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V.

Auf Katharina hatte aber die Erscheinung des Fremden eine aufregende Wirkung geübt. Ihr ganzes Wesen war verwandelt, zuckte in heftiger Aufregung. Es war ihr, als sei sie verzaubert gewesen, und jetzt sei das Erlösungswort gesprochen, durch welches sie zum Leben, zum Genuß erweckt worden. Sie schwur in ihrem Herzen dem schönen Unbekannten ewige, unauslöschliche Liebe, und in romanhafter Empfindelei sich aufschraubend zum höchsten Heldenthum der Liebe, gelobte sie sich, alle Hindernisse besiegen und dem Geliebten, einzig nur dem Geliebten angehören zu wollen. »Thomas muß sich von mir scheiden lassen,« sagte sie entschieden, und einmal diesen Entschluß gefaßt, eilte sie ihn auszuführen. Mit heftigen Schritten eilte sie ins Wohnzimmer, von woher sie ihres Mannes singende Stimme vernahm. Er schien ihr Eintreten nicht gehört zu haben, und intonirte eben mit lauter Stimme sein Lieblingslied: »Bei Männern, welche Liebe fühlen«, als ein unsanfter Schlag auf die Schulter ihn aus seinen musikalischen Entzückungen weckte, und er, umschauend, in Katharinens geröthetes Antlitz blickte.

»Du,« sagte er, sich die Schulter reibend, »glaubst Du, daß Männer, die Liebe fühlen, dennoch nicht Gefühl haben für dergleichen sanfte Berührungen einer zarten weiblichen Hand.«

»Laß jetzt Deine albernen Bemerkungen,« sagte sie athemlos, »ich habe Dir Wichtiges zu sagen! Schweig und höre mich an! Dein Betragen wird immer gemeiner. Ich fühle, daß ich es nicht mehr aushalten kann, und, mit einem Wort, ich will nicht mehr mit Dir leben!«

»Was willst Du denn?« fragte Thomas, sich ruhig seine Lieblingspfeife stopfend. »Willst Du etwa von Deiner Bildung leben? Deine Bildung für Geld sehen lassen? Ach Du bist weder eine Riesin noch eine Zwergin, hast eine ganz gewöhnliche Bildung, wofür kein Mensch einen Dreier zahlt, und mit der andern Bildung, hier in Deinem Kopf, ist's gar erst schlimm bestellt.«

»Du machst mich rasend mit Deinen Dummheiten,« schrie Katharina, wüthend mit dem Fuße stampfend. »Und ich sage Dir, ich kann und will nicht länger mit Dir leben!«

»Aber was heißt das? Ich verstehe Dich nicht,« rief Thomas verwundert.

»Das heißt,« sagte sie ingrimmig, »das heißt, ich will mich von Dir scheiden lassen!« – Als Thomas hier in ein lautes Gelächter ausbrach, wiederholte sie erglühend: »es ist mein heiliger Ernst, ich will mich von Dir scheiden lassen!«

»Und ich,« sagte Herr Thomas, sich gemächlich im Großvaterstuhl niederlassend, »ich will nicht geschieden werden.«

»Aber wenn ich Dir sage, daß ich Dich hasse, verachte, daß Du mir in der Seele zuwider bist!«

»So lasse ich mich dennoch nicht von Dir scheiden!«

Ein Schrei des Zorns tönte von Katharinens Lippen, dann sagte sie zitternd: »Elender Mensch, und warum nicht?«

»Warum nicht?« wiederholte Thomas, ruhig den Dampf aus der Pfeife blasend. »Warum nicht? Weil ich nicht will! Weil Du die Mutter meiner beiden Buben bist, und weil es für Kinder nichts Traurigeres giebt als Unfriede und Trennung der Eltern. – Trauriger noch ist es, wenn sie hören werden, wie wir in ewigem Zank mit einander leben.«

»Hm, wir leben eigentlich nicht in Zank, sondern Du zankst!«

»Darum laß mich gehen, gieb mir ein Jahrgeld und laß mich gehen!«

»Ich kann nicht,« sagte Thomas, weich und wehmüthig werdend. »Siehst Du, ich bin es so gewohnt, Dich alle Tage zu sehen und zu hören, daß ich es nicht missen möchte. Wer soll mich denn auch ausschelten, wenn Du nicht da bist? Wer soll mich denn Dummkopf, Einfaltspinsel schelten, wenn Du es nicht thust? Keiner wird es wagen, außer Dir! Daß Du es aber wagst, siehst Du, das gefällt mir eben! Ich habe Deinen Dummkopf lieber, als alle klugen Köpfe anderer Leute. Nein, ich lasse mich nun nimmermehr von Dir scheiden. Ach mein Gott, wie ruhig eintönig würde Alles im Hause sein, wenn Du nicht mehr Leben und Zank hinein brächtest!«

»Du willst Dich also nicht von mir scheiden lassen?« murmelte Katharina mit zusammengepreßten Zähnen, bleich und zitternd.

»Nein, ich will nicht!«

»Nun, so sei Gott Dir gnädig!« schrie Katharina mit wuthblitzenden Augen, und stürzte aus dem Zimmer. Wie getrieben von finstern Dämonen floh sie in ihr Gemach zurück, und in wildem Ausbruch leidenschaftlichen Zornes warf sie sich zur Erde, schlug sie mit den Fäusten ihren Busen, und zerraufte sich unter Thränen und wilden Verwünschungen ihr Haar. Aber inmitten ihrer wilden Wuth tauchte immer und immer wieder lockend und lächelnd das Bild des schönen Fremden in ihr auf, das Bild dessen, welcher zum ersten Male ihr Ohr berauscht mit dem süßen Geflüster der Leidenschaft und Schmeichelei, und je lockender, verführerischer ihr dies Bild erschien, um so mehr verwünschte sie ihren Mann und die Fesseln, die sie an ihn ketteten.

»Ich will, ich muß frei sein,« flüsterte sie, »ich will es, und müßte ich ihn auch ermorden!« – Dieser neue Gedanke machte sie schaudern, aber in der leidenschaftlichen Aufregung ihres ganzen Wesens, wandte sie sich doch wieder ihm zu, kehrte sie immer wieder zu dem Einen furchtbaren Gedanken zurück: »wie, wenn ich ihn ermordete?« – Ein finsterer, grausamer Trotz trat nun an die Stelle ihrer frühern Aufregung; unheilvolle Gedanken und Wünsche waren in ihr erwacht, die Dämonen des Ehrgeizes und der Liebe lockten sie mit süßen, zauberischen Zuflüsterungen, und Katharina lieh ihnen so lange ein willig Ohr, bis sie, von diesen Zuflüsterungen überwunden, in ihrem Herzen sich ihnen ergab.

Sie erhob sich von der Erde, bleich und ruhig. Schweigend warf sie ein Tuch über ihre Schultern, und verließ das Haus.


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