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IV. Eine Liebeserklärung

Irma ging langsam in ihr Gemach zurück, und gedankenvoll mitten in demselben stehen bleibend sagte sie leise: »Nein, dies Geheimniß darf nie über meine Lippen kommen! Es ist besser mich für gefühllos zu halten, als zu ahnen, daß mein Herz von unerwiederter Liebe erfüllt ist! Unerwiedert! Und doch meine ich in seinen Augen, dem Ton seiner Stimme, o, in seinem ganzen Wesen den Ausdruck jenes heiligen Gefühls zu lesen! – Stille, mein Herz,« unterbrach sie sich selber, »diese Gedanken, diese Ahnungen müssen ungesprochen verklingen. Es ist zu gefährlich, ihnen Gestalt und Form zu geben! – Ich will singen, das wird mich zerstreuen,« sagte sie, hochaufathmend, und trat zum Flügel. Sie öffnete ihn, und schlug langsam einige Accorde an, dann sang sie ein Lied, das sie nach einer englischen Ballade sich selber gedichtet, und das so lautete:

Ich sah' ihn wieder, ach ihn wieder,
Ihn meines Lebens schönsten Stern;
Ich senkt' beschämt die Augenlider,
Er stand mir nah und doch so fern.

Ich hört' der theuren Stimme Klingen,
Sie zitterte in tiefer Pein;
Ein Schwert fühlt' ich die Brust durchdringen
Bei seines Lächelns Wehmuthsschein.

Sie hatten köstlich mich geschmücket
Mit Atlaskleid und Diamant;
Wie dieser Pomp mein Herz bedrücket!
Und bleich war ich, wie mein Gewand.

Er wünscht' mit leis' verhalt'nem Grollen
Mir Glück, als eines Andern Braut,
Er wüßt' nicht, daß der Mutter Wollen
Mich diesem Fremden angetraut.

Und nochmals mußt' ich ihn erblicken
Ein schönes Mädchen ihm zur Seit',
Er lächelt ihr mit freud'gem Nicken,
Dies Lächeln, einst mir Seligkeit!

Sie lehnt' erröthend ihm am Arme
Der mein, nur meiner sollte sein.
Ich zitterte vor tiefem Harme,
Und doch verdient' ich diese Pein.

Er nennt sie Braut, er will ihr geben.
Die heil'ge Lieb', einst mir gelobt.
O schwände doch mein armes Leben
Vor Schmerzensgluth, die in mir tobt!

Die Welt mag wohl mich glücklich nennen,
Denn meine Thränen zeig' ich nicht.
O Mutter, nie darf ich bekennen,
Daß Dein Befehl das Herz mir bricht!

Langsam glitten ihre Hände von den Tasten, und in einem ihr selber unerklärlichen, ahnungsvollen Bangen brach sie in Thränen aus. Während ihres Gesanges aber hatte, von ihr unbemerkt, die Thüre sich geöffnet, und in derselben erschien Urban. Als sie jetzt schwieg, und leise weinte, rief er ihren Namen mit jenem Beben, das nur die Liebe kennt und versteht. Irma schreckte zusammen und wandte den Kopf nach ihm hin, ohne doch die Kraft zu haben aufzustehen.

»Sie weinen?« fragte Urban, Irma's zitternde Hände in die seinen nehmend, und ihr tief in die Augen sehend. »Sie weinen, wie jenes arme Kind, dessen Liebesklage Sie eben sangen! Sie haben Recht, es ist auch ein schönes und rührendes Lied, tief ergreifend und voll einer Wahrheit, an der die schönsten Herzen verbluten. Das ist das bitterste Leid, das keine Worte haben darf für seine Pein, wie die Liebe die größte ist, die keine Worte hat in ihrer Ueberfülle.«

»Wie gütig Sie sind,« sagte Irma mit einem mühsamen Lächeln, »wie freundlich Sie sich sogar zu einem Schwärmenden herabstimmen, weil Sie mich schwärmend am Klavier finden! Aber Sie sollen sehen, daß ich Ihre Güte nicht mißbrauche! Kommen Sie, fort mit diesen Schwärmereien! Wir wollen heiter sein! Erzählen Sie mir schnell etwas Fröhliches, und Sie sollen an meinem Lachen sehen, daß dies Weinen nichts weiter war, als –«

»Als ein Thautropfen an der schönsten Rose,« unterbrach sie Urban, Irma zum Divan führend.

»Sie setzen Sich nicht zu mir?« fragte sie beklommen.

»Nein, zu Ihren Füßen ist mein Platz!«

Und er setzte sich zu ihren Füßen auf das gestickte Kissen, und blickte sie an, daß sie erröthend das Auge senkte. »Erzählen soll ich Ihnen,« sagte er, »etwas Fröhliches, Heiteres? O mein Gott, es giebt Momente, wo man zu glücklich ist, um heiter zu sein, wo man nur weinen, nicht einmal lachen kann vor der schmerzlich süßen Beklommenheit des Glücks.«

»Wohl Ihnen, wenn Sie zu diesen seligen Sterblichen sich zählen!« sagte Irma leise.

»Ich thue es, denn ich sitze zu Ihren Füßen, Irma, – nein, entziehen Sie mir nicht diese Hand, die ich ewig so in der meinen halten möchte. Wenden Sie Ihr Antlitz nicht von mir, dies liebe Antlitz, dessen Erröthen mir eine Morgenröthe des Glücks sein soll. Irma, bedarf es denn der Worte, um Dir meine Liebe zu bekennen? Hast Du sie nicht lange gewußt, in sympathetischer Wechselwirkung das Klopfen meines Herzens lange verstanden? O Irma, ist nicht diese Liebe in mir empor gewachsen, wie eine köstliche Blume, deren Entfalten wir mit heiligem Beben, mit ehrfurchtsvoller Scheu erwarten? Nun soll ihre Blüthe sich entfalten, und berauschen wollen wir uns Beide an ihrem köstlichen, mährchenhaften Duft. Komm, laß mich von Deinen Lippen dieses süße Geheimniß unserer Liebe trinken, komm, laß mich, Deine Kniee umfangend, von Dir es hören, daß Du mein bist, daß Du mich liebst!«

»O mein Gott, mein Gott,« rief sie, ihre Arme gen Himmel erhebend. Mehr sagte sie nicht, aber Urban verstand sie wohl, er zog sie in seine Arme, und flüsterte in ihr Ohr süße und heilige Schwüre, vor denen Irma zusammen schauerte, und sie mit stammelnder Lippe erwiederte. – Sie waren glücklich, kein Gedanke an die Welt und die Zukunft schreckte sie auf aus diesen köstlichen Entzückungen der ersten Liebesstunde. O, wie Vieles hatten sie sich nicht zu bekennen, wie Vieles sich zu erzählen von diesen ersten, geheimnisvollen Blüthenknospen der Liebe, deren Schwellen und Wachsen sie schweigend, bebend in Wonne, tief in sich empfunden und gepflegt hatten.

»Weißt Du noch Urban, wie ich Dich zum ersten Male sah? Es war ein köstlicher Sommertag in Helgoland, die ganze Badegesellschaft war hinübergeschifft nach den Dünen, und am Strande auf und abwandelnd, scherzten und lachten wir, bis wir von einem wüthenden Gewitter überrascht wurden, von einem Sturm, der das Meer peitschte, daß es in häuserhohen Wellen empor brauste.«

»O es war ein schöner Anblick, diese wogende See!«

»Der schönere Anblick, Urban, kam noch! Weißt Du noch, jenen entsetzlichen, kreischenden Schrei, den jenes arme junge Fischerweib ausstieß. O, sie erkannte jenes kleine Boot, das wie ein Spielzeug auf den Wellen tanzte, sie wußte, daß in demselben ihr Gatte saß. Da standen wir Alle athemlos am Ufer, und starrten hin nach jenem Unglücklichen, und sahen wie die Wellen das Boot empor- und hinabschleuderten in die Tiefe, und endlich war das Boot leer, und das arme junge Fischerweib sank mit einem gellenden Schrei ohnmächtig zusammen. Da stürztest Du ans Ufer, und ohne zu zagen, ohne Dich zu bedenken, warfst Du Dich ins Meer, schwammst nach jenem Unglücklichen, mit den Wellen Kämpfenden hin.«

»Ich weiß, ich weiß! Aber was sollen uns diese trüben Bilder der Vergangenheit, da die Gegenwart so sonnenhell und schön.«

»Laß mich's Dir erzählen, Theurer. Es thut so wohl, einer Heldenthat des Geliebten sich zu erinnern! Wir standen am Ufer, bleich und zitternd, und die Männer boten hohe Summen den Fischern, daß sie mit einem Boot Dir sollten zu Hülfe kommen. Niemand wollte es wagen! Da hörten wir Deinen Freudenschrei, da sahen wir, wie Du den Sinkenden erfaßtest, wie Du mit kühnem Arm die Wellen zertheiltest. Nun noch eine bange, fürchterliche Minute, o, eine Minute, in der ich, auf meinen Knieen liegend, mein ganzes Leben, meine ganze Zukunft sich bestimmen fühlte, und jetzt hattest Du das Ufer erreicht, und sankst nun selber in tödtlicher Erschöpfung zusammen. O in jener Stunde fühlte ich, wußte ich –«

»Was fühltest Du, Irma?«

»Daß ich Dich ewig lieben würde,« flüsterte sie leise, und barg ihr Haupt an seiner Brust.

»Und trog Dich dies Gefühl nicht, Theuerste?«

»Nein, es hat sich treu erfüllt. Als meine Seligkeit, als meine Hoffnung, meine Zukunft habe ich Dich stets seitdem in meinem Herzen getragen, Dir angehörend in heißer, hoffnungsloser Liebe! Denn Du liebtest mich nicht, Du Grausamer!«

»Lange, lange schon Irma! O, Du holdes, schönes Kind, Du warst es ja, die ich überall in meinem Leben suchte, Du warst es ja, die ich vom Schicksal erflehte, nach der ich seufzte, nach der ich bangte! Du warst es, nach der ich jedes Mädchenantlitz fragte, und deren heilige Züge ich jauchzend zuweilen zu erkennen glaubte, bis ich mit tödtlichem Erschrecken alsdann erkennen mußte, daß es ein Irrthum gewesen, daß Du immer noch vor mit dahin flohest, ein holdes, phantastisches Nebelbild, das niemals zu irdischen Formen sich gestalten wollte. O, ich habe zu den Füßen manchen Mädchens gelegen und von ihr mit bitterm Sehnsuchtsschmerz verlangt, daß Du mich anschauen solltest aus ihren Augen, daß Du mir sprechen solltest von ihrem Munde, mir lächeln solltest von ihren Lippen, daß sie mit Deiner heißen, treuen und reinen Liebe mich lieben sollte, und ich fand nichts als ein gewöhnliches Weib, girrend und verlangend, seufzend und matt, und dann wandte ich mich ab, entfloh, um Dich auf's Neue zu suchen, bis ich endlich eines Tages Dich fand, Dich, die ich lange geträumt, nach der ich als Kind, als Jüngling gerufen und gebetet, Dich, meines Lebens Blüthe und Duft, unter deren segensvollem, beschattenden Schutze ich ausruhen wollte zu köstlicher Erquickung. O, von nun an ist Alles licht geworden und sonnenhell, keine Stürme und keine Kämpfe mehr. O, wie göttlich wird dieser Friede sein! Ruhe im Genuß, Klarheit in der Leidenschaft, überschwenglich selig, und doch bewußt in der Seligkeit, das ist der Gipfelpunkt alles Glückes! O, selig der Sterbliche, dem die gütigen Götter vergönnen, dieses Heiligthum zu erreichen. Glaube es nicht, was die Thoren sagen von dem Genuß der ertrotzten Stunde! Er ist berauschend, aber es fehlt ihm jene köstliche Gewißheit der Dauer, es ist ein Taumel, ein entzückender Taumel, nichts weiter! Wir aber, Irma, wir wollen genießen, und in dem Genusse selig sein bei dem Gedanken, daß jeder neue Tag uns neue Genüsse bringt!«

»O, köstlich, köstlich wird diese Zukunft sein,« sagte Irma bebend. »Wie Schwäne wollen wir schaukeln auf den Wogen des Lebens, und wenn ich sterbe, so wird mein letzter Seufzer wie das Schwanenlied meiner Liebe sein!«

»Nichts von Sterben, Irma. Wir leben, und das Leben hat nichts zu schaffen mit dem Sterben. Wir wollen das Schicksal nicht bitten um sanften Tod, sondern um glückliches Leben, dann findet der sanfte Tod schon von selber sich ein! O, nur nichts von Sterben, wenn meine Arme Dich glühend umfangen, wenn ich von Deinen Lippen das köstliche Leben der Liebe trinke! Meine Braut, meine Geliebte, o, und bald mein Weib! Denn nicht wahr, Du weißt nichts von diesem angekünstelten Sträuben, diesem erröthenden Versagen? O, Irma ist zu keusch zu solchem Sträuben, denn sie liebt mich! Und wo ein keusches Weib liebt, da giebt sie sich hin mit Leib und Leben, mit Seele und Blut, da weiß sie nichts von jener Prüderie, welche die heiligsten Regungen unkeusch nennt. Du bist ein ganzes, lebensvolles, köstliches Weib, und weil Du mich liebst, willst Du auch mein sein? Nicht wahr, Irma, Du willst mich nicht verdammen zu diesem Mittelding der Existenz, zu diesem Schweben zwischen Himmel und Erde? Wir wollen dieser niedrigen, erbärmlichen Welt kein Schauspiel geben von einem leidenschaftlichen Bräutigam, und einer erröthenden, ihre Zärtlichkeit verbergenden Braut! Nein, nur die Götter sollen unsichtbare Zeugen meiner Liebeswerbung, Deiner Liebesgewährung sein! Werde vor der Welt mein Weib, und laß uns unter dem Schleier dieser weltlichen Weihe in süßem Gekose alle bräutlichen Wonnen, alle diese kleinen, übergroßen, unnennbaren und herrlichen Stadien der Liebe durchleben und empfinden, bis endlich eines Tages sich Irma selbst in meine Arme wirft, um mein zu sein für alle Ewigkeit, bis die Wogen der Entzückung über ihrem Haupte zusammenschlagen, und sie kein Wollen, keine Gedanken mehr hat, nur Liebe, überschwängliche, berauschende Liebe. Soll es so sein, meine Geliebte?«

Irma barg ihr Haupt an seiner Schulter, aber Urban hob es empor und sah sie an, ihre Blicke begegneten sich, strahlend und glückverheißend.

»Soll es so sein, meine Irma?«

»Dein Wille ist der meine, Urban,« sagte sie leise. »Seit ich Dir meine Liebe gestanden, bist Du mein Herr! Gebiete denn über mich, Deine Sclavin hat keinen Willen als den Deinen!«

»So laß uns vereint vor Deinen Vater treten und ihn bitten, daß er den Priester rufe, der Dich mir zum Weibe gebe! Es ist eine äußere Form, aber warum ihr nicht genügen, dieser kleinlichen Welt gegenüber! Du zitterst, Geliebte? Nein, zage nicht! Der Priester mag unsere Hände in einander legen und mir Rechte über Dich geben, ich werde keine Rechte anerkennen, die Deine Liebe mir nicht freiwillig gewährt! O, ich kenne für ein Weib nichts Entsetzlicheres, Entwürdigenderes, als diesen Brautstand vor der Welt, dies Girren und Seufzen, Hangen und Bangen, bis endlich eines Tages die Vettern und Basen, die Schwestern und Brüder mit feierlichen Gesichtern zusammen kommen, der Priester, diesen neugierigen Zeugen gegenüber, die zitternde, von Scham erröthende Braut ihrem Erwählten in die Arme wirft, und ihr befiehlt, was nur die Liebe erbitten kann. O zittre nicht, Irma! Laß den Priester unsre Hände in einander legen, er soll mir nur das Recht geben, um Dich zu werben, das Recht, ungestört, nicht gehindert von Vätern und Basen, jene Stunde zu erwarten, wo Du mein sein willst, aus freier Wahl, durch nichts gezwungen, als durch Dein eignes Herz! Werde heute noch meine Gattin, um einst mein Weib zu werden!« –

»Aber was,« fragte Irma erröthend, »was wird die Welt dazu sagen?«

»Die Welt? O Du thörichtes Kind, was kümmert uns die Welt! Laß sie höhnen und lachen, laß sie sich ärgern, daß ihnen das Schauspiel eines zärtlichen Brautpaars entzogen ist. O, wenn in der heiligen Stille unseres Hauses ich zu Deinen Füßen sitze, und Dir goldene Mährchen unserer Liebe erzähle, werden wir da ein Ohr haben für diese Stimmen der Welt?«

»O, Urban, ich werde nichts hören, als Dich, Dich allein, mein Urban. Du wirst meine Welt sein und meine Zukunft, mag denn die Welt da draußen auf ewig vor mir verschwinden!«

»So komme denn, Irma,« sagte Urban, sie in seine Arme hebend, »komme denn zu Deinem Vater!«

Irma bebte zusammen in jungfräulichem Zagen vor der entscheidenden Stunde!

»Nicht heute,« flüsterte sie, den Geliebten umfangend. »O lasse mir heute noch dies heilige, verschwiegene Glück! Ich bin eifersüchtig, daß die Welt es erfahren, daß die unheiligen Lippen der Menschen meine Liebe zersprechen sollen! O nichts Köstlicheres, als dies stille, von Niemand gewußte, von Niemand belauschte Glück! Gönne es mir bis morgen, mein Urban, laß es mir bis dahin ein lichter Schmetterling sein, den noch keine irdische Berührung seines Aetherstaubes beraubt hat. O, Urban, mein Herz ist so voll Lust und Weh, voll Seligkeit und Bangen! Gönne mir Zeit, das Unermeßliche zu fassen, an das Glück mich zu gewöhnen!«

»Bis morgen denn!« sagte Urban, sie an sein Herz ziehend.


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