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VIII. Von dem moralischen Charakter des Redners und der geistlichen Beredsamkeit

Die Alten waren des festen Glaubens, nur der gerechte und rechtschaffene Mann könne ein großer Redner sein: vir bonus, ein guter Mann, sagt Quintilian. Worin besteht die Güte des Mannes, als darin, daß er sich gering achtet neben dem Guten, also in dem Glauben an, in dem Leben für ein höheres Gut. Hätte er kein höheres Gut, als sich selbst, so müßte er alles, was ihm widerstrebte, für verwerflich und schlecht halten; er könnte nicht eingehen in die Güte, in die Seele seines Gegenteils; er könnte sich selbst nicht anklagen, also überhaupt nicht sprechen, sich nicht verteidigen; er könnte nur unterwerfen, aber nicht erheben, nur strafen, aber nicht versöhnen. Die gewaltigste Wendung der Rede, die größte, stolzeste Empfindung des Herzens fehlte ihm, nämlich die freie Demütigung vor dem Höhern.

Als nach dreißigjähriger unbezahlter Heldenarbeit in den Staatssachen von England Burke von der Gnade seines Königs für sich und seine Witwe einen Jahrgehalt empfing – es war wenige Jahre, nachdem er alle Verbindungen seines Herzens England, wie neulich beschrieben, zum Opfer gebracht, und sich mit seinen Ahndungen, seinen Sorgen, und mit den großen Schatten der Vorzeit zurückgezogen hatte, erst in den Hintergrund des Parlaments, dann in die Einsamkeit von Beaconsfield, und er nun allein war – wenn man so sagen darf; es war wenige Tage, nachdem der Tod die größte irdische Hoffnung seines Lebens, seinen einzigen Sohn hinweggenommen, und der große Mann nun daniederlag, wie er sich selbst ausdrückte, – wie eine von jenen alten, morschen Eichen, die der letzte Orkan zu Boden gestreckt hatte vor seiner ländlichen Wohnung – als diese finstren Tage seines Lebens für einen Augenblick erhellt worden waren, mehr dadurch, daß sein königlicher Herr sich seiner in seinem Unglücke hatte erinnern wollen, als durch die freilich sehr notwendige häusliche Erleichterung – da erhoben sich im Parlamente von England, wohlzumerken in der Abwesenheit Burkes, der forthin auf diesem Schauplatz seiner ehemaligen Größe nicht mehr erschien, also in der Abwesenheit des Angeklagten – Mylords von Bedford und Lauderdale, klagend über die königliche Verschwendung, den Mißbrauch der Staatsgelder, und daß nun der eigentliche Grund der Abtrünnigkeit Burkes von seinen Freunden und von der alten Sache der Freiheit gefunden sei. –

Der Herzog von Bedford ist bekanntlich durch die Gnade der Vorfahren Sr. Britischen Majestät der reichste Pair von England; der Graf Lauderdale andrerseits ist einer der gelehrtesten Staatswirte jenes Landes, der folglich über die gerechte Verwendung der öffentlichen Gelder eine Stimme haben mußte. Ein gehöriges Gefühl der Indignation, wie zu erwarten stand, äußerte sich diesmal nicht unter den anwesenden Mitgliedern; die Minister rechtfertigten mit einiger Kälte die königliche Gnade: auch werden selten im englischen Parlament viele Worte verloren über die Angelegenheiten einzelner Personen, nur Burke durfte es wagen, wie wir gesehn, über sich selbst zu sprechen, eben weil, wenn er selbst sprach, fast nicht zu unterscheiden war, was in ihm Burke sei, und was England. So war der Stand der Sachen: die Beleidigung zu groß, die Art der Wunde, eben weil die häuslichen Verhältnisse, weil das ehrenwerte Geheimnis einer rechtschaffenen bürgerlichen Haushaltung angegriffen wurde, zu schmerzlich, als daß Burke hätte schweigen können.

Er hat geantwortet, er hat sich verteidigt: diesmal schriftlich, von seiner ländlichen Wohnung aus; keine Silbe ist verloren gegangen; dieses heilige Testament seines Geistes, diese kurze Geschichte einer großen Seele, die an doppelter Verletzung hier des Schicksals, dort der eignen Freunde seines Lebens blutete, die, aufgefordert an sich selbst zu denken, von der Güte, von dem Verdienst des eignen Charakters zu sprechen, mit einer gewissen natürlichen, leisen Ungerechtigkeit des Schmerzes anhebt, mit ihrem Doppelschmerz vor unsern Augen kämpft, aber alles überwindet, und zu dem Grundgedanken ihres Wesens, zu dem was größer ist als die eigne Güte, und mächtiger als aller eigne Schmerz, und als alle Feinde, zu der Idee des Vaterlandes zurückkehrt – liegt in allen ihren Zügen vor uns. –

Es ist als wenn in diesem Briefe an die Lords von Bedford und Lauderdale, einem der letzten Werke des großen und guten Mannes, sich die irdische Beredsamkeit und die göttliche, jene, die auf der Selbstheit, auf der Leidenschaft beruht, diese, welche aus der Güte und der Gerechtigkeit kommt, sich um den Besitz dieses gewaltigen, dieses goldnen Mundes stritten. Burke war diesmal in einer Lage, wo es Pflicht ist an sich selbst zu denken, sich selbst zu loben; seine Persönlichkeit war in ihren Grundfesten angegriffen: in solchem Schmerz und bei solcher Beleidigung ziemt es sich, nichts anderes zu sein als Mensch; wenn irgendwo, so schickte es sich diesmal, an nichts anderes zu denken, als an sich selbst. Aber wenn er im Anfange dieses Briefes dem Herzoge von Bedford mit gleichen Waffen vergilt, wenn er ihn auf den Stammbaum seiner Familie und seines Reichtums zurückführt, wenn er ihm zeigt wie die Krone von England ihm auf alle nachkommende Generationen schon vorausbezahlt habe, während sie hier nur nachbezahle, dreißigjährige Arbeiten vergelte, überhaupt im ganzen ersten Teil dieses Werkes fühlen wir, daß Burke den Gegner niederwirft, aber wir sehen den großen Redner noch nicht: wir werden mehr bewegt als erhoben, mehr gepreßt als überwunden.

– Auch er, wenn er sein arbeitsvolles Leben erwogen, und seinen Sohn betrachtet, habe in aufgeweckten Stunden gehofft eine Art von Familienstifter zu werden in seiner Weise, eine Art von Stammbaum zu eröffnen, seinen Enkeln die Bahn zu ebnen, ihnen einen Namen mitzugeben, dessen die Nation noch spät sich erinnern würde, und vielleicht den Nachkommenden vergelten würde die uneigennützige Vorarbeit des Ahnherrn. Aber eine höhere Macht, vor deren dunklen Beschlüssen das leichte, flatternde Wesen unsrer Wünsche wie ein Traum verfliegt, hatte anders verordnet, fährt er fort: bei mir ist die Ordnung der Dinge umgekehrt, die nach mir kommen sollten, sind vorangegangen, die mich wie ihren Ahnherrn verehren sollten, nach denen, in den Wohnungen des Friedens muß ich, gemarterter Greis, sehnsüchtig hinaufschaun wie nach meinem Ahnherrn. Meinen Nachkommen ist nichts zu vergelten, denn ich habe keine mehr: man muß mich selbst bezahlen, die letzten Tage meines Lebens erleichtern, wenn man mir danken will; man tut es reichlich, vielleicht gegen die Grundsätze eurer Staatswirtschaft, aber gewiß nicht gegen die natürliche Ordnung der bürgerlichen Dinge, reichlich, da ich ja viel gearbeitet, und nur kurze Zeit und unter Tränen genießen kann. Ist dies die Sprache gegen meinen königlichen Herrn? unterbricht er sich, – gegen England? dieses Geschwätz von Verdienst, von Bezahlung, von Vergeltung? nichts habe ich getan, alles ist Gnade, keine Rechnung ist abzuschließen, ich bin der Schuldner, das Vaterland hat von mir zu fordern, ich bin ihm noch die Tage schuldig, die ich zu leben habe, die letzten hinsinkenden Kräfte, die letzten Funken dieses verlöschenden Geistes gehören ihm. Aber das ist die alte Doppelsprache des gebrechlichen Herzens des Menschen: warum soll es jenem frommen Patriarchen der Geduld, dem Hiob anstehn zu schreien über den Schmerz, sich zu widersetzen dem Feinde und der Freundschaft kalter Trostsprecher bei aller Demütigung unter die Ratschlüsse Gottes – und nicht mir. Anders ist die Sprache gegen den Feind, anders gegen meinen königlichen Wohltäter und England! – Wenn ich von Verdienst rede, so gilt das dem Herzog von Bedford und nicht England: denn um ihn habe ich es verdient, grade um ihn, der bei geringen Verdiensten und unermeßlichen Belohnungen sich wärmt, und wächst und immerfort gedeiht am Strahle dieser Sonne der Gerechtigkeit, dieser Verfassung, die ich habe verteidigen und retten helfen. Es ist die besondre Eigenheit dieser Verfassung, daß beide bestehen durch sie, der müßige Besitzer uralter Rechte, und der schweißbedeckte Arbeiter mit dem sorgenvollen Erwerbe dieser Stunde, daß wir beide bestehn durch sie, er, ein sehr junger Mann mit alten Pensionen, ich, ein alter Mann mit sehr jungen Pensionen. Grade diese Eigenheit der Verfassung habe ich verteidigt; für seine Meiereien habe ich gesprochen, und für seine Äcker; und gegen die Revolution, die in der Seele ihrer unschuldigsten Freunde ja nur den einen Zweck hat, Arbeit und Verdienst allein zu erheben, und die müßigen Besitzer zu verdrängen. Wer hat denn die Rechte des Herzogs von Bedford verteidigt, als ich? – Nun verschwindet der Herzog von Bedford – und Burke sich selbst – vor den höheren Gegenständen, die sich aufdrängen, vor den Gefahren, die England bedrohen und die Verfassung; dieses Zion, wie er sie nennt: templum in modum arcis, diesen Tempel in Gestalt einer Burg: Gegenstände, sagt er, gegen die er, und sein Schmerz, und seine Feinde, und selbst der Herzog von Bedford mit allen seinen Feldern, und Schlössern, und Reichtümern viel zu gering seien.

Es ist eine gewisse Region der Tugend, sage ich, eine gewisse Bergesluft der Gerechtigkeit, worin der große Redner atmen muß, wenn die eigentliche Rede beginnen soll: diese Rede kommt, diese Region hat Burke erreicht, er hat sich hindurchgearbeitet durch die Zuckungen des Schmerzes, durch das Gedränge seines Kummers, durch die Angriffe der Persönlichkeit: die Notwehr, die mehr schlagen muß als sprechen, weil sie keine Zeit hat zum sprechen, ist zu Ende an der Stelle dieser göttlichen Rede wo ich sie abbreche, weil sie selbst vorliegt, und für sich selbst besser sprechen wird, als ich in der Beschreibung vermöchte. Ich höre den Ton, worin sie gesprochen wurde, als der große Mann sie niederschrieb, weil ich manche Zeit meines Lebens damit zugebracht habe, nachzuempfinden, wenn es möglich wäre, wie ihm zu Mute gewesen: ich habe den Ton zu beschreiben unternommen, in welchem diese Rede gelesen werden muß, und die leidensvolle, dunkle Stimmung des Gemüts, aus welcher dieser Sturm der Beredsamkeit hervorbricht. Die tugendhafte Klarheit, in die sich zuletzt alles auflöst, läßt sich nur sehn, nicht beschreiben: ich wünsche Deutschland Glück, daß es auch dieses Werk des göttlichen Redners in seiner eignen Sprache besitzt. Befremdlich ist, daß es nicht schon im Jahre 1797 unmittelbar bei seinem Erscheinen tausenden von unsern taubstummen Sprachgenossen die Zunge gelöst und das Ohr entbunden hat. Mir wenigstens wurde dabei zu Mut, als könne ich auch sprechen.

Diese Rede, besser als irgendein andres Werk unsrer Mitwelt, deutlicher und lebhafter als irgend eines der Vorwelt, zeigt wie niemand für sich selbst, sondern nur im Namen des höheren, und für ein höheres Gut sprechen könne. Ich habe mit Bedacht ein Beispiel gewählt, wo der Redner gedrängt wird von sich selbst zu sprechen, wo seine Persönlichkeit und ihre Rechtfertigung allein im Spiel zu sein schien: denn wie wir überhaupt dem Göttlichen, nicht durch ein Entsagen des Menschlichen dienen können, sondern das Höhere erst recht zu merken anfangen unter Leiden, d. h. wenn wir unser persönliches Wesen am tiefsten und gründlichsten empfinden, wie wir die Höhe erst recht merken neben der Tiefe, so entwickelt sich auch das Göttliche der Rede erst recht inmitten der menschlichsten Angelegenheiten und Schmerzen. Es muß vieles zu verzehren sein, Untergeordnetes, Persönliches, Irdisches – wenn sich diese Flamme entzünden soll.

Auch die Tugend des Redners kann nur eine streitende sein. Ich will ihn auf Knien sehn vor dem höheren Gute, sage ich, aber zugleich aller geringeren Güter und Sorgen sich bewußt: diese Forderung ergeht an den geistlichen Redner so gut als an den weltlichen. In keine unnatürlichere Stellung könnte sich der Redner versetzen, als wenn es bei ihm Grundsatz würde, von seiner eignen Persönlichkeit zu abstrahieren, und diese ganz aus dem Spiel zu lassen. Es ist genau ebenso untugendhaft sich selbst zu vergessen, als des Göttlichen: ich kann euch das Göttliche nicht zeigen, muß der Redner denken, als durch die Strahlen, die es auf mich geworfen hat; das Licht an sich läßt sich nicht weitergeben, nicht zeigen als allein in dem erleuchteten Gegenstande, und der erleuchtete Gegenstand bin ich, ist meine Persönlichkeit. Je tiefer dieser Glanz hereinscheint in die Angelegenheiten meiner Person, je eigentümlicher der Strahl sich bricht in meinem Herzen, um so begreiflicher wird die Bewandnis, die es mit dem Lichte hat: wozu überhaupt ständen wir in dieser dunkelnden Welt, und hätten nur Farben und Schatten, aber kein Licht, wozu wiese uns die Sonne geblendet zurück, wenn wir sie selbst betrachten wollen, wenn sich das Licht nicht besser verstehen ließe in den gefärbten Schatten, als in sich selbst. Die klarste, sorgloseste Stirn würde einen toten Schimmer zurückgeben gegen das Lebenslicht, welches in jener Verteidigungsrede aus dem finstern, zerrissenen, zerschmetterten Herzen Burkes hervorbricht. Deutlicher wird die Heiligkeit dieses Redners in seiner Behandlung dieser allerweltlichsten, dieser Geldangelegenheit, als sie es in der unmittelbaren Behandlung der heiligsten Ideen nicht werden könnte. –

Wer kennt nicht die berühmte Rede Bossuets auf den Tod des großen Condé, womit der Redner die Reihe seiner Gedächtnisreden beschloß? Ich will nicht weiter reden zum Andenken großer Verstorbener, sagt er: »au lieu de déplorer la mort des autres, grand Prince! dorénavant je veux apprendre de vous à rendre la mienne sainte. Heureux, si averti par ses cheveux blancs du compte, que je dois rendre de mon administration, je reserve au troupeau, que je dois nourrir de la parole de vie, les restes d'une voix, qui tombe, et d'une ardeur, qui s'éteint.« »Anstatt fremden Tod zu beklagen, großer Fürst! will ich von jetzt ab durch Euch lernen, den meinigen heilig zu machen. Ein Glück, wenn ich, gemahnt durch diese weißen Haare an die Rechenschaft, die ich von meinem Dienst zu legen haben werde, für die Herde die ich mit dem Worte des Lebens speisen muß, die Reste einer Stimme mir erhallte, die verhallt und eines Eifers der verlischt.« (Die Übersetzung ist vom Herausgeber.) Ist dies ein bloßes rhetorisches Kunststück, ist es ein bloßer Abgang, wie man im Theater jene nichtswürdigen Herausforderungen des Beifalls nennt, wenn das Kunststück des Schauspielers in den Augenblick hineingedrängt ist, wo er die Bühne verlassen soll, wenn eine Reihe von Sentenzen mit einer gewissen tragischen Pointe beschlossen wird, und es eigentlich vielmehr auf den Schrecken der Zuhörer bei dem plötzlichen Abreißen der Rede, als auf die wahre Wirkung abgesehn ist? Die Wendung des Bossuet ist schön, weil sie natürlich ist, sie ist erhaben, weil sie so menschlich ist: wie Burke von sich ausgeht und in den höheren Gegenständen verloren schließt, so kehrt Bossuet von dem erhabenen Gegenstande, davon er ausging, still in sich selbst zurück. Wir empfinden in beiden Fällen gleich lebhaft, daß uns genuggetan wird, wir empfangen das Göttliche und Menschliche zugleich; beides ist unsere Heimat; aus welchem in das andre wir zurückkehren mögen, immer empfängt uns eine wohlbekannte, eingewohnte Heimat, und dieses befriedigt uns.

Das ist die wohltätige Spur, welche alle echte Beredsamkeit in uns zurückläßt; das Allgemeine und Besondre, das Höhere und das Niedre, der Himmel und die Erde haben sich berührt: der Redner schweigt, wir finden uns wieder in den bekannten Tälern dieser Erde, wir verweilen noch immer in besonderen, wohnen noch immer hier in den Niederungen, aber ein himmlischer Tau ist zurückgeblieben, beglänzt die Erde, und wenn er auch sanft verduftet, indem die Geschäfte der Erde uns forttreiben, so bleibt doch unser ganzes Dasein auf lange Zeit erfrischt. – Darum ist die gewaltigste Wendung der Rede, wie ich im Anfang sagte, die freie Demütigung vor dem Höheren, und der Mensch überhaupt nie unwiderstehlicher und mächtiger als in seiner Demut: je tiefer er sich beugt vor den himmlischen Mächten, um so weniger vermag die gemeine Gewalt dieser Erde über ihn. Darum gibt es im Grunde keine andre Beredsamkeit als die göttliche; und die göttlichste ist keine andre als die allermenschlichste; das im Munde führen, das Auseinanderzerren des Göttlichen an sich, das breite Sichauslassen und Abhandeln und Sichvernehmenlassen von den göttlichen Dingen an sich ist eben so unnatürlich und unrednerisch, als das egoistische Verweilen in den eigennützigen Interessen dieses Lebens. Auf dem Wege, der hinaufführt, wie wir an Burke, auf dem Wege, der hinabführt, wie wir an Bossuet gesehn, ist das Wesentliche der Beredsamkeit zu ergreifen; weder oben allein noch unten allein ist es zu finden.

– Es kann Ihnen nicht entgangen sein, daß der Gegenstand meiner heutigen Betrachtung die Kanzelberedsamkeit ist, die heilige Kunst der Massillon, Flechier und Bourdaloue: das Wesentliche derselben ist schon erörtert, bevor der Ort erwähnt ist, nach welchem die heilige Beredsamkeit ihren Namen führt. Es ist eine der beneidenswertesten, aber auch leider eine der entweihtesten Stellen dieser Welt. Könnte es eine größere Bestimmung geben, als die, das Vorrecht der Menschheit, die Rede anzuwenden auf die besonders ernsthaften Gelegenheiten des Lebens, den Menschen zu empfangen und zu begrüßen bei seinem Eintritt in die Welt mit der Kraft des Wortes, ihn mit derselbigen zu begleiten durch alle Hauptstationen des Lebens und bis über das Grab hinaus; auch da ihm noch nachzurufen die Abschiedsgrüße dieser Erde, auszusprechen den Gedanken seines Herzens, zusammenzufassen, möchte ich sagen, alle Rede seines Lebens in den einzigen Nachruf; im Namen des Abgeschiedenen zurückzusprechen an die Lebendigen; hinauf- und herunterzureichen, nach diesseits und jenseits herüberzusprechen, zu versöhnen die Unverträglichkeiten der höheren und niederen Dinge ein ganzes Leben hindurch: die Lebendigen zu rufen, die Toten zu beklagen, die Blitze des Schicksals zu brechen mit menschlichem, wie die Glocke unsers Dichters mit ihrem metallnen Munde? –

Kann nun, frage ich, die flache Moral, welche wir an dieser Stelle meistenteils erhalten, und die verderblicher ist als der Anblick des Lasters selbst, weil sie den Wohlgeschmack der Tugend verwässert, weil sie allen Stachel der Seele abstumpft, weil sie das mutige, lebenslustige Herz hinausscheucht aus den Wohnungen des Heiligen, und nur die mattherzige Feigheit sich gegen den Schein und Folgen des Lasters sicherstellen lehrt; kann die geschmückte Magerkeit angewöhnter Formeln, kann das leicht übertünchte Skelett einer toten Abhandlung irgend eine jener großen Bestimmungen erfüllen? – Statt des Himmels empfangen wir eine zusammengeschrumpfte Erde; statt des Göttlichen empfangen wir etwas, von dem sich nichts weiter sagen läßt, als daß es unweltlich, nicht einmal weltlich ist; statt des Geistigen etwas das unkörperlich oder vielmehr auch nicht einmal körperlich ist. Lassen wir dieses Unwesen; erkennen und erheben wir die wenigen, welche die Würde der Kanzel behaupten; und fragen wir, was sind die Hauptstücke der geistlichen Beredsamkeit? –

Ermüden Sie nicht, ich muß mich wiederholen; die beiden Hauptstücke sind, das eine: anzuklagen die eigne Anschauung des Göttlichen, die man in sich trägt, die immer noch nicht groß, immer noch nicht menschlich genug ist, die immer wieder verzehrt werden muß und reiner hervorgeht aus ihrer Asche; das andre: die noch seltnere Kunst, erlauben Sie mir den Ausdruck, Brücken zu schlagen über den breiten Strom, der die weltlichen Angelegenheiten des Menschen von seinen ewigen trennt, die Kunst Türen durchzubrechen in die übersteinerten Herzen. –

Was soll ich, sagt das gesunde Weltkind, mit eurer breiten und starren Auseinanderlegung geistlicher Dinge: das Heiligste, wenn die Lebenswärme daraus entwichen und es kalt geworden ist – widersteht mir grade wie das Gemeinste, was mir keinen Eindruck des Lebens gibt: mir widersteht es grade weil es wärmer, weil es lebendiger sein sollte, – und weil es durch ein menschliches Herz hindurchgegangen, und dort, grade dort erkaltet ist. Ich will es glauben, daß was ihr mir sagt herstammt aus dem Buche des Lebens selbst, daß ihr eure Weisheit da heraus geschrieben, da heraus filtriert habt: mich aber berührt sie nicht, ich verstehe sie nicht, wie ihr sie gebt. Seht ihr zu wie ihr euch in toten Formeln erbaut: wie ihr es anstellt begreife ich nicht; ich verstehe nicht, was tot ist: ich suche das Leben mir auf, und fände ich es im Allergemeinsten, so erbaut mich das besser als eure Beredsamkeit. Wohlan, zu überreden versteht ihr mich nicht; den Sturm, der in mir braust, beschwören könnt ihr nicht; zwingen? lasse ich mich nicht, denn ohne freie Anerkennung, ohne die innere Einwilligung meines Herzens kann das Göttliche für mich nun überhaupt gar nicht bestehn. Was? und ihr für eure Person wäret nunmehr fertig mit eurem Glauben, ihr hättet ihn abgemacht, während ich ihn noch nicht angefangen? euch wäre ohne euer Verdienst zum ruhigen Besitz gegeben, was mir Kämpfenden versagt ist? ihr wäret fertig mit dem Zweifel, ihr hättet die Ruhe eures Lebens beigesteckt, unter Schloß und Riegel gebracht, wie irgend ein andres Besitzstück, und ich sollte fortringen mit den Gebrechlichkeiten, den Reizungen und den Widerwärtigkeiten der Welt, fortringen mit den Täuschungen der Sinne, den Labyrinthen des Verstandes und den Irrtümern eines gutwilligen Herzens? – Es war überhaupt nicht viel zu beruhigen in euch, Freunde, wenn ihr schon fertig seid! Seid Vorfechter des Glaubens, so will ich euch nachfechten: was mich bekehren soll, das muß ich streiten sehn! – Ich glaube an den Zusammenhang der menschlichen Dinge; es mag einen göttlichen Gedanken geben, der sie untereinander alle verbindet und beruhigt, aber die menschlichen Dinge schreiten fort, umstalten sich in unendlichen neuen und unerwarteten Bildungen, sie wollen also immer von neuem angeknüpft sein an den Einen göttlichen Gedanken, und das geschieht nicht ohne Schmerz und Kampf: die Dinge wollen unabhängig bleiben, für sich bestehn, sie sind eifersüchtig, sie wollen auch außer dem Zusammenhange mit dem göttlichen Gedanken gefallen; man muß sie bändigen durch Gewalt und Reiz. Gesetzt, ich brächte dir mein zerrissenes, und ich läugne es nicht, rebellisches Herz, und ich bäte dich, du möchtest es anknüpfen an das Ewige, versöhnen mit demselben: wie wolltest du denn dieses Herz angreifen, dessen Neigungen und Sprache du nicht verstehst, und die du einer höchst unnatürlichen Leidenschaft für das Schlechte und Böse in mir zuschreibst? Wie sollte ich, damit ich mich der Worte eines großen Heiligen bediene, ausgehn können durch deine Tür, wenn du nicht einzugehn verstehst durch die meinige?

– Das sind die Forderungen der Zeit an den geistlichen Redner, darum sage ich 1. er soll sich anzuklagen, mit sich selbst zu kämpfen, die Sprache der Gegenpartei zu führen wissen, kurz er soll den Teufel verstehn und den Zweifel; er soll das Geheimnis verstehn, wie es möglich ist, daß ein menschliches Herz abfalle von seiner Bestimmung; er soll die Welt kennen, und alle die irdischen Ketten, welche, bald aus Blumen, bald aus Eisen geflochten, unsre Herzen bestreiten; – er soll die Götzen dieser Welt verstehn, in deren Dienst umhergeschächtert sich der geängstete Mensch zu entschädigen versucht für das Entbehren des Göttlichen. Allerdings gibt es Augenblicke im Leben, wo die Seele, vorbereitet durch langen Kampf, nur das Wort des Rätsels braucht um jenes Göttliche zu erkennen; wo sie ein gewisses Ahndungsvermögen erworben hat unter mannigfaltigen Leiden, und nun durch die kälteste Beredsamkeit, durch den vertrocknetsten Buchstaben hindurch die Lebensader wahrnimmt; und wo ein Wort, ein Name noch so leise, noch so flüchtig und unabsichtlich ausgesprochen, den ganzen zerrütteten Gesichtskreis des Menschen in seine Fugen rücken kann. –

Ich habe ein solches Vertrauen in die Gewalt der Rede, und weiß aus den Erfahrungen der Geschichte her sehr wohl was ich sage, daß in den äußeren Weltumständen selbst ohne daß wir es ahndeten ein unsichtbares Zusammenneigen, Sichberühren und Versöhnen stattfinden könnte, und daß irgendein einziges Wort dann nur in dem rechten Augenblicke ausgesprochen, die zerrüttete Welt selbst in ihr altes Gelenk wieder einrichten könnte: mit einem ähnlichen Vertrauen spricht Burke in seinem Briefe an Elliot über die Macht des Einzelnen, Verlassensten, Gebeugtesten durch die Rede. – Aber solche Wirkungen streitlos, solche Wunder mit dem bloßen Worte des Friedens hervorzubringen, muß die Befriedigung der Welt in dem Herzen dessen, der das Wort ausspricht, schon kämpfend vollzogen sein, damit er die Beredsamkeit ersetze durch die Vorbereitung und Wahl des glücklichen Augenblicks. Immer will das Wort ergänzt sein durch die Tat, diese möge nun außer dem Worte oder in dem Worte leben und wirken. Das wahre Sprechen also ist eine wirkliche Tat: und es sind solche rednerische Taten, die ich von der Kanzelberedsamkeit verlange.

Sie soll 2. Brücken zu schlagen wissen aus einem Herzen in das andre, und über den Strom, der die Gebiete der beiden Herren trennt, zwischen denen meistenteils unser Herz geteilt ist. In jedem Hauswesen, in jedem Herzen walten leider zwei Herren statt des Einen; das ökonomische Gesetz des Lebens und die höhere, überirdische Forderung der Seele sind uneins miteinander; die Bedürfnisse des Augenblicks verdrängen, übertäuben, unterdrücken das ewige Verlangen des Menschen. Fruchtloses Bestreben dieses zu wecken und zu stillen, ohne jene und den Kampf mit ihnen zu verstehn!

Meine ich aber, daß der Geistliche wirklicher Arzt werden soll, und Landwirt und Kaufmann? Es gibt ein heiliges Eingehn in diese Dinge, in ihre Wesenheit, ohne daß man Hand anzulegen braucht, und die Schlacken und den ganzen Umstand der Gewerbe zu berühren. Es gibt eine heilige Versatilität des Geistes, eine Füglichkeit desselben, die niemand weniger entbehren kann, als der Redner: das war die Meisterschaft Burkes. Es war ein Mann, sagte Dr. Goldsmith, der, wenn er des Regens wegen zufällig untertrat in dem Flur eines Hauses, und dort den letzten Reitknecht vorfand, und einige Worte mit ihm wechselte, denselbigen Reitknecht in der Überzeugung zurückließ, daß er mit dem ersten Stallmeister der Welt gesprochen habe. – Es war ein Mann, füge ich hinzu, der seine Seele hinaufsteigern konnte, daß sie die Seele eines ganzen Volkes zu sein schien, und der sie wieder einzuschmiegen wußte in den beschränktesten Gesichtskreis des Einzelnen. Er war ein Baumeister solcher Brücken, die ich verlangt habe: jedes Herz war ihm zugänglich; darum ist er uns allen, entferntesten selbst wieder so zugänglich, so verständlich, so nahe: niemandem näher, als dem wahren geistlichen Redner, der ganze Jahre hindurch nicht bereuen wird, die er in dem Studium dieses unvergleichlichen Mannes und seiner Werke zugebracht hat. In den Werken Burkes finden sie die Angelegenheiten der Welt, den Streit der hohen irdischen Interessen, den sie nicht ungestraft versäumen dürfen, schon zugerichtet, schon zubereitet für den heiligen Gebrauch. Der Staat in seiner Seele, wie in seinen Schriften ist eine arx in modum templi, eine Burg in Tempelsgestalt. Man verweilt mit ihm wie in der Vorhalle eines Heiligtums; unberührt, unbefleckt von dem gemeinen Anfluge des Lebens sieht man hinaus über den Markt der Welt; man lernt verstehn die irdischen Mächte, man lernt was dasselbe sagt, sie versöhnen untereinander und mit dem Göttlichen. Im Laufe dieser Werke, die Augen gerichtet auf die Gegenstände, welche er behandelt, wird man fortgerissen in die Dialektik, in den kriegerischen Gang seines Geistes und seiner Rede, und bleibt dennoch ruhig angeschlossen an sein großes Herz.


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