David Christie Murray
Die Jagd nach Millionen
David Christie Murray

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Neuntes Kapitel.

Der ältere von den fremden Besuchern gab dem einzigen Stuhl im Zimmer einen Schubs und ließ sich darauf nieder. Der Teppich verdunkelte den Raum derart, daß, wer aus hellem Tageslicht hinein kam, nur schwer die Gegenstände unterscheiden konnte.

»Das ist also der Kerl, der die Inschriften hat?« fragte er seinen Freund Engel.

»Ja, der ist's,« lautete die Antwort.

»Und warum nimmst du sie ihm nicht ab? Viel machen kann er wahrhaftig nicht.«

»Ich werde schon dazu gelangen,« versetzte Engel, »und zwar ohne seine Mitwirkung.«

»Oho! Wer's glaubt,« warf der andre gleichmütig hin.

»Wenn sich's darum handelt,« sagte Prickett, zum erstenmal sein Schweigen brechend, »kann ich Ihnen gleich sagen, wo sie sind. Die beiden Münzen befinden sich in Verwahrung des Polizeiamts, sind also für Sie ebenso unerreichbar als der Nordpol.«

»Die eine, die Sie kennen, mag ja dort sein, die andre nicht,« bemerkte Engel höhnisch.

»Die andre, die Harcourt kennt, ist auch dort, und eine dritte, von der keiner von Ihnen weiß.«

»Harcourt!« wiederholte Engel. »Was wissen Sie von dem?«

Die Nennung dieses Namens hatte gewirkt.

»Geben Sie mir einen Schluck Wasser,« erwiderte Prickett.

Auf dem Waschtisch stand eine verstaubte Flasche mit abgestandenem Wasser. Der militärisch Aussehende wollte danach greifen, aber Engel hielt ihm den Arm fest.

»Was soll's?« fragte er barsch.

»Er braucht kein Wasser,« sagte Engel. »Es ist nicht meine Absicht, ihm welches zu geben.«

»So – nicht deine Absicht – ha, ha!«

Der Mann hatte getrunken und war in der Stimmung, Händel zu suchen. Er war zwar noch Herr seiner Sprache und stand fest auf den Beinen, trotzdem war er nicht zurechnungsfähig.

»Deine Absicht ist mir schnuppe,« sagte er. »Den Ton kann ich nicht hören – von niemand – und meine Absicht ...«

Er ergriff die Wasserflasche und trat damit an Pricketts Lager, und Engel zog es vor, ihn gewähren zu lassen. So warm und abgestanden das Wasser auch war, noch kein Trunk hatte Prickett je so gemundet, und es war ihm, als ob sich neue Kraft durch seinen ganzen Körper ergösse.

»Helfen Sie mir mich aufrichten, dann will ich reden,« bat er.

Der Mann schleuderte die geleerte Wasserflasche in eine Ecke, wo sie klirrend zu Boden sauste, was Engel sehr unangenehm, den dritten sehr erheiternd berührte. Dieser Sendbote der Barmherzigkeit, den die trunkene Laune reizte, Engel zu ärgern, knüpfte die Lederriemen auf, die fest über Pricketts Brust und Oberschenkel geknotet waren, beförderte seine Beine mit einem derben Stoß aus dem Bett, packte ihn an den Schultern und brachte ihn in eine sitzende Stellung, aber der Gefangene fiel nach rückwärts wie ein toter Mann, nur ein tiefes Stöhnen verriet, daß noch Leben in ihm war. Der Schmerz, den die ungestüme Bewegung verursacht hatte, war grauenhaft, aber er ließ bald nach, und Prickett winkte seinem Helfer, ihn abermals aufzurichten. Dieser that's und zwar diesmal etwas rücksichtsvoller, aber doch war die Empfindung in den gebundenen und geschwollenen Gliedern fast unerträglich.

»Jetzt, jetzt will ich Ihnen etwas sagen ...« stieß Prickett heraus, um sofort wieder zurückzufallen, diesmal in tiefer Ohnmacht.

Sie dauerte nicht lange, aber er erwachte daraus zu einem Schmerzgefühl, wie er es nie geahnt hatte. Der Sendbote der Barmherzigkeit, immer noch von dem Trieb beherrscht, Engel zu ärgern, hatte die Fesseln gelockert, die ihn so lange umspannt gehalten hatten, und das zurückgestaute Blut strömte den alten Gefäßen zu, was ein namenloses Brennen und Prickeln und Zerren erzeugte.

»Du willst ihn befreien?« hatte Engel zähneknirschend gefragt. »Du begreifst doch, was er gegen mich unternehmen kann?«

»Wir sind ja drei gegen einen,« hatte der andre gleichmütig entgegnet. »Man kann's auch in der Teufelei übertreiben – diese Gurten schneiden ja fast den Knochen durch. Willst du den Mann geradezu umbringen?«

Der betrunkene Geselle mit den frechen, herzlosen Augen und der soldatischen Großthuerei schien eine gewisse Macht über Engel auszuüben, die vielleicht nur auf seiner überlegenen Körperkraft und seiner blinden Wut beruhte.

»Wenn's not thut, können wir ihn ja wieder zusammenschnüren,« sagte er. »Das bringe ich allein fertig, brauche niemand dazu.«

Prickett erholte sich langsam, und mit dem Bewußtsein der körperlichen Bewegungsfreiheit kehrten auch Ueberlegung und Scharfsinn zurück. Ein Riß an dem Teppich, ein schriller Hilfeschrei am Fenster und dann, wenn's sein müßte, ein Ringen auf Leben und Tod. Während er diesen verzweifelten Ausweg erwog, lag er still und stöhnte und wimmerte sogar leise. Veranlassung dazu hatte er ja, aber Prickett wäre schweigend gestorben, ehe er in Engels Gegenwart einen Klagelaut von sich gegeben hätte, wäre es nicht seinem Plan dienlich gewesen.

»Nun, auf, Sie armseliger Tropf!« rief Engel, ihn mit dem Fuß stoßend. »Stehen Sie auf!«

»Aufstehen!« wiederholte Prickett. »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich's thäte, wenn ich könnte – und wenn ich's kann, dann nehmen Sie sich in acht.!«

Prickett sprach stöhnend in kläglich winselndem Ton, der den drei rauhen Gesellen ein lautes Gelächter entlockte.

»Vorwärts!« rief Engel, mit einem knurrenden Laut im Lachen abbrechend. »Antworten Sie, und zwar auf der Stelle. Was wissen Sie von Harcourt?«

»Nur Geduld,« flehte Prickett, sich noch schwerfälliger, als er wirklich war, im Bett aufrichtend. »Ich will Ihnen alles sagen: es wird Sie interessieren. Harcourt hat sich gestern den Gerichten gestellt.« – Engel starrte ihn halb wütend, halb ungläubig an. – »Er hat alle seine Papiere übergeben, Namen und jetzige Adresse seines New Yorker Socius desgleichen. Höchst wahrscheinlich sind meine Kollegen schon auf dessen Fährte, und daß sie ihn finden werden, ist außer Frage.«

»Er wird ihnen zu schaffen machen, das dürfen Sie mir glauben!«

»Ich weiß nicht, wer diese beiden Herren sind,« fuhr Prickett fort, wehleidig seine geschwollenen Glieder betastend. »Ich will es auch nicht wissen. Vorausgesetzt, daß Sie mich nicht dazu zwingen, werde ich Sie nicht kennen. Sie aber kennen mich, nicht wahr? Dieser hier, Julius Engel, gewesener von Felthorn, gewesener Eber, gewesener Winkelstein und so weiter ist der Polizei so sicher, als ob sie ihn schon am Kragen hätte. Er hat mir gedroht, mich hier verfaulen zu lassen, diese Anklage und eine lange Reihe andrer werde ich gegen ihn erheben. Daß seine Absicht so weit ging, ist mir zweifellos, ja er wird sie ausführen, falls die Herren thöricht genug sind, ihm dabei zu helfen. Das werden Sie sich freilich überlegen, denn Mord ist eine kitzlige Sache, und man läßt besser die Hand davon.

»Sie sind der Inspektor Prickett?« bemerkte einer von dem Kleeblatt.

»Ja, das war mein Titel.«

»Stell dich ans Fenster, Arthur,« befahl der Sprecher von vorhin mit Ruhe, »und falls Prickett den Versuch macht, dahin zu gelangen, schlag' ihn zu Boden. Ich habe Sie nämlich nach dem Fenster hinschielen sehen, Inspektor, und bin gern auf meiner Hut. Wenn unser Freund hier –« er deutete auf Engel – »wirklich blutdürstig ist, wie Sie sagen, so weiß ich nichts davon. Unter uns gesagt, ist es mit unsrer Freundschaft nicht weit her. Ich trage ihm nämlich etwas nach und er will sich von mir loskaufen. Er hat mir eine Geschichte vorgeschwatzt von zwei Silbermünzen, die seiner Behauptung nach gewissermaßen den Schlüssel zu einem reichen Besitz bilden. Eine davon war, wie ich von ihm erfuhr, in Ihrem Besitz, die andre hatte einer Namens Harcourt. Ich und mein Freund kamen nun heute früh hierher mit der Absicht, mit Ihnen über die eine und dann mit diesem Harcourt über die andre zu unterhandeln. Sie sagen, Harcourt sei im Gefängnis – verhält sich das wirklich so?«

»Er hat sich auf meinen Rat der Behörde gestellt.«

»Und darf ich fragen, ob er die andre Silbermünze Ihnen ausgeliefert hat?«

»Allerdings.«

»Und Sie haben beide der Polizei in Verwahrung gegeben?«

»Ja, so verhält sich's.«

»Sie können aber jederzeit wieder dazu gelangen?«

»O nein – nur wenn der rechtmäßige Besitzer mich dazu ermächtigt.«

»Und Sie erblicken in diesem Harcourt den rechtmäßigen Besitzer?«

»Ganz gewiß.«

»Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, Herr Prickett, daß Ihre jetzige Lage nicht sehr angenehm ist.«

»Ich könnte mir auch Angenehmeres denken!«

»Sie wird mit der Zeit nicht angenehmer werden, ja vielleicht sehr nachteilig für Ihre Gesundheit.«

»Verehrtester, Sie reden wie ein Buch und sind sehr unterhaltend, aber wir können die Geschichte kürzer abmachen. Die Silberscheiben sind nicht mehr in meinem Besitz, ich kann sie nicht zurück erlangen, auch wenn ich wollte, und ich will nicht. Das ist mein endgültiges letztes Wort, und nun wird's gut sein, wenn Sie Ihre eigene Stellung klar ins Auge fassen. Sie können nichts dabei gewinnen, wenn Sie mit diesem Menschen gemeinsame Sache machen, aber Sie setzen sich recht ernsthaften Gefahren aus. Die Handschellen sind ihm so sicher, als ob er sie schon trüge, und je schlimmer er mit mir verfährt, desto schlimmer wird's ihm ergehen. Wenn Sie wirklich ein verständiger, besonnener Mann sind, wie ich aus Ihren Reden und Ihrem Aussehen schließe, so ziehen Sie sich beizeiten von der Geschichte zurück.«

»Danke für den guten Rat! Leider wäre es jetzt nicht mehr sehr verständig, ihn zu befolgen. Ich bin fest entschlossen, mit Engels Hilfe in den Besitz dieser Silberstücke zu gelangen.«

Prickett versuchte, sich zu erheben, ja, er hatte die Absicht, mit gleichen Füßen aus dem Bett zu springen. Der Wille war stark, aber die Beine waren wie mit Blei ausgegossen, und er sank sogleich zurück.

»Wenn Sie sich's recht überlegen, Herr Prickett,« setzte der Unbekannte hinzu, »werden Sie mir am Ende doch Beistand leisten. Ich werde von Zeit zu Zeit bei Ihnen anfragen.«

Widerstand gegen drei wäre Unvernunft gewesen, Prickett hätte es aber immerhin damit versucht, wenn ihm seine sonstige Körperkraft zu Gebote gestanden hätte. So aber hielt er's für das Geratenste, sich stillschweigend ins Unvermeidliche zu finden und sich nur zu mühen, daß die Fesseln nicht allzu stramm angelegt werden konnten. Als der schneidige Herr diese Arbeit ohne Grausamkeit besorgt hatte, wurde der Gefangene wieder auf das Bett hingestreckt und zuletzt der Lederriemen um Arme und Brust festgeschnallt.

»Ich bedaure, diese Maßregeln ergreifen zu müssen, Herr Prickett,« bemerkte der ältere, der sich nur zuschauend verhielt. »Falls Sie sich jetzt noch eines Besseren besinnen, bin ich bereit, darauf einzugehen!«

»Nein,« versetzte Prickett, »ich mache Ihnen weder jetzt noch später Zugeständnisse. Falls die Vorsehung es für gut hält, mich aus dieser Lage zu befreien, so werde ich Sie bis zu meinem letzten Atemzug verfolgen. Falls ich aber hier verenden muß, sollen Sie doch nichts von mir erfahren. Was Sie betrifft, Engel, Sie sind versorgt.«

Engel wollte ihm ins Gesicht schlagen, aber der andre hielt ihm den Arm.

»Laß das,« gebot er ruhig. »Herr Prickett, ich kann Ihnen meine Anerkennung nicht versagen. Sie sind ein Mann, aber schließlich werden Sie ja doch nachgeben müssen, weshalb nicht lieber gleich?«

»Glauben Sie ja nicht, daß ich nachgebe!«

»Nach Belieben. Ich werde morgen oder übermorgen wieder anfragen.«

Engel verließ mit teuflischem Hohn auf dem Gesicht das Zimmer und ihm folgte, lässig schlendernd, mit gänzlich unbeteiligter Miene, der Arthur Genannte. Der ältere nickte dem Gefangenen zu und warf die Thüre ins Schloß. Die Fußtritte verklangen, die Hausthüre fiel zu und Prickett war allein.

Der alte stechende Schmerz stellte sich wieder ein, und trotz des guten Willens, sich ins Unvermeidliche zu ergeben, erstickte ihn die Wut beinahe. Mitunter verwirrten sich seine Gedanken, und er fühlte, daß er im Fieber lag, dann kam wieder ein Stumpfsinn über ihn, und er lag gedanken- und willenlos wie ein Scheit Holz. Diese Ruhepausen dünkten ihm lang; in Wirklichkeit währten sie kurz. Kochende Wut und dumpfe Betäubung, heftige Schmerzanfälle und unzusammenhängendes Gerede wechselten; so verstrich der endlose Tag und die Nacht kam.


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