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VII. Vergiftung

Herr Thomas war tief erschüttert von dem Bericht des Apothekers. Diese entsetzensvolle Verirrung seines Weibes schmerzte ihn tief, denn er liebte seine Käthe trotz ihrer Heftigkeit, ihres leidenschaftlichen Wesens. Immer doch war sie die Mutter seiner Kinder, die Gefährtin manches schönen, glücklichen Jahres, und die vielen Zänkereien schienen ihm nicht lästiger als das Summen der Mücken im hellen Sommertag. Heller Sommertag war es immer in Herrn Thomas, und deshalb kam diese Gewitterwolke, die sich über seinem Haupte zu entladen drohte, eben so unwillkommen, weil sie seine sommerlichen Gemüthsfreuden auf unangenehme Weise zu stören drohte.

»Aber ich glaube es nicht, nein, ich kann es nicht glauben, daß dem wirklich so ist,« sagte er seufzend, »daß Käthe auch ihren Eheherrn und Mann wie eine Ratte vergiften will! Sie ist heftig, und wir haben durch unsern Scherz sie nur noch zu größerer Heftigkeit aufgeschraubt, aber im Augenblick der Entscheidung wird sie vor so gräßlicher That zurückbeben, wird sie sich erinnern, daß ich der Vater ihrer beiden Kinder bin!« – Dieser Gedanke rührte ihn so, daß er in Thränen ausbrach. Dann sagte er, sich mühsam fassend: »Nun, wir werden sehen! Ich muß mich jedenfalls arglos stellen. Will sie mich wirklich vergiften, dann kommt sie, nach dem mißlungenen Versuch vielleicht wieder zur Erkenntniß, und zur Einsicht ihrer Fehler. Und das wäre schon viel gewonnen!« – Er setzte sich an seine Hobelbank, um sich bei der Arbeit zu zerstreuen, als Katharina eintrat, und mit ungewöhnlicher Freundlichkeit sich ihm näherte, ihn wegen seines Fleißes lobend, und teilnehmend nach seinem Befinden fragend. Ja, im Uebermaße ehelicher Zärtlichkeit hatte sie sogar die seltene Aufmerksamkeit gehabt, vom Bäcker ihm seine Lieblingsspeise, einen Prätzel mitzubringen, und den bot sie jetzt mit freundlichem Zureden ihrem Manne dar, der sich sehr vergnügt zeigte über diese Freundlichkeit, und sie bat, noch etwas Zucker darüber zu streuen.

Frau Katharina ging bereitwillig nach dem Wandschrank und der aufmerksam sie beobachtende Herr Thomas sah, wie sie ein zusammen gefaltetes Papier aus ihrem Busen hervorzog, und dessen Inhalt über den Kuchen streute. Mit heißem Segenswunsch gedachte er jetzt des vorsichtigen Apothekers, und gelobte ihm eine ewige Dankbarkeit, zugleich aber auch beschließend, die Scene zu Ende zu spielen, und seiner Frau ein schreckliches Bild dessen, was sie hätte thun können, vor die Augen zu halten. Er nahm daher ganz ruhig den Kuchen aus Katharinens Händen und aß. Katharina erbleichte und schauderte unwillkührlich; dadurch fühlte sich Thomas ermuthigt und aufgelegt, dies Spiel zu Ende durchzuführen.

»Höre Du,« sagte er, »es geht doch nichts über Zucker, ich dächte, Du streutest noch ein wenig über diesen Kuchen.«

Katharina zauderte, dann ging sie entschlossen zum Wandschrank, und streute abermals aus dem mitgebrachten Papier darauf. Herr Thomas nahm es seufzend und aß wieder. Dann plötzlich schrie er laut auf, und sank zusammen.

»Wie ist Dir?« fragte Katharina, und jetzt erbleichte sie und zitterte.

»Ich sterbe!« ächzte Herr Thomas matt, und wand sich mit lautem Stöhnen auf dem Fußboden.

»Thomas!« kreischte Katharina, wie aus einem Traum erwachend, und wild umher blickend. »Thomas, nein, nein, Du darfst nicht sterben! Sage, daß es nicht so ist! O, mein lieber Mann!«

»Es ist zu spät, ich sterbe! Schon verwirren sich meine Sinne, es dunkelt vor meinen Augen! Ich fühle es, die letzte Stunde ist da!« – Käthe warf sich neben ihm nieder und weinte, und schluchzte laut. Aus ihrer wilden Leidenschaftlichkeit erwacht, fühlte sie jetzt die entsetzlichsten Qualen der Reue, der Verzweiflung, erkannte sie, wie theuer und lieb ihr der Mann war, dem sie noch wenige Minuten zuvor ewigen Haß und bittern Tod geschworen. O, jetzt dem finstern Schrecknisse gegenüber stehend, dem Tode Aug' in Auge sehend wälzte die ganze Last ihrer fürchterlichen That sich auf ihr Herz, und mit ihrem Herzblut, mit ihrem eigenen Leben hätte sie diese zurückkaufen mögen! Wie sie jetzt neben dem ächzenden, jammernden Gatten an der Erde saß, zogen alle Jahre, die gewesen, an ihrem Geiste vorüber, sie sah sich, ein armes, junges Mädchen, vom reichen Tischler Thomas zu seiner Gattin erhoben. Sie sah, mit welcher Liebe, welcher Zärtlichkeit er sie umgeben, o, und mit überströmenden Augen erinnerte sie sich nun jener Stunde, als sie ihrem Manne den ersten Sohn geboren, als er vor ihrem Bette knieend, den Segen des Himmels auf sie herab gerufen und sich den Glücklichsten der Menschen genannt. Bei der Erinnerung an ihre Kinder schrie Katharina laut auf vor innerer Qual und umklammerte mit krampfhaftem Schluchzen den Gatten. – Ihre sichtbare Erschütterung aber gab Thomas den Muth, fortzufahren und ihre gerechte Strafe durch die längere Dauer derselben zu verschärfen.

»Ich sterbe,« stöhnte er, »rufe mir unsere Julie, daß ich ihr das letzte Lebewohl sage!«

Katharina eilte fort, Julien zu holen und Herr Thomas benutzte diese Zeit, sich bequemer zurecht zu legen und sein Antlitz mit etwas Kreide bleich zu färben. – Bald kehrte Katharina mit Julien zurück. Herr Thomas winkte diese zu sich und flüsterte ihr einige Worte in's Ohr, dann sagte er laut: »Julie, meine Tochter, ich sterbe, lebe wohl denn, und gedenke mein! Weine aber nicht um mich, Du wirst durch meinen Tod nicht vereinsamen, denn Dir bleibt eine Mutter! Ja ich kenne meint Käthe, sie ist ein braves, gutes Weib, sie wird Dich nie verlassen und verstoßen, sie wird Dir immer eine Mutter sein! Nicht wahr, Käthe, Du wirst Julie als Deine Tochter, als ein Vermächtniß, das ich Dir hinterlasse, lieben?«

»Gewiß, das werde ich,« schluchzte Katharina, bei dem Anblick ihres bleichen Gatten von furchtbaren innern Qualen gefoltert.

»Schwöre mir das!« ächzte Herr Thomas. »Schwöre mir, Julie als Deine Tochter zu betrachten, und, wenn sie sich verheirathet, ihr das zu geben, was Du Deiner wirklichen Tochter geben würdest, nämlich den dritten Theil Deines Vermögens. Schwöre mir das, bei Gott dem Allmächtigen, damit ich beruhigt sterben kann!«

»Ich schwöre es bei Gott dem Allmächtigen,« sagte Katharina feierlich.

»Nun dann, so kann ich in Frieden sterben,« flüsterte Herr Thomas. »Gehe denn, Julie, laß mich allein mit meinem Weibe. Keiner als sie soll bei meiner Todesstunde gegenwärtig sein.«

Gehorsam entfernte sich Julie, und Katharina blieb allein mit dem Sterbenden. Das Stöhnen desselben däuchte ihr wie die Posaune des jüngsten Gerichtes, es graute ihr vor der tiefen Stille umher, und neben Thomas nieder knieend, die Hände ringend flehte sie angstvoll: »O Allmächtiger, erbarme Dich meiner Qual! Ich bin eine Sünderin, eine Verbrecherin, aber diese Stunde straft mich! Du allein kannst Leben und Tod geben! Du willst es, und neu belebt erhebt sich dieser edle, gute Mann, dessen Weib ich nicht werth bin zu sein! Gieb ihm Leben wieder, o, nimm mein Leben für das seine hin!«

»Da mag sich verstellen wer da will,« sagte Herr Thomas, sich aufrichtend, und sein Weib an seinen Busen drückend.

»Käthe, blicke mich an, es war Alles nur ein böser Traum, die Ratten sind lange todt, und was Dir der Apotheker gab, war nichts als Zucker!«

Käthe weinte krampfhaft an seinem Halse, sie preßte ihn fest an sich, als fürchte sie noch, er möchte ihr verloren gehen und entschwinden. »Du bist nicht todt, ich habe Dich wieder!« schluchzte sie dann. »Der Herr hat mein Gebet erhört, und gnadenvoll ist er nicht ins Gericht gegangen mit der Verbrecherin! O Thomas, ich bin eine Sünderin, eine Verbrecherin. Verstoße mich nicht vor Deinem Angesicht, Du guter, redlicher Mann!«

»O mein Gott,« rief Herr Thomas schluchzend, »weine nur nicht, Käthe. Siehst Du, ich bin ja Dein alter Dummkopf, schilt mich, zanke mit mir. Hinfort will ich's gerne ertragen, denn nun weiß ich, daß Du mich liebst, und daß mein Tod Dich betrüben würde.«

»Aber Du, kannst Du mir verzeihen?« flüsterte sie. »Ach ich war, wie von einem bösen Zauber umgarnt, ich war meiner selbst nicht mehr mächtig, und wußte nicht, was ich that. Erst als ich Dich bleich, ächzend vor mir sah, erst da erwachte ich aus dieser Betäubung und fand mich schaudernd am Rande eines Abgrundes!«

»Von nun an wollen wir Hand in Hand gehen,« sagte Herr Thomas, »und immer auf der gebahnten Straße. O, glaube mir, Käthe, wenn zwei Eheleute Hand in Hand gehen, da verirren sie sich nie vom rechten Wege, und für sie giebt es dann keine Abgründe und Tiefen! Einer hilft dem Andern vorwärts, und ebnet ihm die Straße, die er zu gehen hat, bis sie zuletzt gemeinschaftlich an dem großen, letzten Ziel anlangen, und in ewigem Schlafe ausruhen von ihrer Pilgerfahrt durch das Leben.«

Katharina weinte noch immer, und lehnte todesmatt an seinem Halse. »Weine nicht mehr,« sagte Herr Thomas. »Sei vielmehr heiter, denn wir haben uns ja wieder gefunden. Ja, dieser Tag soll ein Freudentag sein für uns Alle, auch für unsere Tochter Julie. Sie bleibt doch Deine Tochter, nicht wahr, wenn ich auch nicht gestorben bin?« – Katharina nickte bejahend, und Herr Thomas fuhr fort: »Ja sie bleibt unsere Tochter, und den Antheil an dem Erbe unserer Kinder, den Du mir geschworen ihr zu geben, den wollen wir ihr nicht entziehen, denn sie braucht ihn, da sie sich einen Mann nehmen will. Einen guten, braven Mann, einen Maler! Aber ich glaube, Du kennst ihn schon, er traf Dich heute Morgen im Garten.«

»Der?« fragte Katharina zusammen zuckend.

»War Juliens Bräutigam, und wie er mir sagte, hast Du ihn so freundlich empfangen, daß er Deiner Einwilligung zur Verbindung mit Julien gewiß zu sein glaubt. Laß uns denn die jungen Leute rufen, daß wir ihnen unsere Einwilligung geben, und den Tag der Hochzeit bestimmen.«

Er rief mit lauter Stimme nach Julien und Eduard, und als die Thür sich öffnete, und das junge Paar in derselben erschien, barg Katharina schamvoll das Haupt an ihres Gatten Brust.

»Kinder,« sagte Herr Thomas, »morgen ist Hochzeit. Meine Käthe hat für Euch gebeten, daß wir Eure Verbindung nicht weiter hinaus schieben. So heirathet Euch denn, an Geld und Segen soll's Euch nicht fehlen! Die Käthe verlangt, daß Julie als ihre Tochter ausgestattet werde!«

Als Julie und Eduard mit lautem Jubel sich Katharinen näherten, sagte diese: »Ja, morgen soll Hochzeit sein, aber unter Einer Bedingung!«

»Und die ist?« fragte Herr Thomas.

Frau Käthe legte einen Arm um ihres Mannes Nacken, und sagte: »Die Bedingung ist, daß Du unsere beiden Buben aus der Pensionsanstalt zurücknimmst, und sie zu so braven und ehrlichen Tischlern erziehst, wie ihr Vater einer ist!«

»Käthe!« schrie Herr Thomas, und jetzt ward er wirklich blaß wie eine Leiche, aber diesmal nur aus Freude und Glück. »Käthe, meine Buben – «

Hier brach seine Stimme, denn er weinte laut vor Seligkeit und Vaterlust.


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