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XII. Von dem letzten Zwecke dieser Reden über die Beredsamkeit

Die Scheu unsrer gebildeten Zeitgenossen vor der Erwähnung heiliger Dinge in der Betrachtung der weltlichen hat so verschiedene Veranlassungen, daß sie sich weder unbedingt loben, noch auch unbedingt verdammen läßt. Im schlimmsten Falle aber rührt sie aus wirklicher Gottesscheu her, wie ein geistreicher deutscher Schriftsteller diese Krankheit der Seele nennt. Ich will nicht grade behaupten, daß eine gemeine Natur dieser Krankheit fähig wäre; es gehört eine gewisse Geschlechtslosigkeit der Seele dazu, und eine gewisse Klarheit ihrer Organe, die glücklicherweise sich selten beieinander finden.

Ich hätte unrecht gehabt, im Laufe dieser Vorlesungen ein so großes Gewicht auf die Geschlechtsunterschiede gelegt zu haben, es wäre eine falsche Spitzfindigkeit gewesen, wenn diese Unterschiede bloß das körperliche Wesen des Menschen angingen, also in solchen Materien, wie die welche uns beschäftigte, nur gleichnisweise eingriffen. Es ist sehr geschmacklos, gewisse Gleichnisse in der Rede ohne Ende umherzuzerren, sie, ich möchte sagen, bis auf den letzten Faden abzutragen: es macht den Eindruck der Armut und der Schwäche, wenn der Redner gewisse Bilder, die ihn geblendet, nicht wieder loswerden kann, wenn sie wie das Bild der Sonne in einem schwachen Auge eine langnachklingende Spur hinterlassen, und die Gegenstände der Natur wie die Gedanken mit allerhand überflüssigen farbigten Flecken verunstalten. Dies wäre der Fall im Laufe dieser Vorlesungen mit den Geschlechtsverschiedenheiten gewesen, wenn ich mich ihrer nur gleichnisweise bedient hätte: so aber ist es nicht; dem ordentlichen Manne erscheint die ganze Natur weiblich; die Frau ist ihm nur das konzentrirte Bild seiner Welt; alle seine anderweiten Neigungen werden denselben Charakter annehmen, je trefflicher er wird, um so mehr.

Deshalb finde ich die Ritterzeiten schon an und für sich, ohne Rücksicht auf die Religion, welche sie adelte, viel menschlicher als die der Römer und Griechen. Was ist der Geist jener frommen Liebe, mit dem wir die Helden des Mittelalters geschmückt finden, anderes, als höchst entwickelte Männlichkeit. Die Tapferkeit, die Haupt- und Kardinaltugend des Mannes, die seine ganze Wirksamkeit, die unendlich mehr als den Schutz der Frauen umfaßt, nimmt nichts desto weniger durch und durch die Farbe der Liebe an; sie wird mit der ehrfurchtsvollen Bewunderung des andren Geschlechts so getränkt, daß die späteren, schwächeren Nachkommen in dem Worte, welches diese vollkommenste Tapferkeit bezeichnete, nämlich Galanterie, nichts mehr fühlen als die Liebe, als das edle Betragen gegen das andre Geschlecht.

Man fühlt ganz deutlich die Steigerung, wenn in England, wo das Wort galant am besten die alte Farbe gehalten hat, im Parlament von einem Feldherrn, der den Waffenruhm der Nation auf den höchsten Gipfel erhoben, erst alle gewöhnlichen, ich möchte sagen römischen Beiworte für die Tapferkeit gebraucht werden, und nun zuletzt gesagt wird, er sei a galant man. Hier ist die Grenze; weiter geht die Steigerung nicht: vom alten Feldherrn, vom Cäsar kann man alles sagen, aber nie ihn nennen a galant man; in dem galant ist etwas, was den Cäsar überwindet. Sehen Sie da beiläufig einen solchen Drucker der christlichen Beredsamkeit: nicht bloß unübersetzlich in die römische Sprache; aber auch nicht zu umschreiben: der ganze Thesaurus der römischen Sprache reicht nicht hin, um dies eine Wort zu umschreiben. Ein einzelnes römisches Wort virtus spielt allerdings hinüber aus der Tapferkeit in die Männlichkeit und in die Tugend überhaupt: aber Sie fühlen das in Sich selbst gerichtete, einsame Wesen dieses Wortes und dieser Männlichkeit; es ist nichts darin als Tapferkeit, in dem galant ist noch außerdem die ganze Welt: in dem Worte ist schon verbunden was die Welt zusammenhält, die Tapferkeit und die Liebe, das Erhabene und das Schöne. So ist also auch das recht Göttliche und das recht Menschliche darin: nirgends sonst wird die Vereinigung beider in dem Maße empfunden; die in solcher Art vollendete Männlichkeit setzt die ebenso vollendete Weiblichkeit und also die Liebe voraus, ein Wort, das nun ebensoweit hinausgreift über den Begriff der gewöhnlichen Liebe unter den Geschlechtern, als das Wort Galanterie über das edle Betragen gegen das andre Geschlecht.

Wie eng umgrenzt, wie eingespannt sind dagegen die römischen und griechischen Worte, welche die Liebe bezeichnen? wie unfähig der einzelne Alte von dem Begriff der Liebe also des Geschlechtsverhältnisses hinaufzuklettern zur Religion, was in dem Worte Liebe wie mit einem Schlage, mit einem Klange geschieht. Das Verhältnis der Geschlechter hatte mit dem, was die Alten Religion nannten, nichts zu schaffen: das Verhältnis, woran die Natur die irdische Fortdauer der Menschheit geknüpft hatte, hatte nichts zu schaffen mit den Gedanken über die ewige Fortdauer: das Verhältnis, welches die irdischen Angelegenheiten des Menschen, welches den Staat zusammenhält und die eigentliche Kette formirt, die das übrige unhaltbare Wesen verbindet, war losgetrennt von dem Gedanken über seine ewige Bestimmung.

So bei den Alten: in der neuen Welt finden wir alle diese Widerstreite des Irdischen und des Ewigen versöhnt; es sind Worte möglich, welche die beiden großen Interessen des Menschen umfassen; es sind Empfindungen möglich, die jenen Doppeldurst des Menschen wie aus Einer Schale befriedigen; es sind Taten möglich, die wie mit einem Schlage beides erfüllen, das Göttliche und das Menschliche begehren. Gottesdienst und Dienst der Menschlichkeit sind Eins geworden. –

Sie verstehen nunmehr, was ich unter der Geschlechtslosigkeit des Geistes meine, und wie sie mit jener Verrückung der Gottesscheu zusammenhängt: ich finde sie bei den Alten; sind die menschlichen Angelegenheiten von den göttlichen getrennt, wie kann der Mensch Gott verstehn oder sich verbinden mit ihm? Wie kann der Mensch von göttlichem Wesen durchdrungen sein, wenn er kein Wort hat, keinen Gedanken, keine Tat, die beides umfaßt? –

Es existirt ein Jugendversuch in Versen von unserm Schiller: die Götter Griechenlands betitelt: eine gewisse kindische Freude an dem bunten Wesen der alten Mythologie, zugleich mit der bekannten Melancholie seines Geistes, die sich schon in seiner frühesten Jugend, als er noch schwerlich zu sagen wußte, worüber er klagte, äußerte, und seine Neigungen alle Zeit je weiter je besser aus der Gegenwart hinaus in die recht unbestimmte Ferne trieb, ließen sich in klagenden Versen aus über die Kälte und Unannehmlichkeit der Religion, und über das Verschwinden jener alten muntern, aufgeweckten Götterfamilie der Griechen. Da die Götter menschlicher noch waren, waren Menschen auch noch göttlicher, sagt er. Die Jugendzeit unsres Dichters, in der diese Worte niedergeschrieben wurden, war eine solche Zeit der Absonderung des Göttlichen von den menschlichen Dingen; man abstrahirte und destillirte sich einen Gott aus der Welt, wie man jetzt will, daß überall von Gott abstrahirt werden soll; es drängte diese liebenswürdige Natur sich zu dem Göttlichen zu erheben oder das Göttliche herabzuziehn: er sehnte sich, wie jeder ordentliche und vollständige Mensch nach der Verbindung des Göttlichen und Menschlichen; der abgezogene Gott jener Zeit war ihm so zuwider, als in späteren Jahren die abgezogene, gottentblößte Welt seiner Zeitgenossen. Die griechischen Götter trugen wenigstens Masken von Menschen, und so übertrug er in rührendem Irrtume alle jene romantischen Empfindungen seines Herzens, welche er mit der Luft der neueren Zeiten eingesogen, auf jene alten, kalten, geschlechtslosen Gestalten; er übertrug das Eigentum christlicher Sprache und Beredsamkeit, das göttliche Wort Menschlichkeit auf Wesen, die nichts damit gemein hatten, eben so wie später ein ähnlicher Irrtum aus der römischen Welt das Wort Humanität erborgte, und des schöneren deutschen Wortes Eigentümlichkeit nicht eben glücklich auf dieses ungeratene Pflegekind übertrug. –

Brauche ich deutlicher zu sagen, worin das Wesentliche der neueren Beredsamkeit besteht? Ein ganz anderer tieferer Sinn der Worte, ein Hindurchklingen des ganzen Lebens durch jede einzelne Empfindung, die sich darin ausdrückt; in jedem einzelnen Menschen werden unendlich viele, ja alle angeredet, die neueren Sprachen reden in der Mehrheit an, das antike Du drückt den Sinn nicht aus, in welchem man den Einzelnen anreden will; man meint immer etwas noch viel Höheres in der Anrede; man will sagen du und die bürgerliche oder menschliche Gesellschaft mit dir, oder du und zugleich Gott mit dir. So wie das Du der Alten in das Sie übergegangen, so fühlt der echte Sprachforscher, deren es indes wenige gibt, in allen Worten der christlichen Sprachen den Übergang aus der Starrheit und Einzelnheit in die gesellige Mehrheit: in jedem Worte der neueren Sprachen ist für den rechten Kenner außer dem Dinge, welches damit bezeichnet wird, noch etwas Göttliches daneben wahrzunehmen. Man hat in neueren Zeiten Akademien errichtet, um diesen heiligen Nebensinn in den Worten totzuschlagen; gegen alle rhetorischen Meisterwerke unsrer französischen Nachbarn können wir stumme Deutschen nichts vorbringen, als das Bewußtsein, daß unsre Sprache sich auf solchem Wege nicht abtöten läßt: dafür aber sind wir zu einer höheren Beredsamkeit berufen, als die französische.

Kann, frage ich wiederholend, die Regel des Cicero oder Quintilian angewendet werden auf diese ganz anders gebauten Sprachen? Muß nicht die Beredsamkeit der neueren in ihrem ganzen Bau verschieden sein von der der Alten, nachdem sie über ganz andre Mächte disponirt, nachdem ein Geist in den Worten, in den Wendungen waltet, den die Alten nicht ahndeten? – Diese Eigentümlichkeit der neueren Beredsamkeit hatte ich zu zeigen; ein geringerer Zweck bei diesen Vorlesungen war unter Ihrer und meiner Würde: ein flaches Gedankenspiel oder ein gemeiner Austausch von Kenntnissen konnte uns nicht genügen; der Leute, die solches Spiel und solchen Kram miteinander treiben, gibt es genug in der Welt, geistige Zerstreuung und Kenntnisse für den Hausgebrauch stehen überall feil. – Diese Vorlesungen aber haben gehandelt von der christlichen Beredsamkeit: alles andre, was wir vorbereitend beibringen mußten, war nur Gerüst: jene Formen des Gesprächs der Selbstanklage, des Geschmacks u. s. f. bildeten den Körper, der nur leben kann inwiefern ihm diese Seele eingehaucht wird, mit deren vorsichtiger Betrachtung wir schließen. Erst spät habe ich das Wort zu nennen gewagt, um das sich alle Kunst und alles Leben bewegt: ich habe Ihr Vertrauen und Ihren Glauben zu verdienen gestrebt, bevor ich an den gemeinschaftlichen höchsten Gegenstand des Glaubens und Vertrauens zu erinnern wagte: erst mußten wir auf dem gemeinschaftlichen Boden des wahren Gesprächs miteinander stehn, bevor ich auszusprechen wagen durfte jenes Einzige Gemeinschaftliche zwischen uns und allem Großen und Schönen dieser Erde.

Denn es ist nicht jene gebildete Verrückung der Gottesscheu, die man billig sich selbst und ihrer eignen Verzweiflung überläßt, die ich schonen will aber es ist eine sehr achtungswürdige Besorgnis vor der Entweihung des Allerhöchsten, welche lieber von göttlichen Dingen in solchen Unterhaltungen, wie die Unsrigen, nichts hören will. Trauen Sie mir zu, daß die ästhetischen Spielereien eines neumodischen Apostels der Religion, wie Chateaubriand, mir widerstehen wie Ihnen, schon ein gewisser natürlicher Sinn für den Adel und die Gediegenheit der Form, schon der bloße Geschmack empört sich gegen diese Barbarei aller Barbareien: auch Deutschland verliert viele Zeit und viele Kraft, und manches schöne Talent in solchen Kunstfaseleien über die Religion. Aber dieses Unwesen ist viel zu vergänglich in sich, viel zu krankhaft, als daß es sich der Mühe verlohnte, sich viel daran zu ärgern. Welchem großen und ernsthaften Bestreben läuft denn nicht eine Karikatur nach? ist denn nicht überall das rechtverehrungswürdige in der Entweihung das Verächtlichste? –

Aber jene, welche vermeinen, daß von irgend einem Gegenstande, im Gebiete welcher Wissenschaft oder Kunst es auch sei, gründlich gehandelt werden könne ohne Erwähnung der göttlichen Dinge – diese sind ernsthaft und kurz abzuweisen. Vertieft euch erst in das Leben selbst, wie wir; erfahrt, erlebt erst ein zwanzig Jahre hindurch jene Zustände, auf denen die Welt beruht; forscht erst nach den Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft, nach den Bedingungen ihres Bestehens, ihrer Dauer, wie wir; geht erst ein in so viele Herzen, und ihre geheimsten Neigungen, wie in ihre verdecktesten Schmerzen; verfolgt erst eine Weile euer Jahrhundert und seine vielfältigen Deutungen; erhebt euch erst eine Zeitlang zur Mitleidenheit mit dem menschlichen Geschlechte; lernt erst ordentlich unter gehörigen Leiden die irdischen Mächte kennen, greift ein, praktisch in ihr lebendiges Gespräch – dann kommt wieder und antwortet auf die Frage, ob ihr der himmlischen Mächte irgendwo, in welcher Wissenschaft oder Kunst oder Lebensgeschäft es sei, entbehren könnt? –

Weil ich die irdischen Dinge mit tüchtiger Absicht behandelte, so hat mir frühe eingeleuchtet, daß ich der göttlichen nicht entbehren könne. Seht doch nur mit ruhigem, männlichen Blick auf die Erfolge: betrachtet doch diese lahmen, hinsterbenden, geistlosen Wissenschaften, die immer noch mit ihren Fortschritten prahlen, während das praktische Leben für dessen Nutzen sie zu arbeiten vorgeben, mehr und mehr in Staub zerfällt; retten denn diese von Gott entblößten Staatswissenschaften den Staat; bereichern ihn denn diese unzähligen Erfindungen der Naturwissenschaft; greifen denn diese Finanzwissenschaften den Finanzen unter die Arme; wird denn das Rätsel der Welt erklärt, das Herz beruhigt durch diese Fortschritte der Philosophie? Nichts von allem, kein praktischer Fortschritt, als in der Verarmung und in der Verzweiflung. –

Und diese Praktiker, welche ihr Einzelnes Rad in dem Mechanismus dieses entgöttlichten bürgerlichen Lebens mit verbundenen Augen treten, und die zurückscheuen wenn ein Sehender vorübergeht und ihnen vom Lichte erzählt, was bringen sie denn zu Stande? Erlassen Sie mir das Weitere.

Wie nur reine und göttliche Hände, und kein Talent, keine gemeine Geschicklichkeit, wie keine gemeine römische Tapferkeit, sondern nur Galanterie in dem alten Sinne des Wortes dereinst die Welt in ihre Fugen zurück setzen wird, und wie jedes ungöttliche Bestreben an dem scharfen Grund und Eckstein des Unglücks dieser Zeit notwendig zu Schanden werden wird; so auch wird das Gebiet der Wissenschaften nur Friede erhalten, und die Klarheit und den wahren Reichtum, wonach unser Geschlecht mit eigenmächtigem Vorwitz, und daher so unglücklich gegriffen hat, aus galanten, tugendhaften, d. h. christlichen Händen! Diesem tugendhaften, gerechten und galanten Sinn, wie es mir in meiner Mittelmäßigkeit gelingen wollte, durch diese Vorlesungen auszudrücken, habe ich gestrebt! Wer, wo mir meine Absicht gelungen ist, etwas anderes lobt, oder wo sie verfehlt wurde, etwas anderes tadelt, zu dem haben meine Worte, aber habe ich selbst nicht gesprochen.

– Je aufrichtiger aber ich es mit den göttlichen Dingen meine, um so mehr muß ich mich verwahren und sträuben gegen jene, welche die irdischen Dinge wegwerfen und vernichten wollen, um den göttlichen zu dienen. Meine Welt, das was mich hier erfreut, diese bestimmten Gegenstände, welche ich liebe, diese Familie, dieses Haus, diese Freunde, dieser Staat müssen sich vertragen mit dem Göttlichen: jede irdische Neigung, zu der mein Bewußtsein schweigt, kann ihm nicht widersprechen: wie sie sich wehren möchte, ich muß um ihren Gegenstand werben, und kann ihn nicht lassen; je mehr und je gründlicher ich das Menschliche empfinde, um so mehr und gründlicher das Göttliche. –

Die Scheu vor der Erwähnung heiliger Gegenstände in weltlicher Unterhaltung kann also auch den sehr vernünftigen Sinn und Grund haben, daß es uns widersteht über das Göttliche an sich schwatzen zu hören, daß wir es am liebsten unsichtbar in den menschlichen Dingen, wie die Seele in ihrem Körper walten sehn. Wir verstehn die Seele besser, wenn wir ein menschliches Auge ansehn, als wenn wir einen schlechten Philosophen von Psychologie und den Eigenschaften der Seele schwatzen hören. Diese Art des Widerwillens gegen die Erwähnung des Heiligen lasse ich mir gefallen: der Name tut nichts zur Sache, meinen diese rechtschaffenen Leute, obgleich ich sie erinnern möchte, daß es das Eigentümliche unsers Glaubens ist, daß wir sagen und nennen können, und von Angesicht zu Angesicht sehen können, was wir glauben. Ich habe es genannt, weil ich mußte, weil es stärker war als ich. Der alte mürrische Cato schloß jede mögliche Verhandlung des Senats, sie mochte Karthago betreffen oder nicht, mit den Worten: nächstdem aber bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden müsse. Ich habe die verschiedenen Reihen von Vorlesungen, die ich gehalten habe, auf ähnliche Weise, wie anscheinend unverträglich die Gegenstände auch waren, mit einer Erinnerung an die göttlichen Dinge beschlossen: ich konnte nicht umhin, alles drängte mich zu diesem Schluß, mein Gegenstand selbst am stärksten; ich wußte mich selbst nicht anders zu befriedigen; das Verständigste, das Scharfsinnigste was mir gelingen wollte, blieb ohne Haltung.

Indes Sie erinnern sich: der Standpunkt des Göttlichen selbst ist nicht die Heimat des Redners, wie wesentlich es auch ist auf ihm als Gast zu verweilen, immer muß er auf den Parteistandpunkt zurückkehren. Und so will ich mich denn daran erinnern, daß ich ein Deutscher bin, und daß ich der Beredsamkeit meines Volkes, die früherhin, da wir die rhetorische Kunst an sich betrachteten, neben der französischen zurückgesetzt werden mußte, jetzt, wo wir eine höhere Rhetorik kennen gelernt haben, eine glänzende Genugtuung schuldig bin. Erst muß man sich des zerrissenen bürgerlichen Zustandes unsres Volks recht lebhaft erinnern; man muß bedenken, wie keine vornehme Gesellschaft, keine Hauptstadt, kein Hof diese unsre Literatur getragen hat, bedenken, wie diese Sprache in einzelnen stillen Verbindungen näherer Freundschaft, aber nie in großen Versammlungen des Volks oder Parlamentern ausgesprochen ist, wie alle Rede sich in den Buchstaben flüchtete, wie die Luft, in die der große Dichter und Redner gesprochen hatte, keinen Ton zurückbrachte, keinen artikulirten Beifall, keine Antwort als etwa die des einzelnen schönen Herzens – alles dies muß man bedenken, um die innere, leider verdeckte und verborgene Kraft unsres Volkes zu fühlen. Wie haben wir in diesen letzten fünfzig stummen Jahren sprechen gelernt? Wie hat sich diese Sprache gebildet grade in der Zeit, wo alle Glieder der höheren Gesellschaft sich von ihr abwendeten? Es lebt in ihr ein Geist, der sie bildet und keiner vornehmen Stütze bedarf: wer das recht Empfundene, aus den Tiefen der Seele, aus jenen geheimnisvollen Wohnsitzen des Heiligen Kommende, wo das Gefühl der ritterlichen Ehre und Liebe, des stolzen Gehorsams u. s. w. herrührt – aussprechen will, der kann diese Sprache nicht entbehren; und wer nicht so etwas zu sagen hat, der würde ihr und ihrer Ausbildung nichts helfen können. Von selbst in den Mund legt sie sich nicht! ohne Charakter, ohne Selbstständigkeit, ohne Ursprünglichkeit der Geisteskraft ist es unmöglich diese Sprache gut zu sprechen. Mit Phrasen, die für jeden Mund passen, mit künstlich appretirtem Glanz, mit einem Schein von Geist und Witz, den der Geistloseste sich aneignen könnte, kann sie nicht aufwarten: sie hat keine Corneilles, keine Racines, keine Bossuets, keine Akademien, welche ein ganzes folgendes Jahrhundert mit schönen Wendungen der Rede im voraus versehn; kein siècle de Louis XIV., das für lange Zeiten nachher das Vortrefflichste schon vorweggesprochen hätte. Es fehlt ihr, habe ich gesagt, die gesellige Vollendung: das Bestreben der einzelnen deutschen Redner und einige glückliche Wendungen des öffentlichen Lebens der Nation können selbige erreichen, darum muß auch an die mechanischen Vorzüge der benachbarten Sprachen erinnert werden. Ich habe es getan, mit Anklage meines Vaterlandes getan. Nichtsdestoweniger aber weil der neue, christliche Geist aller Worte und Wendungen dieser Sprache sich nicht töten läßt, so trägt sie das Siegel der Fortdauer an ihrer Stirn, wie keine andre Sprache. Um dieses Geistes willen kann man festiglich glauben, daß die Sprache der Besiegten länger leben werde als die der Sieger, und in diesem Sinne dann dreist verkünden, daß weil die Sprache fortdauern werde, auch das Volk nicht untergehen könne.

– Dieser Geist nun gibt der Sprache die Gewandheit und Beweglichkeit, mit der sie eingeht in die Meisterstücke aller Völker und Jahrhunderte; was alle Nationen in der Zeit ihrer Blüte ersonnen, gesprochen und gesungen, ist in Deutschland versammelt. Nur in deutscher Sprache sind Übersetzungen möglich: aus dem Standpunkt dieser Sprache läßt sich, was alle andere in ihren glänzendsten Tagen gedacht und empfunden haben, wie mit einem Blicke übersehn. Diese Sprache kann es sich allenfalls gefallen lassen, wenn ihr der Zutritt in die höheren Kreise des vorübergehenden Gesellschaftslebens versagt wird; das Größte, was die bürgerliche Gesellschaft auf ihrer ewigen Laufbahn erschwingt, gehört ihr umso sichrer. Ihr fehlt nichts, als daß sie gesprochen werde, und glücklicherweise neigt sich die Herrschaft der Feder überall ihrem Ende entgegen: weder der Buchstabe noch das Geld werden unsre Staaten retten, dies Höchste, diese Bedingung aller unsrer Zukunft überhaupt gewährt nur das lebendige Wort und die lebendige Tat. –

Sehr natürlich ist am Schluß dieser meiner Betrachtungen über die Beredsamkeit, die ich von allgemeinen Gegenständen zu den besonderen, von den entferntesten zu den nächsten beruhigend zurückzukehren wünsche, die Erinnerung an einen früh verstorbenen trefflichen Freund, der diesem Lande Östreich, für das er lebte, und uns allen so wert als freundlich bleiben wird. Die Natur hatte ihm ein großes Talent für die Beredsamkeit gegeben. – Sie sehen, daß es Collin ist, von dem ich spreche; ein Talent für die Beredsamkeit, ein deutsches versteht sich, dem ein männliches seiner eignen Kraft sich wohlbewußtes Herz zur Seite geht. Dies war ein Mann, der wohl zu empfinden und auszusprechen wußte, wie einem Volke zu Mute ist; der keinen Vorempfinder brauchte, wohl aber Vormund war für andre im strengen Sinne des Worts, wie die vielen Bürger des Landes bestätigen werden, die ihre Gesinnung in seinen Worten wiedergefunden. Was hätte er leisten können, wenn nicht die gegenwärtige Verfassung der bürgerlichen Angelegenheiten in allen Staaten das lebendige Wort zurückwiese? Es ist unmöglich, die Ähnlichkeit seines Schicksals, seiner Neigungen und der innern Form seiner Werke mit denen von Schiller zu verkennen. Wie jener war er rethorischer Dichter, vielmehr Redner als Dichter, und so behauptet er einen ehrenvollen Rang in der Literatur seines Vaterlandes, einen noch größeren aber in den Herzen, die ihn selbst aus seinen Werken herauszufinden wissen, den Ton nachzufühlen wissen, in dem er diese tragischen Reden, die zuletzt doch alle an sein Vaterland Östreich gerichtet waren, auszusprechen pflegte. Es ist dem Charakter des echten Redners gemäß, zunächst für das Vaterland zu leben, an dasselbige in allen großen Gelegenheiten zu sprechen, und wo etwan ihm dieses versagt ist, das Vaterland wenigstens mit edlen Werken zu schmücken. Das ist in kurzen Worten die Geschichte des öffentlichen Lebens von Heinrich von Collin.

Sie sehn, auch diese Beute nehme ich noch mit mir fort für das Gebiet der Beredsamkeit, das ich abgesteckt: es wird ihn jeder falsch begreifen, der ihn nicht als Redner begreift; es wird, meiner Beschreibung zufolge, niemand ihn ganz verstehn, der nicht seine trefflichen Werke ergänzt, aus den teuern Überresten seiner Persönlichkeit, die er selbst in den Gemütern seiner Freunde am besten niedergelegt; das Werk seines Lebensbeschreibens gehört notwendig zu seinen Werken. Und so möchte ich nur seine Bescheidenheit tadeln, daß er sich selbst zu sehr in seinen Werken versteckt, daß ich die Persönlichkeit dieses herrlichen Menschen, der ich selbst allenthalben ins Gesicht sehen möchte, nur selten finde; wie er denn überhaupt in allen Geschäften am ersten sich selbst vergaß.

Vergeben Sie mir dagegen, wenn Sie zuviel, auch für den Redner zuviel, von meiner Persönlichkeit in diesen Vorlesungen wahrgenommen haben. Aber zuförderst wollte ich die Wirkung zurückgeben, welche jede Spur der Persönlichkeit des Redners in der Rede auf mich macht. Sodann hatte ich die Irrtümer, gegen die ich sprach, an mir selbst erlebt, das Gute, das ich empfahl, in meinem eignen Herzen empfunden: es schien mir also am geratensten, die Empfindungen selbst wiederzugeben, unentkleidet von jenen Eigentümlichkeiten und Menschlichkeiten, deren man sich in dieser mittleren Region zwischen Himmel und Erde, wohin wir gestellt sind, doch niemals ganz entschlagen kann.


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