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Des Bürgermeisters Winterüberzieher

Zwischen den Papieren des vor ein paar Jahren verstorbenen Bürgermeisters Holst fand sich ein versiegeltes Kuvert mit der Aufschrift: »Einliegendes Schreiben soll nach meinem Tode in der Berlingsken Zeitung oder in der Zeitung, die zu jener Zeit das offizielle Tagesblatt im Königreiche Dänemark ist, veröffentlicht werden.«

Das Schreiben, das, soviel ich weiß, bisher noch nicht in der Berlingsken Zeitung veröffentlicht worden ist, lautet:

»Ich wünsche – zur Belehrung unserer Gerichtshöfe, Gesetzgeber und Moralisten – das Geständnis über einen Diebstahl abzulegen, den ich im vierzigsten Jahre meines Lebens beging, ein Jahr, nachdem Se. Majestät mich zum Bürgermeister in dem guten jütischen Städtchen zu ernennen geruht hatte, allwo ich neulich unter großer Teilnahme mein fünfundzwanzigstes Amtsjubiläum feierte.

Es war auf einem Herrendiner bei dem Landrat, dem längst verstorbenen Kammerherrn Lilje. Nach Tische spielten der Kammerherr, der Baron Ornehjelm, der Kreisarzt Dr. Colbein und ich Whist.

Die Stimmung war sehr animiert. Bei Tische war tüchtig getrunken worden, und nach Tisch wurde noch mehr getrunken. Wir kartenspielenden Herren sprachen dem Kognak, einem feinen, alten Charente, fleißig zu.

Namentlich der Baron wurde allmählich stark benebelt. Er saß da und prahlte in einer keineswegs kavaliermäßigen Art und Weise mit seinen hervorragenden Fähigkeiten als Pferdehändler. Noch heute morgen habe er einen dummen Landpfarrer mit ein paar alten Kracken angeschmiert, zu einem Preise, der mindestens hundert Taler höher war als der wirkliche Wert der Gäule. Er holte das vollgespickte Taschenbuch heraus und zeigte uns triumphierend ein ganzes Bündel Papiergeld, um das er den armen Gottesmann erleichtert hatte.

Jetzt saß der Baron da und kaute an einer dicken Havannazigarre und spielte unterm Nachtwächter.

Ich war verhältnismäßig nüchtern. Getrunken hatte ich selbstredend tüchtig, und auch jetzt noch ließ ich mir den Kognak munden. Aber mein Gehirn war vollkommen klar, ich wußte ganz genau, was ich sagte und tat.

Es war die Reihe an mir, auszuscheiden; wir spielten nämlich mit einem Blinden – und ich rückte meinen Stuhl ein wenig vom Tische ab. Im selben Augenblicke fiel mein Blick auf den Fußboden, und ich sah unter dem Tische einen Fünfzigtalerschein liegen. Ich war nicht einen Moment darüber im Zweifel, daß der Baron ihn verloren hatte, als er sein Taschenbuch herausholte.

Jetzt ging folgendes in mir vor: Ich war schon im Begriffe, mich zu bücken, um den Schein aufzunehmen und ihn seinem Besitzer wieder Zuzustellen. Plötzlich aber erfaßte mich eine unwiderstehliche Lust, ihn mir anzueignen. Ich hatte nichts als mein Gehalt. Es war groß genug, um davon ein einigermaßen sorgenfreies Junggesellenleben zu führen. Aber es war doch so kärglich bemessen, daß ich sehr genau rechnen mußte, wenn ich allen den Ansprüchen genügen wollte, die an einen Beamten mit einigen Repräsentationspflichten gestellt wurden. Ich hatte außerdem einige Schulden aus meiner Studentenzeit, kurz, fünfzig Taler bedeuteten etwas für mich. Es fuhr mir durch den Kopf, daß ich mir mit Hilfe dieser Summe einen sehr notwendigen neuen Winterüberzieher anschaffen könnte.

Aber es war nicht das allein. Es überrieselte mich auch ein Gefühl des Wohlbehagens bei dem Gedanken, zum Diebe zu werden.

Und mit Blitzesschnelle hatte ich meinen Plan geordnet, den ich zugleich zur Ausführung brachte mit einer Kaltblütigkeit, die mein lebhaftes Interesse erregte und mich mit heimlichem Stolz über meine schneidige Gewandtheit erfüllte.

Indem ich tat, als wenn ich das Spiel mit Aufmerksamkeit verfolgte, nahm ich eine frische Zigarre, schnitt die Spitze davon ab, ließ aber, wie aus Versehen, mein Messer fallen. Es fiel merkwürdig glücklich – dicht neben den Fünfzigtalerschein. Die anderen Herren waren zu sehr in Anspruch genommen durch das Spiel und zu mitgenommen von dem genossenen Kognak, um sich galant zu erzeigen.

Mit einem Fluch – der Ärgerlichkeit über das Unglück heucheln sollte – beugte ich mich herab, tat, als mache es mir Schwierigkeit, des verlorenen Gegenstandes habhaft zu werden, und benützte die Zeit, um in aller Ruhe den Schein in den Schaft eines meiner Stiefel zu praktizieren. Ich gab genau acht, daß er gehörig tief hinuntergesteckt und daß mein Beinkleid nach der Operation wieder in Ordnung gebracht wurde.

Darauf – das Ganze währte nur einige Sekunden – richtete ich mich mit einem Seufzer der Erleichterung auf, lehnte mich erschöpft in den Stuhl zurück, zündete meine Zigarre an und dampfte wohlbehaglich darauf los, worauf ich wieder eine interessierte Kritik des Spieles begann und namentlich dem angezechten Baron allerlei wohlerwogene Bosheiten sagte.

Der spannende Augenblick kam, wo die Abrechnung stattfinden sollte. Der Baron hatte zehn bis zwölf Taler verloren und zog sein Taschenbuch heraus, um zu bezahlen. Er warf seine Scheine auf den Tisch und fing an, darin herumzuwühlen.

»Dieser Satans-Millionär!« sagte ich lachend, »den hätten wir ein wenig ärger rupfen sollen.« Und im selben Augenblick nahm ich mein Glas und trank dem Doktor zu, indem ich ihn bat, mich seiner Frau Gemahlin zu empfehlen.

Während ich noch das Glas am Munde hatte, hörte ich den Baron sagen: »Das ist doch des Teufels! Mir fehlen fünfzig Taler?«

Ich leerte ruhig mein Glas, dann sagte ich: »Na, Baron, Sie haben sich wohl selbst schlechter gemacht, als Sie sind. Es waren wohl nur fünfzig Taler, um die Sie den Pastor betrogen haben. Oder vielleicht übt der Kognak des Landrats auf Sie die entgegengesetzte Wirkung aus, wie auf uns andere. Wir sehen jetzt nämlich doppelt – z. B. scheint es mir, als wenn Sie doppelt so betrunken seien, wie Sie es wohl in Wirklichkeit sind – während Sie nur halb zu sehen scheinen.«

Mein Witz machte Glück, auch bei dem Baron. Aber nach einer Weile, als er nochmals seine Scheine durchblättert hatte, sagte er: »Nein, bei meiner Seelen Seligkeit, mir fehlen fünfzig Taler! Herr Kammerherr, tun Sie mir den Gefallen, und zählen Sie einmal nach. Ich hatte, als ich aus dem Hotel fortging, acht Fünfzigtalerscheine und hundertundfünfzig Taler in Fünftalerscheinen. Und jetzt kann ich nur sieben Fünfzigtalerscheine herauszählen.«

Unter allgemeiner Munterkeit der Spielgesellschaft nahm der Landrat das Bündel Papiergeld und zählte nach.

Mein Freund, der Kreisarzt, wird, wenn er mich überleben sollte, die unheimliche Stimmung bezeugen, die entstand, als der Landrat erklärte: »Nein, hier sind nur sieben Fünfzigtalerscheine,« und der Baron auf seine feierliche Frage: »Sind Sie nun ganz sicher, daß es acht sein sollten?« antwortete: »So betrunken ich auch bin, bei Gott im hohen Himmel, ich hatte acht Fünfzigtalerscheine, als ich aus dem Hotel fortging. Ich zählte sie, unmittelbar bevor ich hierherging.«

Es entstand eine peinliche Pause. Dann sagte der Landrat: »Es tut mir sehr leid, Baron, aber wenn das Geld dagewesen ist, muß es ja auch zu finden sein.«

Ich entsinne mich, daß ich einen Augenblick ein gewisses Mitleid empfand – nicht mit dem Baron, wohl aber mit dem feinen, liebenswürdigen Landrat, dem es offenbar sehr unangenehm war, daß so etwas in seinem korrekten Hause passieren konnte – und daß ich es auf der Zunge hatte, das Ganze für einen Scherz von meiner Seite zu erklären und den verschwundenen Schein herauszuholen. Aber ich schwieg. Teils, weil ich gern das Geld behalten wollte, teils, weil ich mich abermals von dem pikanten Reiz des Verbrechens durchschauert fühlte; doppelt pikant, weil ich als Missetäter und Handhaber der Gerechtigkeit in einer Person dasaß.

Es entstand nun ein fieberhaftes Suchen nach dem entschwundenen Scheine, und Fragen und Vermutungen schwirrten durcheinander. »Sind Sie nun auch ganz sicher, Baron, daß Sie den Schein nicht lose in Ihrer Tasche haben?« »Sprachen Sie nicht unterwegs noch in einem Laden vor?« »Ist es nicht denkbar, daß Sie sich im Hotel verzählt haben sollten?« »Vielleicht steckt das Geld in dem Rock, den Sie ausgezogen haben?«

Der Baron, der allmählich ganz nüchtern geworden war, wiederholte – und zwar in einem nicht ganz freundlichen Tone – daß ein Mißverständnis nicht möglich sei.

Da sagte ich schließlich mit ein wenig gekränkter Ironie in der Stimme, übrigens aber ganz kühl und geschäftsmäßig: »Da der Herr Baron seiner Sache so sicher ist, bleibt uns, seinen Mitspielern, ja eigentlich nichts weiter übrig, als uns einer Durchsuchung zu unterwerfen. Und ich in meiner Eigenschaft als erste Polizeibehörde der Stadt erbitte mir die näheren Befehle des Herrn Barons aus.«

Meine Worte verfehlten die beabsichtigte Wirkung nicht. Der Baron begriff, daß er in einem Hause wie dem des Landrats die Sache nicht auf die Spitze treiben konnte. Mit der Miene eines Grandseigneurs erklärte er, das Ganze sei nur eine gleichgültige Bagatelle, morgen werde sich die Sache sicher aufklären. Entweder würde das Geld hier oder im Hotel gefunden werden. Im übrigen spielten die fünfzig Taler keine Rolle für ihn.

In etwas gedrückter Stimmung verabschiedeten wir uns. Im Entree flüsterte der Landrat mir zu, daß er mich gern am nächsten Tage sprechen würde.

Ich ging mit dem Doktor nach Hause. Wir bedauerten beide das Auftreten des Barons. Wäre er nicht so betrunken gewesen, hätte er mit anderen Worten gewußt, was er sagte und tat, so würde er eine ganz ernsthafte Zurechtweisung verdient haben. In Wirklichkeit hatte er die ganze Gesellschaft des Landrats des Diebstahls beschuldigt.

Ich redete mich immer mehr in Eifer. Schließlich versuchte mein braver Freund, der Kreisarzt, die Sache ins Lächerliche zu ziehen.

»Nun, und wenn dem so wäre,« sagte er, »wenn wirklich Sie oder ich die fünfzig Taler genommen hätten, würde es nicht eigentlich eine gute und moralische Handlung gewesen sein, diesem dummen Baron ein wenig von seinem erworbenen Mammon geraubt zu haben? Würden wir nicht ganz einfach als Werkzeuge einer gerechten Nemesis gehandelt haben? Würde uns nicht der beschwindelte Pastor im Namen des Herrn Absolution erteilt haben?«

»Den lieben Gott wollen wir nur Heber aus dem Spiel lassen,« erwiderte ich, »ich meinesteils halte den Diebstahl für das häßlichste und gemeinste Verbrechen. Ich kann es verstehen, daß jemand im Zorn einen Totschlag begeht; dahinter liegen oft edle, ja erhabene Gefühle. Ich kann auch Nachsicht mit einem Diebstahl haben, der aus Hunger oder Not begangen ist, aber ein Diebstahl, dessen Motiv nur die Lust am Gewinn ist, der ist gemein!«

Während ich dies sagte, freute ich mich über die Echtheit des Tones, in dem ich meiner Empörung Luft machte. Dabei dachte ich: Wenn sich nur der Fünfzigtalerschein nicht beim Gehen herausschiebt und aus dem Stiefel fällt.

Auf dem Marktplatz trennten wir uns. Kaum war ich allein, als ich mich herabbeugte, um zu untersuchen, ob das Geld wohlverwahrt da sei, und es dann in ein sicheres Gewahrsam zu bringen.

Fröhlich pfeifend ging ich nach Hause, indem ich überlegte, daß ich den gestohlenen Schein nicht ausgeben wollte, ehe ich mein Gehalt bekam. An jedem ersten des Quartals pflegte ich ein paar größere Scheine in der städtischen Bank zu wechseln.

Zu Hause angelangt, veranstaltete ich eine festliche Beleuchtung in meinem Wohnzimmer, holte eine halbe Flasche extrafeinen Madeira herein und zündete mir eine echte Zigarre an. »Jetzt raucht sicher der Baron eine der Zigarren, die ich ihn beim Landrat in die Tasche stecken sah.« War er denn im Grunde besser als ich?

Selten habe ich mich so wohl befunden. Vor mir auf dem Tische neben meinem Weinglas lag der gestohlene Fünfzigtalerschein. Ich hatte ein Gefühl ungeheurer Wohlhabenheit, die ich doppelt empfand, weil sie so plötzlich und ganz ohne Mühe gekommen war – wie eine Erbschaft oder ein Gewinn in der Lotterie.

Ehe ich zu Bette ging, versteckte ich den Schein zwischen einem Haufen Briefe, der auf dem Boden einer unverschlossenen Kiste in meiner Rumpelkammer stand. Hier würde man ihn zu allerletzt suchen, hier, wo er sozusagen auf der Landstraße lag. Ich steckte ihn in das einzige gelbe Kuvert in dem Bündel, um ihn selber leichter wiederfinden zu können.

Am nächsten Morgen war mein erster Gang zum Schneider, um den neuen Winterüberzieher zu bestellen. Er sollte mit Seide gefüttert werden. Es war ja gleichsam ein Geschenk, weshalb ihn da nicht so fein wie möglich nehmen?

Vom Schneider ging ich geradewegs zum Landrat, den ich in seinem Bureau traf. Er kam mir herzlich, aber mit einem bekümmerten Gesicht entgegen.

»Mein Heber Bürgermeister!« sagte er. »War das gestern abend nicht eine fatale Geschichte? Was raten Sie mir zu, tun? Es ist wohl leider keine andere Erklärung möglich, als daß einer der Diener, entweder mein alter Lars oder auch der Lohndiener, das Geld gestohlen hat. Unbegreiflich übrigens – ich kenne sie beide als grundehrliche Menschen. Aber einerlei – der Schein ist gegen sie. Die Sache ist nun die, daß ich um keinen Preis einen von den beiden in Ungelegenheit bringen möchte; sie sind beide Familienväter und beide mir und meinem Hause ergeben. Ich wünsche die Sache also totgeschwiegen, ohne Skandal geordnet zu sehen. Deswegen habe ich mir gedacht, ich wollte dem Baron schreiben, daß ich, nachdem die Gesellschaft fortgewesen sei, den Schein gefunden habe, den ich ihm einliegend sende. Würden Sie an meiner Stelle nicht dasselbe tun? Ist es nicht das einzig Korrekte? Kann jemand hier etwas Verdächtiges finden? Danach wollte ich Sie, lieber Freund, um Rat fragen.«

Nun muß man wissen, daß der verstorbene Kammerherr Lilje ein keineswegs wohlsituierter Mann war. Ohne wesentliches Privatvermögen, war er redlich bemüht, seiner bevorzugten Stellung gemäß zu leben, er machte ein großes Haus und galt allgemein als Zierde der Gegend, deren oberster Beamter er war.

Es tat mir leid, daß er dem reichen Baron, für den der Verlust von fünfzig Talern nicht das geringste bedeutete, diese Summe bezahlen sollte, die für ihn ein wenn auch nicht bedeutender, so doch fühlbarer Ausfall in seinem Budget sein würde.

Deswegen erwiderte ich: »Bester Kammerherr – Sie fassen, meiner Ansicht nach, diese Sache viel zu ernsthaft auf. Ich meinerseits bin durchaus nicht überzeugt, daß der Baron wirklich die fünfzig Taler bei Ihnen verloren hat. Darüber sind wir uns wohl einig, daß der Baron gestern abend nicht ganz klar im Kopfe war. Wer weiß, ob er überhaupt etwas verloren hat. Ich rate Ihnen, die Sache jedenfalls noch einen Tag ruhig mit anzusehen.«

Es gelang mir, den Kammerherrn einigermaßen zu beruhigen, worauf ich mich sogleich ins Hotel begab. Der Baron war, wie ich erwartet hatte, noch nicht aufgestanden; ich traf ihn noch im Bette an.

»Unter uns, Baron, wir sind ja beide Junggesellen,« sagte ich, »können Sie nun auch, wenn es tatsächlich zu einer Untersuchung käme, wirklich behaupten, daß Sie nicht nach dem Pferdehandel mit dem Pastor und vor dem Diner bei dem Kammerherrn an irgendeinem Orte gewesen sind, wo die fünfzig Taler möglicherweise verschwunden sein könnten? Ich bin nicht nur Junggeselle, sondern auch Bürgermeister. Und infolge dieses meines Amtes kenne ich sehr wohl das kleine Asyl in der Grapengießerstraße.«

Der Baron und ich kamen schnell zu einem Einverständnis. Er hielt daran fest, daß er nicht glaube, daß das Geld in der Grapengießerstraße verschwunden sei, um aber alle Weitläufigkeiten und kleinstädtische Klatschereien zu vermeiden, auch um den liebenswürdigen alten Landrat von Gewissensbissen und Unannehmlichkeiten zu befreien, schrieb der Baron einen Brief an den Kammerherrn, in dem er ihm mitteilte, daß er den verschwundenen Fünfzigtalerschein – im Hotel wiedergefunden habe, und daß er das Vorgefallene aufrichtig bedauere.

So endete alles gut und erfreulich. Der neue Winterüberzieher, den ich für die fünfzig Taler des Barons erwarb, war vorzüglich und leistete mir eine lange Reihe von Jahren hindurch ausgezeichnete Dienste. Als er nicht mehr als Promenadenschmuck präsentabel war, brauchte ich ihn als eine Art Schlafrock im Gerichtssaal, wenn es kalt war.

Er hat manch einem armen Gaudiebe zu einem verhältnismäßig milden Urteil verholfen.

In den Tagen seines Glanzes trug er, wenn auch in untergeordnetem Grade, dazu bei, daß ich eine gute, liebreizende Gattin gewann, mit der ich mehr als zwanzig Jahre in glücklichster Ehe lebte, bis sie an einer Lungenentzündung verschied.

Meine Frau brachte so viel Wohlstand mit, daß es mir seither nicht schwer geworden ist, die auftauchenden Gelüste zu bekämpfen, die mich verlocken wollten, die Erinnerungen meines auf Ehre einzigen Diebstahles zu erneuern.

Zweifelsohne wird man nach meinem Tode bezeugen, daß ich ein unantastbarer, makelloser Beamter gewesen bin.

Und das war ich auch – mit der einen hier berichteten Ausnahme.

Aber diese Ausnahme – muß sie nicht ihren Platz in meinem Nachrufe haben? Ist sie nicht interessanter, belehrender als all das Lobenswerte, das von mir gesagt werden kann? Denn den Fall gesetzt, daß ein gütiges Geschick mir keine bemittelte Gattin beschert hätte – – den Fall gesetzt –

Ich überlasse es meinen scharfsinnigen Lesern, die weiteren Schlußfolgerungen zu ziehen.

C. M. Holst, Bürgermeister.«


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