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VI. Zwei Verlobungen

Es war eine bange und qualvolle Nacht, voll Seufzer und Kummer, aber Irma ging ermuthigt und getröstet aus derselben hervor. Ihre stolze Seele hatte den Schmerz überwunden, und in dem Gefühl, das Rechte gewählt zu haben, sich aufgerichtet zu edler Ruhe und Gelassenheit. Sie fühlte wohl, daß sie litt, aber sie gestattete sich nicht, ihren Leiden nachzuhängen, und als ihr Arnold gemeldet ward, schritt sie ihm entgegen, umflossen von einer milden Hoheit, die ihr etwas unendlich Rührendes, Ergreifendes verlieh. Mit einem sanften Lächeln hörte sie Arnold's Liebeserklärung an, und als er sie endlich um eine entscheidende Antwort bat, sagte sie nach kurzem Bedenken: »Meine höchste Achtung und Anerkennung haben Sie, und wenn Ihnen diese genügen kann, bin ich bereit, Ihnen meine Hand zu geben.«

»Und Ihre Liebe?« fragte Arnold.

»Meine Liebe!« sagte sie sinnend. »Ich habe keine Liebe!«

»Auch nicht für einen Andern?« fragte er.

»Nein,« erwiederte sie fest. »Ich glaubte es einst, aber das ist vorüber, ist eingesargt. Nur fürchte ich, daß mein Herz dabei gestorben ist, ich keiner Liebe mehr fähig bin.«

»Sagen Sie mir nur das Eine,« fragte Arnold dringend, »giebt es keinen Mann, mit den Sie freudiger zum Altare treten würden?«

»Ich kenne Keinen!«

»Dann bin ich beruhigt, und nehme mit heiliger Freude Ihre liebe edle Hand an,« sagte Arnold, ihre Hand an seine Lippen ziehend.

»Eine Bedingung noch!« sagte Irma. »Mein Vater sagte mir, daß Sie in wenigen Tagen schon nach Ihrem neuen Bestimmungsorte abreisen!«

»Es ist eine unabweisbare Pflicht, der ich mich, obwohl mit blutendem Herzen, fügen muß!«

»Von dem Moment an, wo ich Ihnen meine Hand gegeben, ist es meine heilige Pflicht, Ihnen überall hin zu folgen, deshalb wünsche ich nicht nur, sondern mache es zur Bedingung, daß ich sogleich mit Ihnen gehe,« sagte Irma fest.

Arnold lächelte freudig überrascht. »Dies wäre allerdings das Herrlichste und Schönste! Eine Aussicht, die so köstlich ist, daß ich es kaum wage, meine Blicke darauf zu richten. Aber wird es nicht viele Schwierigkeiten machen?«

»Die gesetzlichen Schwierigkeiten kann mein Vater beseitigen,« sagte Irma gelassen, »und weiter giebt es Keine. Ich liebe es nicht, eine Braut genannt zu werden, das ist ein Mittelding zwischen Mädchen und Frau, das mir widersteht, und mit dem ich nichts zu schaffen haben mag. Deshalb bitte ich Sie auch, mich nicht wiedersehen zu wollen, bevor nicht alle diese äußern Hindernisse beseitigt sind!«

»Das ist eine harte Bedingung!« seufzte Arnold zärtlich.

»Nennen Sie es eine Laune,« sagte Irma, »aber geben Sie ihr nach, seien Sie gewiß, daß Ihre Gattin keine einzige Laune kennen wird! Und jetzt lassen Sie uns zu meinem Vater gehen, und ihm unser Uebereinkommen mittheilen.«

Der Geheimrath willigte kopfschüttelnd in seiner Tochter seltsame Laune, und es ward beschlossen, die Verbindung in acht Tagen zu vollziehen.

»Da aber hier Jeder Bedingungen macht,« sagte der Geheimrath fröhlich, »so will ich davon nicht ausgeschlossen sein. Ich also gebe zu Allem meine Einwilligung unter der Bedingung, daß wir keine stille, lautlose Hochzeit feiern, sondern daß es mir überlassen bleibt dieselbe so glänzend, wie ich mag, einzurichten. Stille, Irma, kein Wort! Wir haben uns in Deine wunderlichen Launen gefügt, sträube Du Dich nun nicht gegen meine gerechten Anforderungen. Und nun, Kinder, an's Werk, Sie, mein Herr Schwiegersohn, um bei Priestern und Schriftgelehrten die nöthigen Dispensationen zu erbitten, Du Irma, um in allen möglichen Laden Stoffe und Meubels zu wählen, und endlich ich, um mit den berühmtesten Köchen der Welt das glänzendste aller Diners zu verabreden. An's Werk denn!«

»So sind die Weiber!« sagte Arnold, heimwärts gehend, mit einem wohlgefälligen Lächeln. »Alle, Alle versteckt, die Umwege liebend, statt gerade aus zu gehen, stolz und verschmitzt, und doch nicht klug genug, um nicht von einem klugen Manne sogleich durchschaut zu werden. Da behauptet nun meine schöne prächtige Irma, sie liebe mich nicht, und kann doch nicht die Zeit erwarten, wo Sie meine Gattin wird, und will mich bis dahin nicht einmal sehen, nur um sich nicht vor der Zeit zu verrathen, und nicht erkennen zu lassen, daß dies Herz minder hart ist, als sie es mich glauben läßt! »O Weiber, Weiber! Ihr seid verteufelte Engel!«

Zwei Mal schon war Urban gekommen, seine Irma zu sehen, und jedes Mal hatte Karoline ihn mit dem kurzem Bescheid abgefertigt: ihre Herrin könne Niemand sprechen.

»Aber mich, nennen Sie mich ihr!« rief Urban ungeduldig.

Karoline lachte schnippisch. »Ihr Name ist keine Zauberformel, die verschlossene Riegel sprengt. Sie so wenig, wie irgend ein Anderer kann das Fräulein sprechen, denn sie ist beschäftigt, und will nicht gestört sein!«

Urban nahm seine Karte, und sie mit einem Geldstücke der Zofe in die Hand drückend sagte er: »Es muß durchaus ein Mißverständniß sein. Geben Sie, ich bitte, dem Fräulein meine Karte, und fragen Sie, ob Sie für mich zu Hause ist.«

Karoline kam nach wenigen Minuten zurück mit der Antwort: daß das Fräulein ihn nicht annehmen könne; da Sie einmal heute nicht Besuche empfangen könne, dürfe sie für Niemand eine Ausnahme machen.

»Es ist gut,« sagte Urban gelassen, und wandte Karolinen, die ihn mit schadenfrohen, insolenten Blicken betrachtete, den Rücken. In seiner Wohnung angekommen, schrieb er mit eiligen Zügen:

»Himmel und Erde sind sich gleich geblieben, die Sonne ist nicht aus ihrer Bahn gerückt, doch muß etwas Furchtbares, Unerhörtes geschehen sein! Oder soll ich glauben, daß nur ein Stern aus seiner Bahn fiel, um ein gewöhnliches Weib zu werden? Log mir Irma heute oder gestern? Will sie mich heute wirklich nicht sehen, oder ist es nur eine Empfindung ihrer Kammerzofe? Das muß ich wissen, und deshalb geht mein Diener nicht eher von Irma's Schwelle, bis Irma selbst ihm die Antwort gegeben!« – Der Diener brachte ihm den Brief unerbrochen zurück. Das Fräulein habe nicht Zeit ihn zu lesen.

»Du gehst wieder hin,« rief Urban, wild mit dem Fuße stampfend. »Du gehst, und sagst, daß Du da stehen bleibst, bis Du Antwort bekommen!«

Mit wie banger Ungeduld harrte er jetzt die langen endlosen Stunden, bis der Diener zurückkehrte. »Ach, endlich, endlich!« – Mit wildem Ungestüm riß er ihm das versiegelte Papier aus der Hand! »O, gelobt sei Gott, ein Brief von ihr! Ihre Hand hat diese Adresse geschrieben!« Und er drückte diese geliebten Schriftzüge an seine Lippen, bedeckte das Blatt, auf dem ihre Hand geruht, mit seinen Küssen. – Wie zitterte seine Hand, als er das Siegel brach, das Papier entfaltete! – Eine Karte fiel heraus, mit goldenen Lettern stand darauf: Die Verlobungsanzeige Irma's mit den Regierungsrath Arnold. – Urban starrte, wie besinnungslos, wie vom Blitz zerschlagen, auf diese Worte hin, bis die glänzenden kleinen Buchstaben vor seinen Augen flimmerten und tanzten, und ihn betäubten mit ihrem furchtbaren Inhalt, bis er laut aufschreien mußte, um nicht zu ersticken an diesem Krampf der unerhörten, zerschmetternden Ueberraschung. Dann untersuchte er instinctmäßig den Umschlag, ob er nichts weiter enthielte, und fand ein feines Papier, von ihrer Hand beschrieben.

»Und warum sollten denn die Sterne aus ihren Bahnen gewichen sein,« schrieb sie, »weil ein armes Mädchen sich in ihrer Toilette nicht will stören lassen. O, die Sonne ja sogar geht auf über den Gerechten und Ungerechten, und die Sterne sollten fallen, nur weil ich ungerecht genug war, Sie vergeblich vor meiner Thür warten zu lassen? Bedenken Sie doch, wie vielerlei Wichtiges einem Mädchen an ihrem Verlobungstage durch den Kopf geht, und entschuldigen Sie damit meine anscheinende Unhöflichkeit. Uebrigens kann ich mich nicht entsinnen, weder heute noch gestern ihnen eine Unwahrheit gesagt zu haben. Oder hätten Sie unsern gestrigen Scherz für Wahrheit und Ernst genommen? Das ist unmöglich, undenkbar. Kommen Sie in den nächsten Tagen, damit wir über dies Mißverständniß lachen können!« –

Irma.

Träume ich denn, bin ich denn von Sinnen,« rief Urban, als er diese Zeilen gelesen. »O, allmächtiger Gott, waren denn meine Augen geblendet, daß sie eine gemeine Kokette für einen Engel, eine Buhlerin für eine Heilige ansahen? Kann es sein, daß dies das Weib ist, das ich liebte mit anbetender, verehrender Liebe!«

Und wieder und immer wieder las er den verhängnißvollen Brief, bis jedes Wort desselben in seiner Seele brannte, dann sagte er ganz matt und tonlos: »Dies ist je Wirklichkeit, und also habe ich gestern wohl nur geträumt!« – Er fühlte und wußte es gar nicht, daß er weine, nur als die Thränen langsam über seine Wangen rollten, und kalt auf seine Hände niederfielen, sagte er ganz sinnverwirrt: »Mein Gott, kann man denn so thöricht sein über einen Traum zu weinen? Ich wache ja, lebe, athme, o und bin glücklich!«

Dann brach er in ein lautes, convulsivisches Lachen aus, das fürchterlich contrastirte gegen seine von Schmerz zerrissenen Züge. – »O,« ächzte er dann matt, »dies ist zu viel, zu viel!« – Und in tiefer Besinnungslosigkeit sank er zusammen.

Als er erwachte, fühlte er sich von liebenden Armen umfangen, sein Antlitz von heißen Thränen bethaut. Es war Leonore, die ihn mit ihren Küssen, ihren Zärtlichkeiten in's Leben zurück gerufen, die mit Worten der glühendsten Empfindung ihm ihre Sehnsucht, ihre Liebe schilderte. Und jetzt fühlte Urban nicht den Muth sie zurück zu stoßen; er war ganz zerbrochen, ganz weich geworden von dem unerhörten, gräßlichen Schlage, und sagte matt: »Ach, und um einer Heuchlerin, einer elenden Kokette willen, wandte mein Herz sich von Dir ab. Denn Liebe zu einer Andern war es, die mich Dir entfremdete, und, mich taub gegen Deine Klagen machte! Du bist gerächt, Leonore!«

»O, sprich nicht so,« flehte sie sanft, »ich will keine Rache; ich will auch nichts wissen von Deiner Untreue und Deinem Wankelmuth. Sage mir nur, daß Du wieder mein bist, mich wieder lieben willst, und mit diesem Wort wird sich uns Beiden ein neuer Himmel erschließen!«

»O, Du mindestens liebst mich,« sagte Urban kraftlos, »Du bist wahr und Dein Mund lügt mir nicht! Und Dich verließ ich! Aber ich will vergelten, ja Leonore, das will ich! Ewige, unauflösliche Bande sollen mich an Dich ketten. O, sie soll es erfahren, es sehen, daß ich nicht um sie trauere und klage! O, ich will in üppigen Festen und Freuden, in den Armen des schönsten, glühendsten Weibes lachen über diesen albernen Traum! Ha, sie darf nicht wähnen, daß ich um sie leide, – ich thue es nicht, will es nicht! Mein Glück, meine Freude soll ihr zeigen, daß nicht sie mich, sondern daß ich sie betrog. Komm, Leonore, laß uns heiter sein, heiter und froh. O, uns lacht eine goldene, üppige, liebewarme Zukunft, wir sind zum Glück geboren, laß uns denn glücklich sein! Da, meine Hand, ich bin Dein für immer! Laß den Priester rufen!«


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