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III. Erklärungen

»Endlich,« sagte Frau Katharina, als Julie, rosigen Angesichtes, strahlenden Auges in das Zimmer trat. Sie war schön anzusehen mit dem holden Lächeln des Glücks, mit den üppigen rothen Lippen, auf denen noch die Küsse des Freundes brannten, schön mit dem jungfräulichen Erröthen auf der sammtnen Wange, und wie sie ihren Pflegeeltern mit holder Freundlichkeit den Morgengruß nickte, fühlte der gute Herr Thomas sein Herz hüpfen vor Freude, während Katharina diesen Gruß nur kalt und unfreundlich erwiederte.

»Guten Morgen, guten Morgen,« rief Herr Thomas heiter. »Wo warst Du denn schon so früh, mein herziges Kind? O, was Dir für Rosen auf den Wangen glühen, und wie Dir die Augen leuchten! Wo warst Du denn?«

»Im Walde, lieber Onkel,« sagte Julie, sich an ihn schmiegend; »o, und Du kannst nicht denken, wie schön es da war! So schön und lieblich, daß ich wünschte eine Dichterin zu sein, um Worte zu haben für meine Gefühle! Ich hatte mir ein Buch mitgenommen, um zu lesen, aber es ging nicht. Alles war so still und feierlich, so erhaben und groß um mich her. Ein leiser Wind zog wispelnd durch die Bäume, es war mir, als brächte er Grüße aus der Ferne, die Bäume nickten einander zu, so friedlich und still, wie gute Menschen es thun. In den Thautropfen der Waldblumen blinkte die Sonne. Kein Diamant ist so schön wie diese blinkenden Tropfen. O es war, als feierte die ganze Natur ein großes Auferstehungsfest.«

Thomas hatte, während sie sprach, mit wachsender Rührung zugehört, jetzt stieß er seine Ehehälfte leise mit dem Ellenbogen in die Seite und flüsterte: »Käthe, siehst Du, die weiß sich auszudrücken! Es wird Einem dabei so, – so, sage einmal, wie wird Einem?«

»Der Himmel weiß, wie Deiner Tischlernatur wird,« sagte sie brummend. »So viel aber weiß ich, daß das alberne Schwärmereien sind, was Julie da spricht. Man hat auch Bildung, man liest auch, aber man kommt im einsamen Walde nicht auf so empfindsame Einfälle. Gott, die Bäume sollen ihr Grüße bringen.«

»Ach Gott, Deine Bildung,« sagte Herr Thomas achselzuckend. »Und was liest man denn? Gestern weintest Du heiße Thränen über die sieben schlafenden Jungfrauen von Spieß. Da fragte ich Julie, ob das ein schönes Buch sei? Sie sagt aber, nur die Putzmacherinnen und Schneidermamsells läsen es gerne. Siehst Du, das ist Deine Bildung!«

»Was?« rief Katharina mit drohendem Ton, »Du wagst es, Julie –«

»Verzeihung!« bat diese leise, »ich wußte nicht, daß Sie das Buch lesen, beste Tante!«

»Es ist gut, ja es ist gut,« sagte Frau Katharina aufstehend, und heftig im Zimmer auf und abgehend. »Spotte nur über mich, erhebe nur stolz Dein Haupt, und verachte nur in Deinem Uebermuthe mich, die ich meiner Natur nach freilich zu Höherem und Edlerem berufen, von meinem albernen Mann in eine niedrige Sphäre gebannt bin, die mich ersticken und tödten wird. Gedenke nicht daran, daß ich, trotz meiner wenigen Erziehung, doch großmüthig genug dachte, ein Bettlerkind zu mir zu nehmen und es zu erziehen, wie nur eine Gräfin erzogen werden kann. Spotte nur, und zeige dem Dummkopf da, daß er Recht hat, seinen niedrigen Stand nicht aufzugeben, daß ich unfähig bin, eine höhere Stelle in der Gesellschaft zu bekleiden! Aber fürchte meinen Zorn und meine Rache!«

Außer sich, zitternd vor Zorn, verließ sie das Zimmer, und warf die Thüre krachend hinter sich zu, während Herr Thomas lachend auf einen Stuhl sank und rief: »Huh, wie das geht! Wie ein Uhrwerk.«

Julie sagte traurig: »Wir haben die Tante erzürnt, das thut mir leid!«

»Ach, erzürnt,« sagte der gegen dergleichen Stürme abgehärtete Ehemann; »ihr Zorn ist wie das Springen des Pfropfens einer Bierflasche. Zuerst sprudelt der Schaum über, und nachher bleibt nichts übrig als ein mattherziges Getränk.«

Julie hatte kaum seine letzten Worte gehört, sie blickte nachsinnend und ernst vor sich hin, und als sie dann die Augen zu ihrem Oheim erhob, lag ihre ganze Seele in ihrem Blick.

»Onkel,« sagte sie leise, »ich möchte Dir ein Geheimniß anvertrauen; aber es wird mir so schwer, es auszusprechen. Du mußt mir helfen!«

»Es ist doch kein Unglück, Kind?« fragte Thomas angstvoll. »Hat Dich Jemand beleidigt? Vielleicht die Käthe.«

»Nein,« flüsterte Julie verschämt, »es ist ein Geheimniß meines Herzens –«

»Herzens! Also Du mit Deinen sechszehn Jahren weißt schon, daß Du ein Herz hast? Siehst Du, das kommt von der Erziehung, der Bildung her! Als ich in Deinen Jahren war, da wußte ich weiter nichts, als daß ich einen Magen hatte, denn die Frau Meisterin gab immer sehr kleine Portionen. Zuweilen wußte ich freilich auch, daß ich einen Rücken hatte, wenn der Meister seine neuen Stöcke auf ihm probirte. Aber Herz, von Herz wußte ich nichts! Du aber bist gebildet, und Du weißt, daß Du ein Herz hast. Also ein Geheimniß hast Du im Herzen. Sage, kommt auch ein Mann darin vor?«

»O ein lieber, edler Mann,« rief Julie innig.

»Ich verstehe,« sagte Herr Thomas, seine tiefe Rührung unter äußerm Scherz verbergend, denn, wie alle Leute niedern Standes, schämte er sich, von einem Gefühl der Rührung überwältigt zu werden. Es gehört Bildung dazu weinen zu können, die Ungebildeten weinen selten vor Schmerz, aber leicht vor Zorn. Es fehlt ihnen die Bildung, ihren Zorn auszusprechen, darum ergießen sie ihn in Thränen, um nicht daran zu ersticken.

»Ich verstehe,« sagte Herr Thomas, »Du hast ihn auch gern!«

»Ich liebe ihn,« flüsterte Julie erröthend.

Herr Thomas hätte weinen mögen vor Rührung, darum sagte er lachend: »Sie hat ihn nicht bloß gern, sie liebt ihn! Ach, wie fein, wie gebildet.«

Julie lehnte sich an seine Schulter, und flüsterte in sein Ohr die unschuldige und zarte Geschichte ihrer Liebe, von dem ersten Begegnen mit dem Geliebten bis zu dem Erkennen und Gestehen ihrer Gefühle. Es war eine Mädchengeschichte voll Zartheit und Poesie, ein Gedicht, wie es in dem Busen jeder Jungfrau ruht, voll heiliger Träume und Verheißungen, voll unaussprechlicher Gelübde und tiefen, namenlosen Glückes; sie flüsterte es mit fliegendem Athem, erröthend und erblassend in den heiligen Schauern süßer Erinnerungen ihrem väterlichen Freunde in's Ohr, und diesmal fand Herr Thomas kein Scherzeswort und kein Lächeln. Er fühlte die Heiligkeit dieses Mädchenbekenntnisses, und unwillkührlich faltete er die Hände; als lausche er einem hehren Lobgesange, einem köstlichen Gedichte zum Preise des Höchsten, so war ihm zu Muthe, und still und unbeweglich saß er da. Erst als Julie von diesen erhabenen Bekenntnissen überging zu materiellen Dingen, als sie ihm erzählte von der Armuth ihres Geliebten, der, eines armen Edelmannes Sohn, es vorgezogen, lieber sein Brod selbst zu verdienen, als von der Gnade reicher Verwandten zu leben, erst da fand Thomas sich mit seiner heitern Laune wieder zurecht, und nickte wohlgefällig zu den Schilderungen von Eduard's bravem und tüchtigem Charakter.

Eduard, erzählte sie ihrem Oheim, sei ein junger Maler, der in der Pensionsanstalt, aus welcher sie vor einigen Wochen zurückgekehrt, den jungen Mädchen Unterricht im Malen ertheilt. Dort lernte sie ihn kennen und lieben, dort schwuren sie bald sich ewige Treue. Sie verhehlte nicht, daß Eduard ganz arm sei, aber sie sagte vertrauensvoll, er habe Muth für sie zu arbeiten, und sie, mit ihm zu darben.

Herr Thomas schüttelte nachdenklich den Kopf. »Das ist ein schlimmes Ding,« sagte er dann, »daß Ihr Beide arm seid, und Euch doch heirathen wollt. Heirathen und Armuth ist wie Hund und Katze, das beißt und plagt sich immerfort, und die Freude läuft davon. Ich liebe Dich wie meine Tochter, Julie, und ich gäbe Dir gern so viel, als wenn Du mein Kind wärst. Das darf ich aber nicht ohne die Einwilligung meiner Frau, denn, siehst Du, Mann und Frau sollen niemals etwas Einer ohne des Andern Willen thun. Anders wäre es, wenn wir keine Kinder hätten. Aber nun der liebe Gott uns die bescheert hat, muß sie als Mutter auch ihre Einwilligung geben. Thut sie das, o dann soll es eine Lust werden!«

»O, ich will sie bitten, die Tante,« rief Julie, »ich will sie beschwören, ihre Einwilligung zu geben, meinen Eduard als ihren Sohn zu empfangen!«

Thomas schwieg und blickte lange mit einem ihm ungewöhnlichen Ernst vor sich hin. Dann aber erheiterte sich sein Antlitz wieder und sich wohlgefällig die Hände reibend sagte er: »Das ist in der That ein allerliebster Einfall, den ich da habe; ein Plan, der sicherlich zum Ziele führt. Du, Julie, mußt sie nicht bitten, laß das lieber Deinen Eduard thun, denn eine männliche Stimme geht der Käthe besser zu Herzen, glaube ich. Aber komm, laß uns in den Wald gehen, wo Dein Eduard uns erwartet. Dort wollen wir das Nähere verabreden. Hm, hm! es wird köstlich sein! Dein Eduard muß ihr einbilden, daß er blos um ihretwillen komme; daß ihre Schönheit und ihr liebliches Wesen ihn bezaubert hat: nun, der Himmel wird ihm wohl diese Lüge verzeihen, und wenn Käthe nachher erkennen muß, daß sie trotz ihrer Klugheit und feinen Bildung doch die Gefoppte ist, und daß ich es war, der diese Täuschung ersann, so wird sie sich schämen und vielleicht einsehen, daß es nichts ist mit ihrer Bildung! O Julie, das wird prächtig werden!« rief Herr Thomas auflachend. »Ja, ja, das alte Sprichwort ist weise: wer um die Tochter freit, muß es mit der Mutter halten! Darnach wollen wir handeln! Es ist eine unschuldige List, also fröhlich daran! Eduard muß durch Schmeicheleien und Liebesbetheurungen ihr Herz gewinnen, und dann, wenn er's gewonnen hat, muß er ihr sagen, er wolle die Julie heirathen, blos um ihr Schwiegersohn zu werden! Ach, sie wird einen Roman zu spielen haben, sie wird die Aufopfernde, Entsagende darstellen! Gott, wie gerührt und wie glücklich wird sie sein! Aber jetzt komm zu Deinem Eduard!«


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