Johann Carl August Musäus
Moralische Kinderklapper
Johann Carl August Musäus

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Keim des Lasters.

Da führen sie ihn hin den armen Wicht an den lichten Galgen; wie dauerts mich, daß ein so junges Blut so schmählich sterben muß. – O sehn Sie nur den Isegrimm, unsern Aktuarius, wie er sich viel weiß, und stolzirt, daß er heut wieder einen Delinquenten zum Tode führt. Verwünscht sey das Gelächter der Schöppen und der Richter. –

Mutter. Ja Klärchen, du gäbst freylich jedem Schelme Pardon.

Klärchen. Ich wollte gleich, könnt ich den armen Sünder retten, dem Herzog einen Fußfall thun, und stünds bey mir, legt ich dafür die strengen Richter all' an Ketten.

Mutter. Darüber würden sich die Diebe herzlich freun, sie brächen wohl gar zum Danke bey uns ein, und würgten mich und dich.

Klärchen. Ach wenn kein Richter wäre, so würden auch wohl keine Diebe seyn.

Mutter. So redt der Unverstand, weißt du, was dieser Bube verschuldet hat?

Klärchen. Nein. – Es muß ja freylich etwas seyn, umsonst wird doch kein Mensch gehangen. Nur geht mirs nah, daß ich ihn peinlich leiden sah, sein todtenbleiches Angesicht, vergeß ich in acht Tagen nicht. Er schien vor Angst ganz stumm und taub, und zitterte wie Espenlaub. Ach bey dem Sterbelied, das sie ihm sangen, benetzten Thränen meine Wangen.

Mutter. Ich tadle diese Zähren nicht; das Mitleid ist das menschlichste Gefühl. Dein weiches Herz empfindet jedes Leiden, du kannst kein Hühnchen schlachten sehn. Als dir die Katze neulich deinen Zeisig haschte, da weintest du dir, armes Kind! vor Schmerz bald beyde Augen blind, jetzt aber trockne deine Thränen, ein Bösewicht, der sein Verbrechen büßet, verdient des Mitleids sanfte Zähre nicht. Da Nachbars Daniel das gute Sußchen aus heller Bosheit jüngst vom Schrittstein in den Bach herunterstoßen wollte, und ihn der Vater mit der Ruthe strafte, warst du dem Manne böß, und dauerte der ungezogne Junge dich?

Klärchen. O nein. ich gönnte ihm seine Strafe, er hatte sie verdient, ob mirs gleich leid war, daß er litte.

Mutter. Gar recht, mein Kind, was dort der Vater that, thun hier die Richter mit lasterhaften Leuten und dem Diebsgesindel: drum muß man sie in ihren Würden lassen, nicht unverdienterweise hassen.

Klärchen. Sie lassen aber, wie man spricht, doch nur die kleinen Diebe hängen, warum thun sie's den großen nicht? Die läßt man laufen, ohne sie zu fangen. Ist das auch rechtes Maaß und gleich Gewicht?

Mutter. Kind! auf die Frage hab ich keine Antwort. Nicht doch; glaube daß der Dieterle verdienten Lohn empfieng; ich will dir seinen Lebenslauf, so viel ich davon weiß, erzählen.

Klärchen. Das thun Sie ja, ich bitte drum, Mama, so hör ich auf, mich länger noch um ihn zu quälen.

Mutter. Der Dieterle war schon von Jugend auf ein böses Kind, hartherzig, grausam, wild, nicht so gutmüthig, sanft und mild, wie wohlgezogne Kinder sind, der Boßheit Keim entfaltete sich früh bey ihm. Ein Thier zu martern, war ihm grosse Wonne. Wie manchen Frosch hat er auf Irokesen-Art skalpirt, lebendig abgebälgt, mit Salz bestreut, und über die Verzuckungen der leidenden Thiere sich gefreut. Wie manche Katze warf er in die Ofengluth, ließ sie darin elendiglich verbrennen, und tadelte ihn jemand drum, sprach er mit Lachen: ey was schad'ts? Wer weiß, obs keine Hexe war. Bedenke Kind die Grausamkeit, so einem kleinen Vogel, wie dein geliebter Zeisig war, rupft der heillose Bube all die Federn aus, und setzt ihn mutternackt zur Winterszeit in Schnee. Er wuchs heran, und nun begann er manchen bösen Streich an groß und an klein zu üben. Er stellte seinen Schulgespielen den Knaben unvermerkt ein Bein, daß sie darüber fielen, warf oft zur Nacht die Fenster ein, und hatte noch die Gabe behend zu stehlen wie ein Rabe. Zwar anfangs nahm er als ein kleiner Dieb mit einem Brod, mit einer Semmel, mit Pflaumen oder anderm Obst vorlieb; drauf stahl er eine Gans und endlich einen Hammel; zuletzt, es ist noch nicht ein Jahr, begab der Lotterbube gar, sich unter die Zigeunerbande, verübte Mord und Straßenraub im Lande, auch andre Schand- und Lasterthaten, und wurde ein rechter Teufelsbraten. Wie hat er nicht den armen Pfister so jämmerlich gequält, noch neulich hats Papa erzählt, das Tigerherz goß dem halbtodten Manne, daß er ihm mehrte Todesquaal und Schmerz, in seine Wunden eiskalt WasserUnter der unlängst in Sulz im Würtembergischen eingezogenen Räuberbande, befand sich ein junger Bursch von 13 Jahren, Christoph genannt, zigeunerisch Dieterle, der auf den reitenden Grenadier Pfister, der unter diese Mörder gefallen war, als er schon mit dem Tode kämpfte, nicht nur mit einem Knittel schlug, sondern ihm noch zur Vermehrung seiner Schmerzen einen Huth voll kalt Wasser in die Wunde schüttete. . Willst du ihm dafür wohl dein Mitleid schenken?

Klärchen. Ich werde stets mit Schaudern an ihn denken, und nehmen aus der Geschichte das zur Lehr und Unterricht; auf einmal wird ein Mensch kein Bösewicht, so wie ein Pilz in einer Nacht, eh ihm die Morgensonne lacht, sich mit dem giftgen Schirme bläht, nur nach und nach reift Bosheit, Trug und Tücke, drum wenn des Lasters Keim im ersten Milchsaft steht, ists Zeit, daß ihn die Wachsamkeit zerknicke.


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