David Christie Murray
Die Jagd nach Millionen
David Christie Murray

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Inspektor Pricketts Leben im Ruhestand war von einer seltenen Regelmäßigkeit. Jeden Morgen stand er Punkt sieben Uhr auf und höchst eigenhändig wichste er seine Stiefel mit großer Sorgfalt und unter leisem, nachdenklichem Pfeifen. Wenn Frau Perks, die sehr feinhörig war, dieses Pfeifen vernahm, so brauchte sie gar nicht mehr nach der Uhr zu sehen, sie wußte genau, welche Zeit es war. Nach Erledigung dieses ersten Tagewerks wusch und rasierte sich Prickett aufs sorgfältigste und Punkt acht Uhr pflegte er sich zum Frühstück niederzulassen, wobei er dann die Polizeiberichte vom vorigen Tag gewissenhaft durch alle Zeitungen verfolgte. Um neun Uhr verließ er das Haus, und das Ziel seiner Spaziergänge war in der Regel sein einstiges Jagdrevier im Westend. Gerade wie der Schauspieler, der einen Abend frei hat, fast unfehlbar ins Theater geht, so zog es den vom Dienst befreiten Polizeiinspektor in die einstigen Jagdgründe. Wurde irgend ein interessanter Fall verhandelt, so hatte Prickett seinen bestimmten Platz im Gerichtssaal inne und mit den Berufsgenossen hatte er beinahe ebensoviel Verkehr und Fühlung, als ob er noch in Thätigkeit gewesen wäre. Der Umstand, daß er jetzt wieder jemand zu bewachen und sich vor jemand zu hüten hatte, bereicherte sein Leben ungemein.

Natürlich war er ja viel zu argwöhnisch und behutsam, um irgend etwas »gewiß« zu wissen, ehe es vollständig bewiesen war. Die Advokatenliste wies keinen Bletchley Baker, das Predigerbuch keinen Pastor Tolemy auf, aber die Thatsache, daß die Gewährsmänner der hübschen Witwe Phantasiegeschöpfe waren, lieferte noch keinen unumstößlichen Beweis, daß sie selbst im Sold des Generals stand, reichte aber vollständig aus, sie für Prickett höchst interessant zu machen, und so war er denn sehr erfreut, sie am dritten Tage nach der ersten Begegnung mit seinem Frühstückstisch beschäftigt vorzufinden.

In Pantoffeln, einem sauberen, beinahe koketten Morgenjackett und mit einem blank gewichsten Stiefel in jeder Hand trat er ein, grüßte die junge Dame dann freundlich und stellte seine Fußbekleidung vor den Kamin, jeden Stiefel genau in die eine Ecke des Vorsetzers.

»Guten Morgen, Frau Harcourt,« sagte er aufgeräumter, als sonst seine Art war. »Ich hatte nicht erwartet, Sie so bald schon in Thätigkeit zu sehen.«

Frau Harcourt sah bleich und ein wenig angegriffen aus; ihre Hände zitterten merklich, ja derart, daß sie das Salzfäßchen umstieß, dessen Inhalt sich auf das Tischtuch ergoß.

»Du liebe Zeit, das ist ja ein übler Anfang,« bemerkte Prickett. »Soll Unheil bedeuten, aber Sie wissen ja wohl, wie man dem vorbeugt? Nehmen Sie eine Prise Salz zwischen Daumen und Zeigefinger und werfen Sie es über die linke Schulter hinter sich!«

Die Witwe führte die Anweisung ernsthaft aus, wobei er ihr lächelnd zusah. Sein Blick versetzte sie in peinliche Verlegenheit, und da es vorderhand nicht in seinem Plan lag, sie einzuschüchtern, griff er nach einer Zeitung und that, als ob er sie nicht weiter beobachte.

»Hatten Sie von Anfang an im Sinn, so bald ins Haus zu ziehen, Frau Harcourt?« fragte er nach einer Weile so beiläufig.

»Frau Perks meinte, es wäre gut, wenn ich mich zeitig mit Ihren Gewohnheiten vertraut machte, Herr Prickett,« lautete die Antwort.

»Die gute Seele!« versetzte Prickett. »Ich bin wirklich einer der genügsamsten und leichtest zu behandelnden Menschen! Nur eine Schwäche habe ich, falls man das nämlich Schwäche nennen will – ich liebe es, auf die Minute bedient zu werden. Wenn ich mich aber vom Standpunkt der Wirtin aus als Mieter beurteile, darf ich wirklich sagen, daß Pünktlichkeit mein einziges Laster ist. Darin allerdings kann man mich vielleicht anspruchsvoll finden.«

»Ich werde mir alle Mühe geben, Sie darin und in allen andern Punkten zufriedenzustellen, Herr Prickett.«

»Eine dreimonatliche Lehrzeit wird es wirklich nicht kosten, mich zufrieden zu stellen!« sagte Prickett herzlich lachend.

Seine fröhliche Laune wirkte aber nicht befreiend auf das Gemüt der jungen Witwe, sie war und blieb nervös, und so große Gewalt sie sich auch anthat, um ruhig zu erscheinen, hob und senkte sich die Brust doch stürmisch.

»Sie haben doch nichts dagegen einzuwenden, daß ich hier bin, Herr Prickett?« fragte sie mit mühsam beherrschter Stimme.

»Einzuwenden? Ich? Wie käme ich dazu? Mir geht nichts über meine Behaglichkeit, und wenn Sie ausfindig machen wollen, worin diese besteht, so ist's ja um so besser. Ich finde es außerordentlich freundlich von Ihnen, daß Sie sich so mit mir beschäftigen, Frau Harcourt!«

»Dann bin ich sehr froh, Herr Prickett.«

Nachdem sie den Tisch vollends zierlich geordnet hatte, zog sie sich zurück, um in dem Augenblick, als die Uhr auf dem Kaminsims acht Uhr schlug, mit dem Thee wieder zu erscheinen.

»Neue Besen kehren gut,« bemerkte Prickett abermals fröhlich lachend, so daß Frau Perks, die im Flur stand, um zu lauschen, wie die Begegnung mit der neuen Hausfrau ablaufen werde, im stillen die Bemerkung machte, so lustig habe sie ihren Mieter nie gefunden.

Allein, wenn Prickett im Amt war, so gab sein Benehmen nie den geringsten Aufschluß über seine Gesinnung, und zur Amtsthätigkeit gehörte diese Beobachtung der jungen Witwe.

»Ein prächtiger Morgen, finden Sie nicht?« fuhr er, sich die Hände reibend, fort. »Diese Zeit des Jahres entzückt mich immer gerade in London, falls nämlich das Wetter schön ist. Der Sommer ist zu schwül, im Frühling haben wir zu viel Regen und Ostwind, aber wenn der Herbst schön ist, dann ist London herrlich. Ein sonniger Oktober ist für mich die Krone des Jahres.«

Diese Redseligkeit und Liebenswürdigkeit machten indes geringen Eindruck auf Frau Harcourt. Sie versuchte zwar, Pricketts Lächeln zu erwidern, aber es wollte ihr nicht gelingen, und der verfehlte Versuch steigerte ihre Befangenheit noch.

»Noch keine Uebung in dem Handwerk!« sagte sich Prickett im stillen mit einem Anflug von Rührung.

»Sind Sie schon vollständig hierher übergesiedelt, Frau Harcourt?« fragte er laut.

»Ja, denn es wird doch besser sein, wenn ich mich ganz in die Hausordnung einlebe, ehe Frau Perks wegzieht.«

»Wenn jedermann so umsichtig und rücksichtsvoll zu Werk gehen wollte, so wäre manches besser bestellt,« bemerkte Prickett anerkennend.

Er setzte sich jetzt an den Frühstückstisch und nahm seine Zeitungen vor, während Frau Harcourt sich zögernd zurückzog.

»Sie werden wir scharf im Aug' behalten, Sie Frau Witwe,« brummte Prickett vor sich hin, »und falls Sie mich ausspionieren wollen, hab' ich nichts dagegen – was Sie herauskriegen, ist dagegen eine andre Frage.«

Die glatte Silberscheibe beschäftigte Prickett aufs neue und gleich nach dem Frühstück ging er an die Arbeit. Er legte nämlich ein halbes Dutzend Fallen eigener Erfindung, um herauszubringen, ob die neue Wirtin Neigung habe, seine Sachen zu durchstöbern oder nicht. In einer Schublade lag eine billige japanische Lackschachtel, worin er seine kleinen Schmucksachen, Krawattennadeln, Hemd- und Manschettenknöpfe aufzubewahren pflegte, diese klebte er mit ein wenig Gummi zu, nur ganz leicht, daß sie sich ohne Schwierigkeiten öffnen ließ und doch verraten mußte, ob der Deckel gelüftet worden war oder nicht. Eine Schublade ließ er unverschlossen und warf ein seidenes Taschentuch lose hinein, wobei er auf dem darunter liegenden gesteiften Hemd mit zarten Bleistiftstrichen die Lage der Ecken bezeichnete. Wurde das Tuch auch nur um eine Linie verrückt, so mußte er es unfehlbar bemerken. Den Schlüssel legte er oben auf die Kommode und schob ein wenig Tabakstaub in die hohle Röhre, daß es aussah, als ob er in derselben Tasche mit offenem Tabak getragen worden wäre. Aehnliche Vorkehrungen traf er noch an Blumenvasen, Photographieen und alten Briefumschlägen, dann trat er fröhlich schmunzelnd seinen Morgenspaziergang an. Um ein Uhr war er pünktlich zum zweiten Frühstück wieder da und – siehe! die Schachtel war geöffnet, das Taschentuch aufgehoben, der Schlüssel benutzt worden. All seine kleinen Vorkehrungen bezeugten, daß seine Sachen gründlich durchsucht worden waren.

»Aha! Wir sind also neugierig! Ganz ungewöhnlich neugierig sogar! Was suchen wir nur? Ist's nur der alten Mutter Eva Wißbegierde, die dazu treibt, oder handelt sich's um die Silberscheibe? Nun, wir werden ja bald dahinter kommen! Zehn gegen eins weiß ich morgen früh im Herzen meiner jungen Witwe Bescheid!«

Nachdenklich verzehrte er seine Mahlzeit, um gleich nachher abermals auszugehen, und zwar dieses Mal in der Richtung nach Clerkenwell. Unterwegs trat er bei einem Geldwechsler ein und ließ sich ein Fünfschillingstück geben, dann suchte er einen in Edelmetallen arbeitenden Bekannten in Clerkenwell auf und enthüllte ihm seinen Plan, soweit es nötig war.

»Ich mache mir ein kleines Jagdvergnügen,« erklärte ihm Prickett, »und dazu möchte ich, daß du mir die Prägung von diesem Geldstück abschliffest.«

»Donnerwetter!« rief der Freund. »Führe uns nicht in Versuchung, heißt's! Das ist gesetzwidrig und du bist Beamter!«

»Laß dir über das Gesetz keine grauen Haare wachsen, mein Alter,« sagte Prickett beschwichtigend. »Es handelt sich einzig darum, jemand in eine Falle zu locken, und ich bitte dich lediglich in dienstlichem Interesse um deinen Beistand.«

Allein Pricketts Freund mochte seine besonderen Gründe zur Vorsicht haben und blieb bei seiner Weigerung, bis ihm Prickett ein Schriftstück ausstellte, das ihn den Behörden gegenüber vollständig deckte. Dann war die Münze in ein paar Sekunden abgeschliffen.

»So, und jetzt brauche ich ein Werkzeug,« erklärte Prickett, »womit man ziemlich tief ins Metall schneiden kann. Ich will jetzt selbst meine Kunst versuchen.«

Das Werkzeug war bald zur Hand und Prickett an der Arbeit, die er eifrig betrieb, bis eine leidliche Nachahmung der bewußten Silberscheibe zu stande gebracht war. Die Zeichen darauf ähnelten, wie er sich erinnerte, einigermaßen der stenographischen Schrift, und daß er in dieser geübt war, erwies sich jetzt als sehr förderlich. In einer Stunde war er fertig, und der Freund wußte das blank gekratzte Metall im Handumdrehen derart zu trüben, daß es vollständig alt und abgegriffen aussah. Prickett bezahlte ihm die geopferte Zeit und ging wieder nach Hause.

Als er am nächsten Morgen zum Frühstück kam, trug er eine kleine Geldkasse unterm Arm und breitete in dem Augenblick, als Frau Harcourt zur Thüre herein kam, ihren Inhalt auf dem Tisch aus. Die mit so viel Mühe hergestellte Nachahmung lag mitten in dem Münzhäufchen, das, um sie deutlicher herauszuheben, sonst kein Silber, nur Goldstücke enthielt. Lächelnd blickte er von seinen Münzen auf, um der neuen Hauswirtin guten Morgen zu wünschen, und auch ein schärferer Beobachter als sie war, hätte in seinem freundlichen Blick kein Späherauge erraten können. Dieses Späherauge folgte aber dem ihrigen, das jetzt eben zu dem Häufchen Geld wanderte. Prickett sah Schrecken und Triumph darin aufblitzen, sah, wie sie die Farbe wechselte, und dann – dann fiel das ganze Theebrett klirrend zu Boden.

»Donnerwetter! Was ist denn los?« rief Prickett. »Du liebe Zeit – Sie haben sich doch hoffentlich nicht verbrüht?«

»Nein ... nein!« stammelte Frau Harcourt, »Mir ... mir ... ist nichts geschehen ...«

»Ja, aber wie ging denn die Geschichte nur zu?«

»Ich weiß es nicht,« brachte sie tonlos heraus, »Kann mir's gar nicht denken ... ich muß ausgeglitten sein mit dem Fuß.«

»Nun, das Unglück läßt sich ja wieder gut machen,« meinte Prickett, die Sache leicht nehmend. »Vor Unglücksfällen schützt auch die beste Hausordnung nicht, und sind sie einmal geschehen, so heißt's nur, sich zu helfen wissen.«

Das Geräusch hatte Frau Perks herbeigelockt, die jetzt händeringend auf die Unglücksstelle trat.

»Es thut mir sehr leid,« stotterte Frau Harcourt, »furchtbar leid ... ich trage natürlich den Schaden ...« sie griff in die Tasche und zog ihre Börse heraus ... »von Herzen gern werde ich alles bezahlen.«

Prickett beobachtete dabei, welche Mühe sie sich gab, den Blick von dem Häufchen Geld loszureißen, aber die Silberscheibe schien ihn magnetisch anzuziehen und festzuhalten. Nur mitunter flog er scheu und ängstlich auf ihn selbst, aber Pricketts lächelndes Gesicht war unergründlich.

»Ja, meiner Seele,« bemerkte er, »die Damen scheinen ja ganz außer sich zu sein! Schließlich ist doch zerbrochenes Geschirr noch lange kein Unglück! Heben wir das Zeug auf und denken wir nicht mehr daran.«

Dabei begann er selbst die Scherben aufzulesen.

»Die Tasse ist dahin, die Spülschüssel desgleichen und das Brotplättchen auch – damit ist aber das Unheil erschöpft. Die Zuckerstücke sind spazieren gegangen und dieser appetitliche Hering hat sich mit Kaffee, Sahne und Eiern vermischt, aber der Teppich ist im ganzen unversehrt, und das ist doch die Hauptsache.«

Er hatte die Scherben auf das Kaffeebrett zusammengelesen, und stellte es mit lächelnder Miene auf den Tisch.

»Das einzig Mißliche bei der Sache ist, daß ich gerade heute einen Ausflug machen und den Zug nicht versäumen möchte. Also meine Damen – soll ich ohne Frühstück oder soll ich gar nicht abfahren? Darum handelt sich's, und wenn Sie sich ein wenig tummeln wollen, kann ich noch zu meinem Frühstück und in meinen Zug kommen!«

Frau Perks stürzte mit dem Kaffeebrett ab, indes Frau Harcourt sich noch im Zimmer zu schaffen machte. Prickett warf einen raschen Blick auf das Geldhäufchen und prägte sich die Lage jedes einzelnen Stückes genau ein.

»Wenn ich etwas anschaue, so sehe ich's auch,« rühmte er sich gern.

»Sie sorgen also für das Frühstück?« sagte er zu Frau Harcourt. »Dann mache ich mich indessen reisefertig.«

Damit war er aus dem Zimmer verschwunden und sprang, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf, schlug die Thüre seines Schlafzimmers polternd zu, um sofort lautlos wieder bis ans Treppengeländer zu schleichen und angestrengt zu lauschen. Jetzt lächelte er befriedigt, denn er hatte ein leises Klirren von Geldstücken vernommen.

Mit gewaltsam arbeitenden Gesichtszügen, leichenbleich, beide Hände auf die stürmisch wogende Brust gepreßt, hatte die Frau regungslos vor dem Tisch gestanden, bis sie oben die Thüre ins Schloß fallen hörte. Jetzt schlich sie vorsichtig näher und beugte sich über das Geldhäufchen. Die Silberscheibe war teilweise unter Goldstücken versteckt und sie griff danach, um sie lautlos vorzuziehen, aber ihre Hand zitterte derart, daß die Münzen leise klirrten.

Als Prickett, gestiefelt und gespornt, Hut und Handschuhe in der Hand, wieder ins Zimmer trat, war die junge Witwe daraus verschwunden, aber die Silberscheibe lag noch auf dem Tisch – nicht unberührt, wie er auf den ersten Blick wahrnahm.

»Aha!« sagte er leise vor sich hin. »Jetzt haben wir wohl nichts Eiligeres zu thun, als mit dem kleinen Ding auf und davon zu gehen. Soll Ihnen ganz leicht und bequem gemacht werden, aber dann ist die Reihe wieder an mir, das werden Sie doch einsehen?«


 << zurück weiter >>