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V. Eine Intrigue

Indeß war bei Leonoren das Verlangen nach Urban immer mächtiger, immer glühender geworden, hatte sie immer leidenschaftlicher sich geschworen, Urban wieder zu gewinnen, und zu diesem Zweck kein Mittel unversucht zu lassen. Je unmöglicher dies erschien, um so mehr reizte es sie, und sie nannte das Leidenschaft der Liebe, was nichts weiter war, als verletzte Eitelkeit und aufgestachelter Eigensinn. Auch beschäftigte sie diese romantische Verfolgung eines Ungetreuen, dies heimliche Nachschleichen, dies Spähen und Spioniren, dies Combiniren und Vermuthen. Sie folgte ihm leise von ferne, oder ließ von ihrer vertrauten Zofe ihn beobachten, und wußte zu jeder Stunde des Tages, wohin er gegangen. Urban's langes Verweilen bei Irma fiel ihr auf, sie verband es mit mancherlei Gerüchten, die geschwätzige Freundinnen ihr mitgetheilt, und war bald fest überzeugt, daß Irma es sei, um deretwillen Urban sie verlassen. Aber nicht sobald war sie zu dieser Ueberzeugung gelangt, als sie auch schon fest entschlossen war, Urban dieser neuen Geliebten zu entreißen. – Der Abend dämmerte bereits herauf, sie war sicher, nicht mehr erkannt zu werden; in ihren Shawl eingehüllt, das Gesicht tief verschleiert, schlüpfte sie eiligst durch die Straßen nach der Wohnung des Geheimraths. Sie fragte nach Irma, und erhielt den Bescheid, diese sei allein auf ihrem Zimmer. Sie ließ sich anmelden als eine Unglückliche, um Unterstützung Flehende, und ward angenommen. Ihr Herz klopfte, als sie in Irma's Gemach trat, als sie ihrer schönen, ernsten Feindin und Nebenbuhlerin gegenüber stand, und schweigend blickte sie in dies bleiche, stolze Angesicht, in diese großen dunkeln Augen, deren strahlender Blick heute von einem mildern Feuer des Glückes wie umflort erschien.

Irma mit ihrer schönen klangvollen Stimme, deren Fülle von dem Mitleid gesänftigt erschien, fragte jetzt die Verschleierte: »Sie nennen Sich selbst eine Unglückliche, Hülfsbedürftige! O, sagen Sie, womit ich Ihnen helfen, Sie unterstützen kann! Liegt es in meiner Hand, Ihnen –«

»Mein Leben liegt in Ihrer Hand,« unterbrach Leonore sie rasch, und sank zu ihren Füßen nieder. »Mein Leben, meine Zukunft, mein Glück, das ist es, was ich von Ihnen zu erflehen komme, das ist es, was Sie im Begriff sind mir zu rauben!«

»Ich?« fragte Irma erbleichend, und sich dann stolzer aufrichtend, sagte sie ernst: »Sie sprechen in Räthseln, die aber hier nicht an ihrer Stelle sind.«

»Ich will Ihnen die Auflösung sagen,« rief Leonore leidenschaftlich, Irma mit scharfen Blicken unter ihrem Schleier hervor beobachtend. »Die Auflösung heißt: Urban!« –

Sie sah, wie Irma zusammen zuckte und erröthete, und mit triumphirendem Zorn dachte sie: »Ich habe mich also nicht getäuscht! Diese ist es, um die er mich verließ! O, er soll sie mindestens nicht besitzen, ich werde mindestens gerächt sein!« – Irma hatte ihre augenblickliche Verwirrung schon überwunden, und ruhig sagte sie: »Um Sie zu verstehen, muß ich wissen, wer Sie sind! Lassen Sie mich Ihr Antlitz sehen!«

Leonore warf Hut und Schleier zurück, und sah mit dem Ausdruck tiefen Wehes auf ihre Feindin.

»Leonore!« rief Irma entsetzt. »Leonore,« wiederholte sie leise, und sank wie bewältigt auf den Divan. O wie viele bittere Thränen, wie viele bange Seufzer hatte diese Leonore ihr schon gegeben! Wie hatte sie gelitten durch diese Gerüchte, welche ihr Leonorens inniges Verhältniß zu Urban erzählt, mit welcher bittern Pein verschwiegener Eifersucht und glühender Liebe hatte sie in den stillen Nächten ihres einsamen Gemaches mit ihrem Herzen gerungen, daß es aufhören möge für den zu glühen, der eine Andere liebe. Und jetzt war sie da, diese Andere, an deren Dasein sie seit Urban's heutigem Geständniß nicht mehr geglaubt, jetzt kam sie, um den Geliebten ihr wieder zu entreißen, und mit ihm ihres Lebens Glück und Stern.

»Ja, es ist Leonore,« sagte diese mit weichem, bebenden Ton, »Leonore, die zu Ihren Füßen liegt, um von Ihnen zu erflehen, was ihr Eigen ist, um knieend zu Ihnen zu weinen: geben Sie mir ihn wieder, meinen Gatten, meinen Geliebten. Er ist mein, Sie dürfen ihn mir nicht entreißen!«

Der heftige, theatralische Ton Leonorens, das Verletzende einer solchen Scene gab Irma schnell ihre Ruhe und Fassung wieder. Sie richtete sich auf, und sagte mit stolzer Ruhe: »Dies sind Vorwürfe, die auf der Bühne gewiß nicht ihre Wirkung verfehlen werden. Sie erlauben mir aber wohl die Bitte, dergleichen Bühneneffecte meinem bescheidenen, stillen Gemach nicht aufbürden zu wollen! Vor Allem, bitte, stehen Sie auf, und nehmen Sie neben mir Platz. Ich bin weder eine Königin, noch eine Tyrannin, vor der die Schauspielerin flehend ihre Kniee zu beugen hat. Solcher Kniefall erniedrigt Sie nur, ohne daß ich die Macht habe, Sie wieder zu erhöhen und gleich einer Königin Sie zu begnadigen!«

»Auch das noch,« seufzte Leonore, und diesmal waren die Thränen, die ihren Augen entströmten, nicht erkünstelter Art. Sie fühlte sich verspottet und von Irma's schneidendem, ironischen Ton bitter verletzt. »Auch das noch! Nicht zufrieden, mir den Geliebten zu entreißen, verhöhnen Sie mich noch mit meinem Weh!«

Aber Irma bereute schon ihre augenblickliche Erregung, und mit weichem, bebenden Ton sagte sie: »Verzeihung! Ich wollte Sie weder kränken, noch verhöhnen! Aber unsere Stellung ist so eigentümlicher Art, hat für uns Beide so viel Verletzendes und Schneidendes! Lassen Sie uns mit Ruhe und Besonnenheit sie prüfen, und durch Leidenschaft nichts übereilen. Sie sagen, ich habe Ihnen den Geliebten entrissen, – welches Recht haben Sie zu dieser Vermuthung, und wer sagt Ihnen, daß Herr Urban in irgend einer Beziehung zu mir steht?«

»Er selbst,« sagt« Leonore kühn. »Aus Ihren Armen kam er heute Morgen zu mir, und forderte, daß ich ihn frei gebe!«

Leonore zitterte, indem sie so sprach und es wagte, eine Vermuthung als Gewißheit auszusprechen, aber sie sah an Irma's schmerzlichem Seufzen, an ihrem Erröthen und Erbleichen, daß sie die Wahrheit gesprochen, und nun wußte sie genau, welche Rolle sie zu spielen habe.

»O, er fordert von mir, daß ich ihn aufgebe, ihn, für den ich Ehre, Ruf, für den ich meine Seligkeit freudig hingegeben, ihn, der vor wenig Wochen noch mir ewige Treue schwor, und in begeisterten Gedichten mir seine heilige, nimmer verlöschende Liebe sagte. Da, sehen Sie hier die stummen Zeugen seiner Liebe,« fuhr sie fort, einige Papiere aus ihrem Busen ziehend. »O, diese Gedichte, mit welcher Begeisterung erfüllten sie stets meine Seele, wie trug ich sie auf meinem Herzen als einen sichern Schild gegen alle Verlockungen und Anfeindungen. O, was kümmerte mich die Welt, was der Beifall der Menge, wenn Urban mich liebte, was fragte ich nach allen diesen Triumphen, die jeder Abend mir brachte; nur seinen Beifall, nur seine Zufriedenheit wollte ich erwerben! O, die ganze Welt war mir todt außer ihm!«

»Armes Mädchen,« sagte Irma leise, »ich kenne das, und nun weiß ich auch, daß Sie ihn wirklich lieben!«

»Und wer sollte dies nicht,« rief Leonore leidenschaftlich. »Wer sollte diesem Zauber seines Wesens, diesem hohen, und stolzen Geiste, diesem edlen und leidenschaftlichen Herzen sich nicht ganz hingegeben fühlen in Liebe, in Anbetung! O die Erde, so groß sie ist, trägt keinen zweiten Urban.«

Leonore hatte hier klug die rechte Seite angeschlagen. Urban beschuldigend und anklagend, würde sie Irma nur zu seiner Vertheidigung herausgefordert haben, ihn preisend und erhebend, entwaffnete sie ihre Feindin.

»Und Sie preisen ihn noch,« fragte Irma weich, »Sie, die er verrieth. O, wie groß muß doch seine Macht sein, wenn selbst, wo er kränkte, er noch geliebt wird!«

Und jetzt schilderte ihr Leonore in glühenden Farben der Leidenschaft und Begeisterung die glücklichen Tage ihrer Liebe, ihrer Vereinigung mit Urban, zeigte sie ihr entzückende Bilder dieses Zwielebens Zweier durch Liebe Verbundener, hob sie mit niedergeschlagenen Augen, mit bebender Stimme den Vorhang zurück, und ließ Irma die heiligen, verschwiegenen, und köstlichen Stunden eines in Liebe verbundenen Paars sehen, daß Irma's Herz zu brechen drohte unter der Last dieses genossenen, fremden Glückes. Einmal, während dieses glühenden Bekenntnisses ächzte sie so laut, ward sie so todesbleich, daß Leonore wirklich erschreckt fragte, »ob sie schweigen solle.«

»Nein, wirklich es ist nichts,« sagte Irma mit bebenden Lippen. »Ich hatte nur ein Gefühl als ob ich sterben würde, – aber es ist schon vorüber. Sprechen Sie weiter, weiter!«

Sie lehnte ihr Haupt in die Kissen des Sopha's zurück, und lag wie erstarrt, wie bezaubert von Leonorens Worten und Bekenntnissen, wie das kleine Vöglein, von dem tödlichen Blick der Schlange getroffen, und nicht im Stande mehr, ihr zu entfliehen. Sie fühlte sich ganz zerbrochen, ganz zermalmt von diesem plötzlichen Zusammensinken ihres Glückes, und Leonorens Erzählungen, der Ton ihrer Stimme berührte nur wie dumpfes Wellenrauschen ihr Ohr. Sie hörte die Worte, ohne sie zu verstehen, sie verstand und wußte nur das Eine: Er ist ein Treuloser, ein Wortbrüchiger. Er spielt mit Eiden und Herzen, und während er zu Leonorens Füßen lag und ihr in Worten Liebe schwur, sprachen zu mir seine Blicke auch diese Sprache! »O, es ist etwas Fürchterliches, ein treuloser Mann!« – Plötzlich sagte sie, Leonoren unterbrechend: »Die Gedichte, die Briefe, ich bitte!«

Leonore reichte ihr diese hin, und als sich ihre Hände berührten, erschrak Leonore vor der Eiseskälte dieser kleinen bleichen Hand.

Irma überflog die Papiere mit prüfendem Auge, und wer sie so daliegen sah, hätte sie für ruhig und gefaßt halten mögen, wenn nicht zuweilen ein convulsivisches Zucken durch ihre ganze Gestalt geflogen, wenn nicht zuweilen ein krampfhaftes Aechzen aus ihrer Brust hervorgedrungen wäre. Es war ein fürchterlicher Kampf, den sie kämpfte, und deshalb wollte sie besonnen prüfen, denn sie wußte es wohl, daß diese Stunde, wenn sie Urban aufgeben müsse, sie auf ewig des Glückes und Friedens berauben würde. Sie rief sich Urban's ganzes Wesen, seine liebestrahlenden Blicke, seine köstlichen Worte und alle jene unnennbaren Zeichen und Geberden zurück, mit denen die Liebenden sich verstehen und erkennen, und unwillkührlich sagte sie laut: »Nein, es ist unmöglich, daß er mich täuschen kann! Das waren nicht die Worte, das war nicht der Blick eines Betrügers!«

»Und betrog er nicht auch mich?« fragte Leonore schmerzvoll. – Irma hörte nicht auf sie; mit kalter peinvoller Grausamkeit gegen sich selbst überlegte sie jedes Wort, das er gesprochen, und als sie sich jetzt seines leidenschaftlichen Verlangens einer so überraschenden, unauflöslichen Vereinigung entsann, flüsterte sie schaudernd: »Deshalb also diese Eile! Leonore sollte erst seine Untreue erfahren, wenn sie ihn für immer verloren! Das ist perfide, ist schaudervoll! rief sie mit einem Schrei der Qual und Angst.

»O, ich fühle schon, daß ich ihn nicht mehr liebe,« sagte sie matt, »die Verachtung hat meine Liebe schnell getödtet. Aber Sie, – Sie lieben ihn noch, arme Leonore! Ach, was hilft es Ihnen, daß ich nicht Ihnen hindernd im Wege stehe. Wird er zu Ihnen zurückkehren, wenn ich ihn von mir stoße?«

»Er wird, er muß zu mir zurückkehren,« rief sie leidenschaftlich. »Einmal diese Liebe zu Ihnen überwunden, wird er mit bitterm Reuegefühl sich mir wieder zuwenden! O, er ist edel und gut, und das Auge nicht mehr umnebelt von dieser neuen Leidenschaft, wird er mich, die weinend, flehend zu seinen Füßen sitzt, wieder an sein Herz ziehen, und wieder seine Geliebte nennen. O, geben Sie ihn auf, sein Sie barmherzig, gnadenvoll! Haben Sie Mitleid mit meiner Liebe, mit meinen Schmerzen, geben Sie ihn auf!«

»Und warum denn ich,« fragte Irma bebend, »warum denn muß ich ihn aufgeben, da doch ich es bin, die er liebt, warum nicht Sie, Leonore, die er verlassen hat? Muß denn Eine ihrer Liebe entsagen, warum denn ich, da mein Entsagen zugleich ihm den Schmerz des Verlierens bereitet. Ist's nicht genug, daß wir Beide dulden und weinen, muß auch Er sich verzehren in Schmerz. Denn ich weiß, er wird leiden durch meinen Verlust, denn er liebt mich, seine Seele, sein Herz gehört mir! Um meinetwillen hat er Sie aufgegeben, um meinetwillen mag seine Seele zerrissen sein von bittern Selbstvorwürfen, die er dennoch freudig hinnimmt, denn er liebt mich! Ja,« fuhr sie immer aufgeregter fort, »ich bin es, nach der seine Seele sich sehnt, der er sich auf ewig verbinden will. O, seine Schwüre tönen noch vor meinen Ohren, seine Lippen brennen noch auf den meinen! Ich habe mich ihm zu Eigen geschworen, und Gott hat unsern Schwur vernommen. Und jetzt kommen Sie, Sie, die er nicht mehr liebt, der er sich entfremdet fühlt, Sie, die er verlassen, aufgegeben hat, für die er keine Liebe, keine Begeisterung mehr hat, für die er nichts mehr empfindet, als vielleicht Mitleid und das peinigende Bangen der Reue, jetzt kommen Sie und fordern, daß ich ihn aufgebe, ihn von mir stoße, wie einen Treulosen, einen Verräther, der er doch nicht mir, der er nur Ihnen gewesen! Muß denn hier ein Opfer gebracht werden, so ist es an Ihnen, es zu bringen, an Ihnen, der Aufgegebenen, Verlassenen! O, glauben Sie nicht, daß Sie mit Ihren Thränen, Ihrem Jammern und Klagen ihn wieder gewinnen können. Ich sage Ihnen, er liebt mich, und je mehr Sie ihn mir entziehen wollen, desto fester werden Sie ihn an mich binden. Er liebt mich, und wenn ich ihn von mir stoße, wird er Ihnen fluchen, wird er Sie hassen, weil durch Sie er mich verloren hat! O, Sie werden sein Herz nur wieder gewinnen, wenn es ganz entkräftet, ganz zerbrochen ist von Schmerz um mich, dann erst wird er vielleicht sich Ihre Liebe gefallen lassen, weil er nicht mehr die Kraft hat, Sie zu hassen und Ihnen zu fluchen!«

Sie war schön in dieser wilden Erregung, schön mit dieser stolzen, kühnen Haltung, diesen flammenden Blicken, diesen gerötheten Wangen. Wie ein Ertrinkender in wahnsinniger Angst nach Rettung sucht und schreit, und an dem Strohhalm Rettung suchend sich halten möchte, so klammerte Irma sich verzweifelnd an dem Gedanken fest, nicht an ihr, sondern an Leonoren sei es, dies Opfer zu bringen. Sie sah schon den Abgrund unter sich geöffnet, und in menschlichem Zagen schien ihr jedes Mittel willkommen, um nicht in ihm zu versinken.

»Ich kann und darf ihn nicht aufgeben,« sagte Leonore, fest entschlossen das Aeußerste zu wagen. »Ich habe an ihn heilige Rechte, heilige Pflichten!«

»Und ich, sind auch meine Rechte nicht heilig? Habe ich ihm nicht ewige Liebe, ewige Treue geschworen?« fragte Irma.

»Wohlan,« rief Leonore schmerzvoll, »so muß ich Ihnen denn das traurige Geheimniß, das meine Tage vergiftet, bekennen, und meine Ehre zugleich mit meinem Lebensglück in Ihre Hand legen. Wissen Sie denn – «

Sie neigte sich dichter an Irma's Ohr, und flüsterte leise einige Worte, die eine tödtliche Blässe auf Irma's Wangen riefen.

»O, allmächtiger Gott,« rief sie dann schmerzvoll, »es kann nicht, kann nicht möglich sein!«

»Soll ich es Ihnen auf das Crucifix da schwören?« fragte Leonore.

»Nein,« sagte Irma athemlos, »es genügt, ich glaube Ihnen!« – Dann war sie lange stumm und lehnte sich bewegungslos, starr und bleich an die Wand. Endlich richtete sie sich auf, und als sie nun sprach, geschah es mit jener Ruhe und Resignation, die nur denen eigen, deren Geschick fest und unauflöslich entschieden ist.

»Jetzt ist Alles gut,« sagte sie, und nur ihre zitternden Lippen verriethen den tiefen Kampf ihrer Seele. »Jetzt ist Alles gut, denn es giebt nun kein Zweifeln und Streiten mehr. Urban gehört Ihnen! Nach Ihrem Geständniß ihn noch begehren wollen, wäre von mir ein Verbrechen, eine Schmach! Jetzt freilich weiß ich, daß Sie ein Recht hatten, ihn Ihr Eigen zu nennen, und aus dem tiefsten Grunde meiner Seele bitte ich Ihnen meine harten, vorwurfsvollen Worte ab.«

»O, Sie sind ein Engel,« rief Leonore, sie umarmend. Irma drängte sie sanft zurück, und sagte matt: »Ich thue ja nur, was ich muß! Ich kann keine Ehebrecherin sein wollen, die Ihnen den Gatten entreißen möchte, und Ihr Gatte ist er ja, wenn auch kein Priester sie verband. Das gilt ja gleich, ob das bindende Wort vor Zeugen, oder nur vor Gott gesprochen werden!«

»Aber Urban,« seufzte Leonore«, »wird er mir jemals vergeben, daß ich Ihnen mein Geheimniß und damit ihn selber verrieth?«

»Sorgen Sie nicht, er wird es nie erfahren,« sagte sie tonlos. »Ich werde ihn niemals wieder sehen, ihm niemals schreiben, niemals Briefe von ihm empfangen. Er ist für mich ganz verloren, und wir Beide haben auf Erden nichts mehr mit einander zu theilen! Aber wie wird es möglich sein, ihn zum Rücktritt zu bewegen, ohne daß Sie ihm die Gründe dafür angeben?«

»O, das wird leicht sein,« sagte Irma mit einer Stimme, in der ihre ganze Seele zitterte. »Ich weiß es ganz klar und deutlich, was ich zu thun habe, und Urban wird es nie erfahren, daß er selber die Veranlassung zu unserer Trennung gab. Aber jetzt, bitte, jetzt gönnen Sie mir Ruhe! Unser Geschäft ist ja beendet. Wir haben einander nichts mehr zu sagen!«

»Nur noch dies,« sagte Leonore leidenschaftlich, »daß Sie der Engel meines Glückes geworden, daß ich Ihnen ewig unaussprechlich danke, daß das Kind, dem Sie den Vater erhalten und wieder geschenkt haben, zu Ihrem Namen als zu dem einer Heiligen beten soll!«

Sie wollte Irma umarmen, diese trat zurück, und sagte sanft: »Bitte, lassen wir das! Geben Sie mir Ihre Hand! So! Und nun scheiden wir! Wenn Sie einst Ihr Kind seinem Vater in die Arme legen, dann gedenken Sie, daß ich für dies Kind –«

Sie stockte, der Schmerz drohte sie zu bewältigen, – sie wandte sich ab, und Leonoren mit der Hand den Abschiedsgruß winkend, trat sie in das nächste Gemach, dessen Thür sie hinter sich verschloß.

Mehrere Stunden brachte sie in demselben zu, ringend mit ihrer Qual, bald ausbrechend in laute Klagen, bald in dumpfem Schmerz in öder Verzweiflung vor sich hinstarrend. Es war ein fürchterlicher Kampf, den sie kämpfte, und in dieser Stunde begrub sie ihre Jugend und Hoffnung, ihr Zuversicht und ihr Vertrauen! Wem sollte sie hinfort noch trauen, wenn Er sie betrog, auf wessen Seele sollte sie noch bauen, wenn die Seele log, die aus seinen Zügen sprach? O, diese edlen schönen Züge! Wie waren sie ihres Lebens Sonne und Glanz gewesen! Das war nun Alles erloschen und erblindet, und sie wußte, daß ihre Zukunft glanzlos sei und trübe, bedeckt mit einem Trauerschleier, den nur das Grab einst lüften werde. Aber dies Opfer mußte gebracht werden, und weil also, mußte es auch ganz und vollständig gebracht werden. – Irma ging aus diesen Stunden der Qual und des Kampfes mit Ruhe und Entschlossenheit hervor, und mit jener Kraft des Wollens, die den Körper zum Gehorsam zwingt, daß er nicht unterliegen darf. Es war schon spät, das Geräusch der Welt war schon verstummt, Alles war still, aber in dem Zimmer des Geheimraths war noch Licht, und dahin wandte sich jetzt Irma. Ihr Vater empfing sie mit einem Ausruf der Ueberraschung. »Nun,« sagte er, »dies ist also der zweite Schreck, den wir meinen unglücklichen Akten verursachen, sie werden sich kaum davon erholen können. Aber was führt denn meine schöne gefeierte Tochter so spät noch zu mir?«

»Sie gaben mir heute früh eine Frist bis morgen, um mich wegen Arnold's Heirathsantrag zu entschließen. Diese Frist wird nicht nöthig sein! Ich bin schon entschlossen!«

Der Geheimrath zog die Stirn in leichte Falten, und sagte scharf betonend: »Entschlossen, ihn auszuschlagen?«

»Nein,« sagte Irma ruhig, »entschlossen, ihm meine Hand zu geben!«

Der Geheimrath erhob sich erstaunt von seinem Sitze, und blickte Irma prüfend an. »Ist das Dein Ernst?« fragte er langsam.

»Mein Ernst! Und ich bitte Sie, Arnold gleich morgen früh davon zu benachrichtigen. Er mag kommen, damit ich ihn als meinen Verlobten begrüße!«

»Nun Kind,« rief der Geheimrath freudig, »das ist einmal schön gesprochen! Komm an mein Herz, meine Tochter! Du hast meinem alten Herzen Freude gegeben, und mögen die Acten sich wundern, so viel sie mögen, ich kann doch diese Thränen der Freude nicht unterdrücken!« – Er schloß Irma in seine Arme und weinte. Sie ertrug und duldete seine Freude und seine Zärtlichkeit, ohne sie zu erwiedern, aber in dem eigenen Freudentaumel gewahrte der Geheimrath nicht ihre Kälte und Gleichgültigkeit. Die Eltern sind gewöhnlich egoistisch genug, daß es ihnen weniger darauf ankommt, ob ihrer Kinder Wünsche erreicht werden, als auf die Befriedigung ihrer eigenen Wünsche, und ihre Kinder zu verheirathen der Eltern heißester Wunsch, ob ein Herz dabei bricht und verblutet, darnach fragen sie nicht, wenn nur ihr Wille und Wunsch geschieht.

»Aber welch ein guter Engel hat Dich denn plötzlich erleuchtet,« fragte der Geheimrath, »und Deinen Eigensinn gebrochen? Oder wie,« fuhr er neckend fort, »sollte vielleicht Arnold's Haar seine ominöse Blondheit verloren haben?«

»Vielleicht,« sagte Irma leise, »mindesten« wird es vor meinen Augen jetzt »immer dunkel sein!«

Der Geheimrath küßte sie, und sagte weich: »Meinen Segen hast Du, und ich bin gewiß, daß Du mit diesem Schritt das Glück Deiner Zukunft begründen wirst. Arnold ist ein edler braver Mann, dabei in einer Stellung, die ihm immer höhere Ansprüche und Aussichten gewährt.«

»Sagten Sie mir nicht, er sei in eine andere Stadt versetzt?« fragte Irma leise.

»Ja, mein Kind, und dies ist das Einzige, was meine Freude trübt. Ich werde Dich verlieren!«

»Durch Entfernung Verlieren ist nicht das Bitterste,« sagte Irma tonlos, und rang nach Fassung. »Mir ist es willkommen und lieb, daß er geht, – und ich ihn begleite, für neue Verhältnisse sind auch neue Umgebungen gut! Aber jetzt, mein Vater, lassen Sie uns zur Ruhe gehn! Ich darf Sie nicht Ihres Schlummers berauben!«

Sie küßte ihm die Hand, er zog sie an sein Herz und sagte freudig: »Kind, dies wird eine glückliche Nacht sein, denn die Freude wiegt mich in Schlaf ein! Gute Nacht denn! Morgen in der Frühe sende ich zu Arnold!«

Irma ging langsam in ihr Gemach zurück, wo ihr Kammermädchen ihrer harrte. Sie ließ sich stumm entkleiden, und hörte nichts von dem Geplauder ihrer Karoline, die nicht müde werden konnte, Irma's schönes Haar zu preisen, während sie es auflöste und ordnete, und zu erzählen, daß Niemand eine so schöne Gestalt habe, wie ihre Dame. – Irma hörte nichts, sie zitterte und eilte nur, ihr Lager zu erreichen. Es blieb ihr noch eine schwere Pflicht, und sie bangte, daß ihre Lippen den Dienst dazu versagen möchten.

»Du,« sagte sie endlich mit gewaltsamer Kraftanstrengung, »wenn morgen Herr Urban kommt, so bin ich nicht zu Hause, er mag kommen, wann er will. Besteht er darauf, mich sehn zu wollen, so sagst Du ihm, daß ich ihn nicht sehen kann und will!«

Sie schwieg, und Karoline, die verwundert über diese Grille das Zimmer verließ, merkte es nicht, daß Irma nach diesen Worten ohnmächtig geworden.


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