlosigkeit, die waren schuld daran, daß ich meinem Glauben untreu wurde, denn niemals fand ich, was ich suchte. Gnädiges Fräulein –«

»Ja!«

»Heute treffen wir uns nach Jahresfrist wieder in demselben Hause, in denselben Umgebungen, – alles ist wieder genau so wie damals –«

– »Nur, daß ich um Ihretwillen keinen Leutnant um einen Tanz bemogele.«

»Wir haben wieder bei Tische nebeneinander gesessen. Vor einem Jahre hielt ich um Ihre Hand an. Das war töricht.«

»Sie brauchen nicht ungalant zu sein.«

»Hinterher küßte ich Sie. Das war das Vernünftigste, was ich jemals getan habe.«

»Herr Doktor!«

»Die Reihenfolge war verkehrt. Nr. 2 hätte Nr. 1 sein müssen, und Nr. 1 hätte niemals existieren sollen. – – – Sie zerreißen Ihr Kleid, wenn Sie aufstehen. – – – So, – in diesem Jahre verbessern wir das Rechenexempel.«

»Herr – Dok–tor!« – – – – – – – – –


»Darf ich Sie jetzt zum Tanz auffordern? Geben Sie jetzt acht: Eins, zwei, drei! Das ging gut! Jetzt will ich Ihnen Ihre Schleppe ein wenig arrangieren.«

»Wissen Sie wohl, Herr Doktor, ich sollte eigentlich so böse auf Sie sein, daß ich nie wieder mit Ihnen spräche?«

»Das weiß ich, mein gnädiges Fräulein. Aber das Bewußtsein, ein gutes Werk getan zu haben, sollte Sie milder stimmen. Sie haben einem argen Zweifler seinen Kinderglauben wiedergegeben.«

 

*


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