David Christie Murray
Die Jagd nach Millionen
David Christie Murray

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Vierzehntes Kapitel.

In San Francisco nahm Herr Prickett eine Fahrkarte nach Vancouver und Marie Harcourt that desgleichen. Prickett in seinem eleganten Wagen mit drei üppigen Mahlzeiten am Tag, fand die Reise ganz angenehm, wogegen sie der unsichtbaren Gefährtin sehr anstrengend vorkam. Reinlich konnte man den Auswandererwagen mit dem besten Willen nicht nennen und die Gesellschaft darin nicht gewählt, obwohl die Leute im Grund wohlmeinend und harmlos waren.

Sie spuckten und rauchten, verzehrten nicht sehr einladende Vorräte auf noch weniger einladende Weise, und würzten ihr Gespräch mit derben Redensarten und Zoten. In Anwesenheit von Frauen hielten sie darin wohl Maß, aber ein in sich zusammengekauerter Mulattenjunge, der den ganzen Tag zum Fenster hinausstarrte, legte ihnen keinen Zwang auf, und daß des widerwilligen Zuhörers Wangen oft flammten, konnten sie unter der braunen Tünche nicht bemerken.

Einmal aber wurde ihm das Gespräch sehr interessant. Man fuhr gerade im Riesenschatten des Berges Schada dahin, und ein halbes Dutzend rauhborstiger Gesellen mit Pfeifen im Munde und einer kreisenden Branntweinflasche saß um den Jungen herum. Einer davon war in Klondyke gewesen und gab eine Schilderung der Goldfelder zum besten.

»Millionen?« entgegnete er auf einen zweifelnden Einwurf, »Dutzende, Hunderte von Millionen! Wer's nicht gesehen hat, macht sich keinen Begriff davon. Ihr könnt mich ja einen Aufschneider heißen, wenn ihr mögt, aber ich habe mit meinen leiblichen Augen fünfhundert Dollars aus einer einzigen Pfanne herausschaffen sehen. Das war der Görg, der dieses Schwein hatte! Ihr könnt euch doch den Görg vom ›Nelson‹ noch denken, nicht? Der war's, ja der! Lief immer in einem Paar Hosen herum, die am Gesäß mit einem alten Mehlsack geflickt waren, wo gerade ›Prima Schneeflocken‹ darauf gedruckt war! Jetzt sitzt er drunten in San Franc in einem pikfeinen Hotel, besäuft sich alle Tage wie ein Kaiser in den rarsten Weinen und ist angezogen wie ein Gigerl. Der hat hunderttausend Dollars gemacht auf eigene Rechnung und zwar in vierzehn Tagen – ein Mordsschwein.«

»Hm,« bemerkte einer von den Zuhörern, »wie kommt's denn, daß du nicht auch so dran bist? Sagst ja, das Gold liege frei herum für jedermann.«

»Warum ich noch ein Lump bin?« versetzte der Erzähler mit einem derben Fluch. »Weil einer Schwein hat und ein andrer Pech. Muß ich in ein verfluchtes Loch hinunterkugeln und mir drei verfluchte Rippen brechen, fünf verfluchte Wochen auf meinem verfluchten Buckel liegen, weil auf hundert Meilen weit kein so verfluchter Doktor da ist! Da hab' ich meinen Gewinn auffressen können, und mittlerweile war so ein verfluchter Kerl mit meinem Werkzeug auf und davon! Drum bin ich nicht so dran wie der Görg, das ist doch klar wie Spülwasser!«

Diese Aussprache schien sein Gemüt erleichtert zu haben, denn nach einem kräftigen Schluck aus der Schnapsflasche setzte er ruhiger hinzu: »Jetzt bin ich aber wieder auf dem Weg dorthin und dieses Mal werd ich's gescheiter angreifen.«

»Geschwätz!« bemerkte ein dritter, der sich bisher wenig am Gespräch beteiligt hatte. »Wie kommt Ihr denn wieder hin? Wißt Ihr's so gewiß, daß Ihr den Weg findet?«

»So gewiß, als Ihr eine Nase im Gesicht habt!« rief der Goldsucher hitzig. »Kommt da der alte Kap'tän Jones zu mir und sagt: ›Hab' ein Telegramm aus meinem alten Land‹ – er ist nämlich ein Welscher, der Kap'tän Jones – ›da sind drei Herren, die ein Expe'tion nach Alaska machen,‹ sagt er,›und wollen geübte Leute haben, so ein halbes Dutzend,‹ sagt er. ›Sind Sie von der Partie?‹ sagt er. Nu frag' ich ins drei Teufels Namen, was wollen Herren von drüben in Alaska machen um diese Jahreszeit, wenn sie nicht nach Klondyke wollen?«

»Weiß ich nicht, und Ihr wißt's auch nicht,« versetzte der andre. »Ist mir auch wurscht, solang man nur seinen Lohn hat. Jedenfalls aber wird man nicht hinkommen um die Jahreszeit, schätz' ich.«

»Na, hör' einmal, Sabry,« fuhr der Schwärmer für Klondyke fort, »Euch hat irgend ein Lügenmaul blauen Dunst vorgemacht und Ihr habt's für bare Münze genommen. Wenn, was die Herren von drüben sind, hin wollen, so führ' ich sie hin, so leicht als ein Stein ins Wasser plumpst. Ich war vor vier Jahren am Christtag droben am Großen Sklavensee, und das ist doch, schätze ich, die kälteste Zeit in den Breitegraden da 'rum, nicht? Daß grad' ein Mailüfterl geweht hätte, will ich ja nicht behaupten, aber zum Aushalten war's, und dafür reist sich's leichter als im Sommer, weil die Flüsse zu sind und man seine Siebensachen auf dem Eis schlittern kann.«

»Vorderhand seid Ihr aber noch lange nicht am großen Sklavensee,« meinte der Zweifler.

»Das will nichts heißen, aber eins kapier' ich nicht. Seht, erst hieß es, wir sollen den Kap'tän Jones in San Fran treffen und mit dem Dampfer nach der Behringsstraße, jetzt heißt's auf einmal nach Vancouver – was hat das zu bedeuten?«

»Wie soll ich das wissen?« fragte der andre.

»Ja, das ist auch wieder wahr – ich kapier's aber, weil ich weiß, daß zweimal zwei vier macht. Natürlich gehen sie der Jahreszeit wegen den andern Weg, Jabey, das kapiert doch ein Kind. Du wirst schon sehen, ob ich recht habe oder nicht, kannst dich nachher erinnern, was ich geprophezeit hab': Von Vancouver werden wir mit der Pacific fahren bis Calgary, dann immer noch mit der Bahn so ein Hundert Meilen nordwärts bis Edmonton, dann vom Athabaskafluß geradeaus an den Sklavensee und von dort ist's ein Katzensprung nach Klondyke.«

Niemand achtete auf den Mulattenjungen, und das war gut, denn seine funkelnden Augen hätten leicht verraten können, welchen Anteil er an diesem Gespräch nahm. Drei Herren aus Europa, die ein »Expe'tion« nach Alaska unternahmen! Von Alaska waren die Silberscheiben hergekommen, und wo der Schatz auch lagern mochte, jedenfalls war es im ungastlichen Norden. Die drei Herren hatten erst über San Francisco reisen wollen und dann ihren Plan geändert – das stimmte sehr genau überein mit dem Verhalten der drei Herren, die Marie Harcourt kannte, viel zu genau, um ein Zufall zu sein.

Sie hatte sich in den letzten Tagen oft genug gesagt, ihre Handlungsweise sei Tollheit, und hatte in mancher Stunde der Mutlosigkeit und Vereinsamung sich selbst nicht mehr begriffen, nun rechtfertigte diese zufällig mitangehörte Unterhaltung ihr eigenes Thun und gab ihr die Ueberzeugung, daß sie nicht willkürlich gehandelt habe, sondern ein Werkzeug des Schicksals sei.

Und nun begann sie zu erwägen, was sie zunächst thun müsse. Ihre erste Regung war, Prickett von dieser Entdeckung zu benachrichtigen und ihn dahin zu bringen, daß er ihr gleichfalls die verdiente Anerkennung zolle. Doch aus mehr als einem Grund schreckte sie davor zurück. Der entscheidendste davon war ihre Scheu, sich ihm in dieser Verkleidung zu zeigen. Fremden gegenüber hatte sie nicht das Gefühl, daß ihr Knabenanzug unziemlich sei, ja sie trug ihn mit Behagen und bewegte sich ungezwungen darin, aber von einem Bekannten gesehen zu werden, war ihr eine peinliche Vorstellung. Nein, persönlich wollte sie nicht mit Prickett verkehren, aber ihm am Schluß der Reise brieflich ihr Ergebnis mitteilen, mochte er dann dessen Wichtigkeit beurteilen, wie er wollte.

Als der Zug sich dem Bahnhof näherte, griffen die Klondykepilger nach ihrem spärlichen Handgepäck, und der kleine Mulattenjunge mit seinem Handtäschchen stellte sich sprungbereit hinten auf die Wagentreppe. Ein rotbärtiger Mann grüßte den einfahrenden Zug mit Winken und lief neben dem Wagen her, worauf die Männer mit schallendem Hurra erwiderten.

»Hurra Kap'tän! Wie geht's? Da wären wir!«

In der nächsten Sekunde schüttelten sie sich die Hände.

»Nun, Jungens,« sagte der Rotbart, »alles ist fix und fertig. Drei Stunden könnt ihr euch hier verschnaufen, dann heißt's Vorwärts! Marsch!«

»In welcher Richtung?«

»Edmonton. Wir zielen nach dem Athabaska und zum großen Sklavensee und –«

Er konnte nicht weiter reden, denn der Prophet unter der Mannschaft brach in ein Triumphgeheul über die Richtigkeit seiner Vermutungen aus, das aller Blicke auf die kleine Gruppe lenkte. Auch Prickett, der mit einem ältlichen Fremden verhandelte, sah hinüber, streifte auch den Mulattenjungen flüchtig mit dem Blick, setzte aber gleich wieder die Unterhaltung mit seinem Bekannten fort. Marie glaubte einen Augenblick, das Herz müsse ihr stillstehen, denn sie hatte einen fast abergläubischen Begriff von Pricketts Scharfsinn und hielt jeden Versuch, ihn zu täuschen, für hoffnungslos. Ihre aufgeregte Phantasie spiegelte ihr vor, daß sie entdeckt sei, aber die Angst legte sich, als der Fremde einen Gepäckträger, einen Neger, herbeiwinkte, dem Prickett seine Gepäckstücke bezeichnete. Dann sah sie ihn mit dem Unbekannten in eine Droschke steigen, sah ihre eigenen Reisegefährten, die ihr so wichtig waren, ihre Bündel schultern und in die Stadt ziehen. Ein wehmütiges Gefühl der Verlassenheit und Hilflosigkeit überkam den Mulattenjungen, der mit seiner kleinen Tasche nun auch in die unbekannte Stadt ging. Sie war recht schmuck und sauber für diesen Landesteil, Marie aber kam's vor, als hätte sie noch nie einen so gottverlassenen Ort gesehen. Sie erfragte ihren Weg, und die weiche Altstimme wie die gebildete englische Betonung, die sie nicht abzulegen vermochte, fielen der Frau, an die sie sich gewendet hatte, sichtbar auf. Trotzdem erfuhr sie das Nötigste und gelangte in eine Straße mit Läden, wo sie sich einen Briefbogen, Umschläge, ein kleines Tintenfaß, eine Feder und eine Postmarke kaufte. Die stattlichen Gasthäuser flößten ihr Unbehagen ein, auch mußte sie ja fürchten, in dieser Ausrüstung gar nicht aufgenommen zu werden, und so wanderte sie weiter auf der Suche nach einer bescheidenen Wirtschaft, wo sie etwas zu sich nehmen und ihren Brief schreiben könnte. Schließlich fand sie auch etwas Passendes und trat in eine unsaubere Wirtsstube, wo zwei Neger kalten Braten und Bier vertilgten. Ihre eigene Mahlzeit fiel billig und reichlich, wenn auch nicht gerade einladend aus, und kaum hatte sie ein paar Bissen gegessen, so schob sie den Teller weg und begann zu schreiben:

»Lieber Herr Prickett!

Ich sagte Ihnen, daß ich alles daran setzen werde, Ihre gute Meinung wieder zu gewinnen, und hoffe, dieses Ziel nun erreicht zu haben, denn es ist mir gelungen, eine Entdeckung von höchster Wichtigkeit zu machen. Meine erste That war ein Mißgriff, um so mehr will ich mich bemühen, keinen zweiten zu machen. Aber ich bitte Sie dringend, keinen Augenblick zu zögern, wenn Sie in den nächsten Tagen ein Telegramm von mir erhalten. Es wird nichts enthalten als die Worte: ›Glücklich angekommen, Harcourt,‹ soll Ihnen aber sagen, daß ich mindestens einen von den Gesuchten gefunden habe. Ich sage Ihnen nicht, wo und weshalb ich sie zu treffen hoffe, weil ich Sie nicht von Ihrer eigenen Bahn ablenken möchte. Sie dürfen sich darauf verlassen, daß ich weder einen zweiten Mißgriff machen, noch ein zweites Mal erkannt werden werde.

Ihre ergebene

Marie Harcourt.«

Sie überschrieb den Brief an Inspektor Prickett zu Händen der Polizeibehörde von Vancouver und bemerkte nun aufblickend, daß die beiden Neger Essen und Trinken vergessen hatten über ihrem Anblick. Erschrocken überlegte sie, was ihnen wohl so auffallend an ihr sein könne, als der eine ihr mit freundlichem Grinsen Klarheit darüber gab.

»Geschickte Junge, bis dich,« sagte er, seine blendend weißen Zähne zeigend, »bis dich Schule gewesen, gelt?«

Also nur ihr sicheres, rasches Schreiben hatte die harmlosen Schwarzen interessiert! Beruhigt nickte sie ihnen lächelnd zu, dann aber fiel ihr ein, daß sie ja einen Jungen vorstelle und daß ihre Handschrift eine ausgesprochen weibliche sei, und so verdeckte sie unwillkürlich die Aufschrift des Briefes. Damit war ein sehr unbedeutender Zwischenfall erledigt, der ihre Nerven aber ganz unverhältnismäßig erregt und angegriffen hatte. Jetzt bezahlte sie ihre Zeche, wobei sie sich Mühe gab, nicht viel von ihrer Barschaft sehen zu lassen, hatte aber wieder einen Schrecken, weil der Mann, der das Geld in Empfang nahm, neugierig auf ihre Hände schielte. Für ein junges Mädchen und für ihren Wuchs waren sie zwar nicht ungewöhnlich klein, aber für einen Jungen und einen Jungen der Gesellschaftsklasse, zu der sie dem Anzug und der Hautfarbe nach gehören mußte, allerdings auffallend. Sie waren gut gepflegt, wenn auch nicht mehr als für eine Dame selbstverständlich ist, und daß sie nicht an grobe Arbeit gewöhnt waren, war unverkennbar.

Ob der Mann diese Beobachtungen wirklich angestellt hatte, oder ob sie sich's nur einbildete, genug, die Wirkung war die gleiche. Verwirrt und ängstlich verließ sie die Kneipe, und als sie aus einiger Entfernung einen Blick zurückwarf, mußte sie auch noch gewahren, daß alle drei Männer unter der Hausthüre standen und ihr nachsahen. Die Angst vor polizeilicher Verfolgung erfaßte sie derart, daß sie mit schlotternden Knieen davoneilte; alle Zuversicht und Unbefangenheit hatte sie eingebüßt und vor jedem zufälligen Blick erbebte sie. So schrecklich dieser Zustand auch war, sie hatte sich nun einmal eine Aufgabe gestellt und mußte sie vollenden. Ihr Herz blutete für den Vater und empörte sich gegen den Schurken, der ihn verraten hatte und jetzt berauben wollte, und in ihrer Einbildung wuchs der so ungewisse Schatz ins Riesenhafte. Er war ihres Vaters Eigentum, nur dieser sollte ihn haben. Diese Gedanken stärkten ihre Willenskraft und spornten ihren Mut.


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