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Die Feuerprobe

In einer Gesellschaft kam die Unterhaltung auf einen jungen Maler und seine ein wenig leichtsinnige Frau. Es herrschte eine allgemeine Erbitterung gegen sie wegen der unverhohlenen Art und Weise, wie sie ihren braven, ahnungslosen Mann betrog. Namentlich die Damen in der Gesellschaft waren empört. Und eine von ihnen, die schöne Schauspielerin Frau B., die eine gewisse Berühmtheit dadurch erlangt hatte, daß sie ihrem Gatten im Laufe von drei Jahren vier lebendige Kinder geschenkt, forderte den Amateurschriftsteller und Mäcen Franz Hein, einen intimen Freund des Hahnreimalers auf, diesem die Augen über seine Frau zu öffnen.

Franz Hein erwiderte:

»Ich danke Ihnen für den schmeichelhaften Freundschaftsdienst, den Sie mir zugedacht haben. Ich kann ihn indessen nicht übernehmen. Und ich will Ihnen auch den Grund sagen: Mein Freund liebt seine ungetreue Frau.«

»Ja, aber gerade deswegen!« eiferte Frau B. »Gerade deswegen. Es ist ja schändlich, daß er die besten Gefühle seines Herzens an die Person verschwenden soll. Das können Sie als Freund nicht ruhig mit ansehen.«

»Ach, das kann ich ganz gut mit ansehen!« Hein lächelte. »Ich würde ihm nur Kummer bereiten, wenn ich ihm die Wahrheit erzählen wollte. Ich würde außerdem seine Freundschaft verscherzen. Denn, wie ich vorhin bereits sagte, er liebt seine Frau. Das aber heißt, daß er jeden, der schlecht von ihr redet, für einen gemeinen Verleumder halten wird. Die Frauen, meine liebe gnädige Frau, sind nämlich so unglaublich durchtrieben. Sie lügen noch besser als wir Männer. Und der Kampf zwischen einem Mann und einer Frau ist zu hoffnungslos ungleich. Das habe ich einmal erfahren. Die Geschichte ist ebenso moralisch wie sie pikant ist. Wollen Sie sie hören? Setzen Sie sich dort in die dunkle Ecke, Frau B., da können Sie in Ruh' und Frieden erröten, während ich erzähle.

Also:

Ich wohnte einen Sommer auf dem Lande zusammen mit einem Freund und seiner Geliebten, einer Frau Y., deren Mann sich nur des Sonntags nach ihr umsah, da seine Geschäfte ihn bis in den späten Abend hinein in der Stadt zurückhielten und er ein ziemlich stumpfsinniger, gleichgültiger Herr war. Einer von den Ehemännern, denen nur nach Verdienst geschieht, wenn sie betrogen werden.

Wir wohnten in einem der sogenannten Sommerpensionate, einer alten, feinen, herrschaftlichen Villa mit großem Park und Garten, die jetzt von einer unternehmenden Wirtin an eine zusammengewürfelte Gesellschaft von Herren und Damen zur Benutzung ausgehökert wurde.

Es ging lebhaft her in Frau Samsons Pensionat. Die Luft war, um modern-poetisch zu reden, mit Erotik geschwängert.

Mein Freund und seine Dame gaben den Ton an. Sie benahmen sich mit einer so liebenswürdigen Ungeniertheit, daß niemand darüber im Zweifel sein konnte, weswegen sie eine halbe Tagesreise von der Hauptstadt und dem Herrn Gemahl entfernt in die Sommerfrische gegangen waren.

Das Zimmer der Frau Y. lag im ersten Stockwerk. Mein Freund wohnte in dem zu gemütlichen Fremdenzimmern umgestalteten Pferdestall. Eine halbe Stunde, nachdem sich Frau Y. des Abends zurückgezogen hatte, knarrte die Treppe, die ins erste Stockwerk führte, und dann freute sich das ganze Pensionat darüber, daß Frau Y. jetzt nicht mehr in einsamer Angst vor Dieben und Räubern dazuliegen brauchte.

Es war eine Idylle, – in die nur die Sonntage und Herr Y. eine kurze Unterbrechung brachten.

Mein Freund war wirklich sehr verliebt in Frau Y.s blasse und magere Katzenfeurigkeit. Sie gehörte zu den Frauen, die keine Schwierigkeiten machen. Still und sanft und unersättlich schlabberte sie mit trägem Wohlbehagen seine stets bereite Galanterie auf. War er zufällig einmal nicht zugegen, so schmiegte sie sich gleich an einen andern an. Es war ihr ein natürliches Bedürfnis, eine notwendige Voraussetzung für ihr Wohlbefinden, sich stets von warmer männlicher Bewunderung umgeben zu fühlen.

Ich, der ich auch nicht von gestern bin, war durchaus nicht blind für ihre erotische Beschaffenheit, die im übrigen – verzeihen Sie, meine tugendhaften Zuhörerinnen – nicht ihr allein eigen ist. Einigermaßen gleichgültig, aber doch mit einer gewissen sportlichen Neugier bemerkte ich, wie sie mich, wenn wir uns auf der Treppe oder auf dem Flur begegneten, oder einen Augenblick allein in den Zimmern oder im Garten waren, mit langgestreckten Schmachtblicken begnadigte. Völlig professionell und um nicht unerzogen zu erscheinen, blinzelte ich ihr wieder zu, und eines Tages, auf der Treppe, faßte ich sie um die Taille, klopfte sie freundlich auf den Rücken und sagte ein paar liebenswürdige Unartigkeiten.

Übrigens barg meine Seele auch nicht den Schatten eines Gedankens, meinen Freund zu betrügen und Herrn Y. zum Hahnrei in doppelter Potenz zu machen.

Dies möchte ich gern feststellen, ehe ich nun zu der eigentlichen Geschichte komme.

Eines Abends war im Pensionat ein Fest gefeiert worden. Alle die anderen waren zu Bett gegangen. Nur mein Freund und ich saßen noch auf der Veranda und tranken. Namentlich er.

Es war ein wunderschöner Sommerabend. Mit Lichtschimmer an dem blauen Sundhorizont und Mondesflimmer über Garten und Strand. Mit Nachtigallgesang und allem, was sonst noch dazu gehört.

Mein Freund wurde poetisch und sagte: »Dies ist Florenz, Venedig oder irgendeine andere italienische alte Stadt. Wir leben in den Tagen der Renaissance, und du und ich sind vornehme Edelleute. Hier im Palast wohnt die edle Frau Rosalinde, meine Geliebte. Sie hat mir für heute abend ein Stelldichein gegeben, du hast mich zu der Zusammenkunft begleitet, und da noch eine halbe Stunde an der vorgeschriebenen Zeit fehlt, verlustieren wir uns indessen bei einem Becher Wein im Wirtshausgarten des dicken Maceo.«

Um ihn zu ermuntern, sagte ich:

»Auf Rosalindens Wohl! Prost, du alter Renaissance-Bursche!«

»Scherz beiseite!« erwiderte er, »es gibt im ganzen Lande keine so tadellose Geliebte. Ohne alle Firlefanzerei, immer guter Laune. Und bewandert in der Kunst Amors wie keine zweite, die ich gekannt habe. Dazu treu wie Gold!«

Unwillkürlich räusperte ich mich. »Hm, hm!«

»Ach, ich weiß, was du meinst,« fuhr mein Freund fort. ›Du denkst an ihren Mann. Aber siehst du, den liebt sie ja nicht. Dahingegen zweifelst du wohl nicht an ihrer Verliebtheit in mich?«

»Ganz und gar nicht! Ihr beide macht es deutlich genug!«

»Glaubst du denn, daß sie mir nicht treu ist?«

»Ich habe keinen Grund, so etwas zu glauben.«

Mein Freund leerte ein großes Glas Rheinwein, seine Wangen glühten, und seine Stimme zitterte leicht, während er sagte:

»Ich verstehe dich. Ich weiß sehr wohl, daß sie ein wenig mit dir kokettiert hat. Sie hat es mir selber erzählt. Sie hat mir obendrein gestanden, daß sie, wenn sie mich nicht hätte, sich zweifelsohne in dich verlieben würde. Und nun will ich dir etwas sagen, was dich doch wohl in Erstaunen versetzen wird: Ich selber habe sie ermuntert, Gefallen an dir zu finden. Ja, ich habe ihr geradezu gesagt, du seiest der einzige, dem ich das Vergnügen gönnen würde, ihre Gunst zu genießen. Du lächelst. Aber, bei Gott, es ist mein vollkommener Ernst. Ich würde sie dir gern für eine Nacht abtreten, wenn sie selber es wollte. – Noch gestern abend fragte ich sie: Soll ich ihn holen? Sie aber errötete und fing an zu weinen.«

»Und wenn sie Ja gesagt hätte, dann hättest du geweint!«

»Auf mein Ehrenwort: Nein! Erstens bist du mein bester Freund, dem ich gern Anteil an allem gebe, was ich an Begehrenswertem besitze. Zweitens, – nun ja, das ist vielleicht abnorm, aber es würde ihr in meinen Augen keinen geringeren Reiz verleihen, wenn ich wüßte, daß du, der du dich auf die Weiber verstehst, sie besessen und Gefallen an ihr gefunden hättest.«

»Aber sie hat geweint? Sie war empört über deinen Vorschlag?«

»Ich kann es deinem Ton anhören, daß du an ihrer Aufrichtigkeit zweifelst.«

»Ich meine nur, daß eine Frau es stets für klug halten wird, einen solchen Vorschlag ihres Liebhabers mit Entrüstung von sich zu weisen.«

Mein Freund saß einige Augenblicke da und starrte vor sich hin, dann sagte er plötzlich:

»Willst du mir einen Gefallen tun?«

»Natürlich!«

»Willst du heute abend meine Geliebte besuchen?«

»Eine sonderbare Zeit, Besuche zu machen!«

»Willst du heute abend versuchen, ihr Liebhaber zu werden?«

»Nein!«

»Warum nicht?«

»Weil ich mehr Wert darauf lege, dein Freund zu sein, als ihr Geliebter.«

Er lachte. Dann beugte er sich einschmeichelnd zu mir herüber, erfaßte meine Hand und sagte:

»Ich bitte dich, mir den Gefallen zu tun. Und wie auch der Ausfall sein mag, mußt du versichert sein, daß er unsere Freundschaft nicht erschüttern kann. Weiß Gott, es ist ein Freundschaftsdienst, um den ich dich bitte. Ich verlange nur eins: daß du mir die volle Wahrheit sagst. Du darfst mir nichts vorlügen, wenn sie wirklich die Deine wird.«

Wie ich bereits erwähnt habe: wir hatten beide tüchtig getrunken, namentlich er, doch war auch ich nicht ganz unbeeinflußt.

Außerdem hatten wir ja Mondschein. Und sie hatte an diesem Abend so gottlos ausgesehen und mir zum Abschied einen jener Blicke zugeworfen, die zur Vergewaltigung auffordern.

Es lag, wie mein Freund sich ausdrückte, Renaissance in der Luft, – es war ein ruchlos heidnischer Abend mit gaukelnden Verlockungen zu galanten Abenteuern.

Nur um nicht erpicht zu erscheinen, redete ich meinem Freunde ermahnende Worte zu. Meine spießbürgerlichen Betrachtungen stachelten ihn nur zu größerem Eifer an.

Schließlich gab ich seinen Bitten nach Bei einem letzten Glase Wein besiegelten wir den Kontrakt. Ich sollte ihm ganz genau mitteilen, was sich zwischen mir und seiner Geliebten zutragen würde. Er verpflichtete sich, ihr nie mit einem Wort zu verraten, was ich ihm erzählte.

»So komm denn,« sagte er. »Ich zeige dir den Weg.«

Er nahm den dreiarmigen Leuchter, der auf dem Verandentisch stand, und, in seinen dunklen Mantel gehüllt, schwankte er durch das Gartenzimmer auf den Flur hinaus.

Er war blaß vom Trinken, seine Augen blitzten, aber er lachte, so daß der Leuchter klirrend in seiner Hand zitterte.

»Zum Teufel auch!« sagte ich, »sei doch ruhig, sonst verdirbst du uns den Spaß.«

»Ja, nicht wahr, dies ist doch der beste Spaß, der dir je vorgekommen ist?«

Auf dem Flur flackerte das Licht. Wie eine gewaltige Fledermaus hob sich sein Schatten von der Wand ab.

»Mein lieber Freund,« fuhr er fort, »laß uns jetzt nicht zaudern, sondern munter zu Werke schreiten. Du gehst die Treppe hinauf, kommst auf den Gang: am Ende desselben befindet sich eine Tür, – die führt zu ihrem Zimmer. Die Tür ist offen, denn sie erwartet mich. Glück auf!«

Plötzlich empfand ich einen widerlichen Geschmack im Munde. Ich fand, daß das, was ich zu tun im Begriff stand, sowohl dumm als auch häßlich war. Schon hatte ich es auf der Zunge, meinem Freunde dies zu sagen. Aber im selben Augenblick bemerkte ich ein übermütiges, boshaftes Lächeln in seinem Gesicht, und ich dachte bei mir: Nun gut, wie du willst, versuchen wir also, wer von uns beiden der Stärkere ist; wer zuletzt lacht, lacht am besten.

»Auf Wiedersehen!« flüsterte ich. Und ich schlich hinauf. Die Treppe knarrte unter mir, von der untersten Stufe her hörte ich das Kichern meines Freundes.

– – – Und dann stand ich an der Tür, und dann öffnete ich sie.


Eine halbe Stunde später fand ich meinen Freund auf der Veranda wieder. Er war noch bleicher, noch berauschter als vorher.

»Nun, wieder da?« sagte er und schwang lustig sein Glas. »Wie ging es denn?«

»Entsinnst du dich unserer Verabredung?«

»Freilich!«

»Und du verlangst, daß sie innegehalten wird?«

»Natürlich. Also: wie ging es?«

»Wie es gehen mußte. – Sie ist ja so gutmütig und wollte keinen Skandal machen.«

»Und sie hat nicht Unrat gespürt?«

»Sie fragte, wo du seiest. Sie glaubte dich auf der Treppe lachen gehört zu haben. Ich schwur, daß sie sich geirrt habe. Du seiest, sagte ich, so bezecht, daß ich dich hätte zu Bett bringen müssen. Dann fand sie sich scheinbar ruhig in ihr Schicksal. Außerdem – –«

»Außerdem –?«

»Du hattest mich ja selber so warm empfohlen.«

Er sank so sonderbar zusammen, doch nur für einige wenige hastige Sekunden. Dann sagte er:

»Ich gehe von der Annahme aus, daß du mich nicht zum besten hast?«

»Du wolltest ja die Wahrheit hören. Und du hattest versprochen, daß du nicht traurig sein würdest, selbst wenn ich recht haben sollte.«

»Ich bin auch nicht traurig. Im Gegenteil. Und du, – bist du zufrieden? Ich meine: findest du, daß sie das Lob verdiente, das ich ihr spendete?«

»Du kannst stolz auf sie sein.«

»Wollen wir beide dann ein Glas auf meine Rosalinde trinken?«

»Sie lebe hoch!«

Und wir tranken noch eine Weile auf ihr Wohl; ich erzählte ausführlich von dem Verlauf der Expedition, und die Sonne ging auf, ehe mein Freund und ich uns zur Ruhe begaben. Aber wir waren beide nicht recht in Stimmung, und wir blieben hauptsächlich sitzen, weil wir uns nicht entschließen konnten, einander Gute Nacht zu sagen.

– – – Nicht ohne eine gewisse Spannung begab ich mich am nächsten Morgen an den Frühstückstisch hinab.

Der Platz meines Freundes – neben dem meinen – stand leer. Ebenso der seiner Geliebten.

Sollte er so falsch gewesen sein, mich zu verraten, und sie, ganz gegen unsere Verabredung, auf Grund meines Berichts zur Rechenschaft gezogen haben? Ja, natürlich. Und ich ärgerte mich über meine Dummheit, ihm die Wahrheit gesagt zu haben. Ich hätte wissen müssen, daß sich diese wie ein Dolch in seine Seele bohren und ihm weder Ruhe noch Rast lassen würde, ehe er sie und sein verwundetes Herz mit der Geliebten konfrontiert hatte.

Gegen Ende der Mahlzeit trat die junge Frau ein, in einem stilvoll weißen Gewande der Unschuld, mit einem leidenden Kopfschmerzausdruck und einer Unnahbarkeitshaltung.

Ich versuchte ein scherzendes »Guten Morgen!« Sie grüßte mit einer gekränkten Herzoginnenmiene, einer so imponierenden Mischung von Vornehmheit und Verachtung, wie sie sonst nur über Theaterschurken zu ergehen pflegt. Eine wohlgelungene Kopie, liebe Frau B., von Ihrer berühmten Marquise in »Falsche Diamanten«.

Einen Augenblick später stellte sich mein Freund ein. Er behandelte mich auf eine überlegene und spöttische Weise. Ihr gegenüber war er ausgesucht galant und voll der zärtlichsten Rücksichten.

Da ich an dem Samsonschen Frühstückstisch nichts mehr zu tun hatte, und da die stark zugespitzte dramatische Situation deutlich meine Sortie erforderte, zog ich mich mit einer weltmännischen Verbeugung zurück.

Nach einer Weile stand mein Freund in meinem Zimmer, wo ich ganz vertieft in Shag-Rauchen und Pflege meiner Fingernägel saß.

»Setze dich!« sagte ich, »und zünde dir eine Zigarre an.«

»Das hätte ich nicht von dir erwartet,« lautete seine Erwiderung. Er stand vor mir und sah sehr feierlich aus.

»Ziehst du vielleicht eine Pfeife vor?« fragte ich.

»Du hast dich sehr mäßig benommen« – sein Gesicht war dunkelrot, und seine Stimme zitterte.

»Nun, nun, mein Junge, vergaloppiere dich nur nicht. Solltest du nicht am Ende derjenige sein, der nicht so ganz loyal gehandelt hat?«

»Du meinst, ich hätte ihr etwas erzählt?«

»Es sieht ganz so aus!«

»Du irrst. Hätte ich sie zur Rechenschaft gezogen, und hätte sie dann die Wahrheit deines Berichts bestritten, – ich würde ihr nicht geglaubt haben. Nein, die Sache hat sich ganz anders zugetragen. Als ich sie heute morgen traf, war sie ganz außer sich. Sie weinte und jammerte. Ich fragte, was ihr fehle – – sie wollte nicht mit der Sprache heraus. Endlich gestand sie, was passiert war: daß du gestern abend bei ihr eingedrungen seiest und versucht habest, sie zu vergewaltigen, und daß sie über eine Viertelstunde mit dir habe ringen müssen, ehe sie sich frei gemacht hätte.«

Er hielt inne. Er erwartete offenbar, daß ich etwas sagen sollte. Ich saß nur da und sah ihn lächelnd an und bewunderte im stillen die unübertreffliche Schlauheit der Dame. Wie brillant, daß sie, alles parierend, selber gestanden, ohne Aufforderung gestanden, gerade so viel Wahres gestanden hatte, wie erforderlich war, um alle ihre übrigen Lügen zu decken. Ganz brillant!

»Aber so sprich doch, Mensch! Zum Teufel auch, worüber lachst du?«

»Lache ich?« sagte ich. »Verzeih, ich war mir dessen gar nicht bewußt. Nein, Du – ich finde nur, daß du recht hast. Ich habe mich sehr mäßig benommen. Ich habe dir gegenüber prahlen wollen. Glücklicherweise bin ich jetzt entlarvt. Deine Geliebte ist rein wie der Schnee, standhaft wie der Felsblock. Wünschest du, daß ich ihr Abbitte leiste? Ich bin bereit. Ich versichere dir, es ist mir geradezu ein Bedürfnis, ihr Genugtuung zu geben.«

Er sah mich unschlüssig an.

»Es liegt ein Doppelsinn in deinen Worten,« sagte er endlich. »Ich merke sehr wohl, daß du mich verwirren willst. Ich hätte es früher auch nicht für möglich gehalten, daß du dich einer gemeinen Lüge schuldig machen könntest. Aber du mußt mir doch wohl zugeben, daß hier alles gegen dich spricht. Weshalb, – weshalb hätte sie wohl sonst heute morgen so verzweifelt sein sollen? Verhielte es sich, wie du sagtest, so würde sie ja versucht haben, mir die Sache geheim zu halten. Es wird mir wahrhaftig nicht leicht, Schlechtes von dir zu glauben. Kann ich aber anders?«

»Mein Freund, laß uns diese peinliche Auseinandersetzung beenden. Wem du glauben mußt, – ihr oder mir – darüber kann ja kein Zweifel obwalten. Namentlich da ich nicht zögere, mich als Lügner zu erklären. Wenn ich trotzdem finde, daß du etwas Grund haben könntest, mir Nachsicht zu erweisen, so geschieht das, weil du ja eine so große Freude gehabt hast. Deine Geliebte hat mit Glanz die Probe der Treue bestanden, auf die du selber sie gestellt hast. Und ich liege geschlagen da als ein in meinen eigenen Lügen gefangener Prahlhans.«

– – Mein Freund ging. Nicht so ganz sicher, wie er sich gerne den Schein geben wollte. Doch eine erneute Unterredung mit ihr bestärkte ihn. Das Verhältnis zwischen den beiden Liebenden wurde in diesen Tagen zärtlicher denn je.

Ich aber war überflüssig. Ich genierte offenbar. Um den anderen Pensionatsgästen gegenüber den Schein zu bewahren, brach er nicht offen mit mir. Sie dahingegen mied mich sorgfältig. Nur bei den Mahlzeiten wechselten wir die notwendigsten Höflichkeitsformeln.

Ich zog es vor, mich zurückzuziehen. Am dritten Tage nach »der Auseinandersetzung« sagte ich plötzlich Lebewohl. Ich konnte es ihnen beiden ansehen, wie erleichtert sie sich fühlten. Als ich aber vom Hof hinunterfuhr, stand sie an ihrem Fenster, halb von einer Gardine verborgen, und als mein Blick dem ihren begegnete, warf sie mir lächelnd eine Kußhand zu.


Meine Geschichte ist im Grund zu Ende. Denn eigentlich gehört es ja nicht mehr dazu, daß mein Freund, nachdem wir uns ein paar Jahre fern einander gehalten hatten, eines Tages zu mir kam und mir Abbitte leistete. Seine Geliebte hatte mit ihm gebrochen und bei der liebenswürdigen Offenherzigkeit des Bruches, – damit er nicht darüber in Zweifel sein sollte, wie vorzüglich sie es stets verstanden hatte, ihn zum Narren zu halten, – hatte sie ihm anvertraut, daß sie viel Pläsier von meinem nächtlichen Besuch gehabt habe. Zur Strafe dafür, und um ihren Übermut zu dämpfen, klärte er sie darüber auf, daß sie ihm für besagtes Vergnügen zu danken habe.

Wie gesagt, dies gehört eigentlich nicht mit zu der Geschichte, für deren scheinbaren Leichtsinn ihre noch deutlichere Moral – wenigstens hoffe ich das – als hinreichender Vorwand dienen muß.

Denn nun, liebe Frau B., verstehen Sie wohl selber, weswegen ich es für hoffnungslos halte, einem Freund die Treulosigkeit seiner Geliebten enthüllen zu wollen.

Nicht wahr?


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