Johann Carl August Musäus
Moralische Kinderklapper
Johann Carl August Musäus

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Die gute Pathe.

Frau Fabian in Paderborn, weiland Herrn Fabians nachgelassene Wittwe, war so reich wie unsre liebe Frau zu Loretto, und auch eben so erblos. Ihr einziger Sohn bedurfte keiner irdischen Erbschaft mehr, er war bereits in der Ewigkeit. Weil sie sich nun nicht so streng bevormunden ließ, und doch eben so mild und gutthätig war, als die welsche Himmelsköniginn, übte sie verhältnißweise mehr Werke der Wohlthätigkeit aus, als jene, ob sie gleich nicht mit dem Talent Wunder zu thun begabt war.

Bejahrte Damen und Unmündige, die wohl bey Mitteln sind, ködern leicht die Haabsucht an, sie bey lebendigem Leibe zu beerbenDie ehrwürdige Kapitalistin zu Loretto soll, wie die Rede gehet, jetzt sehr ihr Augenmerk darauf richten, welche Wendung der Proceß der päpstlichen Kammer gegen die Pupille Lepri, in Ansehung des bekannten Fideikommisses, nehmen werde. Sie ahndet vermutlich ähnliche Ansprüche auf ihre liegende und fahrende Haabe vom römischen Finanzdepartement. : denn zu erben, wer sich darauf versteht, kostet nicht halb so viel Müh, als zu erwerben. Auf die reiche Wittwe in Paderborn wurde in dieser Absicht manche feine Spekulation gemacht, davon zuweilen eine gelang, manche auch mißrieth. Richter und Sachwalter streckten die gierigen Krallen nach ihrem Haab und Gut vergebens aus: sie lebte friedsam und rechtete mit niemand. Die Aerzte konnten ihr auf keiner ihrer gewöhnlichen Heerstraßen beykommen, weder oberwärts noch unterwärts: sie lebte frugal und ihre eherne Gesundheit trotzte allen Arzeneyen. Die Klerisey zog von ihr wenig Renten: sie lebte fromm, und hatte auf dem Kerbholz des Gewissens mehr an guten Werken, als Paßwa an Sündenschuld. Aber Arme und Nothleidende, Preßhafte und Gedrückte setzten ihr Mitleid fleißig in Kontribution. Menschenelend fand immer einen gebahnten Weg zu ihrem guten Herzen. Doch hatte sich die insolente Bevölkerungszunft, die für ihr Häschen gern ein Gräschen auf fremden Grund und Boden pflückt, auch einen Schleifweg dazu gebahnt, und sprang kecklich über den Zaun ihrer Gutmüthigkeit. Sie wurde von guten Freunden, getreuen Nachbarn und desgleichen oft zu Gevater gebeten, und weil die Rede ging, daß sie ihre Pathen, Kopf für Kopf, mit einem Legat von hundert Thalern im Testament dereinst bedenken würde: so war sie an keinem Orte gewisser, als in der Kirche vor dem Taufstein anzutreffen. Die geistlichen Verwandschaften mehrten sich dadurch so sehr, daß, wenn sie geneigt gewesen wär, ihren Wittwenstuhl zu verrücken, in ganz Paderborn schwerlich ein Ehegespan anzufinden gewesen wäre, den sie ohne Dispensation hätte heyrathen dürfen.

Am Kindeltage nach Weihnachten wars in ihrem Hause wie Jahrmarkt. Alle Kinder, die sie aus der Taufe gehoben hatte, so lange sie noch in den Jahren der Unschuld waren, kamen schön aufgeputzt, Frau Pathen mit einem übergoldeten Rosmarinstengel zu kindeln, wofür sie eine Spende von Naschwerk und einen silbernen Denkpfennig erhielten, auch eine Zeitlang mit kleinen Spielen sich in ihrem Hause belustigen durften. Einsmals war sie besonders wohl bey Laune, die Kinder hatten sich aber schon müde gespielt; da schloß sie, das Vergnügen wieder zu beleben, ihren Putzschrank auf,

Ach! wie das schimmerte!
Ach! wie das flimmerte!
Lauter schöne Dinge!
Dosen und Ringe,
Moderne Fächer,
Antike Becher,
Perlen und Seide,
Gold und Geschmeide,
Prätensionen,
Spitzen, Galonen:
Auch Tand und Possen,
Kleine Karossen,
Nürnberger Döckchen,
Mit Zindelröckchen,
Wachsbär' und Katzen,
Mit Krall' und Tatzen;
Nebst Papageien
Und mehr Tändeleyen.

Die ganze Kinder-Assamblee drängte sich herzu, gaffte und staunte Frau Pathens Reichthum an, sog aus diesem Anblick Wonne und Entzücken ein, und die Vorlauten unter dem Haufen riefen eins ums andere:

Gute Pathe, mir das Döckchen,
Und das Möpschen für Rebekchen! –
Mir den schwarzen Zeiselbär! –
Mir das Lämmchen! – Mir das Kätzchen! –
Ach! das Kütschchen, für ein Schmätzchen
Reich mir nur zum Ansehn her.

Frau Pathe verwies den dreisten Forderern die kindische Unart, die nach allem greift, alles haben und betasten will, was dem Auge gefällt.

Wenn ihr mit Ungestüm fordert, sprach sie, so schließ ich gleich den Schrank wieder zu. Laßt sehn, wer einer Spende daraus werth sey. Das Kind, das unter euch der besten That von heute sich rühmen kann, will ich hier auf den Stuhl heben, da soll es sich, von all den schönen Sachen, die ihr vor euch sehet, drey Geschenke nach Gefallen wählen und mit nach Hause nehmen.

Auf einmal war alles so still um sie her, wie wenn das stille Vater-unser in der Kirche gebetet wird. Endlich fieng der kleine Oswald an:

Frau Pathe! ich weiß was.

Sag an, lieber Junge, sprach sie, und rede frey!

Ich habe meinen Sperling fliegen lassen, ohne ihn zu martern. Ich wollte ihm eben den papiernen Kragen umthun, und die Krone mit Siegelwachs aufkleben, da fiel mir ein heisser Tropfen auf den Finger. Ach! dacht ich, wie würde das den armen Spatz quälen, wenn ich ihm sein Köpfchen verpetschirte, da jammerte mich das Thierchen, drum ließ ichs fliegen.

Ich weiß auch was, Frau Pathe, rief das kleine Nonnengesicht Therese.

Nu so sag's.

Ich habe meinen Rosenkranz heute früh rein durchgebetet, ohne ein Korn zu überhüpfen.

O ich kann wohl mehr! fiel Blandchen ein, ich weiß den langen Psalm lateinisch aufzusagen, so gut als die beste Klosterschwester.

Liebes Kind, entgegnete Frau Fabian, wenn du sonst nichts weißt, das ist nicht viel.

Kannst du vor den Schöpfer treten
Und mit Andacht zu ihm beten?
Kannst du nähen, kannst du sticken,
Spinnen, zwirnen, haspeln, stricken,
Plätten, mangeln, dräseln, waschen,
Kuchen sehn, nichts davon naschen,
Einfach, sauber, rein dich kleiden,
Schöne Kleider nicht beneiden,
Und lernst stetig in der Schule:
Dann stehst du auf diesem Stuhle.

Davon kann ich viel, rief zuversichtlich Salome: ich nähe, wasche, plätte, koche und backe, von früh bis in die Nacht; doch nur für meine große Puppe.

Darauf trat Bärbchen auf: Mabonne lobt mich immer meinen Schwestern vor, das Kind, spricht sie, betengeltEin Provinzialwort, das so viel heißen soll als den untern Saum der Kleidung besudeln. nie sein Kleid, wenn ihr geputzten Dirnen in vollem Staat durch Koth und Pfützen schwänzelt. Das macht, ich hebe fein mein Schleppchen auf, und suche auf der Gasse jedes Steinchen.

Mich lobt Mama, fuhr Seyfrieds Hedwig fort, als ein dultsames Kind, ich muchseAuch ein Provinzialwort, so viel, als einen Laut von sich geben. nicht, wenn Tante Lore keift und schilt und in dem Hause wie ein Poltergeist rasaunt.

Das darf sie mir nicht thun, versetzte Bruder Leopold, heute zankte sie beym Frühstück schon, ich nahm mein Butterbrod und gab Reißaus, lief auf den Markt, da stand ein armer bleicher Knabe, den hungerte gar sehr, er bat um einen Bissen, ach. das erbarmte mich; ich gabs ihm ganz, und freute mich, daß ers so friedlich ohne Hader aß.

Nun schiens, als wenn kein Kompetent sich weiter zu einer Steuer aus dem Putzschranke melden würde. Die milde Kinderfreundin sah umher, ob noch ein kleiner Sprecher reden wollte, da merkte sie ein liebes, sanftes Mädchen aus, dem Worte auf den Lippen schwebten, die laut zu sagen sie sich scheute. Es war Sophie, der unschuldsvolle Engel. Frau Pathe machte sie durch einen Wink beredt. Ach, sprach das Kind, Sie sollten nur Papa und Mama kennen, was das für gute Leute sind! Gewiß Sie würden beyde lieben: Sie meynens gar zu gut mit mir. Nur ihnen zu gehorchen, sie niemals zu erzürnen, ist aller meiner Wünsche Ziel.

»Komm, liebe Kleine, komm in meine Arme!« Alsbald stund Sophie auf dem Stuhle.

»Da ließ dir aus, was und so viel du willst.«

Das Kind war außer sich für Freuden, und gleichwohl, durch die unversehene Ehre, verwirrt beschämt. Genügsam griff es nach dem weissen Lämmchen, begehrte keine Gabe mehr. Gerührt durch diesen Zug der edelsten Bescheidenheit, gab jetzt Frau Pathe mehr, als sie verheissen hatte, gab so viel, daß dem Kind das volle Schürzchen strotzte. Die stumme, unberedte Schaar gieng leer aus; aber alle, die guten Willen, oder Lust zur guten That gezeiget hatten,

Empfingen aus Frau Pathens Hand,
Ein Spielzeug von Nürnberger Tand.
Nur die Psalmistinn trug, zum Lohn
Für ihre Müh, nicht mehr davon,
Als ein buchsbäumern Nadelbüchschen.
Sie nahms, und schlich sich fort, mit einem steifen Knixchen.

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