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IV. Verhältnis der Beredsamkeit zur Poesie

Nachdem wir in unsern bisherigen Unterhaltungen den toten Begriff der Sprache zu seinem Ursprung, nämlich der lebendigen Idee des Gesprächs, zurückgeführt haben, nachdem der Persönlichkeit des Menschen, seiner Brust und Stimme, zurückgegeben worden ist, was ihnen gehört, und was, unnatürlich zur Sache und Ware herabgewürdigt, in den Banden des Buchstabens und der Schrift gefangen lag, so stehn wir nun an dem Scheidewege, wo sich die göttliche Kunst der Rede in ihre beiden Hauptformen, die Beredsamkeit im engeren Sinne des Worts und die Poesie bricht, und wo wir, wenn wir unsrer Verabredung gemäß, der ersteren ungestört folgen sollen, ihres Verhältnisses zur letzteren gedenken müssen. –

»Poesie, sagt Hugh Blair in seinen Vorlesungen über die Rhetorik, ist die Sprache der Leidenschaft oder der in Tätigkeit gesetzten Einbildungskraft, die sich gemeiniglich auch durch einen besonders geordneten Silbenfall unterscheidet. Alle anderweiten Erklärungen der Poesie sind von ähnlichem Schlage: die Kritik bleibt im ganzen genommen dabei stehn, eine gewisse größere Lebhaftigkeit, Bilderfülle oder das wahrzunehmen, was sie mit einem vielbeliebten Ausdruck Schwung nennt. So viel scheint bei allen ausgemacht zu sein, daß es aufwärts geht, daß sich etwas geflügelt losreißt von den Banden dieser Erde und seine eigentümliche Bahn verfolgt: über die nähere Bewandtnis der Sache sucht man vergeblich Auskunft. Wenn man alle die Sagen von dem Wahnsinn der Begeisterung betrachtet, der den Dichter ergreifen soll, und erwägt, wie man übereingekommen ist, dem Dichter aus dem Wege zu gehn, ihm gewisse Freiheiten zu gestatten, ihn gewähren zu lassen, ihn zu behandeln wie einen, der sich in sehr unnatürlichem und ungewöhnlichem Zustande befindet, und nun dabei bedenkt, daß der eigentümliche Pulsschlag seiner Werke, nämlich das Silbenmaß wirklich auf etwas Besonderes, von dem übrigen Treiben des Lebens Unabhängiges, seinem eigenen Gesetze Folgendes hindeutet, so ergibt sich, daß, wie es auch in der Ordnung ist, das Wesen des Dichters eigentlich vielmehr empfunden, als durch Worte ausgedrückt worden ist. Es gehört zu dem Wunder der Poesie, daß so viele zu sagen wissen, wie ihnen zu Mut gewesen, da sie von ihr ergriffen wurden, und doch so wenige anzuzeigen vermögen, was sie denn eigentlich ergriffen hat. – Eine der interessantesten Bemerkungen, die uns zuerst bei der Erwägung des Verhältnisses zwischen der Poesie und Beredsamkeit aufstößt, ist die, daß die Beredsamkeit es allezeit auf einen bestimmten Zweck absieht, während die Poesie überhaupt keinen Zweck, und wenn ja einen, doch gewiß keinen hat, der im Bezirke unserer irdischen Neigungen und Bestrebungen liegt. Es ist eine gewisse Selbstgefälligkeit in den Werken der Dichter, ein sich selbst genug sein, ein sich selbst spiegeln, und, bei aller innern Bewegung im einzelnen, eine Ruhe des Ganzen, die keine Begierde nach außen zuzulassen, und auf dieser Erde eigentlich nur das Gleichartige, in gleicher Seligkeit Befangene aufzusuchen scheint. Das Wort Schwung deutet auf eine Art von Anstrengung, von effort, und scheint auf diese Beschreibung nicht zu passen – ich bitte Sie aber nicht zu vergessen, daß die Kritiker, wie schon bemerkt, meistenteils nur ihren Zustand und ihr Verhalten bei Gelegenheit der Poesie, nicht aber die Poesie selbst beschreiben; und so bezeichnet denn jenes Wort (Schwung) nur die Resolution, die Art von Anlauf, die sie selbst nehmen müssen, um dem Dichter zu folgen. Aber da es keineswegs zum Wesen des Dichters gehört, daß er sich notwendig erhebe in sogenannte höhere Regionen, da ihm die Tiefe gehört so gut als die Höhe, da die Flügel, die wir ihm beilegen, nur andeuten sollen, daß er im Gleichgewichte sei mit dem Elemente, darin er lebt, daß Hoch und Tief, Groß und Geringe, und alles Maß und Gewicht des gemeinen Lebens vor ihm zuschanden werde – so ist es allerdings belustigend zu sehn, wenn die Kritik, wo sie einen Dichter gewahr wird, sich auf einen Schwung ins Unendliche gefaßt macht, während es doch meistenteils mit einem ruhigen Wandeln in den Tälern dieser Erde schon getan ist. Grade weil der Dichter sich dieser Erde entziehen kann, wann er will, so wird er wahrscheinlich mit besondrer Freiheit und mit besondrer Liebe in den irdischen Verhältnissen verweilen. – Indes ist der Redner befangen, verwickelt in diesen Verhältnissen, er will bestimmte Wirkungen hervorbringen, er will eingreifen in den Gang der Dinge, weil er einer bestimmten Zeit, einem bestimmten Orte angehört. Die Notwendigkeit und der Ernst bezeichnen das Geschlecht des Redners, Spiel und Freiheit das des Dichters. Das unendliche Gespräch aller der vielgestalteten Naturen im Umkreise dieses Lebens, welches ich in früheren Stunden beschrieben, ist zwar der Gegenstand beider: der Redner so gut als der Dichter vereinigt die drei Personen des Gesprächs, die beiden streitenden und die höhere friedenstiftende, nur daß er, der Redner, in dem Standpunkte einer der beiden streitenden Parteien residiert und dahin immer wieder zurückkehrt, während dem Dichter wie einem höheren Geist jene dritte heitre friedenstiftende Stelle über aller Zwietracht dieser Erde zur Heimat angewiesen worden, von wo er parteilos und gerecht, zwar tief hinabsteigt in die Herzen der Menschen, in ihre Feindseligkeit und ihren Schmerz, richtend, versöhnend, aber immer zuletzt von jedem irdischen Anfluge reingebadet, sich wieder zu der ruhigen Klarheit seines Wohnsitzes erhebt. Der Redner so gut als der Dichter vermag nichts ohne den Gott, wenn auch jener vielmehr als Held und Streiter für die göttliche Sache, dieser, der Dichter, vielmehr als Priester und Stellvertreter des Gottes erscheint, wie schon die Alten sehr richtig andeuteten; und wenn die höhere Würde der Menschheit eigentlich in der Verbindung des Göttlichen und Menschlichen beruht, und, wie ich neulich zeigte, gerade die Sprache göttliches Siegel oder Kennzeichen aller menschlichen Taten ist, so steht der Redner vielmehr in der Region des Menschen und befangen in der Tat und herabziehend zu ihrer Hilfe und ihrem Gedeihen das Göttliche, der Dichter hingegen vielmehr in der Region des Gottes, und lebend in der Sprache, im Wort, alles Trübe, Schwere und Verwirrte auflösend in die Klarheit seines Elements, und es, wie im Ion des Platon so schön beschrieben wird, hinaufziehend in den Kreis des Göttlichen. Der Redner nach Art des Hausvaters ist befangen in den Geschäften der Erde, schaffend, erwerbend, streitend für das Bedürfnis, für den Staat, die Wissenschaft, den Glauben, ohne Ende herbeiführend die Materialien des Baus, das Feindselige abwehrend und sein Unternehmen durch die Hilfe höherer Mächte verbürgend, indes die Poesie nach Art der Hausmutter alle diese versammelten Schätze ordnet, und in ein ruhiges Ganze zusammenfügt, und zu einem Wohnsitz des Göttlichen einweiht. Die Poesie wie die Hausmutter bleibt frei von den eigentlichen Banden des Besitzes, und während der Redner nach Art des Hausvaters das irdische Eigentum behauptet, verteidigt und auf die Nachkommen eigenmächtig und selbstherrschend überträgt, so ist die ganze Bestimmung der Poesie, wie der Frauen, frei von allen irdischen Banden die heilige Flamme des Lebens und des Sinnes, der das Leben zur Ewigkeit macht, zu bewahren und weiterzugeben. Die starren Gesetze des äußeren bürgerlichen Lebens berühren die Frauen so wenig, als die Zwecke, die Pflichten, die Rücksichten des Redners irgend etwas über die Poesie vermögen; und wie sich auf dem Gebiete der weiblichen Wirksamkeit ein eignes und unabhängiges Gesetz der Harmonie bildet, welches wir Sitte nennen, so hat auch die Poesie ihre eigne Regel des Wohlklangs, an der sich alle Wogen der Rede brechen: diese Regel, welche über alles Wirken des Redners dieselbe unsichtbare Gewalt ausübt, welche die Sitte über die Geschäfte des Mannes, möchte ich den wahren Geschmack nennen, wenn dieses Wort von allem Konventionellen, von aller falschen Verzärtelung und von jedem unedlen Beisatz gereinigt wäre. Sicher haben alle wahrhaft schönen Gemüter unter dem Worte Geschmack diese höhere Regel innerlich gemeint, wenn auch durch Zeiteinflüsse tausend unwesentliche Nebenbegriffe sich angeschlossen hätten. Daher nun in allen Werken der Poesie die tiefe Spur des freien Ursprungs, aus dem sie stammen: daher der eigentümliche Pulsschlag des Silbenmaßes, daher die Freiheit, ich möchte sagen die Selbstbestimmung, ja die Unabhängigkeit jedes poetischen Werkes (dessen Geburt vollendet ist) sogar von dem Dichter, wie des Kindes sogar von der Mutter: es gibt dann noch eine äußere Pflege, Feile, Politur – aber über den eigentlichen Kern des Werkes, über die innerste Flamme des Lebens, die durch ein göttliches Geheimnis entzündet worden, vermag der Dichter so wenig, als die Mutter über ihr Kind: erhalten, reinigen, schützen, auch zerstören läßt es sich oder opfern, aber nicht zurücknehmen, nicht umgestalten! Daher auch die anscheinende Zwecklosigkeit der Poesie, deren wir oben erwähnten, es läßt sich von ihr so wenig als vom Leben selbst der bestimmte Nutzen und die Art der Verwendung angeben, wofür sie eigentlich bestimmt sei. –

In den Werken der Beredsamkeit andrerseits scheint die Unruhe des Ursprungs unverkennbar: statt des einen innern unsichtbaren und geheimen Gesetzes der Poesie, welches sich in dem Ebenmaß der Symmetrie und der Vollendung aller poetischen Werke äußert, scheinen hier vielfältige, äußere, selbst noch unvollendete Gesetze zu regieren; die Bewegung gleicht dem unbestimmten Wellenschlag des Meeres, über das die Strömung, der Zug der Winde und auch der Einfluß der Pflanzen wechselweise gebietet, indes der Puls der Poesie ruhig und einförmig, und fast von allen irdischen Einflüssen unabhängig fortschlägt. Man muß die Erde im ganzen, und lange Zeiträume hindurch betrachten, dann wird sich auch in den Bewegungen der Gewässer jenes heilige Gesetz des Lebens offenbaren, welches wir in dem abgeschlossenen Leben des Kindes unmittelbar, und wie durch Inspiration empfinden. –

Die Beredsamkeit des einzelnen Redners an sich betrachtet, hat im Vergleich mit der Poesie etwas Fragmentarisches und etwas von der Person des Redners immer Abhängiges; es ist, als wenn sie nicht immer zugleich die ganze Fülle, sondern nur eine Seite des Lebens darstellte, und als wenn der Redner selbst, die Kenntnis seines Charakters und seiner Lebensumstände erst sein Werk erklären müßte. Und doch erscheint auch dann noch sein Wesen einseitig und von höheren Umständen abhängig: man braucht die Werke der antwortenden Redner, man muß die Wechselrede einer ganzen Nation Jahrhunderte hindurch verfolgen, man muß des gesamten Nationalgesprächs inne werden, um dann endlich auch hier in jedem einzelnen Redner, unter allem Schein der Unregelmäßigkeit, wie dort in dem Tumulte der Meereswogen den heiligen Pulsschlag wiederzufinden, den wir unmittelbar empfanden, indem wir die Hand an ein menschliches Herz legten. –

Nirgends zeigt sich die Wahrheit dieser Darstellung deutlicher als in der Betrachtung der britischen Beredsamkeit: jeder einzelne Redner des britischen Parlaments steht auf einem ganz bestimmten Parteistandpunkte, er ist notwendig einseitig und fragmentarisch, wenn man ihn mit dem Dichter vergleichen wollte. Außer diesem Parteistandpunkte trägt er in sich einen instinktartigen Respekt vor seinem Gegner, und – die an Anbetung grenzende Verehrung vor dem ganz unaussprechlichen Wesen, welches britische Verfassung heißt. Er vereinigt also meiner Forderung gemäß die drei Personen des vollständigen Gesprächs: indes residiert er, wie es sich gehört, derb, tüchtig, kriegerisch gesinnt in seinem Parteistandpunkt, und kann durch die einzelne Rede zwar eine erhabene Gesinnung, aber niemals die ganze Fülle des politischen Lebens so ausdrücken, wie der Dichter die Fülle des Lebens, welches er darstellt. Indes ist es eine sonderbare Erfahrung, die der unparteiische Ausländer im fortgesetzten Studium der Parlamentsredner notwendig machen wird, nämlich daß man im Verfolg des Parlamentsgesprächs durch eine lange Reihe von Jahren ganz deutlich unter aller einzelnen Unregelmäßigkeit, im Gange des Ganzen einen Rhythmus wahrnehmen wird, über welchen die Ausschweifungen der einzelnen Redner so wenig Gewalt haben, als die einzelne Ausschweifung des wahren Dichters über den Rhythmus der Verse und Silben, der ihn einmal ergriffen hat. Der Ausländer nun, im Studium des englischen Parlamentsgesprächs, vereinigt so gut wie der einzelne Redner alle drei Personen des Gesprächs, die beiden streitenden Parteien und das dritte höhere, allen gemeinschaftliche Wesen: weil er aber nicht im Standpunkte einer einzelnen Partei wohnt, sondern, wenn irgendwo, so auf der höheren gemeinschaftlichen Stelle, da wo das Gemeingut aller Parteien, nämlich die Konstitution steht, seinen Sitz hat, so befindet er sich in einer ähnlichen Lage, wie, meiner obigen Beschreibung zufolge, der Dichter: er übersieht, ich möchte sagen poetisch, also mit Ruhe, leidenschaftslos, ohne bestimmten Zweck, wie solcher den einzelnen Redner regiert, mit Liebe, und fast ohne Vorliebe das Ganze; und das Gesetz, der Rhythmus dieses Ganzen steht in voller Klarheit vor seiner Seele. – Aus diesen Gründen möchte es wohl dereinst zuerst einem Ausländer gelingen, das innere Leben und Wesen jener Verfassung, des würdigsten Gegenstandes des Neides und der Bewunderung aller europäischen Völker, vollständig auszusprechen.

– In dem Maße, als der einzelne Redner nach der Fülle seines Gegenstandes strebt, wird auch seine Rede rhythmischer, seine Prosa nähert sich der Poesie, nicht etwa indem sie sich poetischer Mittel, Bilder oder gar, wie es mitunter schlechte Prediger auf der Kanzel versucht haben, der Verse und des Reims bedient, sie wird nicht etwa zu dem ekelhaften Zwitter, den man poetische Prosa genannt hat, und die mit den weibischen Männern zu vergleichen sein möchte, sondern wie der recht männliche Mann im Umgang mit Frauen, durch das Gesetz der Schönheit, durch die Sitte gedämpft und veredelt wird, so wird der wahre Redner durch den Umgang mit der Poesie, durch das Leben in ihrem Elemente, durch Aufenthalt als Gast in jener göttlichen Region, die sie immerwährend bewohnt, kurz durch den Einfluß des wahren Geschmacks', der im Gebiete der Poesie einheimisch ist, auf gewisse Weise verklärt, beruhigt: seine Rede wird, obwohl auf ganz andre eigentümliche, männliche Weise, rhythmisch und vollendet. – Von seiner Art kann er nicht lassen: als Redner muß und soll er bestimmte Zwecke, bestimmte Wirkungen hervorbringen wollen; er muß festhalten an Zeit und Ort; an das Universum, an alle Jahrhunderte zugleich lassen sich keine Reden halten; die äußere Form seines Werkes bleibt notwendig Prosa, weil die fortgehenden Weltumstände, die wechselnden Zeiten unaufhörlich darin eingreifen und die Richtung seiner Bahn verändern. Glücklich, wenn zuletzt sein ganzes Leben mit Inbegriff der Werke, so vollständig, so ebenmäßig, so frei, so göttlich erscheint, wie ein einzelnes Werk der Poesie. Seine Lorbeern grünen erst da, wo sein Werk geschlossen ist, und sich über ihn ein Urteil fassen läßt: auf seinem Grabe. Das einzelne Größte, was er getan, trägt den Charakter seiner Zeit, die Farbe seines Orts, und kann nicht erhaben sein über die Unruhe, daraus es entsprungen; der Sturm, den der Redner bespricht, flattert in seinen Haaren und in allen seinen Gewändern: wie kann er der Welt ruhig erscheinen, gegen die er kämpft: wer kann ihn richten, als sein eignes Bewußtsein und die Nachwelt?

– Es fragt sich nun, ob sich in dieser ganzen Darstellung des Verhältnisses der Poesie zur Beredsamkeit keine Parteilichkeit gezeigt hat für eines von beiden. Sie haben mich in diesen Vorlesungen auf einige Stunden für den Wortredner der Beredsamkeit gelten lassen wollen, ich habe mich zu diesem Geschäfte angeboten, weil meine ganze Persönlichkeit, wenn es in der Gegenwart so großer Gegenstände erlaubt ist, einer solchen Kleinigkeit zu gedenken, sich vielmehr auf die Seite der Beredsamkeit, als auf die Seite der Poesie hinüberneigt. Habe ich indes meinen Zweck erreicht, hat meine Rede, oder damit ich wahrer, obwohl nicht ohne einiges Mißbehagen sage, hat meine Feder mir gehorcht, so muß ich Ihnen vielmehr als Wortredner der Poesie, denn als Wortredner der Beredsamkeit erschienen sein; sie muß aus unsrer Betrachtung in einer gewissen Sonnenklarheit hervorgehn, während die Beredsamkeit mit allen Wolken und Nebeln und Stürmen der Erde ringt. Ich habe Deutschland angeklagt, um es würdig zu verteidigen; ich habe gründliche Beschwerde über meine Zeit geführt, um mir die Ehre zu verdienen, ihr Wortredner zu sein; nun beschließe ich die Reihe der Anklagen, indem ich den eigentlichen Gegenstand meiner Rede im ungünstigen Lichte zeige neben einer höheren Schönheit; und doch ist es gerade diese höhere Schönheit, der in Deutschland auf Unkosten der Beredsamkeit schon allzu sehr gehuldigt wird; wie manchen tüchtigen Entschluß das Vaterland in der kriegerischen Manier des Redners zu verteidigen oder gar zu retten, habe ich in Deutschland zu einem schlechten Sonett, oder zu einem noch schlechteren Trauerspiele werden sehn. Aber freilich gehört zu dem rednerischen, wie zu allem praktischen Wirken einige Mithilfe der Umstände, einige Witterung des Glücks, und daher war es in Deutschland wohl natürlich, daß man, da der irdische Parteistandpunkt, den der Redner braucht, unter unsern Füßen verschwand, sich auf jenen dritten, höheren, reineren Standpunkt zurückzog, der uns allein zu verbleiben schien.

Unerachtet also die Vorliebe der edleren deutschen Naturen für die Poesie schon bis zur Unart geht, so habe ich es in der Vergleichung der Poesie und der Beredsamkeit dennoch auf die Verherrlichung der Poesie angelegt: zuvörderst, weil, wie schon gesagt, ihr die Würde der Frauen im Hause gehört, weil ihr der pas zukommt, und weil ein Deutscher der ehrenvollen Anerkennung des größten Römers, des Tacitus, nicht widersprechen darf, daß wir die ersten waren, die vor dem andern Geschlechte die Knie beugten, die recht antirömisch ein Recht des Schwächeren anerkannten, während Rom nur ein Recht des Stärkeren. Dann aber, weil ich wenigstens streben will, die ganz verschiedene Macht, den ganz eignen Reiz der Poesie auf männliche, prosaische Werke zu begreifen, weil ich mich durch ihr Wesen vervollständigen, weil ich meinen rednerischen Bestrebungen durch den Umgang mit der Poesie, durch gastlichen Aufenthalt bei ihr, den Geist des Anstandes und der Sitte mitteilen möchte, den der Mann im Umgang mit den Frauen gewinnt, und den man mit dem bis jetzt völlig unbegriffenen und unerklärten Worte Geschmack eigentlich gemeint hat. Dies habe ich gewollt, ohne der männlichen Natur der Beredsamkeit und ihrem prosaischen Charakter etwas zu vergeben, ohne alles neidische Bestreben über ihre natürlichen Grenzen hinaus, ohne Begierde nach etwas, was mir einmal nicht gewährt ist, sondern weil ich weiß, daß ich meine Kunst nicht höher ehren kann, als indem ich ihr Gegenteil anerkenne. Unterscheiden Sie wohl die poetische Gerechtigkeit von der rednerischen: jene ist gerecht auf göttliche Weise, die Gerechtigkeit ist ihr ruhiger Zustand; diese ist gerecht mehr auf menschliche, männliche, kämpfende Weise, indem sie sich selbst widerstrebt: von dieser lernt man gerecht handeln, in jedem einzelnen Augenblick Gegengewicht, ja Gegengift werden für das Unrecht; von jener lernt man gerecht sein, man lernt die Gemütsverfassung der Gerechtigkeit.

– Wenn nun der Redner im Kampfe für die Gerechtigkeit, der Dichter aber in der ruhigen Übung der Gerechtigkeit lebt und webt, so wird die Stellung des Hörers eines Redners viel Ähnlichkeit haben mit der Lage des Dichters. Wir haben neulich beschrieben, welchen leisen aber gewaltigen Einfluß der Zuhörer über den Redner durch Geberden, Rührungen, ja durch die bloßen Stufen seiner Aufmerksamkeit und seines Schweigens ausübt: wahrlich, diese Gewalt kommt ihm, weil er wirklich auf jene ruhige, leidenschaftslose, selige Höhe des Dichters über die Parteien erhoben wird. Ebenso ist das Verhältnis der Frauen zu den männlichen Geschäften, immer klar ihr Urteil, natürlich wie ihre Briefe und Erzählung, oft, und grade in den verwickeltsten Lagen des männlichen Lebens, oft orakelhaft und unbegreiflich weise; warum? weil sie mit Rücksicht auf die männlichen prosaischen Geschäfte in der höheren, leidenschaftslosen, poetischen Region stehn, weil sie überhaupt, wie jeder dritte bei einem Gespräch, wie jeder teilnehmende Zuhörer, notwendig dahin treten müssen, wo die Gerechtigkeit ein Zustand ist. In dieser leidenschaftslosen, und, erlauben Sie mir immerhin das, wie Sie sehn, sich aufdrängende Wort, in dieser poetischen Stellung sollte eigentlich die Krone jedes Landes stehn, darum haben die Frauen, die Marie Theresien, sie mit so viel Anstand getragen. Endlich wo wird dieser Zustand der Gerechtigkeit so rein gefunden als im Muttergefühle, welches besänftigend schwebt über die kleinen Rhetoren und über die unaufhörlichen Parteiungen der Kinderwelt. Wo auf der Erde lebt ein Herz so gerecht gegen jede Partei, so eingehend in jede der streitenden Neigungen und Wünsche, so allmählich und doch so gewaltig hinaufhebend alle die Gleichgeliebten in eine gewisse Region der Ruhe, die uns durch unser ganzes Leben mit dem Andenken an die Mutter begleitet. Wenn alle Dichter der Welt mit ihren Werken untergingen, so wäre das eigentliche Gesetz der Poesie unmittelbar wiederzuerkennen in seiner reinsten Gestalt in dem Muttergefühle, das nur aussterben kann mit der Welt. – Hier endigen die Beispiele: sie können sich nicht weiter überbieten; um zu empfinden, was ich meine, ist es nun genug.

– Weil die Poesie den pas hat vor der Beredsamkeit, so ist sie deshalb nicht etwa von einer vornehmeren Natur, als die Beredsamkeit; sondern beide gehen Hand in Hand, stützen einander, helfen einander, leben wie in einer Art von Ehe – grade wie die beiden Geschlechter, von deren Verschiedenheit alle irdische Unterscheidung herkommt, wie von ihrer wahren Vereinigung das Gesetz aller Gemeinschaftlichkeit auf dieser Erde ausgeht. Die beiden Geschlechter in ihrer Bestimmung und ihrem Verhältnis begreifen, heißt allen Streit, alle Kriege, allen Zwiespalt, die nur Variationen jenes Hauptthemas sind, begreifen: die Ehe verstehn, heißt alle Verbindungen dieser Erde, alles Gemeinsame, verstehn. Dies ist das Maximum der irdischen Weisheit, wiewohl es der Mensch nicht begreifen könnte ohne eine höhere Auskunft darüber. Meine beständige Rückkehr auf dieses Hauptthema des Verhältnisses der beiden Geschlechter hat man mystisch gefunden; die Philosophie aus einer unbestimmten Ferne, aus einer zweideutigen Höhe herabgetragen zu haben auf die Erde und unter die Menschen, ist der ewige Ruhm des Sokrates: in der babylonischen Sprachverwirrung unsrer Zeiten heißt es Mystizismus, wenn man das ganze Leben auf das wichtigste, mittelste, verständlichste, menschlichste Verhältnis des Lebens bezieht, wenn man die menschliche Wissenschaft von demselben Kern abhängig macht, der den menschlichen Staat zusammenhält, und in dieser Manier jenem großen Muster nachfolgt. Wo ist der Mensch? damit ich in seiner Betrachtung all mein Wissen vermenschlichen könnte? – ich sehe nur Männer und Frauen, in ihrer Wechselwirkung erkenne ich erst den Menschen, wie darin sein wirklicher Ursprung liegt: der Mensch selbst ist mir nicht gegeben, damit ich nicht etwa sein Wesen beisteckte, – auswendig lernte und beisteckte; ich muß ihn in Wechselblicken selbsttätig erzeugen; oder wenn mir gezeigt worden wäre, wie er sei, so soll ich mir sein Bild durch eine ewig streitende Betrachtung der Geschlechter ohne Ende erneuern und anfrischen.

– Also so wenig als unter den beiden Geschlechtern, ist ein eigentlicher Vorrang zwischen der Beredsamkeit und Poesie. Und dennoch schien ich im Anfang unsrer heutigen Unterhaltung einen Scheideweg zwischen beiden anzudeuten, als wenn von Vorzug die Rede wäre, den man einem vor dem andern geben müsse? Allerdings halte ich es für die wichtigste und ernsthafteste Alternative, in die jeder tüchtige Mensch beim Austritt aus der Schule und beim Eintritt in das wirkliche Leben gestellt ist, zu entscheiden, welches der eigentliche Geschlechtscharakter seines Geistes sei, ob er sich mehr hinüberneige zum äußeren, praktischen öffentlichen Leben, also zur Beredsamkeit, oder zu dem innerlichen Wirken der Poesie, zu ihrem häuslichen, weiblichen Wirken, das, unberührt von den Wogen des öffentlichen Lebens, nur leicht bestimmt von den Bedingungen der Zeit und des Orts, eigentlich vielmehr der Ewigkeit und dem ganzen Geschlechte, als dem einzelnen und der Gegenwart angehört. Die Majorität der besseren Naturen muß der Gegenwart, muß dem öffentlichen Leben, also der Beredsamkeit verbleiben: aber besonders in Deutschland kommt es darauf an, sich deutlich sagen zu können, ob man zum Dichter und zu poetischem Leben geeignet sei oder nicht. Hier bei uns grade, weil das öffentliche Leben weniger reizt, als irgendwo sonst, werden in den großen öffentlichen Geschäften die angemeßnen Talente seltner; viele, welche die Natur mit den herrlichsten Anlagen ausschmückte, ziehen sich in eine Art von Dichterwelt zurück; ohne die Resignation, die Bereitschaft des Leidens und der Geduld mitzubringen, welche die poetische wie die weibliche Sphäre erfordert, wollen sie den Geschlechtscharakter ihres Geistes ändern wie ein Kleid, und bringen allen Ungestüm des Herzens, alle Glut der Leidenschaft, alles Feuer irdischer Wünsche, welches im praktischen Leben, wo es hingehört, sich allmählich dämpfen und veredeln würde, mit in eine Region, wo die Gerechtigkeit ein Zustand sein soll.

– Ich muß an dieser Stelle erinnern an das erhabenste Beispiel eines solchen Mißgriffes, an das glücklichste Mißlingen eines solchen Entschlusses, dessen Erzeugnisse noch heut in aller ihrer Disharmonie und Melancholie Deutschland entzücken und erheben, weil sie nämlich das grade redenswerte, nämlich unser Leiden, mit unwiderstehlicher Gewalt ausdrücken, und weil Deutschland im Großen den ähnlichen Mißgriff begangen, weil es unter unbesänftigten Begierden nach europäischer Bedeutung und Unabhängigkeit sich in Dichtungen und Träume verloren hat, die ebensowenig befriedigen können, als jenen dichterischen Redner, den ich meine, seine Werke. –

Schiller war, wie ich schon gesagt habe, zum Redner geboren, und strebte nach Kränzen, die nicht für ihn geflochten waren, und die er doch zu gut kannte, als daß ihn der Lorbeer, den ihm sein Vaterland wirklich reichte, und mit dem es seinen frühen Sarg umflocht, je hätte befriedigen und entschädigen können. Es war der Lorbeer vielmehr des Helden als des Dichters; der Lorbeer, der ihm, dem Vorkämpfer seiner Nation, gebührte, der gerungen hatte mit der Wahrheit, mit dem Guten, mit der Schönheit, der für alle Ideen, für alle Heiligtümer, und für alles Würdige und Große im Umkreis seines Vaterlandes gestritten, gelebt und sich in seinem eignen Feuer verzehrt hatte. Dieser Lohn konnte ihn nicht befriedigen, nicht etwa weil er unempfindlich dafür gewesen wäre: denn wer hat ausgesprochen wie einem Helden zumute ist wie er? sondern weil er sein ganzes Leben hindurch nach einem andern gestrebt hatte, der ihm nicht beschieden war. Dieser Deutsche, dem, wie ein großer Autor sich ausdrückte, die Natur die Brust und die Stimme gegeben hatte, die Menschheit auszusprechen – und der alle tragischen Gefühle der Menschheit auch wirklich ausgesprochen hat, ohne je eine Tragödie zu vollenden, ohne je lächeln zu können in Tränen, wie die Homerische Andromache, der er den schauerlichen Wechselgesang in den Räubern nachgesungen hat – dieser trefflichste Deutsche endigte mit jenem grausamen Wort der Thekla im Wallenstein über die Lose der Menschheit, das man durch alle seine späteren Werke deutlich hindurchklingen hört: das Schicksal ergreift die Schönheit »und wirft sie unterm Hufschlag seiner Pferde, das ist das Los des Schönen auf der Erde«.

Wir verlassen das Gebiet der Poesie nach der leichten Begrüßung, nach der unerschöpften Betrachtung dieser Stunde: ich zumal, meiner Grenzen mir bewußt, geschreckt durch das erhabene Beispiel, dessen wir uns nur auf dem Gebiete der eigentlichen Beredsamkeit, welches wir jetzt betreten werden, wahrhaft erfreuen können. Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst, sagte Schiller, noch recht streng sondernd, geflissentlich zerschneidend die Gebiete, an deren einem, dem Leben, sein Beruf, an deren anderm, der Kunst, seine Wünsche mit gleich starken Ketten angeschlossen lagen. Könnte ich die noch unentschlossene Jugend meines Vaterlandes, die von jener Zauberstimme der Poesie gelockt wird (welche für sie, wenn sie es so ernsthaft meint als er, eine Sirenenstimme werden kann, wie für ihn), überzeugen davon, daß die Heiterkeit der Kunst, in das ernsthafte Leben mitgenommen, darauf übertragen werden kann. Die Heiterkeit der Kunst ist nicht etwa Leidenslosigkeit, sondern eine göttliche Ruhe, die der Redner so gut als der Dichter genießen, wenn auch vollständig nur erst durch sein abgeschlossenes Leben ausdrücken kann.


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