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Die in unsern Tagen am weitesten verbreitete Anwendung der Redekunst ist die Schriftstellerei. Es ist bekannt, daß wenn im Laufe des Jahres Italien etwa 500, Frankreich 700, England 800, so Deutschland auf seinen Messen zwischen 2 und 3000 neue Schriften ans Licht bringt. Die bei weitem größte Anzahl dieser Schriften ist entstanden, nicht etwa weil der Autor eine besondre Veranlassung hatte zu reden, nicht weil irgendeine große Angelegenheit des Augenblicks ihn drängte, sondern weil er sich einmal auf dieses oder jenes Fach menschlicher Wissenschaft gelegt hat und voraussetzt, daß die Welt in einer gewissen gespannten Erwartung sei, überhaupt zu vernehmen, was er eigentlich meine; ferner haben unzählige Bücher gar keine andre Veranlassung ihres Erscheinens anzuführen, als daß dieser und jener Gegenstand, wie sie sich ausdrücken, noch nicht bearbeitet sei. Man hört sehr häufig in den öffentlichen Blättern den Wunsch aussprechen: Möchte sich doch der und der Unterrichtete entschließen, dieses noch völlig unbearbeitete Feld der Literatur zu bebauen, oder diese und jene bedeutende Lücke unserer Literatur auszufüllen. Ja es hat Literatoren in Deutschland gegeben, die, während andre die Kenntnis dessen was geschrieben war, zu dem Geschäfte ihres Lebens machten, sich hauptsächlich darauf verlegten, aufzufinden worüber nicht geschrieben worden sei; aufzufordern, Gegenstände unter den Fuß zu geben, piquante Titel zu erfinden, um den Schriftsteller zu reizen, oder den Buchhändler anzutreiben, daß er wieder den Schriftsteller, wenn nicht durch den Ehrgeiz, doch durch anderweite Mittel reize. Dies sind nun freilich Spekulationen des Gewerbes: indes da jede Spekulation ein Bedürfnis und einen Markt voraussetzt, so müssen auch die Gründe dieser unnatürlichen Erscheinungen nicht in den Schriftstellern und im Buchhandel, sondern in der Nation selbst gesucht werden.
Wir nähren nämlich in Deutschland die dunkle Vorstellung von einem großen geistigen Flächeninhalte unsers Landes, von einem literarischen Areal, das wie der wirkliche Boden unsers Landes auf den höchsten Grad der Kultur getrieben werden, und wo eigentlich kein Fleck unbenutzt bleiben sollte. Der deutsche Patriot hat seine stille Freude darüber, daß überhaupt geschrieben wird, daß eine so und so große Anzahl von Federn, wie der Staatswirt, daß so und so viele Pflüge in Bewegung sind: nicht grade weil er lesen will, sondern es gehört überhaupt zu dem vollständigen Gefühl seiner Behaglichkeit, daß auch dieses Gewerbe, dieser große Zweig der Industrie noch immer in Blüte stehe; deshalb braucht er gelehrte Zeitungen, die ihn augenscheinlich überzeugen, daß noch alles im alten Gange sei, daß doch eigentlich kein Feld ganz brach liege, und daß der und der wackre und würdige Gelehrte nicht feire: kurz er hat eine allgemeine, väterliche Freude an der literarischen Geschäftigkeit.
– Ich bin überzeugt, daß Sie mir in Erwägung dieses unnatürlichen Zustandes nachträglich verzeihen die Klage, welche ich über die Erfolge der Buchdruckerkunst zumal als Deutscher in einer früheren Stunde zu führen genötigt war. Wenn sich eine Art des Despotismus entschuldigen ließe, so wäre es sicher die, welche das unanständige Gewerbe der Schriftstellerei einer strengen Zucht unterwürfe: selbst in dem glücklichsten Falle, wo große, neue und ergreifende Gedanken durch die Presse mitgeteilt werden, stände dem rechtlichen Mann immer frei zu fragen: aber während in allen übrigen Geschäften des Lebens die Mittel und Ursachen in einigem Verhältnisse stehen müssen zur Wirkung, und große Wirkungen immer große Taten, die freien und kräftigen Anwendungen großer Mittel voraussetzen, soll hier ein so leichtes, ich möchte sagen feiges Mittel, als die Presse, allgemeine Wirkungen auf den Gang des menschlichen Geistes äußern, die Geister regieren, antreiben, entzünden? Es wäre der Welt besser geholfen, wenn der, der einen neuen, großen Gedanken gedacht hätte, genötigt wäre, ihn praktisch in allerhand lebendigen Stoff auszudrücken, oder doch ihn durch die lebendige Rede mitzuteilen: der Gedanke würde sich allmählicher, aber tiefsinniger, gründlicher, anwendbarer ausgesprochen, verbreiten; während er jetzt körperlos in flachen Blättern umherfliegt, vielmehr durch äußeren Glanz und Schein als durch seinen Gehalt wirkt, und von dem Pöbel schon zertreten ist, wenn er endlich durch das Besprechen der Nation eine gewisse innre Reife erlangt hat.
Ich muß oft die Phrase hören: ich bewundre den Mut dieses oder jenes Schriftstellers! Wenn man doch ein großes Wort, welches auf die Schlachtfelder und in die großen Angelegenheiten des Lebens hingehört, immer aber nur an seiner Stelle ist, da, wo mit der Persönlichkeit selbst gezahlt werden muß, nicht auf das bequemste Geschäft des Lebens anwenden möchte. Eben dieser einsame Mut in den Studierstuben und unter der Druckerpresse, dieses unedle Sichhinaufsteigern zu einer Tapferkeit, die keinen Feind gegen sich über hat, und die noch überdies, wenn sie etwa ganze Stände oder Nationen angreift, allen einzelnen die Türe zum entwischen vorsichtig offen läßt – hat uns um den höheren Mut bringen helfen. Jeder große Entschluß, den dieses Zeitalter eingeben möchte, findet sich gleichsam parodiert durch irgendeinen solchen literarischen Spiegelfechter, der ihn schon in Gedanken und auf dem Papiere ausgeführt hat: die kurzsichtigen Zeitgenossen setzen diese papierne Taten mit den wirklichen Taten in eine Reihe; auf dem Papiere nimmt sich die Sache freundlicher und bequemer aus; dem Helden der Feder ist in Gedanken leichter nachzufechten als dem wirklichen Helden: der Sporn der Taten, der Stachel eines gerechten Hasses stumpft sich ab, und in den besseren Seelen bleibt eine Gleichgültigkeit gegen das öffentliche Leben überhaupt zurück, weil ein einziges Gewerbe über Verdienst und ohne Mühe öffentlich ist, und alle anderen Wege in den Gang des öffentlichen Lebens einzugreifen mit Beschwerden und Mühseligkeiten überladen sind.
Glücklicherweise muß zuletzt das ganze Unwesen sich in sich selbst zerstören; die Fabel von der Wirkung der Schriftstellerei, die eigentlich viel mehr gewirkt hat, als die Schriftstellerei selbst, wie denn sogar in den ersten Tagen der Revolution das Gerücht von dem Einfluß der Autoren auf den Gang der Dinge immer noch viel größeren Einfluß auf die Gemüter gehabt hat, als die Autoren selbst, wird allmählich zu einem Gespötte des Zeitalters; wir fragen uns: hat denn wirklich in jenen früheren Zeiten, wo auch wir dem Jahrhundert unsern Tribut an Irrtümern bezahlten, irgendeine Lektüre uns bestimmt, war es denn ein Schriftsteller, der uns verführte: hatten wir unsern flachen Materialismus von Helvetius, unsre Gleichgültigkeit gegen Glauben und Autorität von Voltaire, unsre geschminkte Philanthropie von Raynal, unsre Vorstellungen von Freiheit und Verfassung von Montesquieu, oder lag nicht die Ursache jener Irrtümer vielmehr in den ganzen Verhältnissen jener Zeit, in ihrer Luft, möchte ich sagen; es war eine schreckliche Epidemie der Geister, die wir in völliger Unwissenheit über ihren Ursprung und ihre näheren Veranlassungen nicht grade den Gestirnen, aber doch jenen literarischen Meteoren zuschrieben: es ist eine demütigende, aber wahre Bemerkung, dass wir Freiheitsschwindler solche geistige Despoten wie Voltaire, Rousseau und Raynal brauchten, um die eigne Freiheitswut zu erklären, dass wir Freigeister doch wieder der Götzen nicht entbehren konnten, um nur zu erklären, wie wir in den Unglauben verfallen waren.
Die Schriftsteller hatten allerdings einen großen und mächtigen Einfluss auf jene Zeiten, weil sie so genau im Niveau derselbigen standen: es war keine Kleinigkeit, der Vorzug, sagen zu dürfen was so viele dachten, und die Einförmigkeit der Geister wie mit einem Zauberschlage zur Einheit und Einigkeit dieser Geister zu erheben. Aber untersuchen Sie es genauer, der Name dieser Rädelsführer des Jahrhunderts, und daß man überhaupt nur wußte, daß sie geschrieben hatten, wirkte eigentlich vielmehr als ihre Schriften, die viel weniger gelesen als gekauft, viel weniger gekauft als gepriesen, vielweniger gepriesen als kalt und mechanisch zu einer Art von Stempel oder Signatur aller Gedanken des Jahrhunderts, wie durch allgemeine Übereinkunft, gebraucht worden sind.
– Nachdem wir aber die Sage von der Wirkung dieser Schriftsteller auf ihr gehöriges Maß zurückgeführt, so können wir allerdings nicht in Abrede sein, daß sie auf einzelne Geister eine Macht ausübten, die der, welche die lebendige Rede mit sich führt, sehr nahe kam. Es waren gesprochene Schriften, sie hatten eine anständige, glänzende, geschliffene äußere Form, sie waren aus dem Mittelpunkte der europäischen Gesellschaft hervorgegangen; sie gehörten durch und durch in das Gebiet der Beredsamkeit. Die Beifallsbezeugungen von ganz Europa, der Anteil der aufgeklärtesten Souverains des Jahrhunderts Josephs, Friedrichs und der Katharina, die, wenn auch nicht eben Gönner der geistlichen Macht, doch durch ihr Betragen gegen jene französischen Autoren eine geistige Macht, außer und neben ihren Thronen feierlich anerkannten, illustrierten die Schriftstellerei überhaupt; man fing mancherlei über eine Republik der Gelehrten zu denken und zu träumen an; es schien für das eigentliche Talent eine Laufbahn ganz außerhalb den bürgerlichen Verhältnissen und ihren Beschwerden eröffnet, eine Lotterie der Talente, in der Voltaire das große Loos gezogen hatte, und, was die Nachkommenden nur sehr allmählich einsehen wollten, für sie nur einige geringere und sehr viele Nieten zurückgeblieben waren. –
Dieses auf einem fast zufälligen Wege entdeckte Reich der literarischen Macht ward von den vielen bei seiner Fortdauer interessierten Personen nach und nach wirklich organisiert: man brauchte Vorfahren, eine Art von Vorzeit für die Republik: die großen Autoren andrer Nationen und früherer Zeiten, wiewohl sie in ganz andern Intentionen, für ganz andre Zwecke geschrieben, und in einem völlig verschiedenen Verhältnisse zu ihren Lesern gestanden hatten, wurden mit Gewalt herbeigezogen; es wurden, wie zu einer Art von Hofstaat, ihre vornehmen Namen versammelt, wie später die Antiken in Paris: nicht was sie gesagt oder gedacht, vielmehr ihre Celebrität brauchte man, um dem neuen Stande die gehörige Würde zu geben. Die Gewerbe des Buchdruckens und Buchhandels bildeten die ökonomische Grundlage des neuen Staates : die Gelehrten selbst den Stand der Patricier. Es geschah aber bald was in der Geschichte nicht ohne Vorgang war; die Ökonomie trug über den Geist, das Gewerbe über den Adel den Sieg davon: die ihre Hand der mechanischen Besorgung übergaben, die das praktische übernommen und getrieben hatten, fingen sich an zu fühlen; wenige Jahre verflossen, so waren sie die Patronen, und die bisherigen Patricier die Klienten. So wie Mirabeau eine Fabrik gekauft und in den tiers état übergegangen war, als das Übergewicht dieses Standes entschieden war; so sahen wir zuletzt die Gelehrten selbst zu Buchhändlern werden, und diese eingebildete Republik so gut als die meisten wirklichen, in allgemeiner Armut, Niedergeschlagenheit, Ohnmacht und Anarchie endigen.
– Wenn ich es deutlich gemacht hätte, wie durch diesen unnatürlichen Zustand die Erziehung der ganzen gegenwärtigen Generation verwirrt worden ist, so würde ich mir kein geringes Verdienst zuschreiben. Wie hat das Namensverzeichnis, der Schematismus – denn mehr war es nicht – jenes literarischen Hofstaats, den man uns, wie zur Anfeurung unsres Ehrgeizes, in unsrer Jugend vorhielt, wie hat der Glanz des Namens, von dem wir schon absichtlich geblendet wurden, als wir noch kein einziges praktisches oder literarisches Verdienst zu beurteilen wußten, unsre Jugend verderbt; wie hat dieser literarische Olymp mit seinen großen Männern uns die wahren Muster, die wahren Götter und Helden der Geschichte verdeckt; wie hat dieser imaginäre Staat uns abgewendet von der gründlichen Erwägung des wirklichen. Der Lohn, der Ehrenkranz aller Werke, zumal der schriftstellerischen, wurde uns unaufhörlich vor Augen gehalten, selbiger wo möglich in Zahlen ästimiert, so daß wir über die Betrachtung der unzähligen großen Loose, die allen Wissenschaften und Künsten angesteckt zu sein schienen, nie auch nur zum Einsatz kamen, und daß wir grade in der Zeit, wo die Beredsamkeit zu einem Weltgewerbe wurde, und alle Talente in Beschlag zu nehmen schien, im eigentlichen Sinne des Worts das Sprechen verlernten. Alle Ehren der Welt, allen schon an sich überhäuften Lohn jener französischen, literarischen Oligarchen zusammen genommen, häuften wir im Traum über unsern Scheitel, und so begann dann unsre lasterhafte Jugend mit dem, was sie am Ende der rühmlichsten Laufbahn immer noch weit über alles gedenkbare Verdienst würde belohnt haben.
– Indes schon jetzt ist dieses alles ganz anders: es ist eine Antiquität, wovon wir gesprochen haben: es wird bald dahin gekommen sein, daß wir mit allen Flügeln der Buchdruckerkunst nicht weiter reichen, als mit der gewöhnlichen Stimme; und mit aller Vervielfältigung unsrer Geistesprodukte nicht weiterreichen, als mit einem gewöhnlichen Brief. Die Not hat bereits hinlänglich, wenn auch noch nicht an höhere, doch an nähere Bedürfnisse erinnert; jeder einzelne hat sich die Kraft zugetraut für die Presse zu schreiben, und das Zeitalter auf seine Weise in Bewegung zu setzen, und in dem Maße, als sich die Anzahl der Schreibenden der Anzahl der Lesenden nähert, oder als jene diese übertrifft, legt sich das Schreiben von selbst, und der vermeintlich so mächtige Hebel der Geister, die Buchdruckerkunst, der so töricht gepriesen als gefürchtet worden ist, tritt zuletzt in die Reihe der gewöhnlichen Kopiermaschinen zurück, und dient nur noch für die Zeitungen, Gelegenheitsschriften und Affichen des Tages fort, wo er allerdings unter der übrigen Maschinerie unsres heutigen Lebens ehrenvolle Auszeichnung verdient; so daß der Despotismus etwas lächerlich erscheinen würde, der jetzt noch ein großes Gewicht auf die ganze Anstalt legen wollte, die nur durch ungebührliche Besorgnisse von Seiten der Regierenden einige Bedeutung erhalten könnte.– Diesen Ausgang der Sache übersehen wir jetzt, aber merkwürdig ist allerdings, daß der gute Genius von Östreich auch hier, wie in so vielen andern Fällen, mit dem eigentlich wesentlichen Gange der Dinge Schritt gehalten hat: daß er, solange die Presse Bedeutung hatte, sie beschränkte, und jetzt, wo man dieses unschuldig gewordene Instrument ohne Gefahr sich, selbst und seiner eignen Ohnmacht überlassen darf, ihr die Freiheit läßt, die eigentlich niemanden mehr beeinträchtigen kann.
– Nichtsdestoweniger wird noch immerfort geschrieben und gedruckt werden, höre ich einwenden! – Allerdings, aber nur die ganz großen Autoritäten, die in allen Jahrhunderten haben sprechen dürfen, werden durchdringen und allein reden: ihnen werden die Vorteile der Buchdruckerkunst zu gute kommen. Das Instrument selbst ist im Laufe der letzten Jahre auf den Gipfel der technischen Vollendung gebracht worden; so bleibt es, so gehört es dem ganzen Geschlechte: eine flache Philosophie, wie die des Voltaire oder des Helvetius wird es nie wieder für sich anwenden dürfen; Gedanken, Ansichten, bon mots über heilige Dinge in Europa mit Windesschnelle umherzutragen wird es nie wieder dienen: die Gedanken fliegen schon von selbst umher auf allen Gassen, man braucht nur zu atmen, um sie zu haben; seine gehörige Weltansicht hat jeder Schulknabe; und das Scherzen über sehr heilige und ernsthafte Dinge? Dafür lassen wir den Hunger sorgen, und die Teurung und den Krieg, und andre uralte scherzvertreibende Mittel. Durch die Buchdruckerkunst wird in der Folge der Zeiten nur wirken können, der, was er sagen wird, vorher ausgesprochen, erlitten, erlebt haben wird; es wird nur wirken können, was wirken wird, wie die lebendige Tat selbst; denn es gehörte eine künstliche Appretur der Geister, eine verdrehte, verzerrte Bildung eines ganzen Geschlechts dazu, daß jenes allgemeine Wohlgefallen an einer Bücherwelt, an körperlosen Gedanken, an einem wesenlosen Flattern des Verstandes, an einem umrißlosen Farbenspiel der Phantasie über uns kommen konnte; alles dies wird und kann nie wieder kommen. Die Buchdruckerkunst bleibt: kein Mächtiger der Erde darf es vergessen; in kleinen Händen ist sie nichts, aber in den Händen der ganz Tüchtigen, derer, die das Leben selbst geschmiedet, und das Leben demnach selbst schon in sich tragen, denen deshalb auch der Buchstabe gehorcht, ist sie furchtbarer als je; noch heut können Millionen Geister von dem rechten Feldherrn, wenn er kommt, wie mit einem Schlage ihr Losungswort erhalten; noch heut findet das Leidende, Duldende, Unterdrückte ein Einreichungsprotokoll eröffnet, das ihre Appellation unmittelbar an die Menschheit selbst, und auch sicherlich wie alle ungerochene Ungerechtigkeit an die Richter der Nachwelt bringt.
– Wem kann dieser Gang der Sache zugute kommen, als der eigentlichen Beredsamkeit. Es wird nur gedruckt werden, was gesprochen worden: die Druckerkunst wird nur gelten als eine dienende Beihülfe für die eigentliche rednerische Tat. – Man liest die offiziellen Schriften, die von Staatsbehörden kommen, wie es sich ziemt, schon heute mit einem ganz anderen Auge, mit einer gewissen tiefer gehenden Aufmerksamkeit, als das übrige noch so geistreiche Privatgeschwätz in Büchern. So wie nun der britische Leser eine Rede von Pitt, Burke, Fox und andern wirklichen Autoritäten mit einem ganz andern Eifer ergreift, als was irgend ein glänzendes jüngeres Talent geschrieben, das sich noch nicht zu der Öffentlichkeit und Officialität jener großen Charaktere erhoben hat, wie er das Buch ganz anders anfaßt, und die Lettern in seine Seele hineindrücken läßt, und sich leidend verhält, während er bei der Lektüre andrer Schriften dieselbige Seele zwischen den Zeilen spielen und einfügen läßt, was ihr beifällt – diese alte Würde des geschriebenen Wortes muß auch bei uns zurückkommen. Nur dem in jenem Sinne des Wortes öffentlichen, nur der Officialität selbst, die jeder erlangen kann, wer mit Gehorsam und Fleiß einer großen Sache, wenn auch nicht grade einer Regierung dient, wird jenes Zaubermittel der Öffentlichkeit, die Buchdruckerkunst selbst, zu Gebote stehn: nur wer schon die Ohren eines Volks bereit findet, weil es ihn kennt, seine Persönlichkeit, seine Taten oder doch seine Gesinnung, wird durch die Presse reden dürfen.
Das Höhere, Prophetische, Umfassende, was allerdings einzelne verborgene Geister der Nachwelt zu sagen haben, weil die Gegenwart zu tief in sich selbst befangen ist, um sie zu verstehn, lebt im Manuscript eben so sicher fort; so sicher als die Werke des Homer oder des Platon wandeln sie durch die Stürme der Jahrhunderte hindurch. Die Kommentarien des Cäsar haben das Triumvirat, und alle Proscriptionen, und alle Barbaren in wehrlosen Rollen überlebt: der Weltgeist ist im Bunde mit allen empfundenen, großen, gottähnlichen Dingen; aus dem Schutte versunkener Städte treten sie zur rechten Zeit ans Licht: an die Nachwelt gelangt jede ordentliche Adresse, und keinen zuverlässigeren Boten an sie gibt es, als den eigenen Genius eines großen Werkes. Aber auch für die Gegenwart ist das Werk besser besorgt in der Abschrift als im Druck: niemand liest weniger, als der selbst viel Bücher hat, oder die Zuversicht, daß er jederzeit erreichen kann was er braucht. Alles dies würde beim Manuscript wegfallen: die Hauptsache aber wäre: es würde mehr vorgelesen, also dem Geiste des Autors mehr nachgesprochen; er gefiele wenigen, diesen dafür aber auch desto mehr.
So wird es sein: die Excesse in der Anwendung der Schrift, der Buchdruckerkunst und des Metallgeldes sind zu Ende; alle echten Vorteile dieser großen Erfindungen verbleiben uns; die Losung der Folgezeiten wird sein: Rede und Schrift, Manuscripte und gedruckte Bücher, Metallgeld und persönliche Dienste oder Papier, welches sie ersetzt.
– Ich war mir und Ihnen den Beweis schuldig, daß es sehr an der Zeit ist über das Wesen der Beredsamkeit zu sprechen, da wir an der Schwelle eines Jahrhunderts stehn, mit welchem sich ein ganz neues, oder vielmehr das ganz alte Feld für die Beredsamkeit eröffnet: ich glaube nicht, daß man mit den gewöhnlichen Tugenden einer fertigen Feder, eines gewählten Ausdrucks, eines sogenannten blühenden Stils durch dieses Jahrhundert hindurch kommt; ich glaube nicht, daß man auf den Flügeln des sogenannten schriftstellerischen Ruhms sehr tief in die Zeit hineinkommen wird, welche sich eröffnet; ich glaube nicht, daß unter den 10 000 Namen lebender deutscher Schriftsteller in Meusels gelehrtem Deutschlande viele sein werden, welche sich dieses Jahrhundert merken, oder gar welche es lesen, oder vollends nach welchen es sich richten wird. Ich war ferner den Beweis schuldig, daß ich es nicht allein bin, der etwa aus Paradoxie, oder weil er grade durch vielfältiges lautes Lesen deutsche Worte artikulieren gelernt hat, worin sein ganzes Verdienst besteht, auf die Kultur der Rede dringt, vielmehr daß die Zeit und die unglücklichen Folgen des stummen schriftlichen Lebens, zumal unsrer Nation, viel lauter daran erinnern, als der gutgesinnteste Einzelne vermag.
Der Wunderglaube an die edlen Metalle und an die Presse, der noch vor zwanzig Jahren die Gemüter dergestalt beherrschte, daß er allen andern Wunderglauben der früheren Welt abgelöst zu haben schien, ist zu Ende: kein Montecuculi der Nachwelt wird sagen dürfen, das erste Requisit des Krieges ist Geld, das zweite Geld, das dritte Geld; kein Friedrich der Nachwelt wird sagen dürfen, wer den letzten Taler in der Tasche behalte, werde siegen: kein Voltaire der Nachwelt wird ohne irgendeine große Tat eine Weltherrschaft über die Meinungen bloß mit der Buchdruckerkunst durchzusetzen unternehmen. Buchdruckerkunst und Metallgeld haben ihre Macht verloren durch den Mißbrauch: mächtig sind diese wie alle anderen Hülfsmittel der Menschheit, nur durch das Maß und die Schranken, in welchen sie gebraucht werden, mächtig nur neben den andern Dingen, welche sie in unsrer ausschweifenden Zeit zu verdrängen unternommen haben. Alle die von den Wundern der Buchdruckerkunst früher Bezauberten werden erstaunen über die ganz andern Wunder dieser Kunst, wenn das Manuscript erst wieder in seine Rechte getreten sein wird. Besonders nachteilig wurde die Buchdruckerkunst den Werken der Poesie, die, da sie der Ewigkeit angehören, wenn das Interesse der Neuheit vorüber war, nun, in der Vervielfältigung des Drucks, nun um so sichrer in den Bibliotheken vergraben wurden, wie wir vor zehn Jahren empfanden, als Schiller und Friedrich Schlegel uns nach langer Zeit zuerst wieder sagten, was es mit der Poesie für eine Bewandnis habe, und welche unermeßliche Schätze zumal das Mittelalter in unsere Bibliotheken niedergelegt.
Die Art der Öffentlichkeit, welche die Poesie durch die Buchdruckerkunst erhalten hat, macht auf mich einen widrigen Eindruck, etwa als wenn: eine Frau auf dem Forum, auf dem Markte öffentliche Reden vor Tausenden halten wollte, wie ich denn auch die Reden geistreicher Frauen viel lieber in zierlichen Abschriften lesen würde, als in dem Druck, wozu sie leider jetzt verdammt sind, da es nur diesen Einen Weg gibt, mit den verwandten Geistern ferner Zeiten und Örter zu sprechen. Der Poesie und ihrem weiblichen Wesen ist das häusliche Wesen der Abschrift viel angemessener, als der Druck für alle Welt, die nicht lesen kann, und die es doch für eine Gewissenspflicht hält, grade über das am strengsten zu urteilen, was sie am wenigsten versteht.
– Die Buchdruckerkunst demnach gehört vielmehr der Beredsamkeit an als der Poesie: sie ist ein Mittel die gewaltigen Schläge der Rede über entfernte Gegenden und Zeiten fortzupflanzen, obgleich man auch hier gestehn muß, daß sich die eigentliche Wirkung nach Maßgabe der Entfernung, wie die Wellenkreise im ruhigen Strome, welche das Schiff zieht, nach und nach in weiterer Entfernung schwächer und schwächer werden, verhält. Die Werke Voltaires, Rousseaus, Raynals bestätigen diese Behauptung, wenn man untersuchen will, wie sie in Frankreich und wie sie in Deutschland wirkten: für Frankreich scheinen sie gesprochen, für Deutschland nur geschrieben, für die glücklicheren entlegeneren Länder eigentlich nur gedruckt.
– Aber was soll ich sagen zur Entschädigung, zur Rechtfertigung jenes stummen Treibens unsrer Nation, worin sie sich nun einmal so lange gefallen hat; jenes Fleißes, der versammelt hat was alle Jahrhunderte geschrieben, erläutert, erklärt, korrigirt, kompilirt. Sie erinnern sich der 10 000 Stummen, von denen ich im Anfange dieser Vorlesungen gesprochen: war es doch nicht vielleicht zu hart sie anzuklagen, da sie sich nicht verantworten können? Die ganze Erscheinung erklärt sich sehr natürlich. Es gab in der Zeit vor und auch noch lange nach der Erfindung der Buchdruckerkunst eine sehr fleißige Gattung von Menschen, welche dem mühseligen und höchst verdienstlichen Geschäft des Abschreibens und Revidirens und Korrigirens ihr Leben bestimmten. Dieses heilige, würdige Geschäft der Erhaltung der tiefsinnigsten Spur, der Pflege und Verwaltung des erheblichsten Nachlasses, welche ein Jahrhundert dem andern zurückließ; ein Geschäft, welches keinem andern ähnlichen Dienst bei den Heiligtümern der Menschheit an Bedeutung nachstand – kam durch die Buchdruckerkunst in Abnahme, fiel in Verachtung: und es kam über diesen ehrenwerten Stand der hoffärtige Geist der eignen, originalen Autorschaft. So entwickelte sich dann allmählich das beschriebene Unwesen: der Autorschaft selbst waren sie nicht näher gerückt durch die überkommene Eitelkeit; also entweihten sie nur die ehrwürdige alte Bestimmung, und die Autoren, welche sie extrahirten und kompilirten, durch den Schein einer Würde, die unbeschadet ihres eignen Ansehns ehemals nur den schmückte, der sie ganz unabhängig unter großen Taten und Leiden erworben hatte, der zu sprechen und zu leben wußte noch außer dem Schreiben.
– Die wohltätigste, erfreuliche Empfindung, welche die Erinnerung an die Excesse der verflossenen Zeiten zurückläßt, ist die, daß auch das Maß der Ausschweifung schon überschritten ist, daß also die Dinge zurückmüssen in ihre natürlichen Schranken. Weil also die schriftstellerischen Excesse, zumal in Deutschland, das Maß ihrer Ausschweifung schon wirklich überschritten haben, so geht es zurück zur Ordnung der Natur, zur lebendigen Rede. Früher daran erinnert zu haben ist verdienstlich – besonders um der Erziehung willen, damit man nicht mit veralteten Unarten, mit völlig unnützen Künsten eine Generation quäle, der wir wahrscheinlich nicht viel mehr als die Erfahrungen unsrer Leiden und Irrtümer zu hinterlassen haben werden.