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VII. Zwei Briefe

Irma an Leontine.

Ich komme, Abschied zu nehmen, meine Leontine, Abschied von meinen Mädchenträumen, meinen Mädchenwünschen, und den zagenden Fuß in eine neue Welt zu setzen. Aus der alten Welt herüber gelten Dir meine letzten Grüße! Der Brautkranz liegt schon bereit, – wie ich ihn gestern zuerst in die Hand nahm, schauderte mir, und eine ahnende Stimme in meinem Herzen sagte mir: Es ist die Todtenkrone Deines Glückes! Du siehst, Leontine, die Empfindsamkeit rächt sich in mir. Ich habe früher oft ihrer gespottet, und jetzt sucht sie mich selber heim, treibt mir Thränen in die Augen, und lehrt mich seufzen! Niemand lernt sich hienieden selber kennen, und bei jeder neuen Begebenheit unsers Lebens entwickeln wir neue Zustände und Talente! – Ich habe bei mir nie an das Talent der Empfindsamkeit geglaubt, und doch ist es da! Lache über mich, ernste, weise Leontine! Jetzt, da ich von all' diesen Jungenmädchenträumen, von Idealen und Zukunftshoffnungen Abschied nehmen soll, jetzt überkommen mich alle diese Träume und zerreißen mit ihren Zuflüsterungen mein Herz. Du sagtest mir einmal, ein Weib, das über ihr Unglück weinen könne und dürfe, sei nicht das unglücklichste. Ich weiß jetzt, daß Du Recht hattest. Man weint um einen gerechten Schmerz, und solche Thränen sind der letzte Cultus für ein entschwundenes Glück, das, obwohl entschwunden, doch immer ein Glück bleibt, in der Erinnerung. Ein entschwundenes Gluck aber ist noch immer kein Unglück. Ach ein Unglück ist ein herbes, bitteres, thränenloses Ding, über das wir den Schleier der Convenienz legen, das wir einsargen in unserm Stolz, und das nur in den stummen Furchen und Linien unseres Angesichtes sein Monument findet. Aber schon wieder empfindsam, Leontine, verzeih! – Ich will mich verheirathen, ich will denn endlich diese Grenze des Mädchenthums überschreiten und hinaus treten auf dieses ungewisse Meer der Welt, eine Insel zu suchen, auf der ich mich anbauen könne. Vielleicht wird mir dies gelingen, denn meine Vernunft ist klar und von keiner Leidenschaft getrübt, mein Auge sieht hell und ist von keiner Liebe geblendet. Vielleicht, daß die Abwesenheit aller Leidenschaft die sicherste Stütze der Zufriedenheit in der Ehe ist; das ist mindestens mein Zukunftstrost. Mit der Vergangenheit habe ich abgeschlossen, ich verspreche Dir, nicht einmal das Grabgeläute meines eingesargten Herzens werde ich mir gestatten zu hören, sobald ich die Gattin eines Andern bin. O, es ist eine heilige, erhabene Stiftung, diese von Gott eingesetzte Ehe, und meine Seele beugt sich in frommen Schauern vor diesem höchsten und reinsten Institut unserer Gesellschaft, dessen Bedeutsamkeit ebenso unermeßlich ist, als seine Einwirkung auf die Welt und die Menschheit! Mein Gott, welch ein Abgrund, und eine schwindelnde Höhe zu gleicher Zeit. Wie muß das sein, an der Hand des Geliebten in diese heilige Gemeinschaft zu treten mit ihm verbunden sein zu gleichem Streben zu gleichem Glück, zu dieser geweihten Einheit des Zwielebens, dieser Doppelexistenz des Individuums! Ihm alle Gedanken, alle Wünsche ablauschen, das Unausgesprochene auf seiner Stirne lesen und erfüllen zu können! Sicher im Besitz, sicher in jeder Stunde, daß die nächste Stunde kein Verlieren bringt, sich ganz untertauchen dürfen in diesem rauschenden Strom des Glückes, der Wonne des Besitzes, und in der Ferne das Geräusch der Welt verklingen zu lassen, ungehört. Das ganze Haus, wie Dein eigen Herz, ein geweihter Tempel der Liebe, und jede Stätte darin ein Altar, vor dem Du hinknieen und anbeten darfst. Jedes Lächeln, jede Freude, aber auch jeder Seufzer und jede Sorge ein Dankopfer! Mein Gott, wie leicht muß es sein, Sorgen zu tragen, wenn zwei liebe Hände bereit sind, die Hälfte davon Dir abzunehmen! Ach, wem die Hälfte der Sorgen und Mühen abgenommen wird, der fühlt nicht mehr, daß er bedrückt ist, sondern nur das Glück der Erleichterung, der Erhebung! Guter Gott, solch ein Glück, grenzenlos, unermeßlich, wie der Ocean! Aber, denke nicht, Leontine, daß ich dies begehre! Man kann auch glücklich sein ohne Glück, und ich denke, zwei gute Menschen, die das feste Streben haben glücklich sein zu wollen, müssen auch glücklich werden können! Diese himmelstürmenden Entzückungen und Berauschungen, wer weiß, ob sie nicht dahinsterben an der ersten Runzel, dem ersten grauen Haar, ob sie nicht vertrocknen, wie der abgerissene bräutliche Myrtenkranz, ob sie nicht verbleichen, wie das glühendste Morgenroth, ob sie nicht trostlose Uebersättigung und Entnüchterung zurücklassen! Mein Gott, ich verlange nichts als Friede und Ruhe; diese meinem Gatten zu geben habe ich den heiligsten Willen, und deshalb werde ich sie auch empfangen. Es ist nicht möglich, glücklich zu machen, ohne auch glücklich zu sein, und da ich Arnold glücklich machen will, werde ich auch glücklich sein! Nenne diese Zuversicht nicht vermessen! Ich achte meinen Verlobten, und erkenne alle diese guten vortrefflichen Eigenschaften, die ihn vor Andern auszeichnen, ich werde, indem ich seine Gattin bin, mich unbedingt ihm fügen, seinen Willen zu dem meinen, seine Neigungen zu den meinen machen, und endlich, wenn ich ihn jetzt nicht mit der ganzen vollen Liebe einer Braut liebe, so werde ich ihm doch als Gattin die ganze, volle Treue entgegen tragen. Weiter verlangt er nichts! O, er hat nichts zu schaffen mit diesem stürmischen, verzehrenden Feuer der Leidenschaft, diesen flammenden Gluthen; er weiß, daß das Feuer ein gefährliches Element ist, und daß Gluthen verkohlen, er weiß, daß Ideale nichts sind, als todte Götzenbilder, und daß nur das Reale Leben und Wahrheit ist! Sein Auge wird nie geblendet sein von Leidenschaft, – o, Leidenschaft ist eine Staubwolke, die seinen sichern und gleichmäßigen Schritt nicht beunruhigen wird! O, in uns und um uns wird Alles klar und hell sein, und wenn wir nicht lieben können, so werden wir doch mindestens uns achten und hochschätzen! – Da hast Du meine Zukunftsträume! Nicht wahr, sie sind ein wenig verbleicht, sie haben etwas verloren von den brennenden Farben früherer Tage, aber daß diese Farben verlieren konnten, zeigt das nicht, wie wenig ächt sie waren?

Irma.

Leontine an Irma.

Sacrilegium! Sacrilegium! Das ist die einzige Antwort auf Deinen Brief, Irma, diesen trostlosen Brief voll künstlicher Täuschungen und geheuchelter Ruhe! Du spielst mit Dir selber Versteckens, Kind, und Dein Gebet wird zum Spottlied! Kind, Kind, mache Deine Augen auf und siehe! Du meinst nur, daß Du Arnold nicht liebst, und fühlst nicht, daß Du ihm diese Leidenschaftlosigkeit und Ruhe nie verzeihen wirst, daß Du ihn um derselben verachtest und einst ihn hassen wirst. O, es ist ein gefährliches Spiel, was Du da spielst, und es wird mit seinem grauenvollen Ernst Dich strafen für Deine Vermessenheit. O, wie oft, wie oft sah ich schon Morgens an der Spitze des Berges eine leichte, lichte Rosenwolke sich kräuseln, die Abends eine schwarze Gewittervolke geworden! Hüte Dich, Irma, diese Wolke hängt mit dem Brautschleier über Deinem Haupte. Wirf den Schleier, den Myrtenkranz fort, rasch, gewaltsam, sonst wirst Du bald zerschmettert zusammen sinken! Die Ehe ist nicht ein so leichtes, jedem festen Wollen sich unterwerfendes Ding! Sie ist entweder ein Gott, oder ein Scheusal, ein geweihter Tempel, oder ein Haus der Schande, der eklen Gemeinheit! Ein Mittelding giebt's nicht! Es ist nichts mit dieser Achtung, dieser Ruhe, diesem Frieden ohne Liebe. Das ist ein Unding für das Weib. Wo wir nicht lieben können, da werden wir bald hassen müssen; daß Auge der Liebe ist nachsichtig für alle Fehler, die Gleichgültigkeit steht und verzeiht keine einzige Schwäche. O, es wäre besser, Du haßtest Deinen Gatten, als daß Du ihn nur achtest, als daß er Dir gleichgültig ist. Aus dem Hasse kann Liebe entspringen, die Gleichgültigkeit erzeugt nichts als Ekel! Kind, Kind, hast Du das bedacht, das Weib eines Mannes zu werden, den Du nicht liebst? Dir seine Zärtlichkeiten, seine Küsse gefallen zu lassen, unter seiner Umarmung zu erzittern, und nichts zu fühlen als grenzenlosen Abscheu und Ekel! Abscheulich! Abscheulich! Sich hingeben zu müssen ohne Liebe! O, diese Hingabe ist entweder die heiligste, erhebendste Verklärung, oder eine ekle, gemeine Entwürdigung, entweder eine Himmelskrone, oder ein Schandfleck, der nimmer von Deiner Stirn genommen wird. Kind, es ist nicht blos gethan mit dem vor Priester und Zeugen gesprochenen Ja, es wird eine Stunde kommen, die entweder Dich verklärt, oder vor der Du erbleichend ewig Dein Haupt verhüllst! – Und glaubst Du denn, es jemals Deinem Gatten verzeihen zu können, daß er sich genügen läßt an Deiner Achtung? Dies ist eine unmännliche Schwäche, und es wird ein Tag kommen, wo Du beschließen wirst Dich zu rächen. Dann wirst Du umher blicken und mit glühenden Augen den suchen, der Deiner Rache Gehülfe sein soll! Oder, wenn Du Dein Herz bezwingst, dies Rachegefühl ertödtest, wenn Du Deine Hände faltest über Deinem Herzen wie über einem Aschenkruge, so wirst Du Dir und ihm entweder fluchen in ohnmächtigem Zorn, oder Dein Herz wird versteinern, und kalt und regungslos mit seiner Marmorschwere Deine Seele erdrücken! Bah, wie viele Falten Du über Deine Brust legst, um nicht sehen zu müssen, daß sie zerwühlt ist von unheilbaren Schmerzen! Du glaubst, diese Leidenschaftlosigkeit sei besser, als das allmählige Verbleichen der Leidenschaft? O, Kind, Du kennst nicht, oder willst es nicht kennen, dies geheime Zauberwalten der Liebe, diese magische Kraft der ehelichen Zärtlichkeit, die das Auge erblinden macht gegen alle Einflüsse und alle Gewalten der Zeit. Dem Gatten, der Dich liebt, wird sich Dein jugendlich schönes Bild so fest, so tief in die Seele geprägt haben, daß keine Zeit und kein Wechsel dies Bild verwischen verbleichen kann. So, die verschämte, zitternde, liebende Braut, die Du ihm einst warst, wirst Du ihm ewig bleiben, und er wird nichts sehen von Deinem ergrauenden Haar, Deinen Runzeln und Falten. Jung hat er Dich in sein Herz geschlossen, und dort verblühst Du nie! Und das Weib? Wenn es dem Gatten in heiliger Liebe sich ergiebt, nimmt es ihn zum Gott an, und Götter altern nie! Die Ehe ist eine wunderthätige Fee, die unsere Augen gefeit hat, daß sie nicht sehen, unsere Ohren, daß sie nicht hören, von den Zerstörungen und dem Wellenschlage der Zeit. Eine wunderthätige Fee, wenn wir lieben, ein Dämon, ein nagender Geier, wo die Liebe nicht ist! Du meinst, auch glücklich machen und sein zu können, ohne Glück? Dies wäre eine Gottgleichheit, die nicht von dieser Welt ist! Warum friert Dich im Winter, als weil das Leben erstarrt ist und keine Sonne glüht und belebt? Solch ein kalter, öder, mit einem schneeigen Leichentuch verhüllter Wintertag ist eine Ehe ohne Liebe! Auf, auf, meine Irma! Wolle nicht alle diese glückverheißenden, schwellenden Blüthenknospen, die in Deinem Busen noch leben und athmen, unter solcher Schneedecke begraben! Das wäre ein Selbstmord! – Du nennst mich weise und verständig! Es giebt Fälle, wo Weisheit und Verstand üble Rathgeber sind, darum folgte ich meinem Gefühl, indem ich Dir rieth, was Weisheit und Verstand kopfschüttelnd anhören mag! Wärst Du eine Andere, so möchte es gut sein mit dieser liebeleeren Ehe, aber Du bist Irma, und Irma soll und muß durch Liebe beglücken. Ach Kind, Du hast noch zu wenig gelitten, um das Glück von Dir stoßen zu können, und doch lernt man das Glück erst schätzen und verstehen, wenn man viel gelitten. Darum sage ich Dir, strebe vor Allem nach Glück, und bis Du dies erreicht, bewahre Dir mindestens Freiheit!

Leontine.


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