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Fräulein Mimi

Fräulein Mimi saß auf einer Gartenbank und träumte. Der Sommer ging zur Neige, und sie sollte bald in die Hauptstadt zurückkehren, um die aufreibende Arbeit der Wintersaison wieder zu beginnen.

Sie dachte an ihr vergeudetes Leben.

Sie war siebzehn Jahre alt, wurde fast achtzehn, und wußte nichts weiter von der Liebe, als daß es die einzig passende Beschäftigung für eine junge Dame von irgendwelcher Selbstachtung ist.

Sie hatte häufig – anstandshalber – ihren Freundinnen eingebildet, daß sie in diesen oder jenen verliebt sei, aber das war nur die schändlichste Unwahrheit; sie verachtete sich selber, denn die Hauptsache hier im Leben ist doch, wahr zu sein, – wahr vor allen Dingen! Ja, wenn man nur den Betreffenden, mit dem man verlobt war, nicht zu küssen brauchte; aber so ein bärtiger Mund, der geraucht oder vielleicht gar Bier getrunken hatte, – das war widerlich! Ihren Vater küßte sie natürlich, wenn sie ihm Guten Morgen und Gute Nacht sagte, aber der war in ihren Augen gar kein Mann, er war nur ihr Vater, und dann hielt sie ihm auch immer die Backe hin.

Sie konnte sehr wohl begreifen, daß man geneigt war, Damen zu küssen; sie konnte auch wohl begreifen, daß es eine Menge Herren gab, die gern ihren Mund küssen wollten, so rot und weich und klein wie der war. Aber einen Herrn zu küssen, – das mußte ebenso abscheulich sein, wie aus einer Pfeife zu rauchen, und wie das war, wußte sie. Denn sie hatte oft versucht, eine von ihres Vaters Pfeifen in den Mund zu nehmen. Sie schmeckten ekelhaft, aber es war doch ein gewisser Reiz dabei, so daß sie es nicht lassen konnte.

Es war ihr zweimal passiert, daß ein Herr sie um einen Kuß gebeten hatte. Man sollte fast glauben, die Herren hielten es für eine Annehmlichkeit für die Damen, von ihnen geküßt zu werden; sonst würden sie wohl ein wenig zurückhaltender mit ihrem Angebot sein.

Es war übrigens beide Male derselbe Herr gewesen. Und schließlich, wenn sie sich recht besann, war er doch noch einer von denen, deren Küsse zu ertragen sie sich noch am leichtesten vorstellen konnte. Er hieß Axel – im Grunde ein hübscher Name – und war Ingenieur, sein Examen war freilich gerade nicht brillant gewesen, aber das war keine Folge von Dummheit, sondern nur von Trägheit, und dann machte es ja nichts.

Er war groß und kräftig und gewandt und tanzte entzückend. Man lag in seinem Arm und ließ sich nur so tragen! Er hatte einen blonden Bart über das ganze Gesicht, kurzgeschnittenes Haar und zwei lachende Augen, denen man auch nicht die leiseste Furcht einzujagen vermochte, wenn man sich auch noch so viele Mühe gab, die Dame zu spielen.

Es war genau ein halbes Jahr her, seit dies schreckliche »Erstemal« stattfand. Es war auf einem Balle beim Obersten Hammersted, und er war ihr Tischnachbar. Das war er während des ganzen Winters gewesen. So pflegt es stets zu sein. Da ist immer ein Herr, mit dem man den ersten Tanz tanzt – ein Vetter oder ein Freund des Bruders – einer, mit dem man immer den Kotillon tanzt, einer, von dem man im voraus weiß, daß er einer andern Dame sein Bukett bringt, und einer, mit dem man immer den Tischtanz tanzt und mit dem man schließlich so nett vertraut wird.

Es war der letzte Ball in der Saison, infolgedessen wurde man natürlich beim Champagner ein wenig sentimental und sprach davon, daß man sich jetzt so lange nicht mehr sehen würde. Und als sie sich von Tische erhoben hatten – sie hatte gewiß ein bißchen mehr an dem Wein genippt, als sie hätte dürfen – hatte er sie ohne weiteres in ein Zimmer geführt, wo außer ihnen niemand war. Aber das hatte sie erst bemerkt, als er sich plötzlich über sie beugte und ihr lachend – er lachte stets – in die Augen schaute und sagte: »Fräulein Mimi, bekomme ich nun nicht einen Kuß zum Abschied?« »Nein, den bekommen Sie ganz gewiß nicht!« hatte sie schnell geantwortet und war in ein anderes Zimmer gelaufen. Sie war ganz erschrocken, aber das war ja doch auch keine Manier, so etwas ganz ohne alle Vorbereitung zu sagen! Er konnte doch nicht verlangen, daß sie plötzlich anfangen sollte, ihn zu küssen.

Hinterher hatte sie ganz ernsthaft zu ihm gesagt: »Ich bin wirklich sehr böse auf Sie.« Er aber hatte die Augen zusammengekniffen und, ohne zu erröten, geantwortet: »Das glaube ich nicht.« So recht in einem impertinenten, überlegenen Ton!

Sie hatte bei sich gedacht, es sei nur gut, daß sie sich fürs erste nicht wiedersehen würden.

– Und dann war sie hierher aufs Land zu ihrer Freundin Ida gereist und mit der hatte sie viele vertrauliche Unterhaltungen über alles mögliche gehabt. Aber Ida war doch so sonderbar, so recht konnte sie eigentlich nicht mit ihr sympathisieren. So z. B. hatte Ida gesagt, es sei kindisch, zu glauben, daß ein Kuß etwas Häßliches sei; es sei etwas sehr Schönes. Und als Mimi sie ganz entsetzt gefragt hatte, ob sie es denn jemals ausprobiert habe, da hatte Ida ihr nur gerade ins Gesicht gelacht und gesagt: »Es würde mir wohl schwer werden, wenn ich zählen wollte –«

Pfui, wenn man daran dachte, was für einen Geschmack die Menschen haben konnten!

– – Hier draußen auf dem Lande hatte sie doch sonst, gottlob, Ruhe gehabt. Aber dann, eines Tages, war Axel wie eine Bombe ins Haus gefallen, und es stellte sich heraus, daß er ein intimer Freund von Idas Bruder war. Sie hatte ihn kühl und zurückhaltend begrüßt; aber er hatte ihr ohne weiteres die Hand gegeben und von den schönen, im Winter verlebten Stunden gesprochen, worauf sie sich eisig abgewandt hatte. Und doch war es auch hier so gegangen, wie es den ganzen Winter ging; sie waren immer zusammen gewesen, weil sie sich so brillant zusammen amüsierten, und dann gestern, – gestern abend war das Entsetzliche zum zweiten Male geschehen.

Es war ein großes Diner im Hause gewesen, zu dem die ganze Umgegend mit ihrem Ferienbesuch geladen war. Es war wirklich sehr amüsant, und Axel führte Mimi zu Tisch – selbstverständlich. Sie hatten dagesessen und sich über die »eingeborenen« Damen amüsiert, die in ausgeschnittenen Kleidern erschienen waren – die Ärmsten glaubten in ihrer Unschuld natürlich, daß das fein sei – und über noch mancherlei anderes. Und hinterher, als der Kaffee draußen im Gartensaal serviert wurde, war Axel abermals mit ihr verschwunden – sie mußte wohl wieder in bezug auf den Champagner ein bißchen unvorsichtig gewesen sein – und ganz unten in der Nußbaumallee hatte er sie wieder um einen Kuß gebeten. Diesmal war sie nicht wieder so bange geworden, denn nun besaß sie ja eine gewisse Routine, aber sie hatte gesagt: »Es kann nicht nützen, daß Sie mich um einen Kuß bitten, denn Sie bekommen ihn doch nicht!« Und er hatte geantwortet: »Nehmen Sie sich mit Ihren Worten in acht, Fräulein Mimi, Sie sind unvorsichtig!«

Sollte sie wirklich unvorsichtig gewesen sein? Was konnte er nur gemeint haben? Das hätte sie für ihr Leben gern gewußt! – – Und Fräulein Mimi saß da und sann hierüber und über ihr vergeudetes junges Leben nach, das nichts von Liebe wußte.

Da, auf einmal fühlte sie gleichsam einen warmen Hauch hinter sich im Nacken, und ehe sie Zeit hatte, sich umzuwenden, sah sie Axels lachendes Gesicht neben dem ihren, und als sie eben aufschreien wollte, ward ihr der Mund geschlossen – mit einem Kuß!

Sie war zu sehr verwirrt, um zu schelten; sie zitterte und lachte und weinte und schüttelte sich wie ein verregneter Sperling. Er aber saß ganz ruhig neben ihr auf der Bank und sagte: »Sie waren gestern wirklich sehr unvorsichtig, Fräulein Mimi. Sie sagten, es könne nicht nützen, wenn ich Sie um einen Kuß bäte. Da dachte ich, es sei am besten, das Bitten zu unterlassen.«


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