David Christie Murray
Die Jagd nach Millionen
David Christie Murray

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Drittes Kapitel.

Prickett hatte diesen Vorfall deutlich vorausgesehen und sich nur deshalb nächtlicher Weile umhergetrieben, um dem Gegner Gelegenheit dazu zu geben. Trotzdem machte er ihm zu schaffen. General Felthorn war ein Gauner, aber auch Gauner können dann und wann die Wahrheit reden, und seine Geschichte gewann für Prickett jetzt solche Bedeutung, daß sie unablässig vor ihm stand.

»Fünfzehn Tonnen Gold!«

Das Wort klang ihm morgens, mittags und nachts im Ohr! Zwei Millionen Pfund Sterling! Er war sicherlich kein Phantast, aber diese Vorstellung erregte ihn derart, daß er manchmal den ungeheuren Goldhaufen deutlich vor sich sah, eingeschlossen in ein Gewölbe von ewigem Schnee und Eis!

Eines war ja unumstößlich gewiß – der General legte dem Silberplättchen, das Prickett unter Schloß und Riegel hielt, einen ungeheuren Wert bei. Die Schlauheit, womit er es versteckt hatte, verriet verzweifelte Angst um diesen Besitz, und daß der nächtliche Ueberfall vom General veranlaßt war und nur dem Silberplättchen gegolten hatte, darüber bestand für Prickett kein Zweifel. Da die Kerls es nicht gefunden hatten, war ein neuer, vielleicht verzweifelter Ueberfall mit Sicherheit vorauszusehen. In welcher Art er wohl ausgeführt würde und wann?

Fünfzehn Tonnen Gold! Wenn dieser Schatz überhaupt erreichbar war, so wußte Prickett, daß sein Gegner auch vor dem Aeußersten nicht zurückschrecken würde! Dieser war ja ein Mensch, der einen Mord als einfache Geschäftssache betrachten und sich durch den in Aussicht stehenden Gewinn reichlich dafür entschädigt erachten würde! Aber Prickett hatte schon oft um sein Leben gespielt, hatte sich dabei beständige Wachsamkeit angewöhnt, die Nerven aber unerschüttert und unerschütterlich erhalten.

General von Felthorns Einlieferung machte im Polizeiamt kein großes Aufsehen. Ein Beamter stellte fest, daß der Mann den Behörden seines Geburtslandes und denen der Vereinigten Staaten wohl bekannt sei, daß er sich in England unter falschem Namen, unter falschem Titel umtreibe und gesetzwidriger Absicht so dringend verdächtig sei, daß es sich empfehle, ihn wenigstens für eine Woche in Gewahrsam zu halten. Der Anwalt wollte sich zwar aufs hohe Roß setzen, der Untersuchungsrichter fertigte ihn aber kurz ab und ließ den Gefangenen wieder abführen.

Da sich indes in dieser Woche nichts ereignete und nichts enthüllt wurde, war der General nach acht Tagen wieder auf freiem Fuß. In diesem Fall durfte sich der Anwalt mit einigem Recht in sittlicher Entrüstung ergehen über die Voreiligkeit der Polizei, die einen Ausländer von Rang festnehme, acht Tage gefangen halte und nicht einmal ein Wort der Rechtfertigung ihres Verfahrens für ihn übrig habe. Der den Vorsitz führende Beamte erwiderte trocken, daß die Polizeilisten des Auslandes genügend von seinem (des Anwalts) Klienten zeugten, und daß die englische Polizei fortfahren werde, ihn scharf im Auge zu behalten.

Noch vor des Generals Entlassung hatte sich Prickett mit seinen einstigen Vorgesetzten verständigt und ihnen den Thatbestand klargelegt. Der Präsident versicherte ihn seiner unbedingten Unterstützung und gab ihm außerdem den Rat, einen Professor Darkly in der Museumsstraße aufzusuchen und sich die Schrift entziffern zu lassen.

Professor Darkly war innerhalb eines bestimmten Kreises berühmt, der Welt im übrigen aber vollständig unbekannt. Es gibt heutzutage in allen Großstädten derartige Persönlichkeiten, Spezialisten, die auf irgend einem engbegrenzten Gebiet als Meister gelten, von deren Dasein diesem Gebiet Fernstehende aber keine Ahnung haben. Darkly war von Beruf ein »Enträtsler«, er brachte Chiffre- und Geheimschriften jeder Art heraus, die ihm vorgelegt wurden. Erst ein paar Jahre war es her, da hatte eine Verbrecherbande sich in der sogenannten Eselswiese der Tagesblätter über ihre Pläne verständigt. Der Schurke, der die Chiffre dazu erfunden hatte, wähnte, daß kein Sterblicher sie ohne Schlüssel erraten könnte. Darkly hatte rein zu seinem Vergnügen diese Mitteilungen verfolgt und die Uebertragung davon der Polizei zugeschickt. Man hatte ihm die Mühe anständig gelohnt, und seither übte er seine Kunst im Dienst der Obrigkeit, so oft sie in Anspruch genommen wurde.

»Prickett?« sagte der Professor. »Ach ja – Ich erinnere mich. Sie waren bei der Polizei. Irgend ein Anliegen, das in mein Fach schlägt, Herr Prickett?«

»Auf diesem Silberplättchen ist eine lange Geschichte eingekritzelt,« begann Prickett.

»Lassen Sie mir's da,« bestimmte der Professor nach kurzer Besichtigung. »Morgen oder übermorgen werde ich Ihnen brieflich melden, ob der Spaß viel oder wenig Zeit kostet.«

»Kurzweg lesen können Sie's also nicht?« fragte Prickett.

»Nein, mein verehrter Herr, ich weiß ja noch nicht einmal, in welcher Sprache, mit welchen Lettern die Inschrift geschrieben ist! Wie sollte ich das vom Blatt lesen können? Ich kann Ihnen noch nicht einmal sagen, ob die Arbeit Wochen oder Monate brauchen wird!«

Prickett gab also seine Wohnung an und ging nach Hause. Reichliche Erfahrung hatte ihn Geduld gelehrt, und mittlerweile hatte er ja auch Stoff zum Nachdenken und das angenehme Bewußtsein, daß seine Fähigkeiten nicht mehr brach liegen mußten. Immerhin wurde diese Geduld auf eine harte Probe gestellt. Tag für Tag verging ohne irgend ein Ereignis von Bedeutung. Der General wurde natürlich beobachtet; Prickett wußte, daß er seine vornehme Wohnung aufgegeben und sich eine bescheidenere gemietet hatte, auch daß er jetzt einen andern Namen führte. Er verkehrte ziemlich viel mit Landsleuten, machte und empfing Besuche, schien aber das Silberplättchen ganz vergessen zu haben, was für Prickett das einzig Bemerkenswerte war.

Indessen trat doch ein anscheinend ganz harmloses und alltägliches Ereignis ein, das ihm bald zur Erkenntnis verhalf, mit welch entschlossenem und abgefeimtem Gegner er's zu thun hatte.

Prickett hatte seine jetzige Wohnung schon seit zehn Jahren inne. Er war von jeher aufs Zurücklegen bedacht gewesen, hatte obendrein Glück gehabt, und so konnte er für einen Mann von mäßiger, geordneter Lebensweise vermöglich genannt werden, ja, er hätte ruhig mehr ausgeben können, als er that, wenn es ihm nämlich Freude gemacht hätte. Ihm war aber ganz wohl bei seiner Lebensweise und in dem Haus hatte er nun einmal Wurzel geschlagen. Der Gewohnheitsmensch in ihm war daher peinlich berührt, als seine Wirtin ihm die Mitteilung machte, sie habe ihr Haus samt Einrichtung verkauft und werde in drei Monaten aufs Land ziehen.

»Sehen Sie, Herr Prickett,« setzte sie ihm auseinander, »auf dem Land bin ich geboren und im Grund habe ich meiner Lebtage Heimweh gehabt nach dem Landleben. Wenn Sie aber dableiben wollen, steht dem gar nichts im Wege, denn der ›Neuen‹ habe ich gleich gesagt: ›Herr Prickett wohnt seit zehn Jahren bei mir. Ist ein Herr, den ganz London kennt, vor dem ganz London Respekt hat. Schererei macht er gar nicht und zahlen thut er auf die Minute.‹ Das hab' ich ihr gesagt und ist auch die reine Wahrheit, Herr Prickett. Und sie sagte dann, es würde eine große Ehre für sie sein, wenn Sie dablieben, denn zuverlässige, dauerhafte Mieter wären ihr die Hauptsache und sie würde sich die größte Mühe geben, Ihnen alles recht zu machen, denn wenn sie nicht gedacht hätte, daß wenigstens ein Mieter bliebe, hätte sie gar nicht den Mut gehabt, das Haus zu kaufen. Und sie sagte auch, sie wolle mich in der Frühe besuchen, in der Hoffnung, Sie anzutreffen, Herr Prickett, damit Sie wüßten, ob sie Ihnen passe oder nicht. Ich hab' sehr gute Auskunft bekommen über sie. Sie hat Unglück gehabt wie ich auch, Herr Prickett, hat ihren Mann verloren, hat aber Geld auf der Bank liegen, und ich halte sie für eine brave, rechtschaffene Seele. Ich glaube fast,« setzte die redselige Dame hinzu, »daß sie eben klingelt!«

Diese Ahnung bestätigte sich, und gleich darauf wurde die neue Eigentümerin von Haus und Einrichtung in Pricketts Zimmer geführt. Sie war eine hübsche, jugendliche Erscheinung, dem Aeußern nach höchstens zweiunddreißig Jahre alt, in tiefer Trauer mit einer Witwenhaube, und machte einen gebildeten, damenhaften Eindruck. Ihre Stimme klang sehr angenehm, doch in ihrem Wesen lag etwas Scheues, Verschüchtertes.

»Eine Frau, die es mit einem rohen Gesellen von Mann zu thun hatte,« war Pricketts erster Eindruck.

»Ich hoffe, daß Herr Prickett sich bestimmen lassen wird, die Wohnung beizubehalten,« sagte die ihm als Frau Harcourt vorgestellte Besitzerin, »und ich bitte Sie, liebe Frau Perks, mir ganz genau zu zeigen, in welcher Weise Sie Herrn Prickett bedient haben, damit ich all seine Gewohnheiten und Bedürfnisse kennen lerne. Es wäre mir eine ganz besondere Beruhigung, einen Mann von Herrn Pricketts Beruf im Haus zu haben.«

»So ist mir's auch gegangen,« pflichtete ihr die bisherige Wirtin bei, »und während der zehn Jahre, die er hier wohnt, hab' ich mich immer so ruhig aufs Ohr gelegt, wie die Königin in ihrem Schloß! In ganz London ist kein Missethäter, der nicht den Herrn Prickett kennte und schon vor seinem Namen zittern thäte!«

Dieses Zeugnis von Frau Perks packte Prickett an seiner schwächsten Stelle und fast war's, als ob der Schein eines Lächelns über die undurchdringlich ruhigen Züge des Mannes glitte, freilich nur für eine Sekunde.

»Ja, so wäre mir's genau auch zu Mut,« erklärte die neue Besitzerin, »und ich möchte Herrn Prickett dringend bitten, sich die Sache zu überlegen.«

Herr Prickett war natürlich bereit, über den Fall nachzudenken. Möglich war's ja, daß ihm ein andrer Stadtteil besser zusagen würde, denkbar auch, daß ihn die Lust zu Reisen anwandeln könnte. Man hatte ihn ein wenig überrumpelt mit dieser Angelegenheit, und für den Augenblick war es ihm nicht gut möglich, einen endgültigen Entschluß zu fassen.

Damit gab man sich vorderhand zufrieden, und Frau Perks nahm ihre Nachfolgerin mit sich, um bei einer Tasse Thee weiteres zu besprechen. Prickett steckte seine Pfeife an und machte sich versprochenermaßen ans Ueberlegen. Späterhin hörte er unten Thüren gehen, und bald darauf trat die Wirtin wieder bei ihm ein.

»Nun, Herr Prickett, ich hoffe, die Dame sagt Ihnen zu?«

»Hm – o ja. Sie ist etwas jünger, als mir angenehm ist, besonders bei einer Witwe, und etwas – hm – einnehmender als gerade nötig, denn, zehn gegen eins, wird sie von Verehrern überlaufen werden und höchst wahrscheinlich wieder heiraten. Diese beiden Fälle würden mir dann nicht zusagen, aber wir werden ja sehen. Wie sagten Sie doch, daß sie heißt?«

»Frau Harcourt. Sie war mit einem Amerikaner verheiratet, der sie mit hinübernahm und drüben gestorben ist. Zum Glück hat er ihr ein ganz nettes Vermögen hinterlassen, nur zum Nichtsthun reicht's nicht ganz, und sie möchte auch eine Thätigkeit haben, um sich leichter über ihren Schmerz wegzuhelfen.«

»Und gute Auskunft haben Sie?«

»Die allerbeste, Herr Prickett!«

»Die Dame hat viel gereist?«

»Ja, das heißt, sie hat eben in Amerika gelebt.«

»Nun, Frau Perks, ihr Frauen seht einander ja immer scharf auf die Finger und wißt mehr voneinander als unsereiner,« sagte Prickett. »Ein Punkt, in dem ich etwas heikel bin, ist ihre Gemütsart – ist sie launisch oder gar heftig? Wenn das der Fall wäre, würde ich lieber nicht bleiben. Sagen Sie mir ehrlich, was für einen Eindruck sie Ihnen macht.«

»Ach, Herr Prickett, soweit ich sie bis jetzt kenne, ist sie ein sanftes, gutmütiges Frauchen. So sieht sie wenigstens aus, und auch ihre Stimme klingt sanft.«

»Nun, Sie werden die Dame ja noch öfter sehen, eh' sie das Haus übernimmt. Bitte, richten Sie Ihr Augenmerk gerade auf diesen Punkt!«

»Das will ich, Herr Prickett.«

»Wenn sie nicht launisch ist und wenn Sie wirklich Bürgschaft für ihre Anständigkeit haben.«

»Die beste, die man haben kann! Von ihrem Sachwalter und von dem Geistlichen, der sie getraut hat ... Vielleicht möchten Sie die Briefe sehen, Herr Prickett?«

»Wozu? Ich brauche sie nicht zu sehen, die Hauptsache ist ja, daß Sie davon befriedigt sind. Die Dame könnte überdies denken, ich hätte ein Mißtrauen gegen sie oder wäre neugierig.«

»Ach! Davon würde ich ihr doch kein Sterbenswörtchen sagen,« beteuerte Frau Perks.

»Nun, wenn es Ihnen eine Beruhigung ist, daß ich diese Briefe lese, so ...«

»Natürlich ist mir's lieb,« rief die Wirtin eifrig. »In der Minute hole ich sie!«

»Dann will ich sie mit Vergnügen ansehen,« erklärte Prickett. »Sie haben ja vollkommen recht, vorsichtig zu sein. Ich an Ihrer Stelle, ich würde dieser Dame ohne weiteres trauen, auf ihr ehrliches Gesicht hin. Sie hat eine nette, offenherzige Art an sich, aber in Ihrer Lage ist Vorsicht vollkommen berechtigt.«

Die Wirtin war jetzt fest überzeugt, daß sie von Anfang an die Absicht gehabt hatte, ihrem langjährigen, hochgeschätzten Mieter die Briefe vorzulegen, um seinen Rat einzuholen; die Anerkennung ihrer Vorsicht erfüllte sie mit stolzer Freude, und Prickett hatte, ohne sich darum zu bemühen, wie es seine Gewohnheit war, seinen Zweck erreicht. Der Geistliche, ein gewisser Wilhelm Tolemy von der Pfarrei Doddington, Thorpley, Salop schrieb, daß er Frau Harcourt seit vielen Jahren kenne und die allerhöchste Meinung von ihrem Charakter habe. Ueber ihre Vermögensverhältnisse wisse er nichts Bestimmtes, habe aber allen Grund, sie für gesichert zu halten, doch rate er, sich darüber bei dem Sachwalter der Dame zu erkundigen. Er zweifle nicht, daß ihre Lage genau so sei, wie Frau Harcourt sie darstelle, denn er habe sie immer als eine Frau von unanfechtbarer Wahrhaftigkeit gekannt.

»Außerordentlich befriedigend,« meinte Prickett. »Die Antwort eines gewissenhaften Mannes, der kein Wort mehr sagt, als er verbürgen kann.«

Der Brief des Anwalts, eines Herrn Bletchley Baker, war nicht weniger zufriedenstellend. Er war aus einem Londoner Klubhaus datiert, da sich der Herr zufällig ein paar Tage in London aufgehalten hatte und ihm der Brief seiner Klientin, Frau Harcourt, aus Manchester nachgeschickt worden war. Mit größtem Vergnügen bestätigte er, daß Frau Harcourt in jeder Hinsicht eine achtbare, zuverlässige Dame sei und vollkommen in der Lage, ihren Verpflichtungen nachzukommen, die seines Wissens dahin gingen, daß sie fünfzig Pfund als Angeld und vierhundertundfünfzig bei Uebernahme des Hauses zu bezahlen habe.

»Die fünfzig haben Sie schon?« fragte Prickett und nickte befriedigt, als ihm Frau Perks sagte, sie seien am Tag vorher auf der Bank eingezahlt worden. »Stimmt prächtig! Da brauchen Sie sich gar keine Sorgen zu machen! Die Sache ist in bester Ordnung!«

Aber Prickett war unter den obwaltenden Umständen nicht der Mann, irgend jemand in seiner Umgebung zu dulden, dessen er nicht ganz sicher sein durfte. Er begab sich also ganz gelassen in das Haus des »Konstitutionellen Klubs«, aus dem der Brief des Anwalts datiert war, wo er zu seiner nicht geringen Ueberraschung erfuhr, daß ein Herr Bletchley Baker vollständig unbekannt sei. Daraufhin war es minder überraschend, daß die Poststation Thorpley, Salop dem Postamt unbekannt und auf keiner Karte zu finden war, so wenig als der Name des Geistlichen in den Büchern der Kirchenbehörde.

»Auch gut,« sagte sich Prickett, nachdem diese Thatsachen festgestellt waren. »Jetzt kann der Tanz losgehen. Und wenn der General einmal im Leben die Wahrheit gesprochen hat, was allerdings ans Wunder grenzte, so spielen wir um fünfzehn Tonnen Gold, und das ist wenigstens ein anständiger Einsatz.«


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