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XVI. Schluß

Und der Kampf um den Besitz und Verlust zweier Herzen begann; er ward von der einen Seite mit aller Begeisterung reiner echter Liebe, von der andern mit all der Beharrlichkeit der Erbitterung geführt. – Vergebens hatte Irma's Vater diese zu überzeugen gesucht, daß alle ihre Schritte und Bestrebungen in dieser Sache nutzlos wären, sobald ihr Gatte nicht gleichfalls in eine Scheidung willige.

Irma sagte mit glänzenden Augen: »Dies ist unmöglich, mein Vater, es kann nicht sein! Denn es hieße aller individuellen, menschlichen Freiheit Hohn sprechen, ihn zu einem willenlosen Sclaven erniedrigen. Wie, das Gesetz sollte der Art sein, daß es um Eines Irrthums willen eine Menschenseele zu lebenslänglicher Zwangsarbeit und Gefangenschaft verurtheilt? Daß es meine Glückseligkeit von dem Eigensinn eines Mannes abhängig wacht, den eben ich fliehen und aufgeben will?«

Der Geheimrath sagte achselzuckend: »So ist es! Das Gesetz kann nicht auf individuelle Fälle Rücksicht nehmen, es kann keine Clauseln und Ausnahmefälle haben, es muß eine bestimmte unumstößliche Norm haben, die freilich dann auch zu Zeiten zu Ungerechtigkeiten führen kann. Aber in der Art unseres Gesetzverfahrens liegt eben diese Einseitigkeit und Beschränktheit. Die Gesetze schlagen und wirken durch ihre blinde, unumstößliche Macht; sie könnte nicht, wie bei einer Jury, durch moralische Anschauung, durch den geistigen Ueberblick geformt, verschieden angewandt und gedeutet werden. Eine Jury möchte Dich scheiden können, unsere Gesetze niemals!«

»So schafft Euch eine Jury an!« rief Irma leidenschaftlich. »Schafft Euch Institutionen, die Eurem Menschheitsstolze würdig sind, die Euch nicht zu Sclaven blinder Gesetze machen, Euch nicht erzittern lassen unter der Zuchtruthe blöder Thoren, die menschlich, sittlich richten über Menschen.«

»Mit frommen Wünschen ist es nicht gethan,« sagte der Geheimrath ernst. »Noch ist keine Aussicht da zur Verwirklichung solcher Pläne. Dir aber, Kind, wiederhole ich, daß unsere Gesetze Deinem Willen und Begehren sich nicht beugen lassen! Sobald Dein Gatte nicht geschieden sein will, kannst Du nimmer zu einer Scheidung ihn zwingen, es sei denn, daß Du ihm eine entschiedene, eheliche Untreue nachweisen kannst!«

»Das also sind Eure Gesetze!« rief Irma. »Sie verlangen eine schamlose Enthüllung aller dieser innern Geheimnisse des Unglücks, sie verlangen, daß man, um seiner Freiheit theilhaftig zu werden, den erst beschimpfe, und an den Pranger stelle, von den man seine Freiheit begehrt. Sie verlangen, daß man erst niederträchtig werde, um dann sein Recht zu erhalten. Nein, dies sei ferne von mir! Nicht solcher Mittel kann ich, werde ich mich bedienen; durch Arnold's Schande kann ich meine Ruhe nicht erkaufen!«

Aber sie ging zu Arnold und sagte ruhig: »Von dem überführten treubrüchigen Gatten kann ich geschieden werden. Erinnere Dich Deines Verhältnisses mit meinem Kammermädchen, und willige still in unsere Scheidung!«

»Mein Kind, hast Du Beweise?« fragte der Präsident lächelnd. »Beweise mir doch mit unumstößlicher Gewißheit einen Treubruch, rufe Zeugen herbei, die einen Ehebruch meinerseits beschwören können!«

Irma wandte ihm stolz den Rücken und ging in ihr Gemach zurück; seit sie ihrem Gatten ihren Entschluß mitgetheilt, hatte sie sofort auch seine Wohnung verlassen, und ein Zimmer in dem Theil des Hauses bezogen, welcher von ihrem Vater bewohnt ward.

Der Präsident sagte, als sie dies that: »Ich könnte, dem Gesetz nach, Dich allerdings zwingen in meiner Wohnung zu bleiben, bis diese Angelegenheit entschieden ist. Indeß, um Dir zu zeigen, wie gern ich mich Deinen Wünschen füge, magst Du in der von Dir erwählten Wohnung so lange bleiben, bis Du vom Gesetz gezwungen wirst, mich wieder als Deinen Gatten anzuerkennen!«

Und gleich Irma versuchte auch Urban vergeblich, das Gesetz seinen Wünschen zu beugen, vergeblich bot er die Hülfe der geschicktesten Rechtsgelehrten auf; sie erklärten, nichts in dieser Sache thun zu können, da Leonore nicht geschieden sein wolle. Vergeblich hatte er bei Leonoren alle Waffen des Zorns, der Bitte, ja selbst des Flehens versucht, ihren Starrsinn zu beugen.

Leonore sagte stolz: »Nimm dies hin als Strafe! Schuldbeladen und strafwürdig, wie Du warst, hast Du mich zermartert mit Deinem Argwohn, Deinen moralischen Vorwürfen, Deinen Eifersüchteleien, mich, die ich schuldlos war und treu!«

»Schuldlos vor dem Gesetz,« sagte Urban; »o, hätten wir eine Jury, ich wollte ihr Dinge vertrauen, die sie moralisch von Deiner Schuld überzeugen müßten, und Dich zu einer Scheidung zwingen könnten!«

Lange, schmerzvolle Wochen waren unter diesen Kämpfen und Wirrnissen vergangen. Irma's Liebe zu Urban war ein Gespräch des Tages, ihr Scheidungsproceß allen Cirkeln ein willkommener Unterhaltungsstoff geworden, und ihre edle, reine Liebe ward unter den rohen Füßen der Menge bestäubt, mit Schmutz beworfen, zertreten zu ekler, widerlicher Gemeinheit. O, welche niedrige, entwürdigende Erzählungen waren es, die man aus dem Verhältniß der beiden Liebenden ersonnen und bereitwillig glaubte, und wie bedauerte man den an seiner Ehre so empfindlich gekränkten Präsidenten, die in ihren heiligsten Rechten verletzte Leonore! Irma wußte von allen diesen Verleumdungen, diesen frechen Beschimpfungen ihrer Ehre nichts. Still und einsam lebte sie in ihren Gemächern, an Urban denkend, und in schweigender Resignation des Ausgangs harrend.

Es war Abend. Irma saß allein in ihrem Zimmer vor dem geöffneten Flügel, auf dem sie träumend, verloren in Rückerinnerungen, in süßes, schmerzseliges Gedenken an Urban, hie und da einige Accorde griff, bis diese nach und nach zu einer Melodie sich zu gestalten begannen, eine Melodie, deren Klänge ihre ganze Seele durchzitterten, und sie unwillkürlich zum Singen veranlaßten. Und es war eine tiefe, heilige Begeisterung, die aus ihrer Stimme tönte, als sie jetzt das Lied sang:

Ich sah ihn wieder, ach ihn wieder,
Ihn meines Lebens schönsten Stern.
Ich senkt' beschämt die Augenlider
Er stand mir nah und doch so fern.

Wie verschiedene Erinnerungen waren es, die sich an dies Lied knüpften! Sie hatte es gesungen in der Stunde, die der schönsten Stunde ihres Lebens voran ging, sie hatte es wiederholt an dem Tage, der sie auf ewig von dem Geliebten getrennt. Auf ewig? als sie dies sich fragte, füllten sich ihre Augen mit Thränen, tönte ihre singende Stimme halb unterdrückt von dem Schluchzen ihrer Pein. Und wieder, wie einst, öffnete sich jetzt die Thür und Urban trat ein. Irma verstummte und ihre Hände sanken kraftlos nieder auf die Tasten, daß sie einen gellenden Laut ertönen ließen, der wie das Angstgeschrei eines Verurtheilten erklang und sie Beide erschreckte.

Lange schauten sie sich sprachlos, zitternd an; treu ihrem gegebenen Wort hatten sie sich seit jenem Tage gemieden, und zwei Monate waren fast vergangen seit jener letzten, glücklichen Stunde ihres Lebens. Ach in ihren bleichen, kummervollen Zügen lasen sie die traurige, herzzerreißende Geschichte ihrer Kämpfe und Schmerzen, und doch waren sie sich glückbewußt im Gefühl ihrer ewigen, nimmer vergehenden Liebe!

»Irma,« sagte Urban endlich tiefbewegt, »unser Prozeß ist entschieden, aber das unheilvolle Lied, das Du da singst, darf doch nicht Wahrheit werde«. Keiner Mutter, keines Vaters, keines Gesetzes Befehl darf uns, kann uns trennen! Einer ganzen Welt will ich Dich abtrotzen, gegen eine ganze Welt Dich vertheidigen!«

Sie schmiegte sich an ihn, Schutz suchend, wie eine arme, vom Sturm verschlagene Taube. »Es ist also entschieden,« flüsterte sie angstvoll, »wir dürfen einander nicht angehören!«

»Und gehören wir denn nicht einander schon?« fragte er fast heiter. Halte ich Dich nicht in meinen Armen, bist Du nicht mein? O, laß sie da draußen reden und sprechen, uns sollen sie nicht trennen, ein höheres Gesetz hat uns einander verbunden, ein Gesetz, vor dem diese kleinlichen, irdischen Satzungen zerstäuben und zerfallen, wie todte Formeln und Buchstaben, es ist das Gesetz der Liebe! Und nun sprich, meine Geliebte! Willst Du Dich unterordnen diesen Gesetzen der Welt, die Dich von mir reißen, willst Du dem Gesetze Deines Herzens folgen, das Dich mir verbindet?«

Irma sagte stolz und freudig: »Wir haben der Welt ihren Tribut gezahlt, aber wir wollen nicht ihre Sclaven sein! Gott allein sei hinfort der Richter über uns.«

»So fliehen wir!« sagte Urban kurz, fast gebieterisch.

Irma erschrak nicht vor diesem entscheidenden Wort. In der Stille ihres einsamen Lebens hatte sie selber lange schon sich an diesen Gedanken gewöhnt, sich mit ihm vertraut gemacht, bis er ihr zu einem süßen, glänzenden Trost geworden. Sie klammerte sich jetzt nur fester an des Geliebten Gestalt, und fragte ganz demüthig: »Wann fliehen wir, und wohin?«

»Morgen Nacht,« sagte er ruhig, »ich habe seit Wochen schon Alles vorbereitet, mein Vermögen in Papiere umgesetzt, die nöthigen Schritte gethan. Mit Courierpferden fahren wir nach Hamburg, von dort mit dem Dampfschiff nach England, und dann mag Irma entscheiden, ob wir dort bleiben, oder in Amerika einen stillen, unbelauschten Winkel aufsuchen wollen, wo der Neid der Menschen, ihre Verleumdung und Lüge uns nicht mehr berührt!«

»O Du weißt schon, was ich wählen werde,« sagte sie mit einem glücklichen Lächeln.

*

Sie standen neben einander auf dem Verdeck des Schiffes. Arm in Arm geschlungen lehnten sie an dem Maste, und schauten hinaus auf das im Abenddunkel leuchtende Meer, auf die zackigen Felsspitzen der Insel Malta, an der sie so eben vorüberfuhren, und die im Abenddämmerschein wie riesige Nebelgestalten anzuschauen. Groß und voll trat jetzt der Mond hinter diesen Felsen hervor und zog einen langen goldenen Schein durch das ruhige stille Meer.

»Richte Dein Haupt auf, Du Liebe,« sagte Urban jetzt, und seine Stimme zitterte in tiefer Bewegung, »schlage Deine zerknickte Blüthenkrone wieder voll und stolz empor, Du meine Lilie, denn sieh, dort entschwinden die letzten Küsten Europa's, und unter dem Himmel unseres neuen Vaterlandes sind wir keine Verbrecher mehr. O, wir sind nicht mehr in Europa! Hinfort wird man unsere Liebe nicht mehr einem Verbrechen gleich achten, wird uns nicht Sünder nennen, weil wir das Gesetz unserer Liebe höher achteten, als das Gesetz der menschlichen Gesellschaften! O über die Thoren, die dem Buchstaben des Gesetzes ihr Herz, ihr Glück unterordnen, des Gesetzes, das ein elendes Machwerk der Menschen ist! Blicke rückwärts, meine Irma, und nimm Abschied von all' dieser kleinlichen engherzigen Moral, mit welcher die Menschen dort sich ihre Tage vergiften! Wir konnten bei ihnen nicht unser Recht erkämpfen von ihrem Rechte, und von den Buchstaben des Gesetzes sollten wir das stolze selige Wort der Freiheit in unserer Seele verwischen lassen. Wir thaten es nicht, und man hat uns Verbrecher genannt. O wohl uns, daß wir es sind! Wenn ein Auge dort droben wacht, so sieht es, daß nicht wir, daß die Gesellschaft allein ein Verbrechen an uns beging. Sinke denn hinunter in die Nacht, Du unser abgeworfenes Vaterland mit Deinen Tyrannen und Sklaven, mit Deinen Verdrehern des göttlichen Rechts, Deinen Heucheleien und Menschensatzungen! Wir haben nichts zu schaffen mit Dir! Und wenn Eure Gesetze uns zu Verbrechern stempeln, werden eines andern Vaterlandes Gesetze uns als Helden begrüßen. Denn die Freiheit des Individuums, diese zu erkämpfen, sei unseres Lebens einzig strebenswerthes Heldenthum, das einzige Ideal dieser Welt!«

»O, diese arme Welt!« sagte Irma, »wie beklage ich sie um ihrer Kurzsichtigkeit und Kleinlichkeit willen. Mag sie hinter uns versinken und in Nacht vergehen, ich beweine sie nicht, mag sie uns verdammen, ich vertheidige mich nicht, ich habe nichts mehr zu schaffen mit ihr. Hinfort bist Du meine Welt, meine Zukunft, mein Glaube, Du mein Alles! Sie haben uns ausgestoßen und verbannt, weil wir uns nicht wollten ausstoßen lassen vom Glück, nicht verbannen lassen von der Segnung der Freiheit, – mögen sie es! Eine neue Welt wird uns aufnehmen in ihres Friedens duftendem Schoße, an dem Busen der Natur wollen wir in seligem Liebesglück in gerechten Thaten und Worten Gott danken und preisen, und Gott wird uns nicht Sünder nennen, weil die Menschen uns verdammen!«

»Nein,« sagte Urban, einen Kuß auf ihre Stirn drückend, »nein, mein Weib, meine Gattin. Du zitterst, Holde! Von dieser Stunde an bist Du vor Gott und Menschen meine Gattin. Europa liegt hinter uns, und die Gesetzesfesseln Europa's, hörst Du es nicht, wie sie klirrend zu unsern Füßen niederfallen an der Grenze dieses neuen Welttheils? O, über das Meer hinaus reicht er nicht dieser eiserne Arm der Gesetze Europa's. Hier sind wir entsündigt, und aus den Händen Gottes empfange ich Dich, mein Weib, meine Geliebte, um mit Dir vor Gott zu wandeln in einer Ehe, wie sie der Liebe heiligstes Ziel und schönste Vollendung ist, eine Ehe, wie sie nicht von Menschen, sondern von Gott eingesetzt worden. Liebend, hoffend, strebend, vertrauend wollen wir Hand in Hand durch das Leben wallen, in den Tagen des Unglücks uns tröstend in unserer Liebe, in den Tagen des Glückes uns am Glücke kräftigend zum Guten, zur Menschenliebe. Und so in der Liebe köstlicher Gemeinschaft dahin gehend in unzerreißbarer Einheit, wollen wir eine Ehe fuhren, wie kein menschliches Gesetz sie binden oder zerreißen kann. Und jetzt, schau meine Geliebte, da versinken die letzten Spitzen Europa's in finstere Nacht. O Du armes, geliebtes Vaterland, wann wird es Tag werden in Deines Gesetzes Hallen!«


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