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Wie schon im Vorwort angedeutet wurde und hier nochmals ausdrücklich betont sei, hat der Herausgeber geflissentlich davon abgesehen, die unbefangene Aufnahme dieses Werkes durch kritische Stellungnahme zu dem Problemkomplex, damit dem Begriff »politische Romantik« bezeichnet ist und als deren typischer Vertreter Adam Müller gilt, zu stören. Diese Vorlesungen sollen durch ihren reinen Gehalt an Gedanken und Gesinnung wirken. Man lese sie so, als ob man nichts von »Romantik« und von der fragwürdigen Gestalt Adam Müllers wüßte. Gehört denn wirklich intellektueller Mut dazu, sich zeitweise von den schulmäßigen Kategorien und überlieferten Wertungen zu befreien? Die geistige Bewegung, die mit dem Begriff Romantik nicht sowohl zur Anschauung gebracht als vielmehr kritisiert wird, ist so reich an fruchtbaren Keimen, daß sie durch die übliche Systematisierung mehr abgetötet und verzwergt als erhellt und nutzbar gemacht wird. Die Romantik ist mehr und etwas anderes als eine bloße literarische Schule oder Moderichtung; in ihr als dem gemeinsamen Nährboden wurzeln nahezu alle geistigen Richtungen, die das, 19. Jahrhundert beherrscht haben: nicht nur jede Art des dogmatischen und liberalen Ultramontanismus, sondern auch die historische Rechts- und Staatslehre und der theoretische Sozialismus, dessen »romantische« Elemente noch nicht genügend beachtet sind. Schließlich führt eine gerade Linie der geistigen Entwicklung von der (französischen) Romantik über den Positivismus zu der jüngsten kollektivistischen Soziologenschule eines Durckheim u. a.
Es wird noch Gelegenheit sein, den geistigen Standort von Adam Müllers Gesamtwerk zu fixieren und ihn selbst in einen größeren geistesgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen, wobei ich mir freilich – dies sei schon heute und vorweg bemerkt – nicht das Urteil seines neuesten Kritikers zu eigen machen kann, der in ihm nichts anderes sehen will als eine giftige Schmarotzerpflanze am Baume des deutschen Geistes und einen höchst lästerlichen und unappetitlichen Menschen obendrein. (Vgl. Schmitt-Dorotic;, Politische Romantik, München und Leipzig 1919, ferner S. Elkuß, Zur Beurteilung der Romantik und zur Kritik ihrer Erforschung, München und Berlin 1918.)
Diese Einstellung heißt zu viel Verstand und zu wenig Verständnis haben. Auch ist nichts damit getan, wenn man wie Hebbel (Charakteristiken und Kritiken) apodiktisch erklärt: »Und daß Müller nur ein Träumer oder ein Heuchler sein konnte, steht doch gewiß fest, ist er doch als Protestant geboren und als Katholik gestorben!« (!!) –
Dem Bedürfnis des Lesers nach allgemeiner Orientierung ist wohl Genüge getan, wenn hier die wichtigsten Daten aus Adam Müllers Leben einfach nebeneinander gestellt werden. Eine Biographie Adam Müllers gibt es noch immer nicht. Materialien dazu liefert eine ausgezeichnete, leider Torso gebliebene Göttinger Dissertation von Alexander Dombrowsky (Aus einer Biographie Adam Müllers, Göttingen 1911). – Adam Heinrich Müller (seit 1827 Ritter von Nitterdorf) stammt mütterlicherseits aus einer gelehrten protestantischen Theologenfamilie und ist 1779 in Berlin geboren. Er studiert in Göttingen Rechtswissenschaft, ist mit 21 Jahren ein begeisterter Gegner der Revolution und Konservativer, der seinen Kameraden Vorträge hält, geht dann zum Studium der Naturwissenschaften über, das er nach der Rückkehr aus Göttingen in Berlin fortsetzt. Gentz, der schon frühzeitig in Müller das Interesse für Politik wachgerufen hatte, lenkte ihn jetzt wieder ins politische Fahrwasser zurück. Müller wird Referendar in Berlin und reist in Dänemark, Schweden und Polen. Im Winter 1805 betritt er in der schicksalhaften Stunde seines Lebens zum M. de Bonald, ein französischer Emigrant von 1791, lebte in Heidelberg, später in Konstanz, wo 1796 seine Theorie du Pouvoir Politique et Religieux dans la société civile erschienen ist. In seinen späteren Werken (Essai Analytique sur les Lois Naturelles de l'ordre Social 1800 und La Législation Primitive 1821) hat er seine Ansichten weiter ausgeführt. Bei ihm bildet die Lehre vom Wesen und Ursprung der Sprache das wesentliche und grundlegende Bestandstück einer antirevolutionär, antirousseauistisch oder antirationalistisch gerichteten Geschichts- und Gesellschaftsphilosophie. De Bonald bekämpft die Lehre vom Gesellschaftsvertrag und von der Souveränität des Volkes als oberster gesellschaftlichen Autorität (die sich aber auch schon in der Staatslehre der Jesuiten findet und später von Lamenais leidenschaftlich verteidigt wird); er will zeigen, daß diese Lehren mit den Tatsachen der Geschichte in Widerspruch stehen. Nach ihm ist die Gesellschaft nicht eine willkürliche und konventionelle, sondern eine primäre, notwendige, gottgegebne Tatsache. Das sogenannte Individuum, das mit anderen zwecks Bildung der Gesellschaft zusammentritt und sich verträgt, sei eine reine Fiktion, Abstraktion oder – wie Ballanche sagt – eine reine »Potentialität«. – Jede konkret gegebne Gesellschaftsform hänge von einer ihr vorangehenden ab, die sie fortsetzt. Dasjenige, wodurch die gegenwärtige Gesellschaft von der früheren abhängt, sei die Verfassung, und das Werkzeug, dank welchem sich die gesellschaftliche Verfassung von Zeitalter zu Zeitalter fortpflanzt, sei die Sprache, das Wort. Autorität und Tradition und nicht Willkür und eine vorgebliche Souveränität des Volkes seien also die Grundlagen jeglicher Gesellschaftsverfassung. Die Gesellschaft aber, la race, sagen die Franzosen, ist letztlich in Gott verankert, der sich jeweils in einer aller individuellen übergeordneten allgemeinen Vernunft der Menschheit offenbart, deren Schatten sozusagen erst die individuelle Vernunft ist.
Von dieser durchaus kollektivistischen Grundeinstellung aus gelangt er dann zum Traditionalismus und zur katholischen Glaubensübereinstimmung, wobei er sich stark mit orientalischen, insbesondre islamischen Theoremen (idjma!) berührt.
Die Lehre vom Wesen und Ursprung der Sprache ist das geistige Band, das die einzelnen Glieder dieser Gesellschaftsphilosophie zusammenhält, zugleich ihr Prüfstein gegenüber den geschichtlichen Tatsachen. Wenn der Mensch nämlich die Sprache erfunden hätte, so hätte er auch Gesetze erfinden können. Bonald leugnet aber, daß der Mensch Gesetze erfinden konnte, daher konnte er auch die Sprache nicht erfinden. – Die Sprache ist vielmehr wie alle sozialen Urtatsachen überindividuellen und göttlichen Ursprungs. Sie ist nicht vom Menschen »gemacht«, Totalität aus und begnügen uns mit nichts Geringerem«, worauf Müller sofort in ähnlichem Sinne erwidert, daß seine Ansicht von der Welt eine ganze und vollständige sei ...
Was Müller gelegentlich als die spezifische Aufgabe des deutschen Geistes bezeichnet: das »Mittlertum des Geistes«, dafür ist er selbst vielfach die lebendige Verkörperung in der Aufnahmebereitschaft und Verwertung oder Anverwandlung des fremden Stoffes.
Edmund Burke ist in der Tat kein unwürdiger Gegenstand der Verehrung und ein hohes Muster vollendeter Beredsamkeit und adeliger Gesinnung. Diese rückhaltlose Bewunderung Burkes kommt doch zuletzt auch Adam Müller selbst zugute: denn ein wenig ist der Mensch doch immer so wie die Vorbilder, die er sich setzt und die Dinge, vor denen er Ehrfurcht hat. Zumindest engherzig wird man Müller nicht nennen dürfen, wenn man bedenkt, daß er sich zugleich zu de Bonald, dem Verächter des englischen Verfassungslebens und der Engländer überhaupt, die er als die am meisten zurückgebliebene unter den zivilisierten Nationen bezeichnet, und zu Burke als dem größten Parlamentsredner aller Zeiten und zum englischen Parlament als der einzigen Rednertribüne der Welt, bekennt.
Was Müller an dem Redner und Staatsmann Burke zunächst bewundert und was er sehr richtig als dessen besondere Eigenart erkannt hat, das ist die geistige, literarische Bildung, die Burke auszeichnet. Burke ist – eine seltene und fast schon ausgestorbene Art – ein Politiker mit Bildung, was, nebenbei bemerkt, verständlich macht, daß auch schwächere Charaktere, wie z.B. W. Wilson sich gerade von ihm angezogen fühlen, und es ist wohl auch nicht zufällig, daß Disraeli sich besonders geadelt glaubte, wenn er sich nach dem Wohnsitze Burkes Beaconsfield genannt hat.
Burke zeigte – so sagt sein Biograph J. Morley von ihm –, daß Bücher für die Laufbahn des Staatsmanns eine bessere Vorbereitung sind als frühzeitige Übung in untergeordneten Stellen und der ermüdende Dienst in den Kanzleien einer behördlichen Abteilung. Der Einfluß der Literatur auf Burke lag einerseits darin, daß sie ihn vor den mechanischen Formeln der praktischen Politik schützte, anderseits daß er durch sie die Verknüpfung zwischen Politik und den geistig-moralischen Kräften, das Band, das zwischen politischen Grundsätzen und den Urwahrheiten der Moral besteht, erkannte, daß sie ihn lehrte, selbst da, wo es auf Nutzen und Zweckmäßigkeit ankam, an die höchsten und weitesten verstehenden Gefühle zu appellieren, und schließlich lehrte ihn die geistige Bildung die Mannigfaltigkeit und Buntheit des menschlichen Charakters und der Situationen kennen und gab so seiner politischen Methode eine unvergleichliche Schmiegsamkeit. Es hat größere und wirksamere, auch tiefere Redner gegeben als Burke – so fährt Morley fort –, aber niemals einen, der es so wie Burke verstand, die großen Ideen des Denkers auf die konkreten Probleme des Staatsmanns anzuwenden. Nie ist jemand mit den Einzelheiten der praktischen Politik in so nahe Berührung gekommen und war sich dabei doch stets bewußt, daß auch diese nur verstanden und behandelt werden können mittels der umfassenden Begriffe der politischen Philosophie. Und was mehr ist als alles andere: er war einer der großen Meister in der hohen und schwierigen Kunst sorgfältiger Komposition. –
Dies ist also das eine Moment, was Müller an Burke anzog und worin er ihm geistig verwandt war: die hohe, klassische Bildung, die sich auch in der Politik und gerade hier bewähren muß.
Sodann aber fesselte ihn der moralische Charakter, die Gestalt Burkes; die tiefe und ernste Leidenschaft für adeliges, ritterliches Wesen, gerade das Element, durch dessen unverlierbaren Besitz alle Völker, die ein »Mittelalter« hatten, reicher sind als die Antike und was Müller schlechthin mit dem christlichen Charakter der modernen Beredsamkeit gleichsetzte, obgleich, historisch angesehen, das ritterliche Element, die freiwillige Dienstbarkeit des Geistes, die Demut des Intellekts nicht gerade christlichen Ursprungs ist. Burke war in dieser Hinsicht ein wahrhaft königlicher Redner, der immer den Stil seines Gegenstandes hatte, die Weite, das Gewicht, die Sorgfalt, den hohen Sinn und Flug, die Großartigkeit eines Mannes, der fürstliche Themen behandelt: die Schicksale großer Gemeinschaften, die Heiligkeit des Gesetzes, die Freiheit der Völker, die Gerechtigkeit der Herrscher.
Und schließlich führte Müller etwas wie eine schicksalhafte Verwandtschaft zu Burke hin, indem Burkes Leben zeigte, was Müller hätte erreichen mögen und wozu er es vielleicht gebracht hätte – wenn die gesellschaftlichen Bedingungen in Deutschland für einen gebildeten und politisch interessierten Mann so günstig gewesen wären wie in England.
Der in den Vorlesungen erwähnte Brief Burkes aus dem Jahre 1796 ist ebenso wie die Betrachtungen über die französische Revolution unter dem Titel: Edmund Burkes Rechtfertigung seines Politischen Lebens. Gegen einen Angriff des Herzogs von Bedford und den Grafen Landerdale bei Gelegenheit einer ihm verliehenen Pension, von Gentz meisterhaft übersetzt und mit einer Vorrede versehen (Berlin 1796). Die Szene des offenen Bruchs zwischen Burke und dem Verteidiger der französischen Revolution Fox, die Müller so wunderbar darstellt, ist in der englischen Parlamentsgeschichte berühmt.
Über den großen rhetorischen Geschichtsschreiber des Schweizer Volkes, den Verfasser einer Weltgeschichte, seinen älteren Zeitgenossen Johannes von Müller, den er hier (S. 158 ff) einen »Geisterbeschwörer« nennt, wie Burke ein »Geisterseher« der Vorzeit gewesen sei, hat Adam Müller auch in den »Ölzweigen« geschrieben. Über ihn und seinen problematischen Charakter lese man bei Goethe und in Mme. de Staëls Buch über Deutschland nach.
Die in der dritten und vierten Vorlesung erwähnten Blair, Priestley und Batteux sind berühmte Ästhetiker und Lehrer der Rhetorik des 18. Jahrhunderts. Der als Ossianforscher bekannte Hugh Blair, ein schottischer Geistlicher (1718–1800), war Professor der Beredsamkeit und der schönen Literatur in Edinburg. Seine Predigten (Sermons) sind deutsch von Sack und Schleiermacher in 5 Bänden herausgegeben. Ferner schrieb er Lectures on rhetoric and belles lettres (1783), deutsch von Schreiter (1785).
Joseph Priestley (1735–1804), bekannt durch seine chemischen Forschungen, schrieb wie über alles andere so auch über Rhetorik.
Charles Batteux (1713–1780) ist einer der Begründer der französischen Kunstphilosophie, dessen Ansichten bis auf Lessing und Winckelmann auch in Deutschland von Einfluß waren: Les beaux arts reduits à un même principe (1746), übersetzt von B(ertram), Gotha 1751. In einem Auszuge von J. G. Gottsched (1751). Mit einem Anhange eigner Abhandlung (und vielen Anmerkungen) von Joh. Adolf Schlegel 1752 und 1770; ferner dasselbe Werk sehr erweitert unter dem Titel Cours de belles-lettres ou principes de la litterature 1747–1750, deutsch (und auf Deutschland bezogen) von Ramler in 4 Bänden 1756–1758.
Die Zeit der klassischen französischen Kanzelberedsamkeit (S. 179), verkörpert durch die Namen Bossuet, Bourdaloue, Massilon, Flechier, ist unlöslich mit dem Zeitalter Ludwigs XIV. verknüpft, zu dem und dessen Hof sie alle in naher Beziehung standen. Der Jesuit Bourdaloue (1652–1704) und J.B. Massilon (1663–1742), »der Racine der Kanzel«, waren Hofprediger Ludwigs XIV. – Berühmt sind Massilons, vor dem jungen Ludwig XV. gehaltene Fastenpredigten (Petit carême, deutsch von Pfister, Regensburg 1866) und seine Trauerrede auf Ludwig XIV).
Flechier (1652–1710) war auch Lehrer der Rhetorik und Historiker, bekannt ist seine Leichenrede auf Turenne. Bossuet (1627–1714) ist als Redner, Geschichtsphilosoph und Politiker (vergl. seine Korrespondenz mit Leibniz) jedermann bekannt. Der liebenswürdige österreichische Dichter Heinrich Joseph von Collin, zuletzt Hofrat bei der Creditshofkommission (1771-1811), den Müller am Schlusse der Vorlesungen so warmherzig erwähnt (S. 269ff.), ist heute selbst seinen Landsleuten nur mehr oder kaum noch als der Verfasser der Romanze »Kaiser Max auf der Martinswand«, den literarisch Gebildeten vielleicht durch seine Wehrmannslieder, die er für die österreichische Landwehr im Kriegsjahre 1809 dichtete, und höchstens noch durch sein Drama »Regulus«, das Bürgertugend in römischem Kostüm verherrlicht, bekannt. Er war ein ungemein fruchtbarer dramatischer Schriftsteller und als solcher auch von Goethe – allerdings sehr bedingt – geschätzt.
Seine sämtlichen Werke sind in sechs Bänden (1812 bis 1814 bei Anton Strauß in Wien) erschienen. Im Schlußband steht auch eine von liebender Bruderhand geschriebene Biographie dieses Ilassischen »Österreichers«, den Joh. von Müller gelegentlich den »österreichischen Corneille« genannt hat. Darin wird mit allem Respekt (S. 326 ff.) auch auf das Urteil Adam Müllers in den in Wien gehaltenen Vorlesungen über Beredsamkeit Bezug genommen. Adam Müller scheint (Biographie Collins S. 443) den Dichter erst in dessen letztem Lebensjahr (1811) durch den Legationsrat Buol persönlich kennen gelernt zu haben und schrieb ihm dann im österreichischen Beobachter einen warmen Nachruf.
Über Collin vgl. auch Nagel und Zeidler, Deutschösterreichische Literaturgeschichte, Wien 1914, II, 1, S. 468ff.
Es muß den Fachgelehrten überlassen bleiben, die Stellung von A. Müllers Vorlesungen über die Beredsamkeit innerhalb einer allgemeinen Geschichte oder innerhalb einer Geschichte der deutschen Beredsamkeit zu bestimmen. Nur soviel scheint mir sicher zu sein, daß sie nicht vom Standpunkt der gewöhnlichen Kunstlehren über Rhetorik zu beurteilen sind. Die überaus reichhaltige Literatur über Beredsamkeit aus älterer Zeit findet man bequem zusammengestellt bei Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste (1792); die spärliche neuere Literatur steht in der deutschen Stilistik von R.M. Meyer (München 1913) der, soviel ich sehe, Müllers Vorlesungen nicht einmal erwähnt.